Einführung in die Theoretische Physik: Einleitung

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Einführung in die Theoretische Physik, 1. Teil[Bearbeiten]

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Dies ist eine Einführung in die Theoretische Physik in mehreren einzelnen Wikibooks (Kinematik, Dynamik ...). Sie sollen Studienanfängern das Leben etwas erleichtern.

Theoretische Physik wird an Hochschulen gelehrt und ihr Studium setzt einige Kenntnisse voraus: Experimentalphysik und Analysis von Gymnasialniveau, Vektoralgebra, Vektoranalysis und einfachere Differentialgleichungen. In den Wikibooks zur Theoretischen Physik wird zwar einiges von dem genannten Stoff kurz wiederholt und es werden Erläuterungen zum leichteren Verständnis gegeben, aber dies kann und soll kein Ersatz für grundlegende Kenntnisse sein. Theoretische Physik kann nicht voraussetzungslos vermittelt werden.


Was ist Theoretische Physik?[Bearbeiten]

Physik beginnt mit der sorgfältigen Beobachtung von physikalischen Vorgängen, wie sie entweder in der Natur auftreten oder im Experiment gezielt hervorgerufen werden.

Der Beobachtung solcher Vorgänge folgt ihre möglichst präzise Beschreibung. Dazu ein einfaches Beispiel: Bei fortgesetzter Abkühlung von Wasser gefriert es zu Eis. Bei diesem Vorgang kann eine nicht mehr triviale Entdeckung gemacht werden: Beim Gefrieren gibt das Wasser Wärme an seine Umgebung ab. Daraus ergibt sich die Frage: „Wie viel Wärme?“ Antwort: „Die Wärmemenge hängt von der Masse des gefrierenden Wassers ab.“ – Wie ist der Zusammenhang zwischen Masse und Wärmemenge? – „Die Wärmemenge ist der Masse proportional.“ Damit beginnt bereits die Mathematisierung der Physik: proportional ist nämlich ein mathematischer Begriff. Er bedeutet hier, dass der Quotient aus Wärmemenge und Masse immer denselben Wert hat. Als nächstes kann man einen neuen Begriff definieren: Der konstante Quotient aus Wärmemenge und Masse heißt spezifische Erstarrungswärme des Wassers. Daraus ergibt sich sofort die nächste Frage: „Haben alle Stoffe die gleiche spezifische Erstarrungswärme?“ – Beileibe nicht! – Weiter: „Wie kommt es, dass das Wasser Wärme – also Energie – abgibt und woher stammt sie?“ Und damit sind wir bei einer typischen Fragestellung der Theoretischen Physik, die uns schließlich zur kinetischen Wärmetheorie bringen wird.

Hier noch ein außerordentlich wichtiges historisches Beispiel:

Der dänische Astronom Tycho Brahe (1546-1601), der bedeutendste beobachtende Astronom vor der Erfindung des Fernrohrs, beobachtete über viele Jahre hinweg die Standorte der Planeten vor dem Hintergrund des Fixsternhimmels und führte penible Aufzeichnungen darüber. Aus der Datenfülle dieser Aufzeichnungen leitete Johannes Kepler (1571-1630) die nach ihm benannten Gesetze der Planetenbewegung ab, eine verbal-mathematische Beschreibung der Vorgänge. Diese Gesetze lauten:

  1. Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht.
  2. Der Radiusvektor (Leitstrahl), also die Verbindungslinie zwischen Sonne und Planet, überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen.
  3. Die zweiten Potenzen der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die dritten Potenzen der großen Halbachsen ihrer Bahnellipsen.

Das Herausdestillieren dieser Gesetze aus den Daten Tycho Brahes ist noch immer die bedeutendste Leistung der beschreibenden Physik.

Darüber hinaus fragte Kepler auch bereits nach dem physikalischen Grund dieser Bewegung und ihrer Gesetze. (Die Scholastiker des Mittelalters hatten noch angenommen, die Planeten würden von Engeln auf ihren Bahnen um die Erde (!) herumgeführt.) Er kam zu der Vermutung, dass zwischen Sonne und Planeten – wie überhaupt zwischen zwei Massen – eine anziehende Kraft wirken müsse.

Tycho Brahe war hier also der Beobachter, Johannes Kepler der Interpret und der erste Frager nach den physikalischen Gründen der Planetenbewegung.

Aus den Keplerschen Gesetzen leitete dann Isaac Newton (1643-1727) das Gravitationsgesetz ab: Zwischen zwei Massen wirkt eine anziehende Kraft, die proportional zum Produkt der beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihrer Entfernung ist. Isaac Newton war hier also der theoretische Physiker. Ein Triumph in diesem Kapitel der Theoretischen Physik war es, als 1846 der Astronom Johann Galle den Planeten Neptun entdecken konnte, nachdem Urbain Le Verrier aus Bahnstörungen des Planeten Uranus seine Position berechnet hatte.

Zum Wesen der Theoretischen Physik gehört auch, dass sie zuvor unbekannte (oder unerklärbare) Konsequenzen ihrer Ergebnisse ableitet, die wiederum an der Erfahrung überprüft werden können. Dazu ein beeindruckendes Beispiel: Albert Einstein gründete seine Allgemeine Relativitätstheorie auf die bekannte, aber unerklärte Tatsache, dass alle Körper im leeren Raum gleich schnell fallen, was bedeutet, dass schwere Masse und träge Masse eines Körpers proportional sind. Als Konsequenz ergab sich die zwar bekannte, aber nicht erklärbare "Perihelbewegung" des Merkur, dessen Bahnellipse um die Sonne rotiert.

Zuvor völlig unbekannt war (wenn man von Newtons Erkenntnissen über die Reflexion, Brechung, Beugung und die Farben des Lichts von 1704 und von einer Publikation Johann Georg Soldners "Zur Gravitations-Lichtablenkung am Sonnenrand" von 1801 absieht), die von Einstein aus der Allgemeinen Relativitätstheorie gefolgerte Krümmung von Lichtstrahlen, die nahe an der Sonne vorbeilaufen. Dieser Effekt wurde dann bei Sonnenfinsternissen tatsächlich beobachtet.

Zum Schluss noch ein letzter Hinweis auf die praktische Bedeutung der Theoretischen Physik: Die komplizierte moderne Technik ist ohne Theoretische Physik undenkbar. Es gibt eben nichts Praktischeres als eine gute Theorie.


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