Karate: Kritik
Kritik am Karate
[Bearbeiten]Es gibt gegenüber dem Karate und den Karateka vielerlei Vorbehalte und Vorurteile. Dieses Kapitel möchte diese Vorverurteilungen sammeln, erklären und soweit möglich auflösen.
Festigung eines rückständigen Gesellschaftsmodells?
[Bearbeiten]In den traditionellen japanischen Kampfkünsten herrscht eine strikte vertikale Hierarchie. Diese Ordnung findet sich auch in vielen anderen Bereichen der ostasiatischen Kulturen und gründet sich auf der konfuzianischen "Harmonie des Universums". Das gesellschaftliche Zusammenleben ist demnach geprägt von Pflichten und Tugenden, die im Budo hochgehalten werden, und von den Beziehungen zwischen Oberen (Lehrer) und Unteren (Schüler). Der Lehrer vermittelt dem Schüler sein Wissen und erwartet im Gegenzug dessen Loyalität. Der Schüler schenkt dem Lehrer seine Loyalität und erhält im Gegenzug Zugang zu dessen Wissen. Grundlage für diese Symbiose ist das gegenseitige Vertrauen und Respekt, ohne dass keine Schüler-Lehrer-Beziehung möglich ist. Der Stellenwert, den ein Lehrer innehat, ist an diesem Sprichwort abzulesen:
Eine Mutter ist so gut wie zehn Väter. Ein Lehrer ist so gut wie zehn Mütter.
Die japanische Tradition Söhne zu adoptieren ging mit der Pflege der Familien-Kampfkunst, die vom Vater an den Sohn weitergegeben wird, Hand in Hand.
Budo lernt man nicht auf intellektuelle Weise, sondern allein durch Übung. Da der Anfänger Sinn und Zweck der Übungen nicht erkennen kann, ist er seinem Lehrer völlig ausgeliefert.
Alle diese Tatsachen haben eine Kultur geschaffen und zementiert, die dem westlichen Denken gelegentlich als rückständig erscheinen kann.
Sind nun also die Schüler die "Untergebenen" oder sogar die "Untertanen" des Lehrers? Letztlich führen die Überlegungen zu folgender Kernfrage: Was ist die Quelle der Autorität des Lehrers? Wodurch gewinnt er Macht über mich? Die Antwort ist verblüffend einfach. Autorität wird einem Lehrer von dessen Schülern geschenkt. Niemand kann Autorität erzwingen. Ich bin frei in meiner Wahl des Lehrers und der Lehrer muss sich meine Loyalität verdienen. Ich adele meinen Lehrer allein durch meine freie Wahl, indem ich immer wieder zu ihm komme und an seinem Unterricht teilnehme. Diese "Abstimmung mit den Füßen" übertrifft an Gerechtigkeit jede parlamentarische Demokratie, die nur alle paar Jahre zur Urne ruft und den Gewählten in der Zwischenzeit sehr freie Hand läßt.
Personenkult
[Bearbeiten]Dass der Lehrer sich durch nichts anderes auszeichnet, als das er früher mit dem Training begann, läßt sich auch an dem japanischen Wort "Sensei" ablesen, denn es bedeutet nichts anderes als: Jemand, der vorher geboren ist.
Jede darüber hinaus gehende Verehrung eines Lehrers ist eine private Angelegenheit und nicht Bestandteil des Budo- oder Karatetrainings. Die Verneigung vor einem Bild des Lehrers hat keine religiöse Signifikanz und stellt lediglich eine asiatische Form der Höflichkeits- und Respektsbekundung dar.
Es ist leicht nachvollziehbar, dass Einzelne, die dem Karatetraining und ihrem Lehrer sehr viel verdanken, ihren Lehrer überhöhen. Wo sich diese Zuneigung in Höflichkeit und Respekt äußert, ist sie auch gerne gesehen. Doch müssen die gläubigen Anhänger sich vor Selbsttäuschung hüten, sobald sie ihren Lehrer zu etwas machen wollen, das mehr als ein Mensch ist.
Dort wo ein Lehrer seine Anhänger aus Mangel an Tugend ausnutzt und dort wo ein Schüler seine Kunst zu einem Kult erhebt, wurde der rechte Weg verlassen.
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