Materielles Zivilrecht im 2. Staatsexamen: Deliktsrecht

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Wesentliche Eigenschaften[Bearbeiten]

Außerhalb vertraglicher oder vertragsähnlicher Sonderbeziehungen trägt grundsätzlich jeder sein allgemeines Lebensrisiko selbst. Soll der Schaden auf einen Anderen übergewälzt werden, muss daher ein besonderer Grund vorliegen. Der Gesetzgeber normiert zwei besondere Gründe: Zum einen die Haftung für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten ("unerlaubte Handlungen"), zum anderen die Gefährdungshaftung für erlaubte, aber besonders riskante Handlungen.

Anders als bei der Haftung in Sonderverbindungen (insbes. nach § 280 BGB) umfasst die Deliktshaftung grundsätzlich keinen Ersatz für primäre Vermögensschäden. Sie kennt außerdem nur eine begrenzte Einstandspflicht für Hilfspersonen (§ 831 BGB) und keine Beweislastumkehr wie in § 280 Abs. 1 S. 2 BGB.

Prüfschema[Bearbeiten]

Das Deliktsrecht ist nach § 993 Abs. 1 Hs. 2 BGB vollständig gesperrt, wenn die §§ 989, 990 BGB greifen. Ist das nicht der Fall, kommen vorrangig die drei Generalklauseln infrage: § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB.

§ 823 Abs. 1 BGB - absolute Rechtsgüter[Bearbeiten]

Rechtsgutsverletzung[Bearbeiten]

§ 823 Abs. 1 BGB schützt nicht alle Rechtsgüter, sondern nur Rechtspositionen mit anerkanntem Zuweisungsgehalt und eindeutiger Ausschlussfunktion. Gemeint ist, dass die in der Norm genannten Rechtsgüter eindeutig einer Person zugewiesen sind und gleichzeitig anderen jede Beeinträchtigung grundsätzlich verboten ist. Zudem ist die Reichweite der genannten Rechte für andere offenkundig, sodass von ihnen entsprechende Vorsicht erwartet werden kann. Anhand dieser Kriterien sind auch die "sonstigen Rechte" zu bestimmen.

Handlung des Anspruchsgegners[Bearbeiten]

Deliktische Haftung kann - unproblematisch - aus dem Tun des Anspruchsgegners folgen, oder aber aus dessen Unterlassen, jedoch nur wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Ob ein Tun oder Unterlassen vorliegt, bemisst sich wie im Strafrecht nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. Eine Rechtspflicht zum Handeln kann sich aus Vertrag, Gesetz, Ingerenz, Lebens- oder Gefahrengemeinschaft ergeben, am häufigsten jedoch aus einer Verkehrssicherungspflicht.

Grundlage von Verkehrssicherungspflichten ist, dass der Pflichtige eine Gefahrenquelle schafft, unterhält oder durch Übernahme einer gefahrbezogenen Aufgabe steuert. Er muss dann alle zumutbaren und geeigneten Vorkehrungen treffen, damit sich die Gefahr nicht realisiert.[1] Ein Übertragen der Verkehrspflicht auf Dritte ist zulässig (z.B. Abwälzen der Streupflicht auf Mieter). Es genügt die rein faktische Übernahme durch den Dritten genügt. Den eigentlich Verkehrssicherungspflichtigen trifft dann nur noch eine Überwachungspflicht.

Haftungsbegründende Kausalität zwischen Handlung und Schaden[Bearbeiten]

Die Haftungsbegründende Kausalität ist der Zurechnungsmaßstab eines Schadens zu einer Handlung.

Die Handlung des Anspruchsgegners muss für die Rechtsgutsverletzung äquivalent kausal sein, also entfallen, wenn man sich die Handlung des Anspruchsgegners wegdenkt bzw. die geschuldete Handlung hinzudenkt.

Neben die rein naturwissenschaftliche Kausalität tritt mit der Adäquanz ein wertendes Element: Die Handlung ist nicht adäquat kausal für die Rechtsgutsverletzung, wenn die Verursachung nur unter ganz eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Erfolgs geeignet war.[2] Ohne diesen Filter wäre auch die Zeugung des Anspruchsgegners bereits kausal.

Endgültig normativ wertend ist das Kriterium des Schutzzwecks der Norm. Demnach ist die Zurechnung ausgeschlossen, wenn die Rechtsgutsverletzung bzw. der aus ihr resultierende Schaden nach Art und Umfang nicht dem Risiko entsprechen, vor dem die verletzte Verhaltensnorm (idR die verletzte Verkehrspflicht) schützen soll, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen ist. Während unmittelbare Verletzungen geschützter Rechtsgüter immer vom Schutzzweck des § 823 Abs. 1 BGB umfasst sind, sind mittelbare Verletzungen nur erfasst, wenn der Anspruchsgegner ein unerlaubtes Risiko geschaffen hat, dass sich dann durch den Kausalbeitrag eines anderen verwirklicht hat. Unerlaubt ist ein Risiko immer dann, wenn eine Verkehrspflicht bestand, es nicht zu schaffen.

Rechtswidrigkeit der Handlung[Bearbeiten]

Die Rechtswidrigkeit von Handlungen, die von § 823 Abs. 1 BGB geschützte Rechtsgüter unmittelbar verletzen, ist indiziert. Ausnahmen sind nur die "Rahmenrechte": Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Bei mittelbaren Verletzungen muss der Verstoß gegen die Verkehrspflicht, der die Rechtswidrigkeit begründet, positiv festgestellt werden.

Die Rechtswidrigkeit entfällt in beiden Fällen, wenn ein Rechtsfertigungsgrund vorliegt.[3]

Verschulden des Anspruchsgegners[Bearbeiten]

Deliktische Haftung besteht nur, wenn Verschuldensfähigkeit (§ 827 BGB, § 828 BGB) und Vorsatz oder Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) nachgewiesen sind. Fehlt die Verschuldensfähigkeit kommt nur die Billigkeitshaftung nach § 829 BGB infrage.

§ 823 Abs. 2 BGB - Verletzung von Schutzgesetzen[Bearbeiten]

Rechtsgüter, die nicht so eindeutig definierbar sind wie die des § 823 Abs. 1 BGB sind nur deliktisch geschützt, wenn ein Schutzgesetz das vorsieht und so entsprechende Verhaltenspflichten konkretisiert. Über § 823 Abs. 2 BGB sind insbesondere auch primäre Vermögensschäden ersatzfähig.

Schutzgesetz[Bearbeiten]

Schutzgesetz ist eine Rechtsnorm iSv Art. 2 EGBGB, die ein Handlungsge- oder verbot beinhaltet und den Schutz bestimmter Rechtsgüter oder Interessen des Geschädigten bezweckt. Letzteres ist der Fall wenn die Norm nicht nur die Allgemeinheit, sondern auch individuelle Rechtsgüter schützen soll, der Geschädigte in diesen persönlichen Schutzbereich fällt und die konkrete Rechtsgutsverletzung vom sachlichen Schutzbereich der Norm erfasst wird.

Verletzung des Schutzgesetzes[Bearbeiten]

Es müssen sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des Schutzgesetzes erfüllt sein, was insbesondere bei Strafgesetzen die Erfüllung sowohl des objektiven als auch des subjektiven Tatbestands der Strafnorm und aller objektiven Bedingungen der Strafbarkeit erfordert. Relevant ist das vor allem, wenn das Strafgesetz nur die vorsätzliche Begehung unter Strafe stellt. Dieser Maßstab greift dann auch im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB.

Rechtswidrigkeit[Bearbeiten]

Die Verletzung des Schutzgesetzes indiziert die Rechtswidrigkeit.

Verschulden[Bearbeiten]

Nur wenn das Schutzgesetz selbst kein Verschulden voraussetzt, sind Vorsatz und Fahrlässigkeit nach § 823 Abs. 2 BGB zu prüfen. Das Verschulden muss sich dabei nur auf die Erfüllung des Tatbestands des Schutzgesetzes beziehen, Vorsatz oder Fahrlässigkeit durch die Rechtsverletzung auch den Schaden herbeizuführen sind irrelevant. Maßstab für die Verschuldensfähigkeit ist nach herrschender Meinung § 827 BGB.

§ 826 BGB - vorsätzliche sittenwidrige Schädigung[Bearbeiten]

§ 826 BGB schützt das Vermögen als solches unabhängig von der Verletzung einer gesetzlich konkretisierten Verhaltenspflicht. Die Reichweite ist daher beschränkt auf besonders gravierende weil vorsätzliche und sittenwidrige Beeinträchtigungen, um eine intransparente Ausweitung der einzuhaltenden Verhaltenspflichten durch Richterrecht zu verhindern.[4]

Schadenszufügung[Bearbeiten]

Umfasst ist jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung.[5]

Sittenwidrigkeit der schädigenden Handlung[Bearbeiten]

Der Sittenwidrigkeitsbegriff entspricht dem des § 138 Abs. 1 BGB, abgestellt wird also auf das Anstandsgefühl aller billig und Gerecht Denkenden, bzw. das "rechtsethische Minimum". Die verletzte (gegebenenfalls ungeschriebene) Verhaltensnorm muss also empirisch von einem breiten Konsens getragen sein und normativ ein Element materieller Gerechtigkeit darstellen, indem es auf die Wertungen des Grundgesetzes, allgemeine Rechtsprinzipien oder die Grundgedanken konkreter Rechtsnormen zurückgeführt werden kann.[6] Kriterien sind die Schutzwürdigkeit des verletzten Interesses, das Gewicht des herbeigeführten Nachteils, doe Verwerflichkeit der Vorgehensweise des Schädigers und dessen Motiv.[7]

Vorsatz[Bearbeiten]

Der Schädigende muss mindestens dolus eventualis im zivilrechtlichen Sinne haben, also sowohl die Rechtsgutsverletzung als auch den Schaden mindestens billigend in Kauf genommen, oder sich der Kenntnis des wegen seiner Handlung zu erwartenden Geschehens bewusst verschlossen haben. Konkrete Vorstellungen zum Schaden muss er nicht haben, aber die Tatsachen gekannt haben, die eine Beurteilung seines Handelns als sittenwidrig tragen. Ob er selbst die zu dieser Beurteilung notwendige Einsicht hatte ist irrelevant.

Fallgruppen[Bearbeiten]

  • § 826 BGB räumt dem Käufer einer mangelhaften Sache von einem Zwischeneigentümer unter Gewährleistungsausschluss einen Ersatzanspruch gegen den ursprünglichen Eigentümer ein, wenn dieser den Zwischeneigentümer beim Verkauf an diesen arglistig getäuscht hat.[8]
  • § 826 BGB ermöglicht die Durchbrechung der Rechtskraft durch eine Unterlassungsklage gegen den Zwangsvollstreckungsgläubiger, der sich den Titel auf grob sittenwidrige Weise erschlichen hat oder ausnutzt.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. BGH NJW 2007, 762
  2. BGH NJW NJW 1972, 36; NJW 1998, 138
  3. zu den einzelnen Gründen: Palandt-Sprau, 70. Aufl. 2011, § 823 Rn. 27 ff.
  4. Grigoleit/Riehm, Delikts- und Schadensrecht, 2011 Rn. 174
  5. Palandt-Sprau, 70. Aufl. 2011, § 826 Rn. 3 ff.
  6. Grigoleit/Riehm, Delikts- und Schadensrecht, 2011 Rn. 176
  7. Grigoleit/Riehm, Delikts- und Schadensrecht, 2011 Rn. 177
  8. OLG Braunschweig NJW 2007, 609