Meisterhaft – Musterhaft Georg Bötticher/ Tapetenmuster für den europäischen Markt/ Naturalismus und Materialimitation

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Naturalismus und Materialimitation


Naturalismus und Materialimitation prägten auch ganz wesentlich die Anfangsjahre Böttichers als Musterzeichner.

Neben der technischen Seite waren es die Moden der Motive, denen die Fabrikanten Rechnung tragen mussten, wollten sie am Markt bestehen.

Die Gleichzeitigkeit verschiedener historischer Stile wie den antikisierenden Stilarten, den sog. Türkischen und Persischen Zimmern, lag im Trend und prägte die Gründerzeit. Es wurden in einem bis dahin nicht gekannten Maße Antiquitäten gekauft. Honoré Balzac setzte etwa im Vetter Pons einem solchen Sammler ein schrulliges literarische Denkmal.

Historismus, der das gesamte 19. Jahrhundert bestimmte, sorgte für Diskussionen in puncto Imitation, freie Paraphrasierung, Komposition, strenge Kopie. Der Architekt Heinrich Hübsen schließlich fragte 1828 »In welchem Stil sollen wir bauen?«

Bei der zweiten Weltausstellung 1855 in Paris gesellte sich zum Historismus der Naturalismus mit figürlichem und pflanzlichem Schmuck. »Überall Blumen« schien das Motto zu sein. Besonders in Frankreich perfektionierte man dieses Motiv, das die Romantik ausgelöst hatte – Natur. Überall entstanden erste Hobby- und Wintergärten. Blumenbänke, Blumentöpfe kamen in Mode, ebenso Sitzmöbelstoff, Porzellandekore und Tapeten mit ... Blumen!

Mit tropischen Pflanzen schuf man sich künstliche Paradiese. Exotische Pflanzen waren in Mode, etwa die Kamelie, der Alexandre Dumas in La Dame aux Camélias 1848 ein literarisches Denkmal setzte. Aber auch heimische Lauben-Illusionen hatten Tapeten-Konjunktur, ob als Wellenranken oder Streublümchen.

Ausgangspunkt waren nicht selten die holländischen Blumenstillleben des 16. und 17. Jahrhunderts. Blumenmalerei wurde eine der Lieblingsbeschäftigungen adeliger Damen. Und Frankreich war unbestrittener Meister dieses Faches. Besonders Rosen, aber auch andere heimische gewordene Pflanzen wie Mohn, Pfingstrosen, Iris oder Flieder ›gediehen‹ prächtig auch auf Tapeten.

Der Elsässer Eduard Müller, genannt »Rosenmüller« (1823–1876) war der erfolgreichste Dessinateur seines Faches und er publizierte La Flore pittoresque (Paris 1872). Ein zweiter Künstler auf dem Gebiet der floralen Tapetenmotivgestaltung war Louis Marie Lemairie, tätig in der Manufaktur Zuber in Rixheim. Seine Entwürfe konnte man ab 1849 regelmäßig auf Ausstellungen bewundern.

Schließlich entstanden Salonmalereien auf Tapetenrollen, die an die Illusionen der pompejanischen Wandmalereien erinnerten, wobei man Räumlichkeiten eines Zimmers völlig verunklärte und illusionistische Ausblicke in die Natur schuf.

Alle die technischen Neuerungen ermöglichten auch völlig neue Motive, Gestaltungsmöglichkeiten und verlangten nach neuen Dessins, vor allem solchen, die großzügiger und platzgreifender waren. In Deutschland konnte man diesen Luxusartikel nur durch teuere Importe beziehen.

Diese zeitliche Verzögerung, was die Gründung einer eigenen Tapetenindustrie in Deutschland betraf, hing mit dem Siebenjährigen Krieg (1756–63), dessen wirtschaftlichen Folgen, sowie der Kleinstaaterei zusammen. So entstanden die ersten Tapetenfabriken in Deutschland um 1750–1760 und bald darauf erhob beispielweise die Kurpfalz Steuern auf die Importe dieser Luxusartikel, um die einheimische Industrie zu fördern. Rheinberg bei Berlin, unter Baron von Reisewitz, nahm für sich in Anspruch, die erste Manufaktur auf deutschem Boden gewesen zu sein. 1755 hatte sich um Leipzig herum ein Zentrum der Papiertapetenfabrikation gebildet. Gottfried Phillipp Wilhelm wird prominent genannt.

Die sächsischen Zentren für die Tapetenherstellung lagen neben Wurzen in Leipzig, Coswig, Dresden und Pappendorf b. Chemnitz.

Die Mode der Zeit, in der Bötticher seine Arbeit aufnahm, fußte sehr stark auf dem Biedermeier mit seiner Vorliebe für Blumendekore. Der Zeitraum, der so bezeichnet wird, umfasst das Ende der Befreiungskriege, den Zusammenbruch des napoleonischen Reichs 1815 sowie die Revolution von 1848.

Biedermeier war jedoch nicht nur die Reaktion auf den französischen Imperialismus. Bei Hofe strebte man ab 1800 generell nach mehr Schlichtheit, basierend auf den Ideen von Rousseau »zurück zur Natur«. Im Biedermeier liebte man dabei besonders Blumen- und Blütendekore.

Der besondere Reiz lag im Wechsel von flächig gestalteten Wandpartien mit üppiger, plastisch wirkender Bordüren- oder Girlande u. ä. Biedermeier hatte nämlich durchaus auch eine sachliche Einfachheit als Gestaltungskomponente, war experimentier- und farbfreudig! In dieser Zeit entstanden gewagte Farbkombinationen mit starken Komplementärkontrasten – angeleitet durch Goethes Farbenlehre (1810 erschienen) – und überaus variantenreichen Mustern. Die so gestalteten Räume muten für heutige Augen geradezu bunt an.