Philosophen über Ästhetik/ Oscar Wilde
Anmerkungen
[Bearbeiten]Oscar Wilde polarisiert sehr gern. Oft werden in seinen Schriften Dinge behauptet, die gar nicht wahr sein sollen. Vielmehr ist die Absicht den Leser aufzuschrecken und in Gegenposition zu bringen. Dann schlägt er selbst den Bogen und stimmt schließlich mit der Gegenposition -- aber dennoch mit seinen polarisierenden Bezeichnungen -- überein.
Außer den unten folgenden Essays ist auch noch die Vorrede zu Das Bildnis des Dorian Gray sehr interessant. Dort geht es um Kunst und Kritik und wie sich beides zueinander verhält.
Essay: Niedergang der Lüge
[Bearbeiten]Dieses Essay kann als Kritik am Realismus aufgefasst werden und zweifelt den Nutzen der reinen Wiedergabe der Realität an. Wie auch Schiller sieht Wilde den Künstler als denjenigen, der ein Ideal schafft. An diesem soll sich der Mensch orientieren. Dazu bedarf es der Fantasie (hier also der Lüge, bei Schiller nicht so polarisierend schöner Schein genannt), um dieses Ideal schaffen zu können.
Wilde sieht aber auch eine logische Entwicklung der Kunst. Er zeigt in dem Essay drei Phasen auf, die die Kunstentwicklung durchläuft. Sie beginnt mit dem geometrischen Ornament als ein Werk, das für das reine Vergnügen gemacht ist. Sie haben mit dem Wirklichen, Nichtexistierenden zu tun. Die zweite Phase wird durch das Einbeziehen des Lebens in die Kunst gebildet. Es wird von der Kunst umgestaltet und in eine neue Form gebracht. Die dritte und letzte Phase ist die, in der das Leben die Oberhand gewinnt und die Kunst vertreibt. Genau in dieser Phase sieht Wilde den Realismus.
In seinen Betrachtungen wird von Wilde außerdem behauptet, dass die echte Kunst die Wirklichkeit darstellt und sie von der von uns wahrgenommen Wirklichkeit nachgeahmt wird. Er begründet diese Ansicht damit, dass es allein die Kunst ist, die uns die Bilder, die wir in der Wirklichkeit sehen, vorgibt, und wir sie nur dadurch in der Realität sehen. Genauso verhält es sich mit der Natur. Am Beispiel des Nebels erklärt Wilde, dass die Sicht auf dieses Naturereignis nur durch die Kunst beeinflusst wird.
Wir sollten also die gefällige Seite der Lüge wiederbeleben, um unserer Gesellschaft wieder Leben ein zu hauchen. Die Lüge zum selbstzweck ist jeglicher Kritik erhaben. Ihre höchste Entwicklungsstufe ist die Lüge in der Kunst. Zu dieser Ästhetik existieren drei Doktrinen. Erstens: »die Kunst darf nichts anderes ausdrücken als sich selbst«, in keinem Fall gibt sie das aktuelle Zeitalter wieder. Zweitens: »Jegliche schlechte Kunst entsteht, wenn man zum Leben und zur Natur zurückkehrt und diese zu Idealen erhebt.« Drittens: »Das Leben ahmt die Kunst mehr nach, als die Kunst das Leben«.
Essay: Der Kritiker als Künstler
[Bearbeiten]Kritiker von Kunstwerken sind selbst wieder kreative Kunstschaffende. Sie verlangt sogar mehr Kultur als das Kunstwerk selbst. Eine Kritik in ihrer höchsten Vollendung ist deshalb weitaus schöpferischer als das eigentliche Schaffen. Die Griechen waren ein Volk von Kunstkritikern. Sie kultivierten die Sprache und ihnen verdanken wir den »kritischen Geist«. Schreiben ist nur eine Methode, um Sprache aufzuzeichnen.
»Ohne das kritische Vermögen gäb es kein künstlerisches Werk, das seinen Namen verdiente.« Ein Zeitalter ohne Kunstkritik ist also entweder starr und gibt nur bereits bestehendes wieder oder aber noch schlimmer: es hat überhaupt keine eigene Kunst.
Kritik ist die einzige zivilisierte Form der Autobiographie, da sie sich nicht mit den Ereignissen, sondern den Gedanken der Zeit befasst. Sie versucht eigene Geheimnisse zu enthüllen und nicht die Anderer. Kritiker legen also Neues in ein bestehendes Kunstwerk und verwenden es deshalb nur als Ma- terial für ein eigenes Produkt. Sie entlocken dem Kunstwerk so Geheimnisse, von denen selbst der Künstler noch nichts wusste.
Natürlich ist der Kritiker nicht gerecht gegenüber dem Kunstwerk. Nur wenn er kein Interesse an dem Gegenstand hätte, würde er unparteiisch sein. Gute Kunst versetzt uns aber immer in einen derartigen Bann, das wir daraus Vorlieben entwickeln. Ein Kritiker braucht gewisse Eigenschaften um Schaffen zu können. Temperament, Geschmack und kritischen Geist.
Ein großer Künstler kann kein Kritiker sein, denn seine intensive Vorstellungskraft verringert seine Fähigkeit zur scharfsinnigen Beurteilung.