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Reisen in das Alte Dresden/ Die Entfestigung Dresdens/ 1809/ Die Nationalgarde

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Georg Beutel: Die National-Garde[Bearbeiten]

Georg Beutel: "Dresdner Bürgersoldaten des 19. Jahrhunderts". Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens, Heft 30, Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1926

16. April: Sämtliche Truppen verlassen zu Beginn des österreichischen Feldzugs Dresden - die Wachen werden von Bürgern besetzt[Bearbeiten]

Als am 16. April 1809, zu Beginn des österreichischen Feldzugs, zugleich mit dem König, der nach Frankfurt ging, auch sämtliche Truppen die Stadt verließen, wurden die Wachen in der inneren Stadt, an den Toren und Schlägen von den Bürgern besetzt. Da der besatzungslose Zustand in diesem Kriegsjahr mit kurzen Unterbrechungen länger anhielt, bildeten sich in der Bürgerschaft zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung besondere uniformierte Korps. Zuerst wurde eine berittene Bürgergendarmerie unter Anführung des Hoffaktors Scheffel gebildet: schon am 18. April stellte der Rat für sie Instruktionspunkte zur Ausführung nächtlicher Streifen in und vor der Stadt auf. Am 23. trat die Kaufmannschaft mit den Chirurgen und mit den Gold- und Silberarbeitern zu einem Korps zusammen, das blaue Fräcke, weiße Weste und graue Hosen trug. Ein am selben Tag erschienenes "Wachtlied, Dresdens Bürgern gewidmet" widerhallt von der Begeisterung für die neue selbst übernommene Aufgabe, es schließt waffenklirrend:

"Jetzt frisch, Kameraden, mit Männerhand

Die Säbel in Lüfte geschwungen!

Es lebe der König, das Vaterland!

Bald sei uns der Friede errungen!

Und möge der Bürgerschaft muth'ger Verein

Sich immer der Kraft und der Eintracht erfreun!"

Am 21. Mai stellte die Bogenschützengesellschaft ein ähnlich uniformiertes Korps auf. Beide Korps schlossen sich am 26. Mai unter dem Namen "Bürgergarde" zu einem Korps in zwei Divisionen zusammen, dem als Kapitän der Ratsabgeordnete Senator Brannaschk vorstand. [10] Die beiden Divisionen, zusammen rund 240 Mann stark, bezogen am Pfingstsonntag unter militärischer Musik die Wachtparade. Die Scheibenschützenkompanie hatte schon seit der Jenaer Schlacht im Bedarfsfall ähnliche Dienste geleistet und stellte sich auch jetzt sofort wieder zur Verfügung. Also ein schöner Eifer, den Schutz des gemeinen Wohls in unruhiger Zeit selbst auf sich zu nehmen, regte sich kräftig in weiten Kreisen der Bürgerschaft. Doch suchten diese Schützer der Ordnung die freiwillig übernommene Pflicht auch sofort genau zu umgrenzen. In ihrem Anerbieten vom 7. Mai an den Rat betonten die Bogenschützen ausdrücklich, daß sie ihr Korps "bloß in polizeilicher Hinsicht" formieren wollen, "solange das Militär von hiesiger Stadt abwesend", und sprachen die bestimmte Erwartung aus, bei feindlichen Überfällen – da ihr Korps "weder zur Verteidigung der Wälle noch zu Actionen außerhalb der Residenz sich qualificiret“ – mit solchen Aufträgen billig verschont zu werden. Diese Vorschläge wurden vom Rat am 9. Mai "genehmigt und zum Besten der Stadt bestens angenommen". – Als geschlossene Einheit traten diese verschiedenen Bürgerkorps am 3. August, dem Namenstag des Königs auf, den sie durch eine gemeinsame Parade auf dem Schloßhof feierten, wobei die reitende Bürgergendarmerie schon eine Standarte führte.

11. August: feierlicher Einzug des Königs[Bearbeiten]

Am II. August kehrte König Friedrich August wieder in seine Hauptstadt zurück und hielt einen feierlichen Einzug; die Bürgergendarmerie ritt ihm bis Zitzschewig entgegen und die Bürgerkorps bildeten Doppelreihen vom Weißen Tor bis zum Schloß. Sechs Tage später fand dann vor dem König eine große Bürgerkorpsparade auf dem Schloßplatz statt. Eine der ersten Maßnahmen des Königs nach seiner Rückkehr war nun der Erlaß des Reskripts vom 15. August an den Rat über die Begründung der Bürgergarde, deren Organisation er dem Generalmajor Thielmann übertrug. Damit erkannte der König nicht bloß an, was er vorfand und was während seiner Abwesenheit aus dem zeitlichen Bedürfnis von selbst entstanden war, sondern erhob es, in Anlehnung an das französische Vorbild, zu einer planmäßigen dauernden Einrichtung, gab ihm aber auch gleichzeitig eine neue, den Urhebern gänzlich unerwartete Richtung neben der alten: denn diese Bürgergarde sollte "sowohl zur Erhaltung der Polizei als [11] auch eintretenden Falls zur Verteidigung der Stadt“ dienen. Diesen wichtigen Zusatz trägt nun auch ausdrücklich die Aufschrift des vom Rat angelegten Aktenstücks über die Errichtung einer Bürgergarde. Aber gerade gegen diese Bestimmung, die über den klaren Willen der Bürgerkorps hinausging, setzte sofort der Widerstand der betroffenen Kreise lebhaft ein. Die Bogenschützen, die anfangs mit großer Mehrheit beschlossen hatten, eine Kompanie der Nationalgarde zu bilden, wandten sich in besonderem Schreiben beschwerdeführend an den Rat. Ebenso die Handelsinnung. Jene sprechen von dem Zwiespalt zwischen zwei heiligen Pflichten: „Wir werden aufgefordert, nötigenfalls unser Leben preiszugeben, auf welches unsere Familien, unsere Gattinnen und Kinder ebenfalls gegründete Ansprüche besitzen ... Wir wissen, daß wir alle Pflichten gegen die Unseren aufgeben müssen, wenn wir auf dem äußersten Punkt dem König treu sein wollen, und er, der selbst der treueste Familienvater ist, wird diesen fürchterlichen Kampf zwischen zwei Pflichten gewiß nicht wollen.“ Sie sind von der „schrecklichsten Besorgnis" erfüllt und malen in den schwärzesten Farben aus, wie sie „bei einem Eindringen des Feindes nicht als friedliche Bürger, sondern als streitende Krieger behandelt werden würden“. Auch schon von dem der Bürgergarde zugedachten Feuergewehr wollen sie nichts wissen und bitten, sie damit zu verschonen; denn sie argwöhnen, daß es damit „lediglich auf Defension der Stadt abgesehen sein würde“. Die Handelsinnung, von dem Erfahrungssatz ausgehend, daß bewaffnete Bürger nie etwas gegen exerzierte Soldaten ausgerichtet haben, kommt weiter auf den Gesichtspunkt, daß die einzige wirksame Hilfe, die die Bürgergarden leisten können, die sei, an Stelle des abgerückten Militärs für Ordnung zu sorgen, und daß gerade die verlorengehe, wenn die Bürgertruppen mit dem Militär eins seien, also entweder mit ihm abziehen oder vom einrückenden Feind zu Gefangenen gemacht würden. Auch die Viertelsmeister, denen vom Rat gutachtliche Äußerung über die Durchführung des königlichen Reskripts aufgegeben war, sprechen sich gegen eine Militarisierung der Bürgergarde aus und bitten, sie bei ihrer bisherigen Einrichtung und Zielsetzung als einer „bloß subsidiarischen Sicherungsanstalt in polizeilicher Hinsicht“, als die sie sich auch durchaus bewährt habe, zu erhalten.

6. September: Dekret über die Errichtung der Nationalbürgergarde[Bearbeiten]

Der König, der hier mehr landes- als familienväterlich dachte, ließ alle diese Gründe [12] nicht gelten, sondern verfolgte den beschrittenen Weg weiter: am 6. September kam das Dekret über die Errichtung der Nationalbürgergarde in der Residenzstadt Dresden heraus, und am 27. September wurde der Hauptmann Johann Carl Ludwig Bonniot zum Kommandeur bestellt.

Schon in dem Namen, der der französischen Einrichtung entlehnt war, lag eine halb militärische Aufmachung eingeschlossen. In dem Dekret war neben der Erhaltung der polizeilichen Ordnung als zweite Pflicht festgehalten, „nötigenfalls die Stadt gegen einen auswärtigen Feind zu verteidigen“, aber mit der Einschränkung: nicht „außer den Mauern der Stadt“. Eingeteilt wurde die neue Truppe in 8 Kompanien mit je 1 Kapitän, 1 Premier- und 2 Souslieutnants und 100 Mann Unteroffiziere und Gemeine. Die bisherigen Bürgerkorps der Scheibenschützen, Bogenschützen und Kaufleute sollten als Kompanien zusammenbleiben, und 5 Kompanien sollten neu gebildet werden. Dazu kam die Bürgergendarmerie zu Pferde unter ihrem Kapitän Hoffaktor Scheffel. Sämtliche Offiziere wurden ernannt, sie sollten im Dienst und bei Hofe den Offizieren der Armee gleichen Grades nachgeordnet sein. Dem Kommandeur ward Generalstabsoffiziersuniform zuerkannt. Als Uniform der gesamten Garde wurden dunkelblauer glatter Rock mit gelben Knöpfen, weiße Hosen und dreikrämpiger Hut mit weißer Kokarde bestimmt, als Bewaffnung Flinte, Säbel und Patronentasche. Diese durch Einfachheit sich empfehlende Uniform wurde später auch bei Errichtung von Bürgerschützenkorps im ganzen Lande zum Muster genommen. Die Offiziere trugen Epauletten wie die Linienoffiziere. Im ersten Jahr genossen auch die reitende Abteilung und die Schützenkompanie des Vorzugs der Epauletten (die letztere einer); sie mußten sich aber dann der allgemeinen Uniform anpassen, und auf ihre Beschwerde hin wurden sie von Thielmann zurechtgewiesen: „Wahrer Bürgersinn zeigt sich nicht durch eitle Rangstreitigkeiten noch durch Sucht nach äußeren Auszeichnungen.“ Zu Kompanieführern wurden ernannt der Kapitän der Schützenkompanie Viertelsmeister Hüttig, ferner die Viertelsmeister Zincke, Leonhard, Greifenhayn, Advokat Rumpel, Rechtskonsulent Dr. Siegel, Kaufmann Nöller und Gemeinderichter Börner.

5. Oktober: Bürgerschaft auf dem Rathaus versammelt[Bearbeiten]

Am 5. Oktober 1809 wurde nunmehr die Bürgerschaft auf dem Rathaus versammelt und fand sich sehr zahlreich ein. Nach Verlesung [13] des Dekrets aber machte sich die allgemeine Unzufriedenheit in einem lauten Getöse Luft; denn vom Militärdienst zur Verteidigung der Stadt gegen den äußeren Feind wollten sie nichts wissen. Kein Beschwichtigen und Ermahnen half. Auf die Viertelsmeister regnete es Vorwürfe, daß sie nicht ihr Bestes getan hätten; man ging mit dem Beschluß auseinander, eine unmittelbare Vorstellung an den König zu richten. Die Kaufleute und die Bogenschützen erklärten, daß sie ihr Korps bereits wieder aufgelöst hätten und auch keine besondere Kompanie wieder bilden würden. Nur wie jeder andere Bürger wollten die Bogenschützen im Notfall Wach- und Polizeidienst tun. Namentlich aber die Kaufleute suchten sich unter den verschiedensten Vorwänden von jeder Verbindlichkeit zu drücken, sogar einer angekündigten Musterung durch den König widersetzten sie sich, da viele von ihnen schon ihre Uniform und Waffen nicht mehr hätten. Als besonderes Korps zusammenzubleiben waren nur die Bürgergendarmerie und die Scheibenschützenkompanie bereit, aber auch unter Berufung auf die Bedingungen, unter denen sie sich zusammengetan; dabei verbaten sich die Scheibenschützen ausdrücklich das Kommando eines Militäroffiziers und die Verteidigung gegen den auswärtigen Feind, schon aus Rücksicht auf die Vorwürfe, die sie sonst von ihren Mitbürgern zu erwarten hätten. Da der Rat den allgemeinen Widerstand sah, geboren aus der Sorge, die ihm „den höchsten Grad einer alle Tatkraft lähmenden Furcht erreicht zu haben“ schien, so glaubte er, die Regierung vor Zwangsmitteln, die nur die Leidenschaftlichkeit schürten, warnen zu müssen, und riet, die Bestimmung der Verteidigung gegen den äußeren Feind auszusetzen.

19. Oktober: Parade auf dem Altmarkt und Marsch nach dem Schloß[Bearbeiten]

Das geschah nun allerdings nicht. Der König tat seinen Willen kund, die vier Bürgerkorps noch einmal in Parade vor sich zu sehen. Diese Parade fand am 19. Oktober auch wirklich statt. Die drei Kompanien und die reitende Abteilung marschierten mit Standarte, Fahne und Musik auf dem Altmarkt auf. General Thielmann und Hauptmann Bonniot kamen aufs Rathaus ins große Sitzungszimmer, wo auch die Bürgeroffiziere versammelt waren. Nach Verlesung der Eidesformel begab sich der General mit dem gesamten Stadtrat auf den Markt in die Mitte des von den Bürgerkorps gestellten Vierecks, stellte am Schluß seiner Ansprache den Hauptmann Bonniot, den er als Mann ihrer Wahl bezeichnete, als Kommandanten vor und [14] nahm den Offizieren in feierlicher Form den Treueid ab. Dann marschierte die gesamte Bürgergarde nach dem Schloß, am König vorüber, der auf dem Austritt an der Schloßgasse den Vorbeimarsch abnahm.

Mit dieser feierlichen Handlung war die Dresdner Nationalbürgergarde begründet. Über den Widerstand war man stillschweigend hinweggegangen. Er war, soweit er öffentlich hervortrat, schließlich doch nur ein Sturm im Wasserglas geblieben – zum Äußersten ließen es die Bürger dem unbeirrten Willen des Königs gegenüber doch nicht kommen. Ein gewisses Einlenken regierungsseits scheint allerdings auch die etwas abgeschwächte Eidesformel zu verraten. Während das Dekret schlechthin von der Verpflichtung sprach, die Stadt innerhalb der Mauern gegen einen auswärtigen Feind zu verteidigen, legte der Eid nur die Pflicht auf, zur Verteidigung „nach meinen Kräften beizutragen“. Und schließlich war man sich auf beiden Seiten bewußt, daß diese Verpflichtung im Grunde doch nicht viel mehr als ein Wort war, das kaum je im Ernstfall Bedeutung gewinnen und zur Tat werden würde. Der 1811 begonnene Abbruch der Festungswerke rückte dann die Gefahr in weite Ferne und entzog der gefürchteten Bestimmung auch in Bürgeraugen die wesentliche Schärfe.

31. Oktober: Abordnung für Nationalgardenangelegenheiten[Bearbeiten]

Die weitere Einrichtung übernahm in Gemeinschaft mit Hauptmann Bonniot der Stadtrat; er setzte am 31. Oktober 1809 aus seiner Mitte eine besondere Abordnung für Nationalgardenangelegenheiten ein, bestehend aus dem Bürgermeister Hofrat Dr. Heyme, Stadtrichter Dr. Kretzschmar, Syndikus Dr. Herrmann und Senator Brannaschk. Der Hauptmann Bonniot ordnete fürs erste Anfang November eine Musterung der drei bestehenden Kompanien der Scheibenschützen, Bogenschützen und Kaufleute an, um die Diensttauglichkeit der einzelnen Leute nachzuprüfen. Die bisherigen Widersprüche und Weigerungen aus diesen Kreisen erklärte er aus dem Umstande, daß bisher niemand seine Verbindlichkeiten genau kannte, weil es noch an einer festen und unabänderlichen Bestimmung mangelte. Zur Aufstellung der fünf weiteren Kompanien beantragte er dann die Musterung der jungen Bürger etwa bis 1802 zurück. Für diese Musterungen wurde ein besonderer Arzt, Dr. Greß, angenommen und verpflichtet. Anfang Januar 1810 konnte Bonniot melden, daß nach beendigtem Musterungsgeschäft sämtliche ausgehobene Bürger unter die Kompanien [15] verteilt seien und daß nunmehr die Nationalgarde bestehe: aus der Schwadron mit 109 Mann und dem Bataillon zu Fuß mit Stab und 8 Kompanien von zusammen 869 Mann. Für die künftige Rekrutierung war durch den gleich nach Eingang des königlichen Reskripts vom 15. August gefaßten Ratsbeschluß gesorgt, daß niemandem mehr das Bürgerrecht erteilt werden solle, der nicht zur Nationalbürgergarde treten wolle.

Ganz ohne Ansehung der Person scheint das Aushebungsgeschäft nicht gehandhabt worden zu sein. Wenigstens klagt der Kommandant damals ausdrücklich, daß größtenteils nur der ärmere Teil der Bürger zur Garde genommen sei, wogegen sich allerdings der Rat verteidigt, die Aushebung sei ohne alle Ausnahme und Vergünstigung erfolgt. Auch 1828 wieder dieselbe Klage: der Kommandant schlägt eine Auswahl ganz verarmter Personen zur Ausstreichung vor. Der Rat aber weist den dabei ausgesprochenen und nur aus der Armut gefolgerten Verdacht einer möglichen Veruntreuung der Ausrüstungsstücke zurück und tritt für Beibehaltung dieser Armen bei, mit der bezeichnenden Begründung, daß man sonst „die Last des Dienstes anderen Bürgern aufbürden würde“. Auch liegen Fälle vor, wo der Rat sich für die Dienstpflichtbefreiung angesehener Personen – Buchdrucker Ramming, Bankherr Egg, Buchhändler Gottlieb Wagner – sehr nachdrücklich eingesetzt hat. Die ganze Frage der Aushebung Ärmerer war, wie die Kommandanten auch richtig sahen, von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Zuverlässigkeit der Garde in unsicheren Zeiten. Daß es tatsächlich unzuverlässige Bestandteile in der Nationalgarde gab, zeigte sich 1830.

Georg Beutel: "Dresdner Bürgersoldaten des 19. Jahrhunderts". Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens, Heft 30, Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1926


Ernst Georg Moritz von Friesen: Die Bürger-Nationalgarde[Bearbeiten]

Ernst Georg Moritz Freiherr von Friesen: "Dresden im Kriegsjahre 1809". Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens. Elftes Heft. Wilhelm Baensch’ K. S. Hofverlagsbuchhandlung. Dresden 1893, S. 71-76.


Wenn auch das Friedensfest das letzte Ereignis in Dresden war, welches in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „Kriegsjahre 1809“ stand, so dürfte doch noch zum Schlusse eines anderen Ereignisses zu gedenken sein, welches zwar nicht unmittelbar mit [72] den Kriegsbegebenheiten zusammenhängt, durch welches aber eine während des Krieges entstandene und unerledigt gebliebene Korrespondenz zwischen dem Major von Wolan und dem Stadtrate nun endlich geregelt wurde, nämlich die Errichtung einer National-Bürgergarde.

15. / 19. August: Verfügung des Königs an den Stadtrat[Bearbeiten]

Der König Friedrich August hatte am 19. August eine unter dem 15. August ausgefertigte Verfügung an den Stadtrat erlassen, in der es hieß: „Wir finden für gut, in Unserer Residenz Dresden sowohl zur Erhaltung der Polizei, als auch eintretenden Falls zur Vertheidigung der Stadt, eine Bürger-National-Garde formiren zu lassen, und machen euch solches hierdurch bekannt, mit dem Begehren, ihr wollet euch mit Unsrem Generalmajor Thielmann, welchem Wir die Organisation der Bürger-National-Garde aufgetragen haben, auf welche Art die Errichtung derselben am leichtesten und geschwindesten geschehen könne, vernehmen, daran geschieht Unsere Meinung.“

6. / 27. September: Regulativ des Kriegskollegiums[Bearbeiten]

Bis zum 6. September hatte das Kriegskollegium ein Regulativ ausgearbeitet, welches, nachdem es vom Könige bestätigt worden war, am 27. September an den Rat gelangte, mit der Verordnung, die Bürger-Nationalgarde nunmehr danach zu formieren.

Das Regulativ enthielt 8 Punkte, welche in der Hauptsache folgendes besagten:

1. Soll unserer Absicht gemäß sothane Bürger-National-Garde, zu Erhaltung der polizeilichen Ordnung, Sicherung des Eigenthums und Aufrechthaltung der bürgerlichen Gesetze mit zu wirken, auch nöthigen Falls die Stadt gegen einen auswärtigen Feind zu vertheidigen verpflichtet, jedoch außer den Mauern der Stadt zum Dienst gegen den Feind nicht verbunden sein.

2. Bestimmt, daß sie aus 8 Compagnien à 1 Capitän, 1 Premierlieutenant, 2 Souslieutenants und 100 Mann an Unteroffizieren und Gemeinen bestehen soll.

3. Zum Commandanten wird der char. Hauptmann von Bonniot vom Regt. Max ernannt.

4. Giebt die Namen aller zu Offizieren ernannter Bürger Dresdens an.

5. Den Eid der Treue und des Gehorsams sollen der Chef und sämmtliche Offiziere dem Gouverneur der Residenz leisten.

[73] 6. Der Chef trägt die Uniform, wie den Offiziers bei dem Generalstabe der Armee vorgeschrieben ist; die Uniform der Bürgeroffiziers aber, sowie der gesammten Garde, soll in einem dunkelblauen glatten Rock mit gelben Knöpfen, in weißen Unterkleidern, Stiefeln und einem 3 krempigen Hut mit weißer Cocarde, bestehen.

7. Zu Bezeichnung der Grade unter den Offiziers bleibt ihnen nachgelassen, Epauletten wie die Offiziers in der Armee zu tragen.

8. Jeder dieser Bürger-Gardisten hat sich mit 1 Flinte und 1 Säbel zu armiren und mit 1 Patronentasche zu versehen.

Über den Rang der Offiziere wurde noch bestimmt: „daß dieselben, sobald sie in wirklichem Dienst und aktiv sind, sowohl als auch bei Hofe, den Rang und die Prärogativen derer in unserem wirklichen Militärdienst stehenden Offiziers zu genießen haben sollen, doch so, daß der Bürgeroffizier von gleichem Range dem in der Armee dienenden nachtritt.“

7. bis zum 9. Oktober: nach einander sämtliche Bürger nach dem Rathause beordert und Eingabe des Raths zu Dresden an den König (10. / 12. Oktober)[Bearbeiten]

Am 7. bis zum 9. Oktober wurden nach einander sämtliche Bürger nach dem Rathause beordert und ihnen die königliche Verordnung, sowie das beigegebene Regulativ bekannt gegeben. Die gesamte Bürgerschaft weigerte sich aber, den ausgesprochenen Forderungen Folge zu leisten, worauf der Rat unter dem 10. Oktober eine Eingabe an den König einreichte, worin er auseinander setzte, daß die Bürger zwar in Ermangelung der Garnison gern bereit wären, die in polizeilicher Hinsicht erforderlichen Dienste auch fernerweit unweigerlich zu verrichten, daß sie sich jedoch dem Kommando eines Militäroffiziers nicht unterwerfen wollten und auf das Bestimmteste erklärten, daß sie sich der Verteidigung der Stadt gegen einen auswärtigen Feind nicht unterziehen würden und endlich nicht in der Lage wären, sich selbst die nötige Kleidung und Bewaffnung zu beschaffen.

Der Rat schlug daher vor, die Bürger von der Verteidigung der Stadt zu entbinden und einen Fonds zur Beschaffung der Kleidung und Bewaffnung zu bilden.

Dieser Eingabe des Rates folgte am 12. Oktober eine von „den Repräsentanten der Bürgerschaft und sämtlichen Innungen“ unterschriebene Petition, in welcher der loyale Sinn der Bürger betont und das Land glücklich gepriesen wird, welches von einem [74] so ausgezeichneten Herrscher regiert werde, wie der König etc., aber auch inständigst gebeten wird, die Bürgerschaft nicht mit der Verteidigung des häuslichen Heerdes zu betrauen. Es heißt darin u. a.: „Und sollte endlich, was Gott verhüten möge, die Vertheidigung der Wälle gegen einen andringenden Feind nöthig werden, in welche höchst unglückliche Lage kämen dann diejenigen, und beinahe der größere Theil der zu errichtenden Nationalgarde, welche ihr Vermögen und ihre Familie in den Vorstädten der Willkühr erbitterter Feinde überlassen müssen, während sie ihre übernommene Pflicht in die Stadt zur Vertheidigung der Wälle riefe.“

Diese Petition der Repräsentanten der Bürgerschaft und sämtlicher Innungen hatte der Ratskonsulent Dr. Kriegel verfaßt, den man darauf beschuldigte, er habe die Bürger zum Widerstande aufgereizt, auch wurde der Inhalt als aufrührerisch angesehen. (Man war in Devotion erstorben!) Er ward daher ernstlich zur Verwarnung gestellt, so daß sich die Bürgerschaft veranlaßt sah, ein Rechtfertigungsschreiben zu publizieren, worinnen sich alle Einzelnen verpflichteten, eidlich zu bestätigen, daß pp. Kriegel sie besonders noch befragt hätte, ob sie eine Erlaubnis von ihrer Obrigkeit zur Einreichung einer derartigen Bittschrift besäßen.

19. Oktober: erzwungene Vereidigung auf dem Altmarkt in Erfüllung der Rheinbund-Verhältnisse, zu denen sich das Königreich Sachsen bekannte - danach Honneurs und ein Vivat vor dem König am Schloss[Bearbeiten]

Der König kehrte sich weder an die Eingabe des Magistrats, noch an die Petition der Bürgerschaft. „Am 19. Oktober früh halb 9 Uhr wurden“, wie uns Röbers Tagebuch berichtet, „alle Mitglieder von den Waffen tragenden Bürgern etc. in ihrer Uniform und den bis jetzt getragenen Waffen ins Zeughaus bestellt, worinnen ihnen durch den Generalmajor Thielmann, bei verschlossenen Thüren, abermals der Antrag, die Errichtung einer Nationalgarde, sowie die Ernennung der dazu erwählten Offiziere betreffend bekannt gemacht wurde, worauf sie sich in Kompagnien formieren und vor das Rathaus, wo sie Karree formierten, marschieren mußten.“

„Der General Thielmann kam hierauf im Namen des Königs, um dem Allerhöchsten Befehl zufolge von den Herren Offizieren den Eid der Treue in seine Hände anzunehmen. Die Offiziere versammelten sich vorher auf dem Rathause, wo sie der Herr General mit dem Verlangen des Königs bekannt machte, nach welchem sie sich dann in dem Karree in Linie aufstellten, wo gegenüber der gesamte Magistrat in schwarzer Kleidung trat. Nun hielt der General an selbige eine dem Zweck angemessene Rede, worin er die [75] Absicht des Königs, in Erfüllung der Rheinbund-Verhältnisse, zu denen sich das Königreich Sachsen bekannt, auseinanderstellte; er erinnerte ferner, daß die Sachsen von jeher ein Volk gewesen, welches ihren Fürsten sich stets treu und standhaft in Beobachtung ihrer Pflichten gegen denselben als gute Bürger und Unterthanen gezeigt hätten, auch heute, wo Se. Majestät ihn beauftragt hätten, eine Bürger-Nationalgarde zu organisieren, verspricht er sich den willigsten Gehorsam, daher ermahne er, daß sie den Eid, den sie jetzt ablegen würden, getreu nachzukommen hätten. Sollte jedoch einer oder der andere[VL 3] nach Verlesung der Eidesformel (welche währenddem der Stadtschreiber Beyer verlas), etwas einzuwenden haben, der solle vortreten und sein Bedenken äußern, wenn sie aber nichts dawider hätten, solches mit einem lauten Nein bekräftigen; welches dann auch geschah.“

Die Eidesformel lautete:

„Von Sr. Majestät von Sachsen in Allerhöchsten Gnaden zum Offizier bei der National-Bürgergarde ernannt, schwöre ich N. N. zu Gott, dem Allmächtigen, dem Könige, meinem Herrn, treu zu sein, und kraft der von mir übernommenen Pflicht, zu Aufrechterhaltung der gesetzlichen und polizeilichen Ordnung in der Residenz, ja im Notfalle zu deren Verteidigung innerhalb der Mauern gegen einen auswärtigen Feind nach meinen Kräften beizutragen, so wahr ich ein treuer Unterthan und patriotischer Bürger bin und so wahr mir Gott helfe und sein heiliges Wort durch Jesum Christum. Amen.“

Dieser Eid wurde nochmals langsam Satz vor Satz vorgelesen, welches jeder laut mitsagte. Nochmals erinnerte er, daß alle Befehle, die vom König ergingen, durch ihn an den Kommandanten Bonniot und von dem an einen edlen Stadtmagistrat und dann an die Bürger gelangen sollten.

Hierauf mußten alle einzeln beim General vorübergehen und ihm den Handschlag geben. Nachher defilierte das Ganze die Schloßgasse hinab und bei Se. Majestät dem Könige, welcher sich auf der steinernen Gallerie befand, wo ihm die Honneurs und ein Vivat gebracht wurden, vorbei.

Bis Anfang Dezember: Aushebung der seit 1801 Bürger gewordenen und Aufteilung in Kompagnien[Bearbeiten]

Auch mußten nun von Tag zu Tag alle die übrigen Bürger den Handschlag zur neuen Organisation der Nationalgarde auf vorerwähnte Weise ablegen und übrigens alle dienstfähigen Bürger [76] aufs Rathaus sich stellen, wo die seit 1801 Bürger gewordenen ausgehoben und in Kompagnien geteilt wurden, welche Beschäftigung über 14 Tage bis zum Anfang des Monats Dezember dauerte.

Am 29. Oktober hatten die Bürger zwar nochmals einen Versuch gemacht, gegen diese Einrichtung sich aufzulehnen. Sie wurden nämlich zum Wachdienst kommandiert, um das Militär wegen eines auf den anderen Tag fallenden Manövers abzulösen; allein kaum zwei Drittel der Kommandierten erschien, weshalb sich denn noch in der Eile Militär an die Bürgergarde anschließen mußte.

Die sich krank stellenden oder widerspenstigen Bürger wurden hierauf den ganzen Tag über in ihren Logis mit Rats- und Militär-Wache aufgesucht und größtenteils nachgeholt.

Am 29. April des folgenden Jahres 1810 erhielt die Bürger-Nationalgarde auf dem Altmarkte in Dresden eine neue Fahne, auf welche sie bei der Überreichung nochmals schwören mußte. (R.T.)

Damit scheinen alle Differenzen endgültig beseitigt gewesen zu sein, denn diese Bürger-Nationalgarde hat sich stets, bis sie 1830, infolge anderer damals eintretender Verhältnisse, aufgelöst und zur Kommunalgarde umgewandelt wurde, königstreu und von gutem Bürgersinn beseelt gezeigt. Eine Verwendung derselben zur Verteidigung innerhalb der Mauern gegen einen auswärtigen Feind ist niemals eingetreten.