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Reisen in das Alte Dresden/ Die Entfestigung Dresdens/ 1812

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Nationalgarde

Durch die Bekanntmachung vom 4. Januar 1812 kamen diese Bestimmungen in allgemeiner Fassung an die Öffentlichkeit. Damit war nun endlich die wirtschaftliche Hauptgrundlage für das Bestehen der Nationalgarde geschaffen. Bis zur Einziehung der Anlage verlangte der König zur sofortigen Abhilfe des Geldmangels [18] vom Rat die Aufnahme eines Kapitals, wozu sich der Rat auch in der Höhe von 4000 Talern bereit erklärte. Im Juli 1812 wurde dann die Mietzinsauflage, die der ersten Einrichtung dienen sollte, mit 12 Pfennig vom Taler erhoben. Dem Jahreshaushalt sollten nach königlicher Verfügung noch die bei dienstlichen Verfehlungen fälligen Strafgelder der Gardisten zufließen sowie besondere Beiträge von solchen, die wegen Unwürdigkeit aus der Garde entfernt würden.

Die Schaffung der wirtschaftlichen Grundlage war aber nur eine, wenn auch eine sehr wichtige, unter den Aufgaben, die der im Frühjahr 1811 eingesetzten Kommission unter Thielmanns Vorsitz gestellt waren. Sie sollte überhaupt die Hindernisse und Schwierigkeiten, die der Errichtung der Garde noch im Wege standen, auf ihre Beseitigungsmöglichkeit hin prüfen. Thielmann beleuchtete zunächst einmal grundsätzlich drei Haupteinwürfe gegen die ganze Maßregel. Mit dem ersten traf er eine Stimmung, die zwar nicht beim König selbst – dem im Gegenteil die Errichtung sehr am Herzen lag –, wohl aber zum Teil in Regierungskreisen bestand und eine Lauheit zur Folge hatte, die der Förderung des Planes nicht günstig war: das Bedenken nämlich, daß eine militärische Organisation der Bürger der öffentlichen Ruhe und der Sicherheit des Thrones gefährlich sei. Thielmann widerlegte es hauptsächlich durch die gegenteiligen neuesten Erfahrungen in Wien und Berlin, ja selbst in Paris. Auch den zweiten Einwurf, daß durch die stehenden Heere die Bürgerbewaffnung überflüssig geworden sei, ließ er nicht gelten; nur daß durch sie das Bürgertum der Wehrhaftigkeit entfremdet sei, gab er zu, bedauerte es aber und hob unter Berufung auf die französische Nationalgarde, die englischen Fencibles und die österreichische Landwehr als besonderen Nutzen der Einrichtung hervor, daß sie zur Verteidigung des Staats soviel Streitkräfte als möglich bereitstelle. Von den Einwänden, die namentlich in Bürgerkreisen erhoben wurden, würdigte er nur den einer Entgegnung, daß eine Gefahr für den bürgerlichen Gewerbfleiß vorliege: er bestritt das, da man von den Bürgern ja nicht tägliche Wachen und beständige Waffenübungen und überhaupt nicht mehr verlange, als die Schützengilden bisher freiwillig taten. Den anderen, der schon zu wirklicher Unzufriedenheit und zu Leidenschaftsausbrüchen Anlaß gewesen war, überging er ganz – denn für ihn als Soldaten galt die Pflicht [19] zur Verteidigung des Staats als eine Selbstverständlichkeit. Als eines der Haupthindernisse auf dem Wege zu einer gedeihlichen Entwicklung der Garde wurde von der Kommission richtig erkannt der geringe Ernst, den die Behörden unter der Einwirkung der oben geschilderten Stimmungen zeigten, und die Langsamkeit, mit der sie infolgedessen arbeiteten: dadurch erkaltete der anfänglich gute Wille der Bürger, und an seine Stelle trat eine gewisse Mutlosigkeit und Verdrossenheit. Auch der Mangel an den notwendigen Gesetzen und Verhaltungsmaßregeln, der lähmend wirken mußte und die Entwicklung aufhielt, kam auf Rechnung dieser lauen Haltung der Behörden. Also auch hier mußte zuerst Wandel geschaffen werden. In einer Reihe von Sitzungen arbeitete die Kommission sehr fleißig, behandelte nächst der Dienstpflicht und den Befreiungen davon die wichtige Kostenbeschaffungsfrage und trat sodann in die Beratung des Dienstreglements ein, dem sie einen bereits im Mai 1810 von Heyme ausgearbeiteten Entwurf zugrunde legte. Am 6. Mai 1811 unterbreitete sie ihre Vorschläge dem König in einem ausführlichen Bericht. Am 4. Oktober kam dann die königliche Verfügung heraus: sie nahm die Kommissionsvorschläge mit einigen Abänderungen an, auch das Dienstreglement fand Billigung, nur wurde noch ein Entwurf über besondere Kriegsartikel eingefordert; dagegen erschien das miteingereichte Exerzierreglement nicht als brauchbar. In Verfolg dieser königlichen Verfügung wurde nun am 4. Januar 1812 die Bekanntmachung „die allhier errichtete National-Bürgergarde btr.“ erlassen. Und auch das Dienstreglement trat unter dem 29. Januar in Kraft.

Zur Dienstleistung bei der Bürgergarde waren danach grundsätzlich alle Bürger unter 60 Jahren verpflichtet. Befreit waren – außer den körperlich Untüchtigen – alle gelehrten und künstlerischen Berufe, Beamte, Offiziere, Geistliche, Lehrer und der Adel. Bei der jährlichen Musterung wurden die neuen Bürger eingereiht und dagegen die gleiche Zahl nach dem Alter des Bürgerrechts entlassen. Den neuesten Bürgern war auch nicht wie den älteren nachgelassen, einen Stellvertreter zu stellen. Beharrliche Verweigerung der Dienstpflicht wurde mit Bürgerrechtsverlust bestraft. Gleich bei der Bürgerverpflichtung hatten alle, die nicht zu den Befreiten gehörten, in vorschriftsmäßiger eigener Nationalgardenuniform zu erscheinen – eine Maßregel, die schon [20] Anfang 1810 von Bonniot als zweckmäßig empfohlen worden war. Zur Gendarmerie sollten sich Freiwillige melden; falls das nicht in ausreichender Zahl geschah, so erfolgte die Aushebung unter den Berufen, die Pferde hielten — damit sparte man die Anschaffungskosten für Pferde. Das Dienstreglement regelte die Pflichten im einzelnen, den Dienst in Abwesenheit der Garnison, den Wacht- und Straßendienst, den täglich eine kleine Abteilung von rund 20 Mann zu leisten hatte, den Dienst bei Feuersbrünsten, das Verhalten der Offiziere und Mannschaften im Dienst, die Pflichten der Unterordnung. Für die Verwaltung der Bürgermilitärkasse war eine Wirtschaftskommission eingesetzt, deren Aufsicht die Montierungskammer und die Gewehrkammer unterstanden. Die Strafen waren von einer Militärkommission zu erkennen, die aus je 2 Hauptleuten, 2 Leutnants, 2 Unteroffizieren und 2 Gemeinen zusammengesetzt wurde. Die Untersuchung und das Protokoll hatte der Auditeur zu führen. Der Auditeur war auch Mitglied der Wirtschaftskommission, und als solchem lag ihm ob, das Rechnungswesen der Garde zu besorgen. Zum Auditeur wurde dann am 9. April 1812 der Akzisinspektor Winter vom Rat gewählt.

An die geforderte Bearbeitung der „Kriegsartikel“ ging die Kommission sofort mit Eifer heran, widerriet aber zuallererst diesen Namen, da er „Nebenideen involvieren dürfte, die die zeitherige Furcht vor der Nationalbürgergarde unterhalten und daher der guten Sache schaden würden“. Auf Grund der gemeinsamen Durchberatung arbeitete dann Heyme einen Entwurf zu „Disciplinargesetzen für die Nationalbürgergarde“ aus. Für den Fall, daß außer dem Dienstreglement, das ja auch schon allgemeine Strafbestimmungen enthielt, noch besondere Disziplinargesetze für nötig gehalten würden, reichte die Kommission diesen Entwurf ein und beantragte, die Disziplinargesetze mit dem Dienstreglement gemeinschaftlich zu veröffentlichen. Das Dienstreglement erschien aber dann ohne die Disziplinargesetze, die offenbar fallen gelassen wurden.

Mit der Umarbeitung des von der Kommission eingereichten Exerzierreglements wurde der Generalstabschef General von Gersdorff beauftragt. Dabei wurde in dem königlichen Schreiben die Aufgabe, die dieses Reglement zu erfüllen habe, genau festgestellt: „Wir wollen, daß diese Bürgergarden durch Erlernung der nötigen Handgriffe zu [21] einem zweckmäßigen Gebrauch ihrer Waffen, sowie durch Anweisung der bei ihrer Dienstleistung verkommenden Bewegungen nicht nur zu der durchaus erforderlichen Brauchbarkeit, sondern auch zu einer anständigen militärischen Haltung gelangen mögen, ohne daß dadurch der Bürger durch überflüssiges und zweckloses Exercieren von seinem Nahrungserwerbe abgehalten werde.“ Die Gersdorffsche Ausarbeitung fand unter dem 2. April 1812 Genehmigung und erschien als „Exercier-Reglement für die Bürger-National-Garde zu Dresden“ im Druck.

Mit diesen drei Veröffentlichungen – Bekanntmachung vom 4. Januar 1812, Dienstreglement und Exerzierreglement – war nun der feste Rahmen für die neue Einrichtung geschaffen, die Richtschnur, nach der sich verwalten, befehlen und gehorchen ließ. Die Nationalbürgergarde Dresdens war damit endlich unter Dach und Fach gebracht. Es folgten nun schnell die nötigen Schritte zum vollen Ausbau der Garde in Mannschaftsbestand und Ausrüstung. Von Mitte Februar 1812 ab fand die Musterung und Aushebung der neuen Bürger seit 1809 statt. Auch erging der allgemeine Befehl der Selbstuniformierung binnen zehn Tagen; wer die Kosten nicht aufbringen könne, der erhalte eine Uniform, die er nach und nach abzuzahlen habe. Mit 600 Gewehren, die der Garde noch fehlten, wurde sie einstweilen aus den Vorräten des Hauptzeughanses versehen.

Aus dem bisherigen Mangel an solchen klaren Bestimmungen hatten sich unhaltbare Zustände ergeben. Beschwerden der Hauptleute über unentschuldigtes Ausbleiben vom Wachdienst oder über glatte Dienstverweigerung, noch dazu in unverschämter Form, waren geradezu an der Tagesordnung. Es kam auch nicht selten vor, daß die Leute ihre Uniformen und Waffen, soweit sie welche hatten, verkauften oder verpfändeten; um diesem Mißbrauch zu steuern, mußte Anfang 1812 eine öffentliche Warnung vor Ankauf oder Pfandnahme solcher Dinge erlassen werden. Eine recht erhebliche Drückebergerei, mehr oder weniger verhüllt, trat schon bei der Aushebung zutage; der Verpflichtung zur Eigentumsuniform suchten sich die meisten zu entziehen – an diesem Maßstab gemessen, müßte die Kränklichkeit und Armut der damaligen Dresdner Bürgerschaft erschreckend groß gewesen sein. Bei einer Kompanie beispielsweise erklärten sich nur sieben bereit, sich [22] selbst zu uniformieren, die andern verlangten alle Vorschuß oder wenigstens Zuschuß. Aber auch offene Widerspenstigkeit zeigte sich: einer erklärte unumwunden, er diene ja nur gezwungen und verlange deshalb gänzliche Bekleidung umsonst, ein anderer verlangte seinen Abschied, weil er sich nur auf ein Jahr verpflichtet habe. Kurzum: schon bei der Aushebung gab es außerordentlich viel Mühsal, Schererei und Hudelei.

Inzwischen wurde mit dem vorhandenen Bestand so gut, wie es ging, hausgehalten und der notwendigste Betrieb durchgeführt. Der Wach- und Streifdienst erforderte ja immer nur eine kleine Anzahl: im Winter 1811/12 waren es allnächtlich 6 Gendarmen und 20 Fußgardisten. Es machten sich dann aber auch Tagstreifen notwendig, da man bemerkte, daß seit Einführung der nächtlichen Streifen die Diebstähle und Einbrüche am Tage sich mehrten. Das neue Dienstreglement sah daher auch den Tagesdienst vor. Auch der Ordnungsdienst bei Feierlichkeiten konnte ausreichend versorgt werden. Wenn der König nach langer Abwesenheit wieder aus Warschau heimkehrte und festlichen Einzug hielt, wie am 27. Juni 1810 und am 4. Januar 1812, so war die Nationalgarde immer durch Einholung zu Pferde und Aufstellung in Doppelreihen längs der Einzugsstraßen beteiligt.

Die Kerntruppe war und blieb die erste, die Scheibenschützenkompanie, auch Grenadierkompanie genannt, unter ihrem Hauptmann Hüttig, die in Geist und Diensteifer allen übrigen voranstand. Ihre besonderen und weit über die der andern Kompanien hinausgehenden Leistungen erhielten auch besondere Anerkennung durch Zuteilung außergewöhnlicher Entschädigungen. Mit ihrer Stammgesellschaft, der Scheibenschützengesellschaft, blieb sie naturgemäß in engem Zusammenhang. Freilich ergaben sich daraus auch starke Reibungen und ernste Mißhelligkeiten. Es konnte nicht ausbleiben, daß zur Auffüllung der Kompanie auf die vorschriftsmäßige Stärke auch Gardisten eintraten, die nicht Mitglieder der Gesellschaft waren. Ebenso war der ganze militärische Aufputz der Kompanie, der Militärsrang ihrer Offiziere ein Stein des Anstoßes. Die gegenseitige Gereiztheit erklomm den Gipfel durch das Verhalten der Gesellschaftsältesten und Vormeister und ihres Anhangs beim Königsmahle 1811. Sie verweigerten nicht bloß den ärmeren Gardisten, die am Schmaus nicht teilnehmen [23] konnten, den ihnen zukommenden Anteil an dem Königsgeschenk von Wild und Wein, sondern führten auch beim Festmahl selbst einen wüsten Auftritt auf, indem sie das Festgedicht zerrissen und mit Füßen traten. Solche verständnislose Gehässigkeiten und Anfeindungen aus der Stammgesellschaft bedeuteten klärlich eine ernste Gefahr für den guten Geist in der Schützenkompanie, die doch, wie Bürgermeister Heyme ausführte, „den ursprünglich ernsten und nachher nur in Spaß ausgearteten Zweck der ganzen Schützengilde erfüllen sollte“. Eine Regelung des Verhältnisses zwischen der Schützengilde und der Nationalgarden-Schützenkompanie erschien daher dringend erforderlich. Der Landesregierung lag sogar der Gedanke der gänzlichen Aufhebung der Schützengilde nahe. Die Verhandlungen, durch die Kriegszeit unterbrochen, gingen lange hin und her und fanden ihren Abschluß erst durch das von der Regierung erlassene Regulativ für die vereinigte Scheibenschützengesellschaft vom 21. Oktober 1829[1].

Es war gut, daß die Nationalgarde endlich fertig dastand; denn jetzt kam eine Zeit, die die größten Anforderungen an sie stellte. Es waren die Jahre 1812–1814, die Jahre der großen Truppendurchzüge: da galt es in Gemeinschaft mit den gerade anwesenden fremden Truppen regelrechten Garnisondienst zu tun, sehr zum Nachteil des bürgerlichen Berufs der einzelnen; oder es waren Kriegsgefangenentrupps nach weit entfernten Punkten fortzuschaffen. Auch mußten den fremden Truppen oft starke Begleitmannschaften beim An- und Abmarsch mitgegeben werden. Dabei bekamen denn diese Bürgersoldaten mitunter wirklich auch den herben Geschmack des Kriegslebens zu kosten; es kam vor, daß sie von den fremden Kriegshorden mißhandelt und ihrer Waffen und Uniformen beraubt, ja sogar gefangengenommen und verschleppt wurden, z. B. nach Theresienstadt. Im ganzen bewährte sich die Garde während dieses mehrjährigen Kriegsgetümmels, dem Dresden ausgesetzt war, durch Aufrechterhaltung der Ordnung nicht bloß in der Stadt, sondern gelegentlich auch in der der Plünderung und Willkür noch mehr ausgesetzten Umgegend durch Entsendung besonderer Schutzwachen. Am 17. November 1814 stand die Garde zu Fuß und zu Pferde in Parade vor dem preußischen Stadtkommandanten [24] General von Dobschütz, der ihr dabei künftighin Erleichterungen des Wachdienstes in Aussicht stellte. Bei feierlichen Einzügen wirkte die Garde in Gesamtheit durch Einholung und Reihenanfstellung, so bei denen Napoleons oder der verbündeten Monarchen und namentlich bei der Heimkehr des Königs aus der Gefangenschaft am 7. Mai 1815. Für ihr gesamtes Wirken während der Kriegsjahre wurde der Garde vom Rat der Stadt aufrichtiger Dank ausgesprochen und das ausdrückliche Zeugnis ausgestellt, daß sie unter ihrem Kommandanten „mit unermüdeter Anstrengung zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung mitgewirkt, auch gegen das fremde Militär sich mit Ernst und Festigkeit benommen und ... Achtung ... bei den fremden Truppen und deren Befehlshabern sich zu erwerben gewußt“ habe. Auch der König gab der Garde und ihrem Kommandanten Major Bonniot bei dessen Übertritt in den Ruhestand im November 1815 seine „Allerhöchste Zufriedenheit" zu erkennen.

Georg Beutel: "Dresdner Bürgersoldaten des 19. Jahrhunderts". Mitteilungen des Vereins für Geschichte Dresdens, Heft 30, Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1926