SHK-Handwerk in Sachsen: 1800 bis 1861: Ausbildung
Die Ausbildung zum Töpfer-, Ofensetzer-, Klempner- und Kupferschmiedegehilfen zwischen Tradition und produktivem Fortschritt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert
[Bearbeiten]Die Lehrzeit begann auch am ausgehenden 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufbedingen des Lehrjungen vor offener Handwerkslade. Den Akt des Aufbedingens, der den jungen Mann in den Lehrstand versetzte, beschreibt Ludwig Kleinhempel aus Annaberg im Erzgebirge am Beispiel seines Bruders Jacob wie folgt:
„In diesem Jahr, am Tage Bartholmei (24. August - B. R), ist mein Bruder Jacob aufs Handwerk aufgedinget worden. Sind dabei gewesen der Vater, und Melchior Süß, und Nickel meiner, und die Gesellen Hans Auermann, Michel von Annaberg, Georg von Annaberg." [1]
Die Aufnahme als Lehrling erfolgte vor den Meistern und Gesellen. Wahrscheinlich war die Anwesenheit eines Gesellen Voraussetzung für die Gültigkeit der Aufnahme. Die Ordnung von 1683 spricht von „dem Meister und Geselle, so dabei sitzen."[2]
Auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1861 hielt man sich beim Aufbedingen an Regeln, die über die vorangegangenen Jahrhunderte hinweg Brauch waren. Diese Regeln waren im Kupferschmiedehandwerk wie auch bei den Klempnern und Töpfern/ Ofensetzern verbreitet und einzuhalten. Auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zur Einführung der Gewerbefreiheit 1861 hielt man sich beim Aufbedingen an Regeln, die über die vorangegangenen Jahrhunderte hinweg Brauch waren. Diese Regeln waren im Kupferschmiedehandwerk wie auch bei den Klempnern und Töpfern/ Ofensetzern verbreitet und einzuhalten.
Vom "Handwerk" wurden nur Burschen als Lehrjungen angenommen, der eine eheliche Geburt nachweisen konnte. Der Geburtstbrief war eine unabdingbare Notwendigkeit. Seinen Besitzer wies er als einem aus einem "ehelichen Beischlaf entstandenes Menschenkind aus". Diese Grundvoraussetzung ergab sich aus der hohen Korrelation zwischen dem Bürger- und dem Meisterrecht. Da unehelich Geborenen über Jahrhunderte hinweg das Bürgerrecht verweigert wurde, durfte es ihnen nicht erlaubt sein, als Meister in einer Stadt "ein bürgerliches Gewerbe" zu betreiben. Nach den Innungstraditionen sollte es auch keinen Gesellen geben, der nicht auch das Meisterrecht erwerben konnte.[3]
In den Innungsartikeln des Klempner- und Laternenmacherhandwerks verschiedener Städte von 1620 heißt es dazu im 1. Artikel: „Von Lehrlingen. Wenn ein Meister einen Jungen das Klempner und Laternenmacherhandwergk leren will, der soll ihn 14 Tage und nicht länger versuchen, und darnach vor die Haubtlade zu Leipzig stellen, bey Kraft z. K. (zur Kenntnis) der Junge soll seine eheliche Geburt und guten Verhaltens richtige Mundschaft färlegen welche biß zu außgang der Lehrzeit in der Lade bleiben ,.."[4]
Bis 1831 durften die Eltern eines vor dem Aufbedingen stehenden Jungen auch nicht zu jenen zählen, die ein unehrliches Handwerk ausübten. Von einem Meister und von einem Anwärter auf das Handwerk verlangten die Innungen moralische Makellosigkeit - eine Grundvoraussetzung für Ehre und Achtbarkeit. Im Handwerk war die Auffassung weit verbreitet, dass Kinder die unmoralische Lebensauffassung ihrer Eltern erbten. Seit 1831 wurden unehelich Geborene mit ehelich Geborenen gleichgestellt, sodass die uneheliche Geburt nicht mehr als „Hinderniß der Erlangung des Bürgerrechts und der Aufnahme in Zünfte, Innungen und andere Gewerbskorporationen angesehen"[5] wurde.
Sieben Jahre später wurde auch den Juden das Recht eingeräumt, zwar beschränkt auf Leipzig und Dresden, zünftiges Gewerbe zu betreiben. Im „Gesetz wegen einiger Modificationen in den bürgerlichen Verhältnissen der Juden vom 16ten August 1838" wird in § 7 bestimmt:
„Was die zünftigen Gewerbe betrifft, so ist Juden auch die Erlangung des Innungs- und Meisterrechts und solchenfalls das Halten von Gesellen und die Annahme von Lehrlingen erlaubt.
Die Zahl sämmtlicher jüdischer Meister in Dresden und Leipzig soll das Verhältniß der jüdischen zur christlichen Bevölkerung nie übersteigen, während dagegen die Bestimmung der bei den betreffenden Behörden abgegeben Gutachten dem Ermessen des Ministeriums des Innern überlassen bleibt.
Auch hat dasselbe, wo sich die Nothwendigkeit zeigt, die Zahl der von einem jüdischen Innungsmitglied zu haltende Gesellen und Lehrlinge beschränkende Vorschriften zu ertheilen. Als Lehrlinge können solche nur Judenknaben annehmen.
Denjenigen Juden, welche ein zünftiges mit der eigenen Verfertigung von Waaren verbundenes Gewerbe betreiben, ist nicht gestattet, mit anderen, als den von ihnen selbst gefertigten Waaren Handel zu treiben."[6] Die Zahl der jüdischen Meister wurde für Dresden auf 27 und für Leipzig auf drei beschränkt.[7]
Das am 16. August 1838 erlassene Gesetz wurde ein Jahr später durch eine Verordnung ergänzt, die den Aufenthalt ausländischer Juden in Sachsen, auch außerhalb Dresdens und Leipzig, weiter präzisierte. Der § 2 dieser Verordnung vom 6. Mai 1839 bestimmte, dass "ausländische Juden ... auch als Handwerksgesellen ... oder in anderer gleichartiger Beziehung reisen oder wandern und Anstellung suchen, ist der desfällige Aufenthalt in den hierländischen Städten - keinesfalls aber auf dem Land - mit Bewilligung der Ortspolizeibehörde nachgelassen. Ueber-steigt aber ein solcher Aufenthalt die Dauer eines halben Jahres, so ist, außerhalb Dresden und Leipzig, die Genehmigung der betreffenden Kreisdirektion erforderlich". Im § 5 wurde auch der Aufenthalt inländischer Juden genauer festgelegt: „Was vorstehend über den zeitweiligen Aufenthalt ausländischer Juden in hiesigen Landen bestimmt ist, gilt auch von einem solchen Aufenthalte inländischer Juden an anderen Orten des Landes als Dresden oder Leipzig, mit Ausnahme des Aufenthalts als Lehrling, wozu die Erlaubniß in gleicher Art, wie zu dem § 2 gedachten, ertheilt werden kann."[8]
Ein Eintrag über Geburtsnachweise in der Innungsakte der Kupferschmiede des erzgebirgischen Kreises beweist, dass dies in jenen Jahren gängige Praxis wurde:
„Christian Theodor August Osten aus Brunitt in Amerika, von einem gewissen August Osten und einer farbigen Frau daselbst abstammend, im 23. Lebensjahr stehend, ward am 30. September 1838 durch die heilige Taufe in die evangelisch christliche Religionsgemeinschaft aufgenommen. Seine Taufzeugen waren: Kreisdirector Freiherr v. Künßberg, Hofrath Dr. Funke, Hauptmann und Referendar v. Brause, Hauptmann und Director v. Rohrscheid, Bürgermeister Meier, Kupferschmiedemeister Moeckel, sämtlich in Zwickau, Justizamtmann Wieland in Zöblitz und dessen vicibus[9] Justiz-Amtmann Heistenberg in Zwickau. Osten wurde im gleichen Jahr als Lehrling aufgedungen."[10]
Im Jahr 1853 teilte der Klempnermeister Häckel jun. dem Rat in Leipzig mit, dass er die Entscheidung, seinen Lehrling Fischel Wenschke nach vier Jahren Lehrzeit freizusprechen, nicht mittragen könne. Als Begründung führte er an, dass die Lehrzeit noch nicht abgelaufen sei, außerdem hätte der Vater die Festlegungen des Lehrvertrags nicht erfüllt. Zwischen dem Lehrmeister und den Eltern des Jungen war vereinbart worden, dass Wenschke sen. dem Meister 100 Reichstaler zusätzlich zum Lehrgeld zahlen solle, weil aufgrund der jüdischen Feiertage dem Sohn zu viel Arbeitszeit verloren ginge. Der Meister sah sich genötigt, an diesen Feiertagen andere Arbeitskräfte zu suchen und zu bezahlen. Ferner habe der Vater dem Meister zugesagt, dass sein Sohn ein gutes Bett erhalte, das nach Beendigung der Lehrzeit in das Eigentum des Meisters übergehen solle. Da das Bett aber so schlecht sei, dass der Junge kaum darauf schlafen könne und der Vater von den zugesagten 100 Reichstalern bisher nur 30 gezahlt habe, könne er der Freisprechung nicht zustimmen. Häckels Antrag wurde wenig später vom Rat abgewiesen mit der Begründung: Häckel könne nur auf dem Rechtsweg seine Ansprüche durchsetzen, nicht aber aufgrund von Innungsbestimmungen, zumal er ja bereits 30 Reichstaler erhalten habe. Diese Auseinandersetzung ist in dreifacher Hinsicht interessant. Erstens überrascht die Summe von 100 Reichtalern für den Arbeitsausfall an 200 jüdischen Feiertagen. Dies bedeutet, dass ein halber Reichstaler als Entlohnung für eine ungelernte Arbeitskraft pro Tag angesetzt worden war. Zweitens finden wir hier die Bestätigung, dass Lehrjungen vor allem als unbezahlte Arbeitskräfte angesehen wurden. Und Drittens ist erkennbar, dass nun offensichtlich auch für Juden das Erlernen eines zünftigen Berufes in den Grenzen des Gesetzes von 1838 im sächsischen Wirtschaftsleben Alltag geworden war.[11] Eine Lockerung trat auch für wandernde Handwerkergesellen jüdischen Glaubens ein. Sie konnten nach Anmeldung bei der Polizeibehörde zumindest ein halbes Jahr in einer anderen sächsischen Stadt um Arbeit nachsuchen. [12]
Je mehr man jedoch im ausgehenden 18. Jahrhundert zur Anerkennung Unehelicher neigte und sich der Kreis der Bewerber auf Ausbildungsplätze theoretisch erweiterte, um so stärker wurde die bisherige Tradition aufgeweicht. Die Wirkung der Industrialisierung im ausgehenden 18. Jahrhundert und zur Wende des 19. Jahrhunderts ist hierbei ins Blickfeld zu rücken. Die Innungen hielten trotz dieser sich objektiv vollziehenden Entwicklung an den überkommenen Traditionen fest. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts erledigte sich das Thema zögerlich. Die Geburtsbriefe wurden von den Geburts- bzw. Taufscheinen abgelöst.[13] Die Zeitpunkte, zu denen es die einzelnen Innungen aufgaben, Geburtsbriefe anzufordern, sind unterschiedlich. „Vom 9. Mai 1831 ist uns E. E. und Hochwerthen Rath erlaubt worden, ohne Geburtsbrief aufzudingen", lautet eine Notiz im Lehrlingsbuch der Schlosser (1700-1850). Die meisten Innungen verzichteten schon vor 1820 auf Geburtsbriefe. Seit dieser Zeit begnügten sich die Innungen mit dem Beibringen von Taufscheinen. Auch die Taufscheine außerehelich Geborener waren häufiger anzutreffen, während Geburtsbriefe für diese noch verhältnismäßig selten waren.[14]
Bei den Dresdner Kupferschmieden wurde der Geburtsschein von 1587 bis 1687 solange in der Lade aufbewahrt, bis der Junge ausgelernt hatte. Danach wurde er ihm ausgehändigt. Seit 1687 belegte man die Herausgabe mit einem Gulden Gebühr.[15]
Seit dem 17. Jahrhundert hatte sich auch die Forderung durchgesetzt, einen Bürgen zu stellen. Dies wurde auch noch im 19. Jahrhundert von den Dresdner Kupferschmieden praktiziert, wie die nachfolgende Bestätigung belegt:
„dass Carl Traugott Richter, Sohn des hiesigen Händlers und Markthändlers Benjamin Richter, von mir die Erlaubnis hat, ein Handwerk zu lernen, bescheinige ich hiermit
Johann Gottlob Kronsten".[16]
Mit der Forderung einer Bürgschaft sollte sichergestellt werden, dass der Lehrjunge die vorgeschriebene Zeit voll ausstand. Wenn der Knabe entlief, was nach zahlreichen Schilderungen und nachfolgenden Bestimmungen wohl recht häufig vorgekommen sein muss, so drohte zunächst dem Meister Schaden. Ihm ging Lehrgeld verloren, wenn er es noch nicht erhalten hatte. Darum musste dem Meister, vorausgesetzt, dass er dem Lehrjungen nicht durch schlechte Behandlung „redliche Ursache" gegeben hatte, von den Bürgen Ersatz für das nicht erhaltene Lehrgeld geleistet werden. Ob der Lehrmeister die Schuld trug oder ob der Lehrjunge böswilligerweise seinem Meister entlaufen war, entschied die Innung. Wenn eine Lehre bei den Dresdner Klempnern aufgenommen werden sollte, dann mussten sogar zwei Bürgen gestellt werden.[17]
Bisweilen wurden in den Innungsordnungen Summen für Strafen benannt, wenn der Lehrling unbegründet aus der Lehre entlaufen war. In diesem Fall ist zu vermuten, dass noch ein weiterer Grund hinzukam, warum die Bürgen beim Entlaufen in die Handwerkslade zu zahlen hatten. Die Gesamtheit der Meister war daran interessiert, dass die Lehrjungen nicht entliefen, weil sie als „Störer" und „Pfuscher" der Innung Schaden zufügen konnten. Mit Einsetzen des Aufschwungs der Bergfabrikation erschloss sich für ältere entlaufene Lehrjungen eine Beschäftigungsmöglichkeit, bei der sie die bereits erworbenen Fähigkeiten einbringen konnten. Aber dies war nicht die Regel.[18]
Auch hinsichtlich der Nationalität eines Lehrjungen bestanden bestimmte Vorschriften. Auf diese Weise wurde versucht, andere Volksgruppen vom zünftigen Gewerbe auszuschließen. Nach Dora Grete Hopp galt das besonders für den Osten Deutschlands und bezog sich auf die Völker und Volksgruppen, die „im Kulturschatten der Deutschen" standen, also im Königreich Sachsen besonders auf die Wenden.[19] Wobei auch dies im betrachteten Zeitraum immer mehr an Bedeutung verlor, wie am Beispiel der Gesetzgebung für Juden gezeigt werden konnte.
Gemäß dem „Mandat wegen Publication einer neuen Ordonanz vom 19. Juli 1828" wurden für Militärpersonen, die als Lehrlinge aufbedungen oder als Gesellen losgesprochen worden waren, Sonderregelungen eingeführt. Unter II. Bestimmungen in Hinsicht der Innungs= und Gewerbs=Verhältnisse war fixiert:
„§ 39.
Wenn Militairpersonen bei den Innungen als Lehrlinge aufgenommen, oder als Gesellen losgesprochen werden, soll solches kostenfrei geschehen."[20]
Der nachfolgende Paragraf regelte auch die Länge der Lehrzeit. „Denjenigen Lehrlingen, die freiwillig in Kriegsdienste treten, soll, wenn noch ein halbes Jahr an den gesetzten Lehrjahren fehlt, dieses ihnen zu Gute gehen."[21]
Neben der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe spielte die im Geburtsschein vermerkte, christliche Geburt eine wesentliche Rolle. Seit der Reformation war im sächsischen Raum die Zugehörigkeit zu einer der beiden großen Glaubensgemeinschaften - römisch-katholisch oder lutherisch - allgemeine Voraussetzung. Angehörige des jüdischen Glaubens blieben bis zur bereits genannten gesetzlichen Regelung von 1838 unberücksichtigt. Nach der Jahrhundertwende waren diese Angaben nicht immer gewährleistet, wie der Geburtsschein von Karl Eduard Hofmann ausweist:
„Geburtsschein
Karl Eduard Hoffmann,
ehelicher ältester Sohn Meister Karl Friedrich Hoffmanns, vormaligen Bürgers und Klempners zu Würzen, wurde geboren zu Würzen am 4. März 1810, schreibe Eintausend Achthundert und Zehn.
Ausgestellt zu Würzen dem 10. März 1829
M. Johann Friedrich Zippel Pfarrer und Stiftssupr."[22]
Neben diesen Unterlagen musste ein Aufbedinggeld in der Lade hinterlegt werden. Bei den Kupferschmieden in Meißen betrug es 1751 2 Taler 18 Groschen, wie aus einer Vereinbarung zwischen der Kupferschmiede-Innung zu Meißen vor der Dresdner Lade und dem Vater des Christoph Marggraph hervorgeht.
„... meinen Sohn Christoph Marggraph vor öffentlicher Lade in Gegenwarth Meister und Gesellen aufbedingt. Und aber ich war das der Lade zu entrichtende Aufdinge Geld dem Ehrsamen Handwerk 2 Thaler 18 Groschen schuldig verblieben, als verspreche ich hiermit diese 2 Th. 18 gr. - binnen dato und 14 Tagen bey Cashation[23] des Aufbedingen meines Sohnes in die Lehre, nicht nur mit Dankbarkeit zu entrichten und Herrn Thürmann als Handwerks Obermeister zu übersenden, sondern auch will ich hierdurch überdieß auch noch ein Vieles an Handwerks Geld restine [24] das Drittel davon, binnen meines Sohnes Lehrzeit richtig abzuführen. Deßen Urkund ich diesen Schein und Bekunntniß wohlweißend von mir an gehaltenen HauptQuartal Trinitatis 1751 gestellet und eigenhändig unterschrieben. So geschehen Dresden, am 8 Juny 1751. Christoph Marggraph". Darunter findet sich die Bestätigung, dass „2 Th. 18 gr. am 28. May 1752 richtig bezahlet worden" sind.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Innungsartikel des Klempner- und Laternenmacher-handwerks verschiedener Städte in Sachsen aus dem Jahre 1620 im Artikel 1 als Aufbedinggeld vom Anwärter auf eine Lehrstelle verlangen, dass er „ 12 Groschen dem Gottescasten wie auch solches dem Handwerge vorlegen"[25] soll. Dreißig Jahre später beschlossen die Leipziger Klipperermeister in ihren Innungs-Artikeln von 1652, dass „der Meister sowohl der Junge jeder sechs Groschen in den Gottes Kasten, und einen halben Thaler in die Lade geben (soll)".[26] Aus einem Verhandlungsprotokoll von 1817 gegen die Klempnerobermeister Gottfried Daniel Brendel und Johann Caspar Häckel geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt 2 Taler Aufbedinggeld zu zahlen waren. Davon waren
- 16 Groschen für die Haltung des Handwerks an sämtliche Meister,
- 6 Groschen Proreation[27] für sämtliche Meister,
- 4 Groschen Beytrag an die Verpflegungscasse,
- 14 Groschen in die Lade [28] abgeführt worden.
Die Lehrlingsgebühr wurde sowohl dem Jungen als auch dem Meister auferlegt. Dabei ist der vom Lehrling zu entrichtende Betrag als Eintrittsgeld, die vom Meister zu entrichtete Summe jedoch als eine Gebühr für die Zunfthandlung der Aufnahme dieses Lehrlings anzusehen.[29] Die Höhe der Gebühr war in Sachsen nicht einheitlich geregelt, sondern wurde, wie überall in deutschen Landen, von der Innung festgelegt. Konnten die Eltern das Lehrgeld nicht aufbringen, bestand die Möglichkeit zur Verlängerung der Lehrzeit. Sie wurde in diesem Fall um weitere zwei Jahre ausgedehnt, wie dies das Gesuch des Kupferschmiedemeisters Stade aus Meißen aus dem Jahr 1763, also mitten im Siebenjährigen Krieg, verdeutlicht.
Dem
E. Ehrsamen Handwerk derer Kupfferschmiede, in der königl. und Churfürstl. Sachs. Residenz Stadt Dresden
Hochlöblichgebohrner Herr, auch
Ehrsame und günstige Mitmeister und Gesellen, wie auch das ganze Flaschnerhandwerk,
Diesselben werden nicht übelnehmen, dass mich bei irtzigen Haupt-Quartales nicht gebührlich einschreiben kann, drum es verhindert mich hauptsächlich nunmehr hiesiger Trinitatis Jahrmarkt daran.
Ich ersuche über Diesselben hierdurch dringenstund freundlich, meinen seither bei mir in der Lehre gestandenen ... Christoph Mehnert nach Ende seines 5. Lehrjahres und ehrlich durchgestanden, hierdurch loszusprechen und den mitkommenden Burschen Gottlob Gäsler, so ein armes Kind ist, deshalb ich auch von alles und nicht kosten, so bey Eur. Löblichen Handwerklehrling, auch so gern die Lehr-Jahre durch von diesen Kleidung stehen muß, und sich ebenfalls refohrirt[30] das Handwerk bey mir zu erlernen, auf 5. Jahr aufbedingen. Es ist gerade dieser Gottlob Gäsler dass 1 1/2 Jahr bey mir, ... aber in der Lehre gewesen, sondern ich habe ihn und in Ansehung seiner dürftigen Umstände zu mir genommen, und während Krieges zu Aufwartung davon beständig in Gratis gehabten sehr wirkenden Soldaten gesorgt, weil das weibliche Gesinde und andere Personen diesen Krieg über nicht zu haben gewesen waren, warum man auch selbige gern mit Sohn und Bruder versorgen und beherbergen wollen, daher verhoff ich auch nicht, dass Eur. Ehrsames Handwerk mir dieses übelnehmen wird.
Diese mir hierüber zuzeigende Gefälligkeit aber werde mich dankbar und nochmals Bittender, Ostern bleiben zurechtschuldigen, und besagten Gottlob Gäsler, bey Eur. Löblichen Handwerk aufzubedingen, und das 5. Lehr-Jahr in den gewöhnlichen Lehrlingsjahren, übrigens ab bei sich mit aller Hochachtung und Bereitwilligkeit.
Deroselben Meißen, den 30. May 1763
ergebenst und dienstwilliger
Johann Christph Stade;
Bürger und Kupferschmied alhier".[31]
Beim Lehrgeld handelte es sich nicht nur um ein Entgeld für die vom Meister aufgewendeten Ausbildungsleistungen. Es ist als Unterhaltszuschuss zu betrachten, den der Meister dafür einnahm, dass er den Lehrjungen in seinen Haushalt aufnahm und während der Lehrzeit verpflegte. Konnte die Familie des Lehrjungen aufgrund ihrer finanziellen Situation kein Lehrgeld zahlen, musste der Lehrjunge - wie wir am vorhergehenden Beispiel gesehen haben - für eine längere Zeit beim Meister arbeiten, ohne losgesprochen zu werden. Der finanzielle Ausgleich wurde für den Meister dadurch hergestellt, dass er über einen längeren Zeitraum über eine qualifizierte Arbeitskraft verfügen konnte, ohne sie entsprechend zu entlohnen. Und auch das Gegenteil war der Fall. Die Lehrzeit konnte durch eine über das verordnete Lehrgeld hinaus gezahlte Zuwendung an den Meister verkürzt werden - „die Lehre wurde abgekauft". Diese Regelung gab den Eltern die Möglichkeit, durch höhere Geldzuweisungen gewisse Vergünstigungen für den Sohn auszuhandeln. Auf der anderen Seite konnte auch Kindern aus armen Verhältnissen der Zugang zum Handwerk ermöglicht werden. Dieser sozialpolitische Aspekt des Aufbedingens von Lehrjungen aus ärmeren Bevölkerungsschichten entsprach der merkantilistischen Politik, möglichst viele Menschen in den Wirtschaftsprozess zu integrieren und so unter anderem auch einen Beitrag zu Lösung des Armutsproblems zu leisten. Dennoch muss hervorgehoben werden, dass die Meister Waisen und Kinder aus den armen Bevölkerungsschichten nur ungern in die Lehre aufnahmen und sich das soziale Ethos der Innung in der Sorge um die Angehörigen der Innungsmitglieder niederschlug.
Ziel staatlicher Politik Anfang des 19. Jahrhunderts in Sachsen war es, diese Tendenz der Innung zu unterbinden, indem sie durch Fördermaßnahmen Meister dazu anregte, Waisen und Behinderte in regelmäßigem Turnus in die Lehre aufzunehmen. So legte das bereits in anderem Zusammenhang erwähnte Avertissement vom 22. Februar 1820 im § 19 fest:
„Derjenige Künstler und Professionist, er sei zunftmäßig oder nicht, welcher einen Taubstummen als Lehrling annimmt und auslernt, erhält, nach Ablauf des ersten Lehrjahrs,
20 Thaler -
und nach Beendigung der, entweder durch die Innungsartikel seines Handwerks festgesetzten, oder sonst bei seiner Kunst eingeführten Lehrzeit, wenn sich des Lehrlings Geschicklichkeit durch die mit ihm anzustellende vorschriftsmäßige Prüfung bewährt findet, annoch
30 Thaler.[32]"
Im Nachtrag vom 2. April 1822 wird diese Prämie mit der gleichen Preissumme auch auf „taubstumme Frauenspersonen" ausgedehnt.[33] Diese Fördermaßnahme wurde 1826 um weitere fünf Jahre verlängert und auf die Förderung von Blinden ausgeweitet.[34]
1828 erließ die Landesregierung eine Verordnung, nach der „Taubstumme, welche ein Handwerk oder eine Kunst, die eine innungsmäßige Verfassung hat, erlernen wollen, unentgeltlich von den Innungen aufgedungen und losgesprochen werden sollen".[35]
In Leipzig beantragte der Töpfermeister Joseph Daschiel am 16. Juli 1832 mit Bezug auf die ausgeschriebene Förderung von Taubstummen die Auszahlung der Prämie von 50 Talern für die erfolgreiche Ausbildung des taubstummen Joseph Wurster aus Kleinwelka bei Bautzen als Töpfergeselle. Wurster hatte die Lehrzeit 1827 begonnen und wurde 1831 auf die „herkömmliche Weise zum Gesellen gesprochen ... treu, fleißig und ausgezeichnet gut und musterhaft betragen, auch nach Ablegung seiner Probearbeit als einer der besten und brauchbarsten Arbeiter befunden worden, so dass er nicht nur von mir (seinem Lehrmeister - B. P.) unbedenklich als ein werktüchtiger und vorzüglich guter Töpfer jedem Meister empfohlen werden kann, sondern es auch mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass, falls er sich künftig einem anderen mit seinen erlernten Handwerk in einiger Verbindung stehender Geschäfte widmen sollte, er im vollen Sinne des Wor-thes als Künstler auftreten dürfte, wird ihm hiermit von mir mit Vergnügen bescheinigt".[36] Dieses Zeugnis, das der Töpfermeister Daschiel seinem nunmehrigen Gesellen Wurster ausgestellt hatte, wurde vom Obermeister der Töpfer-Innung Johann Gottfried Weiße mit Siegel ausdrücklich bestätigt. Die Königliche Hohe Landesdirection bewilligte am 3. September die Prämie und gab sie zur Zahlung frei. Daschiel quittierte die Summe am 21. September.[37]
Aus dem bisher Dargestellten wird ersichtlich, dass die Innung zugleich Rechtsvermittler zwischen Lehrjungen und Meister und im Hinblick auf die Anerkennung des Lehrverhältnisses Vertragspartner war. Ihr waren sowohl der Meister als auch der Lehrjunge verpflichtet. Der Abschluss eines Lehrvertrags war also keine private Absprache, sondern er setzte für die zunftrechtliche Gültigkeit die Anerkennung durch die Korporation voraus. Einzelne Modalitäten, wie die Dauer der Lehrzeit und die Behandlung des Jungen im meisterlichen Haushalt, waren Grundlagen der vertraglichen Absprache zwischen Lehrmeister und Eltern. Aber über deren Voraussetzungen, Methoden und Inhalte entschied allein die Innung. Sie sind Gegenstand des so genannten „Aufbedingbriefs". Er war meist formlos und seine Länge durch die entsprechenden konkreten Abmachungen bedingt. Der Vertrag musste nicht in schriftlicher Form vorliegen.
Um der Lehre Rechtsgültigkeit zu verleihen, genügte den meisten Innungen der Eintrag in das Lehrlingsbuch vor offener Lade. Diese förmlichen Aufbedingbriefe wurden selten ausgestellt, wenngleich sich die Festlegung der Höhe des Lehrgelds weit zurückverfolgen lässt. Damit sind die Aufwendungen noch nicht umrissen, die für die Ausbildung aufzubringen waren und die Zahlungsverpflichtungen sagen noch nichts über die Belastung der elterlichen Familie aus, die einen Sohn bei einem Meister in die Lehre gab. Oft musste das eigene Federbett in die meisterliche Wirtschaft mitgebracht werden. Die Erwartungen an den Lehrling finden sich in Artikeln wieder, die in einer Zunftlade aus den 18. Jahrhundert formuliert werden:
1. | Sollst du dich vor allen Dingen der wahren Gottesfurcht befleißigen, morgens und abends fleißig beten und die Sonn- und Feiertage in die frühe Predigt gehen und Selbiger mit Andacht beiwohnen... |
3. | Sollst du Wasser für die Gesellen zum Waschen in die Werkstatt bringen, nachhero deinen Meisters Schuhe putzen und solche morgens und abends an seinen gewöhnlichen Ort setzen. |
4. | Sollst du deinem Meister in allem treu und fleißig und verschwiegen sein, und dich nicht unterstehen, etwas zu unterschlagen oder zu veruntreuen |
5. | Sollst du auf dein Werkzeug wohl acht geben, wenn dir etwas verlorgen geht, solches dem Meister ansagen, und wann du siehst, dass die Gesellen, wie es oft geschieht, etwas verbrecken (vermurksen) oder verschneiden, so sollst du es dem Meister insgeheim anzeigen und somit allen Schaden auf diese Weise verhindern helfen... |
10. | Wenn Feierabend ist, sollst du deine Werkstatt abkehren, und alles Werkzeug an seinem Ort stecken, nachdem du es gesäubert hast |
11. | Sollst du das Feuer und Licht insonderheit wohl acht nehmen, und das Feuerzeug mit gutem Zunder versehen und solches an seinem Ort verwahren. |
12. | Wenn du etwa an einem Sonn- oder Feiertag ausgehen willst, so sollst du es ohne Wissen und Willen deines Meisters oder Meisterin nicht tun, sondern es zuvor ansagen, und wenn du ausgehst,sollst mit keinem bösen Buben herumschweifen. Und in Summa in allen Stücken dich bescheiden aufführen und den lieben Gott jederzeit vor Augen und Herzen haben, damit du in keine Sünde willigst oder wider Gott handelst. |
Zum Beschluß, wenn du diesen Artikeln in allen willst nachkommen, so gelobe solches mit Mund und mit Hand."[38] |
Nach dem Gelöbnis mit Handschlag war der Anwärter zum Lehrling geworden. Von nun an gehörte er gewissermaßen zur meisterlichen Familie. Dem Lehrjungen, ob er nun das Kupferschmiede-, Klempner- oder Töpfer-/Ofensetzerhandwerk erlernen wollte, wird es ähnlich ergangen sein, wie wir es aus dem Bericht des Buchhändlerlehrlings Friedrich Perthes in Leipzig erfahren. Auszüge daraus erhellen Details des Lehrlingsalltags im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts:
„Am Sonntag, dem 9. September 1787, trat der fünfzehnjährige Knabe allein auf einen unbedeckten Postwagen die Reise in die Fremde und ins Leben an. ,Abends in Saalfeld bin ich sehr traurig gewesen', schrieb er seinen Oheim, ,aber ich habe auch da viele gute Leute gesehen.' - In Regen und scharfer Kälte fuhr er über Neustadt, Gera, Zeitz und langte am Dienstag, dem 11. September, nachmittags 3 Uhr im Hause seines Lehrherrn an.
,Mein Himmel, Junge', rief ihm dieser entgegen, ,du bist ja noch eben so klein wie voriges Jahr; nun, wir wollen es miteinander versuchen.' Die Frau seines Lehrherrn und die Kinder, sechs Töchter und ein kleiner Sohn, sowie ein Lehrling, der schon vier Jahre im Hause war, nahmen ihn freundlich auf. ,Hier in Leipzig gefällt es mir ganz wohl', schrieb Perthes unmittelbar nach seiner Ankunft, ,und ich hoffe, es wird auch gut gehen, zumal, da mein Kamerad ein recht guter Mensch ist. Auch die Mamsells scheinen außerordentlich gütig. Die Friederike, die zweite Tochter des Lehrherrn, ist zu mir gekommen auf unsere Stube, um mir, wie sie sagte, die Grillen zu vertreiben.' ,Hierdurch', so meldet sein Lehrherr, ,habe ich die Ehre, zu berichten, dass der junge Perthes gesund und glücklich bei mir eingetroffen ist. Ich hoffe, wir werden wohl miteinander einig werden. Sein bei sich habendes Geld, habe ich mir einhändigen lassen, denn man weiß nicht, in welche Gesellschaft er etwa geraten könnte. Nun habe ich auch noch eine Bitte an Sie: Wenn Sie mich wieder mit Briefen beehren, so sein Sie so gut und lassen die Überschrift .Wohlgeboren' fort; denn diese kommt mir durchaus nicht zu.'
Am Morgen nach seiner Ankunft waren die ersten Worte: ,Friedrich, du mußt dir die Haare vorne zu einer Bürste, hinten zu einem Zopfe wachsen lassen und dir paar hölzerne Locken anschaffen. Deinen runden Matrosenhut legst du fort, für dich schickt sich ein dreieckiger.' Allgemeine Sitte war letzterer nicht mehr, aber Böhme wollte seinen Lehrlingen die neue Mode nicht dulden. ,Ohne meine Erlaubnis', hieß es weiter,,gehst du weder morgens noch abends aus dem Hause. Jeden Sonntag begleitest du mich in die Kirche.'
Verwöhnt wurden die beiden Lehrlinge nicht. In der Nikolaistraße war die Wohnung ihres Lehrherrn, dort hatten sie vier Treppen hoch eine Kammer inne, die mit zwei Betten, zwei Stühlen, einem Tische und zwei Koffern so ausgefüllt war, dass man nur drei Schritte in derselben machen konnte. Ein einziges kleines Fenster oben an der Decke ging auf die Dächer hinaus; ein kleines Windöfchen stand in der Ecke, zu dessen Heizung an jedem Abend des Winters drei Stück Holz gegeben wurden. Morgens 6 Uhr erhielt jeder der Knaben eine Tasse Tee und jeden Sonntag im Voraus für die kommende Woche sieben Stücke Zucker und sieben Dreier zu Brot.
,Was mir am schwersten ankommt', schrieb Perthes seinem Schwarzburger Oheim, ,ist, dass ich früh nur eine Dreiersemmel habe, davon werde ich knapp satt. Nachmittags von eins bis acht bekommen wir keinen Bissen, da heißt es hungern, doch ich denke, es soll sich geben.' - Mittags und abends aßen sie mit der Familie, reichlich und gut, aber schrecklich war für sie, besonders wenn fetter Braten mit Kürbisbrei aufgetragen ward, das Gesetz, nach welchem schlechterdings alles gegessen werden mußte, was auf den Tellern gegeben wurde. Das ,Er', mit dem sie von den Kindern und selbst von den Dienstmädchen und Markthelfern angeredet wurden, kränkte Perthes tief, aber freudig schrieb er: ,Mir wird auch nicht das Mindeste zugemutet, was meiner Ehre nachteilig sein könnte; andere Lehrburschen müssen z. B. dem Herrn die Schnallen putzen, den Tisch decken, den Kaffee ins Gewölbe bringen, von alledem bin ich befreit.'
Der Lehrherr war zwar kein Mann von Geist und Kenntnissen, aber verständig, durchaus redlich und streng sittlich und nicht ohne Achtung vor Wissenschaft und allem Höheren. Unausgesetzt arbeitete er jeden Tag von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, eine Mittagsstunde abgerechnet; sonntags nach der Kirche las er die Jenaer Literaturzeitung Wort für Wort und machte dann einen Spaziergang um die Stadt.
Nie spielte er, nie betrat er ein Wirtshaus, nie gab er Gesellschaft, und auch in seinem Hause trank er nur Wasser. Einige Mal im Sommer ging er mit seiner Familie nach Eutritzsch und trank eine Flasche Gose, einmal im Jahre fuhr er nach dem vier Stunden von Leipzig entfernten Störmthal und nahm dahin außer Frau und Kinder auch die Lehrlinge mit. Er war ausnehmend gutmütig, aber ebenso jähzornig und brach, einmal gereizt, in einen Strom roher Worte aus. Schwer hatte Perthes in den ersten zwei Jahren seiner Geschäftsunerfahrenheit von diesem Zorn zu leiden. ,Was mir am übelsten bekommt', schrieb er, ist, dass mein Herr Prinzipal außerordentlich hitzig ist. Macht man nicht alles recht, so ist der Henker los; das bin ich denn freilich nicht gewohnt, und es geht mir auch außerordentlich schwer ein; doch ich werde es ja wohl gewohnt werden.' - War Böhmes Zorn verraucht, so brachte er gutmütig dem Knaben Obst zur Entschädigung oder teilte mit ihm seine zwei Tassen Nachmittagskaffee nebst den dazugehörigen zwei Stückchen Zucker."[39]
Von den allgemeinen Ablenkungen der Zeit hielt sein Lehrmeister offensichtlich nicht viel. In dieser Zeit fanden, hauptsächlich im Sommer, „in allen hiesigen Kneipen, Gärten und den schmutzigsten Löchern", wie sich August Maurer darüber ausließ, Konzerte statt, „welche denn bei vier elenden Geigen und einem alten rumpelnden Basse so abscheulich diesen viel versprechenden Namen entehrten".[40]
Wenn wir die überhebliche Sicht eines „Edelmanns" auf die Lebensweise der niederen Stände berücksichtigen, so erhalten wir dennoch eine gewisse Vorstellung von den Zerstreuungen der „niederen Stände".
„Ich ging einst donnerstags zum Rosentäler Tore hinaus und kam vor einer Hütte vorbei, nach der eine zahllose Menge zerlumpter Handwerksbursche, Kohlenträger und anderer dergleichen Noblesse zuströmt, von denen einer dem andern zurufte: ,Du, heute ist bei Köhlern (der Wirt dieser Kneipe) Konzert.' ... Der Eintritt in die Stube, wenn ich dies Loch anders so nennen darf, übertraf noch bei weitem meine Erwartungen. Ich fand hier wie noch nirgends ein wahres Quodlibet der ganzen lebenden Welt; allein die Ausdünstung der sich immer mehr anhäufenden Gäste, der odiöse Geruch, den Kneller [41] und gewisse hier ganz unverhaltene Lüftungen verursachten, sowie die saftigen Zotologenunterhaltun-gen, mit denen sich gleichsam jene Menschen zum herannahenden Konzert vorzubereiten schienen, verleideten mir jede fernere Lust, länger in diesem abscheulichen Schwitzkasten zu bleiben. Und nach dem, was ich jetzt vorausgeschickt habe, würdest du wohl glauben, dass wirklich mit ungeheuer großen Buchstaben an der Tür angeschlagen stand: Alle Donnerstage ist hier Konzert?"[42]
Die Anforderungen an den Lehrjungen während der Werktage ließen auch wenig Raum für Mußestunden und auch am Sonntag wurde die Freizeit vom Meister festgelegt. „Unser Stübchen', schrieb Perthes, ,genieße ich nicht sehr, denn um 7 Uhr gehen wir ins Gewölbe, um V212 Uhr nach Hause zum Essen, um 1 Uhr wieder ins Gewölbe und erst um 8 Uhr wieder ins Haus; alsdann wird gegessen, und nun können wir erst etwas für uns anfangen. Abends dürfen wir auf keinem Fall ausgehen, und Sonntags früh müssen wir in die Kirche, aber aus Sonderbarkeit in keine andere als in die Peterskirche, und Sonntags nachmittag läßt er uns nach scharfem Examen ein paar Stunden heraus."[43]
Die Arbeitsbelastung des Lehrjungen war in einem patriarchalisch geprägten Lehrverhältnis immer abhängig von den Anforderungen, die der Lehrmeister an sich selbst stellte.
„Hart gegen sich, war er es auch gegen andere. Im ersten Winter seines Leipziger Aufenthaltes erfror Perthes die Füße; Böhme sah den Jammer, aber er blieb ungerührt, bis der Knabe nicht mehr gehen konnte; dann schickte er zu dem ersten Wundarzt. Eckold kam und erklärte sogleich, vierundzwanzig Stunden später hätte der Fuß abgenommen werden müssen. Neun lange Wochen brachte nun der Knabe auf seinem Dachkämmerchen im Bette zu, aber verlassen war er nicht; denn mit treuer Pflege nahm sich seiner die zweite Tochter seines Lehrherrn an, Friederike, ein liebliches Kind von zwölf Jahren. Sorgsam saß sie den Tag über mit dem Strickzeug in der Hand an dem Bette des Kranken, erzählte, tröstete und holte herbei. ... Auch abgesehen von den Leiden dieser Monate, fühlte sich der in ungebundener Freiheit in Berg und Wald unter der treuesten Pflege streng sittlicher Verwandten aufgewachsener Knabe oftmals schwer gedrückt in der großen Stadt und ihrer flachen, waldlosen Umgebung und durch das in eine unverbrüchliche Tagesordnung eingezwängte Geschäftsleben, welches keine freie innere und äußere Bewegung erlaubte. ... Vor allem war es die Messe, welche den Knaben, als er sie das erstemal in Leipzig erlebte, in große Bewegung setzte. ,Zwar brachte sie sehr mühselige Arbeitstage mit, aber ich fühlte sie nicht,' schrieb er, ,wenn ich an die Viertelstündchen dachte, in welchen ich meinen Oheim, der am Montag aus Gotha ankam, sehen konnte. Der hat mich während der ganzen Zeit seines Hierseins so lieb gehabt, dass ich manchmal denken konnte, ich hätte auch einen Vater, und alles konnte ich ihm anvertrauen."[44]
In der von Perthes geschilderten Situation werden die allgemein vorherrschenden Zustände bei den Lehrherren sichtbar. Diese beiden Lehrlinge waren in der besonderen Lage, nicht zu Haushaltsgehilfendiensten herangezogen zu werden. In Johann Baptist Schads Lebensgeschichte, von ihm selbst geschrieben, finden wir einen anderen Bericht über den Lehriingsalltag, wenn auch als Barbier. Aber dieser wird in den von uns betrachteten Gewerken nicht viel anders gewesen sein: „Mit dem Barbieren ging es anfangs schwer her maßen ich einstmals einen Bauern ins Kinn geschnitten, und darüber eine Maulschelle bekam, dass ich wohl vier Tage taub davon gewesen. Der Ochsenziemer hielt auch nicht feste an der Handquehle[45], bei welcher ich auf einem kleinen Lädchen pflegte zu sitzen. Ich verkettelte selbigen immer auf eine Vorsorge, dass ich entfliehen konnte, ehe er solchen losbekam ... Ich mußte der Magd alles Wasser und Holz in die Küche tragen, Feuer anmachen, Wasser holen, Holz hacken und was dergleichen. - Doch, es ist alles zerronnen, und nun gehet die Tochter betteln, die damals nicht unsanft niedertreten mußte, und mir manchen Puckel voll Schläge gemacht und viel geärgert."[46]
Die zwei Lebensaufzeichnungen belegen die familiäre Struktur der Lehre. Im ständischen Berufserziehungsdenken dominierte die berufliche Sozialisation, die die handwerkliche Qualifikation beinhaltete. Dass die Lehrlinge sich der Erziehungsgewalt der Lehrherren zu fügen hatten, verweist auf das Sozialisations-gefüge der Handwerkserziehung. Neben den berufsfremden Arbeiten zur Unterstützung des Haushalts umfasste der geschlossene Sozialisationszirkel außerdem die standesgemäße Erziehung der Heranwachsenden. Aus diesem Grund gehörte es zu den Pflichten des Meisters, auch die gesellschaftlichen Benimmregeln, wie das Verhalten bei Tisch, zu vermitteln. Aus dem bisher Dargestellten wird deutlich, dass die Lehre eines Handwerks nicht nur als Zeit der beruflichen Entwicklung zu verstehen war, sondern zugleich auch eine entscheidende Phase in der Erziehung junger Menschen unter sittlichen, religiösen und innungsspezifischen Aspekten verkörperte. Die Handwerksiehre war Ausbildung und Erziehung zugleich. Der handwerklichen Berufserziehung lag die Überzeugung zugrunde, dass die saubere Werksarbeit den Charakter der Menschen forme und präge und dass ein guter Handwerker keiner verwerflichen Tat fähig sei. Eine Trennung beider Aspekte war nicht möglich, da die handwerklichen Tugenden an den während der Lehrzeit erlangten Fertigkeiten und Kenntnissen ständig geübt und erprobt wurden.
Aufgrund der ökonomischen wie räumlichen Enge des Handwerkerlebens waren Härte und Rücksichtslosigkeit den Lehrlingen gegenüber an der Tagesordnung. Der Brauch körperlicher Züchtigung der Lehrjungen und ihre oft harte Behandlung durch den Lehrmeister führten in manchen Fällen zum Weglaufen aus der Lehre. Das belegen Innungsartikel, in denen gegensteuernde Maßnahmen fixiert waren - Festlegungen, die auf der einen Seite unrechtmäßige und willkürliche Züchtigung der Jungen verhindern bzw. mindern, und auf der anderen Seite ein Überreagieren der Lehrjungen bei Auseinandersetzungen mit dem Lehrmeister einschränken sollten.
4. | ||||||
Wann ein Junge, so aufgedinget worden ist, wie-derumb davon läuft, und sich innerhalb 14 Tagen bei seinem Lehrmeister nicht wieder einstellet, derselbige soll die Zeit, so er gelernet, verlustig sein, und aufs neue anheben zu lernen, und seine Gebühr wieder einlegen. Begehrte aber ein solcher Junge nicht wieder zu lernen, und wollte gleichwohl seinen Geburtsbrief haben, so soll die Sache vor E. E. Hochws. Rath gebracht und auf dessen Erkenntniß gestellet werden. Es soll ihn aber kein Meister noch Geselle dazu verhetzen, noch bei Ihnen aufhalten, bei Vermeidung E. E. Raths-Strafe, und wann ein solcher Junge bei einem andern Meister lernen will, soll die Zeit, wo er bei den vorigen Meister gelernet, auch nicht gelten. | ||||||
5. | ||||||
Damit aber auch kein Junge hierunter nicht gefährdet werde, soll er die Beschwörung die er wieder seinen Lehrmeister anzuziehen, ehe er dann vom Handwerke läuft, dem Obermeister anzeigen. Derselbe soll mit Zuziehung seiner Mitmeister Fleiß haben, ob er den Meister und den Jungen miteinander vergleichen könnte. Wo aber solche Vergleichung nicht stattfinden möchte, und der Meister Unrecht erfunden würde, sollen die Sachen vor E. E. Rath gebracht und auf desselben Erkenntniß gestellet werden."[47]
Die allgemeine Erziehungspraxis schloss die alltägliche körperliche Züchtigung von Kindesbeinen an ein. Von einem gewissen Maß des Gewöhntseins an körperliche Züchtigung kann deshalb bei den Heranwachsenden ausgegangen werden. Von Familie zu Familie mag dies unterschiedlich gewesen sein. In der Schule war die Züchtigung an der Tagesordnung. So ist hier nicht von Härtefällen die Rede. Das Weglaufen aus der Lehre kam auch dadurch zu Stande, dass die räumliche Trennung von der elterlichen Familie nicht in jedem Fall vom dem in die Lehre Aufgenommenen verkraftet wurde. Manchmal waren es die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Werkstatt, die zu solchen Reaktionen Anlass gaben. Auch vom Gesellen musste der Lehrjunge gewärtig sein, Schläge zu erhalten, wenn etwas schief ging. Dennoch ist der Alltag eines Lehrjungen nicht nur durch körperliche Züchtigung geprägt, wie es die gesonderte Betrachtung dieser Angelegenheit hier erscheinen lassen könnte. Zur Illustration soll hier der Bericht des bereits zitierten Johann Baptist Schad, der aus einer relativ wohlhabenden Familie kam, herangezogen werden. Sein Vater war zugleich Ackerbauer, Bäcker und Schankwirt, „... da er auch zu Hause viel zu tun hatte und gewöhnlich nächtlicherweise seine Bäckerei versah: So kann man sich vielleicht vorstellen, wie ermüdet und erschöpft er größtenteils vom Felde zurückkam". Kinder wurden im ausgehenden 18. Jahrhundert und noch im 19. Jahrhundert, wie schon in den vorangegangenen Jahrhunderten, von klein auf zur Arbeit in der Familie herangezogen. Der Lehrlingsalltag knüpfte hier nahtlos an. Der Handwerksmeister war der verantwortliche Hausherr für alle im Haus Wohnenden - verantwortlich für den Kirchenbesuch ebenso wie für die Erziehung; auch mit der Rute, die auch der Ochsenziemer (Ochsenziemer war eine aus dem männlichen Geschlechtsteil des Ochsen hergestellte Peitsche - B. P.) sein konnte. Um die berufsspezifischen Tätigkeiten zu erlernen, musste der Lehrjunge dem Prinzip der Imitation folgen. Dies bedeutete, die betreffenden Handgriffe schaute er sich bei Kundigen an und versuchte sie in gleicher Weise auszuführen. Dabei war ausschlaggebend, dass lediglich die Arbeitsweise des Meisters die einzig richtige war. Sollte einer der Gesellen auf anderem Wege zum Ziel gelangen, dann durfte der Lehrjunge diesen Arbeitsprozess nur nachvollziehen, wenn es der Meister erlaubte. Eigenständige Veränderungen von Arbeitsschritten durch den Lehrling wurden als Ungehorsam interpretiert. Welche Folgen dies haben konnte, zeigt der Bericht von Johann Gotthilf August Probst. Er hatte als Seilerhandwerkslehrling eine noch härtere Lehrzeit. Für ihn waren die „Nebenarbeiten" im Haus des Meisters Erholung. „Bisher war wenig an die Arbeit bey der Profeßion bedacht worden", schrieb er in seinem Buch „Handwerksbarbarei, oder Geschichte meiner Lehrjahre. Ein Beitrag zur Erziehungsmethode deutscher Handwerker", „allein nun sollte das Versäumte mit einmal ersetzt werden. Ich wurde nun an verschiedene Arten derselben gebracht, deren Namen ich billig weglasse, da die wenigsten Leser dergleichen Terminologien verstehen. Es wäre zu wünschen gewesen, dass ich das alles, was mir in ein paar Minuten gewiesen wurde, auch sogleich hätte fassen und nachmachen können, da aber jede Wissenschaft oder Kunst bald mehr, bald weniger Zeit zur Erlangung der begehrten Fertigkeit erfordert, so mußte ich mir, da es unmöglich war, alles sogleich so zu verfertigen, als es mir gewiesen wurde, gefallen lassen, dass mein Meister das volle Gewicht seiner Ungeduld und gewaltigen Hand meinen Backen und Rücken fühlen ließ. Da er so wenig Lust zur Arbeit selbst hatte, so forderte er desto mehr von mir. Seine Lehrmethode dabey war folgendergestalt. Erst trat er hin, und machte mir die Sache zweimal vor, dann gebot er mir unter den fürchterlichsten Drohungen, es auch so zu machen: Er habe mir es nun gewiesen, und wenn ich keine Lust habe, so wolle er mir schon welche einbleuen. Und nun gings die Treppe hinunter; statt dass er mir bey der Arbeit hätte zu Hülfe kommen sollen, überließ er mich mir selbst, der ich noch mit allen Kunstbegriffen unbekannt war. Wie oft stand ich thränenvoll da, und beseufzte meinen unglücklichen Zustand! Denn ich konnte immer schon errathen, welche Behandlung mir bevorstand, wenn ich nach dem Befehl des Meisters gearbeitet hatte. Zum Glück dauerten dergleichen qualvollen Stunden nicht lange, denn bald wurde ich gerufen, häusliche Geschäfte zu verrichten. Allein wenn er dann kam, nachzusehen, was ich mittlerweile gemacht hatte, welches oft in einigen Tagen erst geschah, wenn er dann sähe, wie schlecht und nicht selten zum Schaden ich gearbeitet hatte, so erhub sich ein solches Donnerwetter, dass mir noch jetzt die Haare zu Berge stehen, wenn ich daran gedenke. Fluchen, Drohungen, Reden, die wie zweischneidige Schwerdter mich durchbohrten, und dann eine ungemeßne Tracht Schläge, dass ich oft ohnmächtig darnieder sank, waren dann mein Theil. Auch 15 Jahre später hatten sich die Verhältnisse für Lehrjungen nicht grundlegend geändert. 1837 wandte sich ein Vater an den Rat mit der Klage, sein Sohn würde als Klempnerlehrjunge mit Ohrfeigen traktiert und außerdem wäre er mehr Laufbursche und lerne nichts. Im gleichen Jahr (oder 1838) beschwerte sich eine Mutter, dass ihr Sohn als Lehrling vom Klempnermeister Ludwig mit der Faust geschlagen und mit Füßen getreten worden sei. Nachdem ihn schon ein früherer Lehrherr mit einem zerbrochenen Essnapf auf den Hinterkopf geschlagen hatte, musste der Lehrjunge nun wegen Brustproblemen ins homöopathische Hospital und dafür 20 Groschen wöchentlich zahlen. Der Meister bestritt, den Jungen krankenhausreif geschlagen zu haben. Der ärztliche Befund schloss die Brustbeschwerden aufgrund von Misshandlung nicht aus. Der behandelnde Arzt hielt es aber auch für denkbar, dass die Ursache in den in Leipzig bei jungen Leuten üblichen Lungenknoten (Tuberkulose wurde landläufig so genannt) lag oder, dass die gegen den aufgedungenen, krätzenartigen Hautausschlag benutzten Schwefelmittel Auslöser der Beschwerden sein könnten. Das Ergebnis der Verhandlung war zumindest so, dass der Lehrmeister die Behandlungskosten übernehmen musste Sieben Jahre danach, 1845, hat die Witwe des Stellmacherobermeisters Albrecht beim Rat der Stadt Klage gegen den Klempnermeister Leutier erhoben. Ihr 16-jähriger Sohn habe seit 13/4 Jahren bei diesem Meister gelernt. Jetzt sei er wegen Klatscherei fristlos entlassen worden. Der Lehrmeister weigerte sich, dem Lehrling Albrecht ein Zeugnis auszustellen, ohne das der Junge aber nirgends unterkäme. Auf Anordnung des Rats stellte Leutier das Zeugnis aus. Die aus dem Jahr 1853 stammende Auseinandersetzung zwischen dem Vater von Friedrich Eduard Hemmann und dem Klempnermeister Bätjer gestaltete sich schwieriger. Klempnermeister Bätjer, wohnhaft in der Hainstraße im „Großen Joachimsthale", hatte den Hemmann jun. seit 1852 bei sich in der Lehre. Weil der Meister - ein äußerst jähzorniger Mann-den Lehrjungen bei den geringfügigsten Veranlassungen mit eiserner Strenge behandelte, ihn auch auf die empörendste Weise misshandelte, wollte Hemmann sen. seinen Sohn aus der Lehre bei Bätjer nehmen. In der Klageschrift lesen wir: „Obwohl ich meinen Sohn stets zu strengem Gehorsam angehalten und ihm auch nie grobe Fehler und Ungezogenheiten nachgelassen noch weniger ungestraft gelassen habe, so ist es doch stets mein Grundsatz gewesen, nur im äußersten Nothfalle zu Schlägen Zuflucht zu nehmen. Gerade das Gegentheil aber thut Herr Bätjer und bewirkt dadurch weniger die Zuflucht meines Sohnes, als dass er ihn verdirbt." Der Vater hatte bei der Polizei vorgesprochen, um die Misshandlungen durch den Meister anhand der dicken Ohren seines Sohnes nachzuweisen. Der Meister gelobte Besserung, aber es blieb alles beim Alten. Er verbot dem Lehrjungen sogar den Umgang mit seinen Eltern und Angehörigen. Er durfte nur noch nach Hause, um weiße Wäsche - die Unterwäsche - zu holen. Am Neujahrstag 1853 wollte der Sohn zu seinen Eltern. Bätjer gestattete dem Jungen nur, seinen Eltern zu gratulieren. Danach sollte er das Elternhaus sofort wieder verlassen und spazieren gehen. Angesichts solcher Forderungen entgegnete der Lehrjunge, dass er eher seinen Lehrherren verlassen will als sein Elternhaus. Daraufhin hat ihn der Meister an den Haaren am Boden hin und her geschleift und dann seine Kleidung weggeschlossen. Er wollte ihn am Fortgehen hindern. Hemman jun. ging dennoch zu seinen Eltern und blieb dort. Daraufhin ließ Bätjer den Jungen von der Polizei ins Gefängnis bringen, wo er am 3. Januar immer noch saß. Der Vater beantragte nun beim Stadtrat die Lösung des Lehrvertrags und die Möglichkeit, dass sein Sohn die Lehre bei einem anderen Meister fortsetzen könne. Zu Bekräftigung seines Antrages führte der Vater an, dass es nun schon der dritte Lehrling sei, der Bätjers Behandlung unerträglich fand. Der Antrag wurde abgelehnt. Erst nachdem weitere Streitigkeiten und erneute Misshandlungen vorgefallen waren, wurde der Lehrjunge aus der Lehre geworfen. Der Vater war einverstanden. Aber nun widersprach der Stadtrat, weil Bätjer durch den Hinauswurf des Lehrlings den Lehr-contract und seine Verpflichtung gegenüber der Obrigkeit verletzt habe. Jetzt erhob Bätjer Einspruch dagegen, dass ein anderer Lehrmeister den Lehrjungen aufnehmen sollte. Am Ende konnte sich der Vater des Lehrjungen, Hemmann sen., durchsetzen. Sein Sohn setzte die Lehre in einer anderen Werkstatt fort. Die Innung war in diesen Fall als Instanz nicht involviert.[51] Das vom Meister Vorgemachte und „Abgelesene" war also nicht nur situativ gültig, sondern war als Norm zu betrachten. Der Geselle fügte sich als Ausbildungsinstanz bei Abwesenheit des Meisters in diesen Zirkel ein. Dies wird in den Leipziger Sammlungen von 1751 plastisch beschrieben: „Anfänglich und I) wird aus diesen allen schon zu ersehn seyn, dass zwar ein Geselle ein rechtmäßig aufgedüngter und los- oder vom Jungenstand freygesprochener ehrlicher Junge vorher gewesen seyn müsse, sonst aber nicht Geselle werde könne, dagegen aber auch von dem Jungen, theils durch das Gesellensprechen und machen, theils durch verschiedene Prärogativen, die ihm ein Junge geben muß, unterschieden sey, wenn es nach alten Handwercks-gebrauch gehet; indem der Junge einen Gesellen nicht Du, sondern Ihr, zu nennen, sich aber von dem Gesellen Duzen, befehlen, lehren, ja mit Worten, und auch wohl mit Schlägen, sonderlich in Abwesenheit des Meisters, oder auf dessen Anordnung bestrafen lassen, sich auch den Gesellen Zusammenkünften enthalten, und der Zeichen oder Symbolen, brüderlicher Gemeinschaft, oder des Geschenks unter den Gesellen überhaupt und unter den alten Gesellen insonderheit enthalten, ja dem Gesellen aufwarten müsse. Dieses ist es, was einen Gesellen von dem Jungen sonderlich unterscheidet, ob man wohl auch noch das Arbeiten ums Lohn dazu setzen könnte, wenn nicht einige Handwercke, z. E. die Zimmerleute und Maurer auch schon ihren Jungen Lohn gäben."[52] Dieser didaktisch geschlossene Zirkel der handwerklich-beruflichen Ausbildung fügte sich pädagogisch gesehen nahtlos in den der familiär-beruflichen Sozialisation ein, denn das patriarchalische Selbstverständnis des alten familia-Prinzips wird hierin wieder j deutlich. Das ausbildungsmethodische und berufspädagogische Prinzip spiegelt sich wider: „Es ging um die möglichst verläßliche Imitatio Majorum, nicht um die auf eine produktive Weiterentwicklung der Technik gerichtete Qualifikation."[53] Diese Herangehensweise an die Lehrlingsausbildung stand in enger Verbindung mit der vorherrschenden innungscharakteristischen Traditionsverbundenheit. Die Innung steckte den Rahmen für die angemessenen berufsspezifischen Arbeitsweisen ab. Wichtig war nun, diesen durch „traditio", durch Weitergabe zu sichern. Dies war also kein innovativer, sondern vielmehr ein reproduktiver Lernprozess, bestimmt durch Vorführen und Nachahmen. Das Erziehungsprinzip der Innung verkörpert das Prinzip der ständischen Gesellschaft: die Imitatio.[54] In den nachfolgenden Protokollaufzeichnungen zeigt sich eine sich langsam vollziehende Veränderung hinsichtlich der Auffassung von der Lehrzeit. Bisher erhielt der Losgesprochene in den „Gesellenbriefen" nur die Bestätigung, dass er aus dem „Schutzverband des meisterlichen Haushalts ,in Ehren'" entlassen worden ist. Der Meister bekundete vor dem versammelten Gewerk bei offener Lade, dass sich der Lehrling redlich, fromm und treu sowie gottesfürchtig und ehrliebend gezeigt habe. Hinweise zu seiner beruflichen Qualifikation waren im ausgestellten Brief nicht enthalten. Nach Ablauf der Lehrzeit im Regelfall bei den Klempnern eine vierjährige Lehrzeit - wurde ein Gesellenstück fällig. Aus der 1836 vorgelegten Innungsordnung der Leipziger Klempner geht hervor, dass die Lehrzeit vier Jahre betrug. Der Junge musste vor seiner Lossprechung ein Gesellenstück anfertigen, das entweder in einer Kaffee- oder Teekanne, einem Tischleuchter oder einer Wärmelampe bestand. Der Lehrherr bestimmte, welches Probestück gefertigt werden sollte. Er stellte die Materialien, konnte aber dafür das fertige Stück behalten und verkaufen.[55] Diese Zeitdauer der Lehre war auch bei den Kupferschmieden üblich. Abweichungen bestätigen die Regel. In Meißen meldete der prüfende Kupferschmiedemeister beim Bürgermeister die Abnahme der Gesellenprüfung an und wurde als „Schaumeister" verpflichtet. {{{1}}} In einem zwei Tage später datierten Bericht wird das Ergebnis der Gesellenprüfung festgehalten, aus dem auch hervorgeht, was für ein Gesellenstück zu fertigen war. Meißen am 17. Mai 1856 Der Fischkessel war in dieser Zeit das von den Kupferschmiedelehrlingen im Dresdner Innungsbereich zu fertigende Gesellenstück, wie das Prüfungsprotokoll von August Moritz Sydner aus Oschatz vom 29. Mai 1858 ebenfalls bestätigt.[57] Nun rückte bei allen, die das Gesellenstück verfertigt hatten, der Zeitpunkt der Freisprechung heran. Bevor diese Zeremonie näher erläutert wird, soll der nachstehende Fall schildern, welche Probleme mit der Beendigung der Lehrzeit verbunden sein konnten. Der Klempnerlehrling Mathias Sever aus Leipzig fertigte zu Ostern 1854 sein Gesellenstück beim Klempnermeister Robert Scheffler in der Ritterstraße 22. Damit beendete er seine Lehrzeit. Die restliche Lehrzeit erließ ihm der Meister. Die Lossprechung vor der Zunft konnte aber erst 14 Tage später beim nächsten Quartal erfolgen. Der Meister verwies den Lehrjungen seines Hauses und der Werkstatt. Sever hatte für diese 14 Tage weder eine Verdienstmöglichkeit noch eine Unterkunft. Da sein Vater, ein Citronen-händler, selbst nur eine Schlafstelle besaß, musste Sever auf der Treppe nächtigen. Aus diesem Grund klagte der Vater vor der Ratsstube, dass sein Sohn bis zur Lossprechung bei Meister Scheffler Unterkunft und Verpflegung erhalten solle. Der Meister argumentierte, dass er den Lehrling 14 Tage vor dem Aufbedingen aufgenommen habe, da könne er ihn auch 14 Tage früher aus dem Lehrvertrag entlassen. Bekräftigend führte er noch ins Feld, dass sich Sever jun. schlecht betragen habe, er sei nachts von der Polizei betrunken auf der Straße aufgelesen worden, sei lügenhaft usw. Ebenso warf der Meister ihm vor, dass er mit brennender Cigarre auf den Boden gegangen sei und dergleichen mehr. Der Rat entschied dennoch, dass Meister Scheffler den Lehrling bis zum Lossprechen behalten und die Kosten des Verfahrens tragen müsse."[58] Aus diesen Gründen wurden auch sonstige Aufzeichnungen selten vorgenommen. Selbst in den Zunftrechnungen haben sie die durch Freisprechung der Lehrlinge entstehenden Ausgaben oft zu verschleiern gesucht. Im Übrigen wurde die starke Disziplinargewalt, die sie über ihre Mitglieder hatten, genutzt, die Aufrechterhaltung, aber auch die absolute Geheimhaltung dieser Dinge zu erzwingen. Vielfach verlangten sie von den neu aufzunehmenden Mitgliedern einen Eid, niemandem etwas von den „Heimlichkeiten" des Handwerks zu offenbaren. Und wie streng die Innungen darüber wachten, lässt sich in den Akten nachvollziehen. Trotz scharfer Strafen ist es den Obrigkeiten, wie zahlreiche Vernehmungsprotokolle zeigen, in vielen Fällen nicht möglich gewesen, über die Entstehung von inneren Streitigkeiten von Meistern und Gesellen irgendetwas zu erfahren. Namentlich die Gesellen ließen sich eher über längere Zeit einsperren, als dass sie auch nur das Geringste den sie verhörenden Beamten mitteilten. Erst als sich die Zunftverfassung schon erheblich gelockert hatte - gegen Ende des 18. Jahrhunderts - kam es ab und zu vor, dass ein Meister, seltener ein Geselle, umfangreichere Mitteilungen machte. Meist handelte es sich dabei um einen, der von seinen Zunftgenossen irgendwie schlecht behandelt worden war und nun aus Rache seine Angaben zu Protokoll gab oder einreichte.[59]Oder aber, wie im Fall des Kupferschmiedemeisters Kleinhempel aus Annaberg, es findet sich ein Tagebuch, in dem einzelne Passagen Sitten und Gebräuche im Handwerk beschreiben. Das Freisprechen erfolgte vor der offenen Innungslade in den gemeinsamen Quartalsversammlungen in Anwesenheit der Meister und Gesellen. Sie wurden zweimal im Jahr - zu Ostern und zu Michaelis (29. September) - abgehalten. Die ordentlichen Quartalsversammlungen besaßen den Vorzug, für die Lehrlinge preiswerter zu sein. So hatte der bereits oben erwähnte Christoph Marggraph 4 Taler bei seiner Freisprechung zu entrichten. Mit Datum vom 10. Juni 1754 erklärte er schriftlich: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren in der Regel 5 Taler als Preis festgelegt - einhundert Jahre zuvor war die ganze Angelegenheit noch einen Taler billiger, wie aus der Verpflichtung des Lehrjungen Julius Marggraf zu ersehen ist.[61] In der Leipziger Klempner-Innung kostete die Lossprechung 3 Taler 18 Groschen, der Lehrbrief 2 Reichstaler, Beträge, die einen höheren Stellenwert erhalten, wenn man berücksichtigt, dass der Geselle - neben Kost und Wohnung im Haus des Meisters - höchstens 2 Taler verdiente.[62] Die von Arno Kapp in der „Illustrierten Zeitung für Blechindustrie und Installation" gemachten Angaben über die Kosten des Lossprechens differieren mit denen, die aus einem Verhandlungsprotokoll von 1817 gegen die Klempnerobermeister Brendel und Häckel hervorgehen. Danach wurden 6 Taler für das Lossprechen erhoben. Vom Lossprechgeld wurden:
Wer auf einem außerordentlichen Quartal freigesprochen werden wollte, musste mit weitaus höheren Ausgaben an die Innung rechnen. Meistens waren es Meistersöhne, die auf einem solchen Quartal freigesprochen wurden. So erging auch bei den Kupferschmieden die Einladung zum Quartal an alle zur Innung gehörenden Meister und an den Altgesellen der Gesellenbrüderschaft. Meistens lud der Altmeister oder Obermeister der Innung[64] oder dessen Stellvertreter zur Zusammenkunft ein. Außer den zünftigen Meistern nahmen an den Quartalsversammlungen ebenfalls Vertreter der Kupferschmiedebrüderschaft unter Führung des Altgesellen teil. Die Quartalsversammlungen wurden mit drei Hammerschlägen eröffnet. Ab etwa der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Zeremonie durch das Läuten einer Klingel eingeleitet. [65] Es gehörte zum Handwerksbrauch, dass drei Umfragen gemacht wurden. Die Umfragen begannen beim Altmeister bis hin zum jüngsten Meister und setzten sich vom ältesten bis zum jüngsten Gesellen fort. In diesen Fragen lag das Bestreben, dass jeder Quartalsteilnehmer zu Wort kommen und das vorbringen konnte, was ihm an dem freizusprechenden Lehrling nicht gefiel. Nicht immer ging es dabei objektiv zu. Vielmehr wurde danach gestrebt, beim Ausschreiben aus der Innung noch möglichst viel herauszuschlagen. Und das wurde besonders dann praktiziert, wenn der Lehrling aus gut situierten Verhältnissen - wie z. B. bei einem Meistersohn anzunehmen -kam. Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die Kosten dieser gemeinsamen Quartalsversammlungen aus der Innungskasse bezahlt. Ein Jahrhundert später - infolge der erlassenen Gewerbefreiheit - wurden die Zechen für die Meister aus der Innungskasse und die der Gesellen aus der Kasse der Gesellenbrüderschaft getragen. Wenn also aus der Versammlung keine Einwände kamen, sprach der Alt- oder Obermeister: „Du hast die Lehre ehrlich ausgestanden, dein vorgelegtes Gesellenstück haben wir für gut befunden, so dass du später unserem Handwerk keine Unehre bereitest. Somit spreche ich dich los im Namen unseres ehrbaren Handwerks."[66] Der Lehrbrief wurde ihm aushändigt. Waren nun die Junggesellen von den Meistern freigesprochen, mit Lehrbrief und Geburtsurkunde entlassen, dann war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie durch den Altgesellen und die Vertreter der Brüderschaft in den Kreis der Gesellen aufgenommen wurden. Der Obermeister übergab den Junggesellen in die Obhut der Altgesellen mit den Worten: „Er hat seine Lehrzeit ehrlich ausgestanden, er ist vor offener Lade frei und ledig gesprochen, machet einen ehrlichen Gesellen aus ihm, und tut der Sache nicht zu viel und nicht zu wenig."[67] Nicht weniger ruppig ging es bei den Kupferschmieden zu. Die Quartalsversammlung der Gesellenbrüderschaft wurde vom Altgesellen mit drei kräftigen Schlägen mit dem Zahlbrett auf den Tisch und bei offener Lade eröffnet. War der Altgeselle nicht anwesend - etwa bei Krankheit -, so übernahm sein Stellvertreter diese Aufgabe. Die Zeremonie folgte einem strengen Ritus. Der Altgeselle eröffnete die Versammlung mit folgenden Worten: „Mit Gunst, Ihr zünftigen wie auch wohlgewanderten Kupferknaben, da es nach löblichem Handwerksgebrauch und Gewohnheit nach verflossenem Quartal wiederum ein Quartal abzuhalten, wollen wir diesem Gebrauch auch ferner nachkommen und drei ehrliche Umfragen herumgehen lassen, und zwar die erste und die zweite vom Ältesten bis zum Jüngsten, die dritte und letzte vom Jüngsten zum Ältesten. Fremde und Zugereiste haben in der ersten Umfrage ihren Gruß zu bringen. So einer oder der andere noch nicht beim Quartal gesessen, wird er seiner Pflicht und Schuldigkeit nachkommen, sonst aber seinen höflichen Abtritt nehmen. Hat einer oder der andere etwas vorzubringen, was wider Handwerksgebrauch und Gewohnheit ist, so hat er dies in der zweiten Umfrage mit Bescheidenheit vorzubringen, sonst aber zu schweigen! Mit Gunst, ihr zünftigen wie auch wohlgewanderten Kupferknaben, da die erste ehrliche Umfrage an mir ist, so weiß ich nichts Liebes und Gutes als was der Ehre und Treue wohl ansteht, als dass die Brüderschaft heute so viel Junggesellen abzufinden hat." [69] Nach dieser Eröffnung des Quartals verlas der Altgeselle die Namen der Junggesellen, die sich für eine Aufnahme in die Gesellenbrüderschaft angemeldet hatten. Er forderte die anwesenden zünftigen Kupferknaben auf, jetzt die Missetaten der Junggesellen vorzubringen, derer sie sich während ihrer Lehre etwa schuldig gemacht hatten. Da solche Missetaten durch ein Ablassgeld an die Brüderschaftskasse abgegolten wurden, ist es verständlich, dass Geldschneiderei auf der Tagesordnung stand. Der Altgeselle schloss diesen Teil der Umfrage mit den Worten: „Mit Gunst habe ich ausgesprochen, mit Gunst geht die erste ehrliche Umfrage weiter." Nunmehr erging von einem zum anderen Teilnehmer am Quartal die Umfrage. Diejenigen, die nichts vorzubringen hatten, antworteten: „Mit Gunst, ich frage weiter" oder „Mit Gunst geht die Umfrage weiter". Der Letzte in der Runde war gewöhnlich der Junggesellen selbst, der meist keine Anmerkungen machte. War vom Altgesellen eine Strafe angeordnet, hatte der Junggeselle diese mit dem Zahlbrett einzu-heben. Weigerte sich der Junggeselle die Strafe zu bezahlen, endete der Altgeselle seinen Handwerksspruch mit dem Schlusssatz: „Mit Gunst bleibt die erste ehrliche Umfrage bei mir stehen." Wer keinen Quartalsschein vorweisen konnte und diesen Umstand Fragen_Installateure_1_Awährend der ersten Umfrage verschwiegen hatte, musste sofort den Betrag für den Erwerb eines Scheins bezahlen. Wer sich weigerte zu zahlen, musste das Lokal verlassen. Wer ablehnte zu gehen, wurde unfreiwillig und oft auch sehr unsanft hinausbefördert. Sobald die „Reinigung" der Teilnehmer am Quartal stattgefunden hatte, die Gebühren der aufzunehmenden Junggesellen beim Altgesellen bezahlt waren, eröffnete wiederum der Altgeselle mit drei Schlägen auf den Tisch die zweite Umfrage mit denselben Wortformeln wie bei der ersten Umfrage. Nun kam jeder der anwesenden Gesellen der Reihe nach vom Ältesten bis zum Jüngsten zu Wort. War gegen die aufzunehmenden Junggesellen nichts einzuwenden, wurden sie durch den Junggesellen vor die offene Lade gebracht. Sie mussten nun an der Seite des Altgesellen - gegenüber dem ältesten Mitgesellen -Platz nehmen. Sie wurden vom Altgesellen willkommen geheißen und ermahnt, sich stets so zu betragen, wie es einem ehrlichen und rechtschaffenen Kupferknaben zukommt. Dies war für die Neulinge in der Gesellenbrüderschaft der Aufnahmeakt, der ihnen noch nichts weiter abverlangte. Was nun folgte, war mit körperlichem Schmerz und in einigen Fällen auch mit Verletzungen verbunden, die in einigen Fällen zu längerem Kranksein zwangen. Aber wir wollen hier nichts vorwegnehmen und dem Ritual der Gesellenbrüderschaften dieser Zeit folgen. Nachdem sie neben dem Altgesellen Platz genommen hatten, erinnerte er daran, dass sie auch noch andere Pflichten zu erfüllen hätten, wenn sie als vollwertige Gesellen angesehen werden wollten. Dazu gehöre auch ein Gesellenname. Dieser musste extra erworben werden. Und was die Hauptsache war - auch extra bezahlt werden. Zu dieser „Taufe" musste sich der Junggeselle unter den anwesenden Gesellen einen Pfaffen und zwei Paten aussuchen und sie um diesen Dienst bitten. Hatte der Junggeselle den erwählten Pfaffen und die beiden Paten dem Altgesellen bekannt gegeben, konnte der Namenserwerb vor sich gehen. Zu diesem Zwecke wurden mit Kreide auf einer Tafelseite drei Namen aufgeschrieben. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich drei Striche.
Der Junggeselle musste nun einen der Striche abwischen und hatte den Gesellennamen, der sich gegenüber auf der anderen Tafelseite befand. Das vollständige Auslöschen eines der drei Striche, den sich der Namensanwärter aussuchen konnte, war aber nicht so leicht. Die Auswahl geschah unter erschwerten Bedingungen: Die Quartalsteilnehmer bewaffneten sich mit Holzlöffeln. Es waren meist 12 Löffel vorhanden. Die Zahl 12 deutete auf die 12 Apostel hin, denn das ganze Zeremoniell war eine Verbrämung kirchlicher Riten, weshalb es nach 1630 immer wieder zu Verboten dieser Zeremonien, ja selbst zum Verbot von Gesellenbrüderschaften kam. Den staatlichen Behörden gelang es jedoch nicht, diese Riten zu unterbinden. Während der Altgeselle und sein Stellvertreter die Tafel festhielten, klapperten die Holzlöffel in einem ohrenbetäubenden Lärm über den drei Strichen der anderen Tafelseite. Unter diesem Löffelwirbel musste der „Täufling" einen Strich auslöschen. Wenn es ihm gelang, mit einem einzigen „Über-die-Tafel-Fahren" den Strich wegzubekommen, hatte er Glück. Aber wehe dem, der mehrmals ansetzen musste. Ihm wurde die rechte Hand jämmerlich zerhämmert, sodass bei dieser schmerzhaften Prozedur die meisten Holzlöffel zerbrachen und die Junggesellen tagelang mit geschwollener rechter Hand herumlaufen mussten. Trotz dieser Erfahrung herrschte bei den Junggesellen das Gefühl vor, dass sie zukünftigen Mitgesellen diese Prozedur antun dürfen, wenn sie einst selbst zum Pfaffen oder Paten berufen werden. Glaubte der zum Namenserwerb angetretene Junggeselle, mit dieser Aktion sei die Zeremonie überstanden, sah er sich oft getäuscht. Es wurde von Seiten der Altgesellen, der ausgewählten Pfaffen und Paten alles unternommen, um aus dem Junggesellen noch mehr Geld herauszuschlagen, wenn sie vermuteten, dass dieses vorhanden war. Aus diesem Grund wurden solche Namen auf die Tafel geschrieben, die die Junggesellen nicht behalten wollten und konnten. So wurde es den Unerfahrenen von ihren „Beratern" eingeflüstert. Die oben bereits als Beispiele angeführten Gesellennamen galten als gute Gesellennamen. Solche Namen wie: Spring auf die Magd! oder: Huck auf die Magd! galten als schlechte und ebenfalls solche, die hier nicht wiedergeben werden sollen. Es ist daher nachvollziehbar, dass der ganz verschüchterte Junggeselle sich drei-, in vereinzelten Fällen auch viermal der Prozedur des Strichelöschens zum Namenserwerb unterzog, bis er endlich den richtigen Namen erhalten hatte. Das Geheimnis der Namensverleihung auf diese Art und Weise bestand darin, dass für das jedesmalige Löschen eine gesonderte Gebühr - nicht unter einer Mark[71] - zu entrichten war. Dadurch kam manchem Junggesellen sein Gesellenname recht teuer zu stehen. Waren die an der Prozedur beteiligten Junggesellen im Besitz ihres Gesellennamens und hatten sie an den Altgesellen die festgesetzte Abfindungssumme gezahlt, dann erhielt er den Gesellenschein mit folgenden Angaben: Und selbst, wenn ein Kupferschmiedegeselle außerhalb der deutschen Lande sein Handwerk erlernt hatte, erhielt er einen solchen Schein, wie Saupe in seiner „Geschichte des Verbandes der Kupferschmiede Deutschlands" belegt: Saupe stellt für die Kupferschmiede fest, dass das Ausstellen von Quartals- als auch von Vierwochenscheinen eine besondere Eigenheit der deutschen Brüderschaften war, während sich die Brüderschaften des Auslands mit dem Vorlegen des Lehrbriefs mit Gesellennamen oder, wo letzterer fehlte, mit dem Gesellenschein begnügten und den Gesellen als zünftig ansahen, der seinen Pflichten genügt habe.[74] Nach Aushändigung des Gesellenscheins wurde in der zweiten Umfrage fortgefahren. Die Junggesellen wurden in der Brüderschaft begrüßt, der Willkomm[75], je nachdem wie es sich die einzelnen Junggesellen leisten konnten, mit Wein, Bier oder einem besonderen Getränk, mit Warmbier, gefüllt.[76] Zum Handwerkszeug auf der Wanderschaft gehörte auch, die Zeremonien beim Einwandern in die Werkstätten und auf der Herberge genau zu kennen. Deshalb teilte der Altgeselle dem Junggesellen in feierlicher Form und als Fragekanon mit, wie er sich im späteren Gesellenleben zu benehmen habe. Der Altgeselle hob nun zu fragen an: „Willst du dich während der Gesellenzeit treu, fleißig, friedsam und tugendhaft verhalten? Deinem Meister, wo du in Arbeit stehst, mit gebührender Achtung als deinen Vorgesetzten behandeln und nie vergessen, dass du alles, was du zu deinem späteren Fortkommen gelernt hast, nur den Meistern und Gesellen verdankst? Willst du, was der Meister von dir verlangt, und nicht gegen die Religion und gute Sitten verstößt, treu erfüllen? Das ganze Handwerk in Ehren halten, zum Besten des Meisters alle Arbeiten nach bestem Wissen tüchtig und gut anfertigen und den Vorteil des Meisters in jeder Hinsicht und ohne Nachteil eines Anderen wahrzunehmen suchen? Willst du mit deinen Nebengesellen auf einem freundlichen Fuß leben, den reisenden Gesellen unterstützen und beim weiteren Fortkommen behilflich sein, ohne zu schmausen und zu saufen und dadurch die Arbeit des Meisters zu vernachlässigen? Willst du Sitte und Zucht in Ehren halten?"[77] Auf die Fragen musste der Junggeselle mit: „Ja, ich will" antworten. Anschließend wurden dem Junggesellen einige Handwerksgebräuche vermittelt, z. B. Fragen nach dem Namen.[78] „Wenn Du auf Wanderschaft mit einem Reisenden zusammen triffst, oder in einer Werkstatt einwanderst und nicht überzeugt bist, ob der Angetroffene z. B. ein Kupferschmied ist, so frage ihn: ,Landesaufenthalt?' Die Frage musste er mit dem Losungswort ,Gelt' beantworten."[79] Dieses Zeremoniell, auf das noch näher einzugehen sein wird, war nicht so einfach, und seine Beherrschung entschied darüber, ob der „wandernde Geselle" das Handwerksgeschenk erhielt oder nicht. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts zeigten sich mit Einführung eines Wanderbuches durch die Obrigkeit Auflösungstendenzen der bisherigen Traditionen. Quellen und Anmerkungen[Bearbeiten]
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