Sachenrecht/ Der Besitz

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Der Besitz[Bearbeiten]

Der Besitz ist eine Tatsache, kein Recht. Es gibt unmittelbaren Besitz, mittelbaren Besitz, Mitbesitz und Teilbesitz.

Unmittelbarer Besitz, §§ 854 ff.[Bearbeiten]

Der Besitzerwerb gem. § 854[Bearbeiten]

"Apiscimur possessionem corpore et animo, neque per se animo aut per se corpore".

(Wir erreichen den Besitz durch Körper und Geist, und nicht durch den Geist oder den Körper für sich alleine.)

            Besitzerwerb gem. § 854 I 		   	   Besitzerwerb gem. § 854 II
      
Erkennbare räumliche Beziehung zu der Sache für eine      Eine Einigung genügt. (Ob es sich dabei um ein Rechts-
bestimmte Dauer (nach Verkehrsauffassung) und             geschäft handelt, ist streitig.) Grund: Der Erwerber ist
Besitzbegründungswille (tatsächlicher Art).               in der Lage, die Gewalt über die Sache auszuüben.
                                                          Notwendig ist ein Besitzbegründungswille (tatsächlicher Art).
                                                          Die Einigung nach § 854 II ist streng von der Einigung
                                                          gem. § 929 zu unterscheiden.

Besitzerwerb gem. § 857[Bearbeiten]

Mit dem Tod des Erblassers erlangt der Erbe automatisch den Besitz. Mehrere Erben erlangen Mitbesitz gem. § 866. Der Erbe genießt die Besitzschutzrechte der §§ 859, 861, 862.

Besitzdienerschaft, § 855[Bearbeiten]

Besitzdiener ist nicht Besitzer, sondern nur sein Besitzherr ist Besitzer.

Voraussetzungen der Besitzdienerschaft:

  1. Soziales Abhängigkeitsverhältnis (=> Weisungsgebundenheit) (auch durch ein vermeintliches Rechtsverhältnis, z.B. nichtiger Arbeitsvertrag)
  2. Weisungsgebundene Person muss die tatsächliche Gewalt für den Besitzherrn ausüben.
  3. Erkennbarkeit dieses Verhältnisses

Anm.: Sobald der Besitzdiener erkennbar nicht mehr für seinen Besitzherrn, sondern für sich selbst besitzen will, schwingt er sich zum Eigenbesitzer auf.

Beendigung des unmittelbaren Besitzes[Bearbeiten]

Der unmittelbare Besitz endet nach § 856 I durch Besitzaufgabe (mit Besitzaufgabewillen) oder durch Verlust in sonstiger Weise (Verkehrsanschauung).

Kann der Besitz aber durch eine vorübergehende Verhinderung nicht ausgeübt werden, bleibt der Besitz dennoch erhalten (§ 856 II).

Der mittelbare Besitz, § 868[Bearbeiten]

Besitzt jemand eine Sache in einem Verhältnis, durch das er einem anderen gegenüber zum Besitz berechtigt ist (Miete, Verwahrung,..), so sind beide Besitzer. Der, der auf Zeit besitzt, ist unmittelbarer Fremdbesitzer, der andere ist mittelbarer Eigenbesitzer.

Voraussetzungen des mittelbaren Besitz:[Bearbeiten]

  1. unmittelbarer Besitz des Besitzmittlers (z.B. Mieters, Verwahrers,..)
  2. Besitzmittlungsverhältnis im Sinne des § 868
    • Rechtsverhältnis, das auf Zeit einen anderen zum Besitz berechtigt oder verpflichtet. (Es genügt ein vermeintliches Besitzmittlungsverhältnis.)
  3. Fremdbesitzerwille des Besitzmittlers (unmittelbarer Besitzer)
  4. Herausgabeanspruch (wirksam, nicht fällig!) des mittelbaren Besitzers gegen den Besitzmittler
    • Bei unwirksamem Rechtsverhältnis ergibt er sich aus § 812 oder aus § 985. Ausnahme: die unwirksame Sicherungsübereignung (kein § 985, da noch kein Eigentumserwerb und kein § 812 I 1 Alt.1, da nichts geleistet wurde).

Beendigung des mittelbaren Besitzes[Bearbeiten]

Der mittelbare Besitz endet:

  • bei Übertragung gem. § 870
  • bei Aufhebung des Besitzkonstituts
  • bei Entfallen des Herausgabeanspruchs
  • wenn der Besitzmittler den unmittelbaren Besitz verliert oder aufgibt
  • wenn der Besitzmittler sich zum Eigenbesitzer erkennbar aufschwingt oder für einen neuen Oberbesitzer besitzt.

Teilbesitz, § 865[Bearbeiten]

§ 865 lässt den Besitz an einem Teil einer Sache zu, sofern dieser Teil selbständig beherrschbar ist. Beispiele: Wohnung, Außenfläche eines Gebäudes. Dieser Sachteil kann auch wesentlicher Bestandteil gem. §§ 93, 94 sein. Für den Teilbesitz gelten die §§ 854 ff. und die Besitzschutzrechte gem. §§ 858-864.

Mitbesitz, § 866[Bearbeiten]

Der Besitz kann mehreren gleichzeitig zustehen. Es ist der schlichte vom gesamthänderischen/qualifizierten Mitbesitz zu unterscheiden.

  • schlichter Mitbesitz:
Jeder Mitbesitzer hat die Sachherrschaft.
Bsp.: gemeinsame Waschmaschine
  • gesamthänderischer oder qualifizierter Mitbesitz:
Jeder Mitbesitzer kann den Besitz nur zusammen mit den anderen Mitbesitzern ausüben.
Bsp.: Doppelschloss (Jeder hat einen Schlüssel; das Schloss kann aber nur mit beiden Schlüsseln gleichzeitig geöffnet werden.)
Anm.: Der Gesamthandbesitz ist nicht mit dem Recht an der gesamten Hand zu verwechseln!

Die Besitzschutzrechte stehen einem Mitbesitzer in Bezug auf einen anderen Mitbesitzer nicht zu, wenn dieser den Besitz innerhalb seiner Grenzen ausführt. (Bsp.: In einer WG mit einer gemeinsamen Waschmaschine darf ein Mitbewohner nicht die Kleidung des anderen aus der Waschmaschine nehmen, wenn diese noch nicht fertig ist.)

Besitz von juristischen Personen[Bearbeiten]

  • Die juristische Person ist selbst Besitzerin. Der Besitz wird durch ihre Organe ausgeübt.
  • Bei Gesamthandsgemeinschaften besitzen die Gesellschafter als qualifizierte Mitbesitzer.
  • Gleiches gilt nach h.M. für die oHG und die KG

Der Schutz des Besitzes[Bearbeiten]

Der possessorische Besitzschutz[Bearbeiten]

Dem Besitzer stehen Schutzrechte zu, wenn sein unmittelbarer Besitz durch verbotene Eigenmacht (§ 858 I) bedroht wird.

Verbotene Eigenmacht gem. § 858 I[Bearbeiten]

Voraussetzungen:

  1. Besitzentziehung oder Störung des Besitzes
  2. ohne Willen des Besitzers
  3. keine Gestattung der Entziehung oder Störung durch Gesetz

Angriffshandlungen gem. § 858 I sind widerrechtlich. Daraus folgt, dass Abwehrhandlungen rechtmäßig sind. Abwehrhandlungen können daher niemals Verletzungen iSd. § 823 sein! Eingriffsrechte sind jedoch nur auf Gesetz gegründete Akte, zB.:

  • §§ 758, 808 ZPO
  • § 150 ZVG
  • §§ 227, 229, 859, 904 BGB

Die Fehlerhaftigkeit des Besitzes (s. § 858 II 1) dient dazu, die Haftung wegen verbotener Eigenmacht auch auf den Erben des Besitzes oder einen böswilligen Nachfolger des Besitzes auszudehnen (§ 858 II 2).

Verschulden ist keine Voraussetzung der verbotenen Eigenmacht!

Die Gewaltrechte[Bearbeiten]

Der Besitzer kann sich gegen die verbotene Eigenmacht durch Abwehr der Störung gem. § 859 I (Besitzwehr) und durch Beseitigung der Besitzentziehung gem. § 859 II, III (Besitzkehr) wehren. Diese Gewalt, mit der die verbotene Eigenmacht abgewehrt wird, ist erlaubt; Abwehrhandlungen führen nicht zu einer Haftung nach § 823 I.

Abwehr der Störung gem. § 859 I (Besitzwehr)[Bearbeiten]

§ 859 I bezieht sich auf den Fall der Besitzstörung. § 859 I ist sogar anwendbar, wenn polizeiliche Hilfe zu erlangen ist (im Gegensatz zu § 229). Die Maßnahmen müssen sich jedoch im Rahmen der Erforderlichkeit halten. Wird die Erforderlichkeit überschritten, so tritt die Haftung des 823 I ein, sofern die Überschreitung verschuldet wurde.

Die Beseitigung der Besitzentziehung gem. § 859 II, III (Besitzkehr)[Bearbeiten]
Besitzkehr bei beweglichen Sachen, § 859 II

Voraussetzungen:

  1. bewegliche Sache
  2. Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht gem. § 858
  3. auf frischer Tat betroffen oder Nacheile
  4. keine Überschreitung der Erforderlichkeit
Besitzkehr bei unbeweglichen Sachen, § 859 III

Voraussetzungen:

  1. unbewegliche Sache
  2. Besitzentziehung durch verbotene Eigenmacht gem. § 858
  3. sofortige Wiedererlangung des Besitzes ("sofort" = objektiv zu verstehen, auf Kenntnis der Entziehung durch den Besitzer kommt es nicht an)
  4. keine Überschreitung der Erforderlichkeit
Ausdehnung der Gewaltrechte gem. § 859 IV sowie § 860[Bearbeiten]

Gem. § 859 IV gelten die Gewaltrechte auch gegenüber demjenigen, der den fehlerhaften Besitz gegen sich gelten lassen muss (Erbe, bösgläubiger Nachbesitzer). Nach § 860 kann der Besitzdiener die Gewaltrechte für den Besitzherrn wahrnehmen.

Die Besitzschutzansprüche (Fälle: www.rauda-zenthoefer.de)[Bearbeiten]

Die possessorischen Besitzschutzansprüche knüpfen wie die Gewaltrechte an die bloße Sachherrschaft an, nicht etwa an das relativ bessere Recht zum Besitz (im Gegensatz zu den petitorischen Ansprüchen, § 1007)

Konkurrenzfragen zwischen Gewaltrechten und Besitzschutzansprüchen[Bearbeiten]

Gewaltrechte und Besitzschutzansprüche entstehen beide im Moment des Vorliegens der verbotenen Eigenmacht. Hat der Besitzer kein Selbsthilferecht mehr, existieren nur noch die Besitzschutzansprüche weiter (1 Jahr lang, § 864 I).

Anspruch wegen Besitzentziehung, § 861 I[Bearbeiten]

Voraussetzungen:

  1. § 858
  2. Anspruchsteller war Besitzer
  3. Anspruchsgegner ist fehlerhafter Besitzer i.S.d. § 858 II
  4. kein Ausschluss nach § 861 II (vorbesitzender Anspruchsteller hat ebenfalls fehlerhaft besessen)
  5. kein Erlöschen nach § 864 (Verjährung, Gerichtsurteil)
Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch, § 862[Bearbeiten]

Voraussetzungen:

  1. § 858
  2. Anspruchsteller ist Besitzer
  3. Anspruchsgegner ist Störer
  4. kein Ausschluss nach § 862 II (vorbesitzender Anspruchsteller hat ebenfalls fehlerhaft besessen)
  5. kein Erlöschen nach § 864 (Verjährung, Gerichtsurteil)

dazu: Fallbuch „Rauda / Zenthöfer: Fälle zum Sachenrecht (Klausurentraining im Gutachtenstil)“, Richter-Verlag Dänischenhagen.

Abholungsanspruch, § 867[Bearbeiten]

Wenn die Sache auf ein anderes Grundstück gelangt ist, muss der Besitzer des Grundstücks die Wegschaffung der Sache gestatten. Dieser Anspruch auf Gestattung muss gerichtlich durchgesetzt werden (kein Selbsthilferecht zum eigenmächtigen Betreten des Grundstücks !). Nimmt der Grundstückseigentümer die Sache in Besitz, solange der andere noch Besitzer war, so entsteht ein Anspruch gegen den Grundstückseigentümer aus § 861. War die Sache bereits besitzlos, hat der Vorbesitzer gegen den Grundstückseigentümer lediglich einen Anspruch aus § 985.

Der Besitzschutz zugunsten des Mitbesitzers[Bearbeiten]

Mitbesitzer können gegeneinander keine possessorischen Besitzansprüche geltend machen. Gegenüber Dritten hat jedoch jeder Mitbesitzer die Besitzschutzansprüche des Alleinbesitzers auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes bzw. Beseitigung/Unterlassung der Störung des Mitbesitzes. Gem. § 869 S.2 Halbs.2 analog kann der Mitbesitzer auch die auch Einräumung des Alleinbesitzes verlangen.

Besitzschutz des mittelbaren Besitzers[Bearbeiten]

Der mittelbare Besitzer hat gegenüber dem unmittelbaren Besitzer keinen Besitzschutz. Er muss vielmehr auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis zurückgreifen.

Umgekehrt hat jedoch der unmittelbare Besitzer Besitzschutz gegenüber dem mittelbaren Besitzer (Bsp.: Will sich der Vermieter eines Fahrrads dieses vor der Mietzeit zurückholen, stehen dem Mieter die Gewaltrechte gem. § 859 sowie Besitzschutzansprüche gem. §§ 861, 862 zu.)

Gegenüber Dritten hat der mittelbare Besitzer Besitzschutzansprüche auf Wiedereinräumung des Besitzes an den unmittelbaren Besitzer, § 869 S.2, sofern gegenüber dem unmittelbaren Besitzer verbotene Eigenmacht verübt wurde.

Der petitorische Besitzschutz[Bearbeiten]

Der petitorische Besitzschutz, § 1007, gründet sich auf das bessere Recht zum Besitz. Er wird weiter unten sowie in der Übersicht unter www.rauda-zenthoefer.de behandelt.