Soziologische Klassiker/ Das soziologische Dorf/ Systemtheorie

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Systemtheorie[Bearbeiten]

Die Systemtheorie ist allgemein eine wissenschaftliche Theorie, in der die Forschungsobjekte als Systeme betrachtet werden.

Talcott Parsons[Bearbeiten]

Die soziologische Systemtheorie geht auf Talcott Parsons zurück. Sein Werk "The structure of Social Action" geht der Frage nach, wie soziale Ordnung entsteht. Eine Ordnung entsteht nicht wenn jedes Individuum nur nach den eigenen Kosten/Nutzen Berechnungen handelt. Es gibt noch einen normativen Rahmen in dem die Handlungen stattfinden, d.h. die soziale Ordnung basiert auf einer gemeinsamen Wertorientierung, die "richtiges" von "falschem" Handeln unterscheidet. In der Systemtheorie führt Parsons diesen Gedanken weiter und erweitert ihn um die Frage nach der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung. Um dies zu analysieren werden drei Subsysteme des Handelns eingeführt: das soziale System, das Persönlichkeitssystem und das kulturelle System. Später kommt noch das Verhaltenssystem hinzu und mit der Zuordnung von bestimmten Funktionen zu den Subsystemen entsteht das AGIL-Schema. Mehr dazu im Abschnitt Systemtheorie im Hauptartikel zu Talcott Parsons.

Niklas Luhmann[Bearbeiten]

Niklas Luhmann beschreibt in seinem Werk "Soziale Systeme" den "Grundriss einer allgemeinen Theorie". Mit seiner Systemtheorie hat er den Anspruch, den gesamten Gegenstandsbereich der Soziologie zu erfassen (damit kann sogar die Systemtheorie selbst Gegenstand der systemtheoretischen Beobachtung sein). Im folgenden werden kurz die wichtigsten Grundbegriffe von Luhmanns Systemtheorie dargestellt, eine ausführliche Beschreibung findet sich im Abschnitt Allgemeine Theorie sozialer Systeme im Hauptartikel zu Niklas Luhmann.

Komplexität[Bearbeiten]

Dieser Begriff bezieht sich auf die System-Umwelt-Beziehung. Die Umwelt des Systems stellt das System vor das Problem, reagieren zu müssen. Es gibt jedoch mehr Möglichkeiten, als das System auf einmal verarbeiten kann - dies ist die Komplexität. Die Umweltkomplexität wird vom System reduziert.

Kontingenz[Bearbeiten]

bezeichnet die möglichen Handlungen/Zustände eines Systems. Es besteht eine generelle Offenheit bzw. Nicht-Festgelegtheit des Handelns.

Doppelte Kontingenz[Bearbeiten]

Das System ist sich der eigenen Kontingenz "bewusst", gleichzeitig "weiß" es auch, dass andere Systeme in seiner Umwelt kontingent sind. Es gibt also keine Erwartungssicherheit bei den Handlungen anderer Systeme.

Zusammenhang Komplexität und Kontingenz[Bearbeiten]

Die Komplexität der Umwelt des Systems basiert auf der Kontingenz der Akteure in der Umwelt des Systems. Die eigene Kontingenz sind die Handlungsmöglichkeiten des Systems, mit denen es dieser Komplexität begegnet.

Konflikt[Bearbeiten]

Die Komplexität erzeugt Konflikte bezüglich der bearbeitbaren Ereignisse. Es muss entschieden werden, welche Reize wichtig sind (input-Seite). Die Kontingenz erzeugt Konflikte bezüglich der Handlungsalternativen auf der output-Seite. Dadurch folgt auch, dass Komplexität innerhalb des Systems durch Steuerungs- und Bearbeitungsmechanismen erzeugt wird.

Sinn[Bearbeiten]

Der Sinn ist die Ordnungsform des Systems nach dem gehandelt wird. Durch die Einteilung in sinnvolle und sinnlose Operationen wird das Handeln des Systems gesteuert. Der Sinn ist also ein internes Präferenzschema nach dem gehandelt wird. Dadurch grenzt es sich auch von seiner Umwelt ab; erstens durch die Entscheidung, was von außen ins System gelangen soll, und zweitens durch die systemeigenen Entscheidungsstrukturen oder Symbolsysteme (bspw. Fachsprache). Systeme erzeugen also einerseits Sinn (sinnkonstituierend) und werden andererseits durch Sinn erzeugt (sinnkonstituiert).

Grenze[Bearbeiten]

Wie oben schon erwähnt, grenzt sich das System durch Sinn von seiner Umwelt ab. Die Grenze trennt im Netz aller Operationen zwischen dazugehörigen und nicht-dazugehörigen Operationen das System von seiner Umwelt. Die Komplexität sinkt von außen nach innen. Die Mitglieder des Systems gehören auch zur Umwelt des Systems, da sie nie vollständig im System aufgehen (bspw. ist eine Studentin nicht nur Mitglied im System "Universität" sondern auch noch Bürgerin, Tochter, usw.)

Innenwelt[Bearbeiten]

sind die Beziehungen der Mitglieder zum System; nur systemrelevantes Handeln wird geregelt. Die bei den Mitgliedern vorhandenen Beziehungen, die nicht zum System gehören, bezeichnet man als innere Umwelt des Systems.

Außenwelt[Bearbeiten]

bezeichnet alle anderen Beziehungen zur Umwelt des Systems.

Autopoiesis[Bearbeiten]

bedeutet, dass ein System sich selbst reproduziert und zwar in dem Sinn, dass es die Elemente, aus denen es besteht mit Hilfe der Elemente, aus denen es besteht, erzeugt. Die Grenze (wie oben beschrieben) zeigt auf was zum System gehört, es wird also definiert wie das Innere des Systems auf sich selbst bezogen ist. Die Kommunikation im sozialen System verweist immer auf sich selbst, indem es nur Kommunikation erzeugt, die an bisherige Kommunikation anschlussfähig ist, also wie oben beschrieben "sinnvoll" ist. Durch diesen Prozess erzeugen sich die so genannten selbstreferenziellen Systeme fortlaufend selbst.

Operative Geschlossenheit[Bearbeiten]

Das Konzept der Autopoiese bringt aber auch mit, dass Systeme in ihrem Kern gegenüber der Umwelt geschlossene Systeme sind. Die Prozesse der Selbsterzeugung und -erhaltung des Systems sind unabhängig von der Umwelt.

Strukturelle Koppelung[Bearbeiten]

Natürlich haben Systeme trotz ihrer operativen Geschlossenheit Beziehungen zur Umwelt. Sie werden durch Umweltereignisse zu eigenen Operationen angeregt. Systeme "kommunizieren" nicht direkt miteinander, da die internen Operationen verschiedene sind. Ein direkter Eingriff in den Operationsmodus eines Systems von außen ist nicht möglich, es reagiert lediglich auf Reize von außen mit seinen eigenen Mechanismen. Beispielsweise reagiert das politische System, dessen Operationsmodus "Macht" ist (Macht haben/keine Macht haben), auf eine sich abzeichnende Wirtschaftskrise, indem es im eigenen Operationsmodus diese Krise als relevant für Macht einschätzt.

Literatur[Bearbeiten]

  • Luhmann, Niklas (1987):
    "Soziale Systeme"
    Frankfurt
  • Münch, Richard (2000):
    "Talcott Parsons In: Dirk Kaesler [Hrsg.]: Klassiker der Soziologie. Von Talcott Parsons bis Pierre Bourdieu"
    Bremen
  • Willke, Helmut (2000):
    "Systemtheorie I: Grundlagen"
    Stuttgart