Soziologische Klassiker/ Halbwachs, Maurice
Grundstruktur des Kapitels:
Biographie in Daten
[Bearbeiten]Halbwachs Maurice
- geboren am 11. März 1877 in Marne
- gestorben am 16. März 1945 in Thüringen (KZ Buchenwald)
Eltern:
Gustave (-Francois-Antoine) Halbwachs, elsässischer Professor für Deutsch
Fèlice Halbwachs, Hausfrau
Kinder:
Francis und Pierre Halbwachs
Ausbildung:
- Besuch des Lycée Michelet und des Lycée Henri-Quatre in Paris, Baccalaureat
- bis 1898 Studium der Philosophie an der École Normale Supérieure in Paris
- 1905 - 1909 Studium der Ökonomie, des Rechts und der Mathematik an der Sorbonne in Paris
- 1909 Forschungsaufenthalt in Berlin, Studium der deutschen Wirtschaftstheorie und des Marxismuns
- 1912 Einreichung der Habilitationsschrift an der Sorbonne
Berufliche Daten:
- 1901 bis 1904 Professur am Lycée in Nancy und am Lycée in Tours
- 1905 bis 1909 wichtiger Mitarbeiter von Émile Durkheim an dessen "Année Sociologique" in Paris, Betreuer der Bereiche Wirtschaft und Statistik, Mitarbeiter bei mehreren sozialistischen Zeitschriften
- 1908 bis 1909 Professur am Lycée in Reims, Marne
- 1909 Korrespondent der Zeitung "L´Humanité" in Paris
- 1914 bis 1918 Angestellter im Kriegsministerium
- 1919 Lehrbeauftragter für Philosophie an der Universität Caen, Calvados
- 1919 bis 1935 Professur an der Universität Straßburg
- 1935 bis 1944 Professur an der Sorbonne in Paris
- 1942 bis 1944 Leiter der "Annales de Sociologie" in Paris
- 1944 Ernennung zum Professor der Sozialpsychologie am Collége de France in Paris
Wichtige Ereignisse:
- 1905 Bekanntschaft mit Émile Durkheim
- 1906 Beitritt zur "Parti Socialiste Francais"
- 1909 nach einem Bericht über einen von der Polizei niedergeschlagenen
Streik in Berlin folgte die Ausweisung aus Deutschland
- 1913 Heirat mit Yvonne Basch
- 1920er bis 1940er Jahre: Beschäftigung mit dem "memoire collective"
- 1939 bis 1944 Leben in Paris, er arbeitete unter anderem mit Marcel Mauss zusammen
- 23.7.1944 Verhaftung durch die Gestapo
- 20.8.1944 Deportation in das KZ Buchenwald
Historischer Kontext
[Bearbeiten]Maurice Halbwachs war jüdischer Abstammung und arbeitete während des ersten Weltkrieges für das französische Kriegsministerium. Nach dem Krieg übernahm er einen Lehrstuhl an der französischen Universität Straßburg. Auch war er an der Universität Göttingen als Französisch-Lektor tätig. In dieser Zeit übernahm er wissenschaftliche Vermittlertätigkeit zwischen Frankreich und Deutschland. Durch Halbwachs wurde Max Weber in Frankreich bekannt.
Am 23. Juli 1944 wurde er als Sozialist von der Gestapo verhaftet, er starb acht Monate später im KZ Buchenwald.
Theoriegeschichtlicher Kontext
[Bearbeiten]Halbwachs wurde von unterschiedlichen Wissenschaftern beeinflusst:
Gottfried Leibniz (1646-1716): Jurist, Naturwissenschafter, Philosoph, Historiker, Politiker
Emile Durkheim (1858-1917): Soziologe, Lehrer von Halbwachs, spricht unter anderem von individuellen und kollektiven Repräsentationen
Henri Bergson (1859-1941): Lebensphilosophie, Existenzialismus, Lehrer von Halbwachs, entwickelt die Theorie, dass sich Erinnerung aus Bildern von abwesenden Dingen zusammensetzt. Das Gehirn akualisiert diese Bilder, um sie für eine spezifische Situation anwenden zu können. Halbwachs orientiert sich daran, nimmt allerdings eine Gegenposition zu dem Körper-Geist-Gegensatz von Bergson ein.
Marcel Mauss (1872-1950): Soziologe, Neffe von Emile Durkheim, Mitherausgeber von "L`Année sociologiqué".
Carl Gustav Jung (1875-1961): Begründer der analytischen Psychologie, Theorie des kollektiven Unbewussten, Halbwachs nimmt die Gegenposition ein.
Werke
[Bearbeiten]- Soziale Formenlehre, 1938
- La mémoire collective, Paris, 1950 (Das kollektive Gedächtnis, 1985)
- Les cadres sociaux de la mémoire, 1952
- Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, 1966
- Intellectuel en Guerres Mondiales, 1914-1945, 2003
Das Werk in Themen und Thesen
[Bearbeiten]Kollektives und individuelles Gedächtnis:
Nur Individuen haben psychische Zustände, also auch Erinnerungen. Diese sind von Gruppen bestimmt, an denen das Individuum teilnimmt. Die Erinnerungen der einzelnen Menschen stellen eine Funktion des kollektiven Gedächtnisses dar. Die möglichen Inhalte des Gedächtnisses werden durch die Partizipationsmuster der sozialen Gruppen bestimmt. Ganze Gesellschaften bilden ein kollektives Gedächtnis aus, das der eigenen Identitätssicherung und -stabilisierung dient. Für Halbwachs gibt es keinen individuellen Erinnerungsgehalt, da die Vorstellungen von vergangenen Ereignissen aus der rekursiven Rekonstruktion allgemeiner Elemente aufgebaut werden.
Kollektives und historisches Gedächtnis:
So wie einem Kind die Betrachtungsweise der Gruppe zugänglich gemacht wird, stellt es eine Verbindung mit dem Schema der Geschichte auf. Dementsprechend werden die Erinnerungen an diese Zeit vom historischen Gedächtnis geprägt. Halbwachs analysiert den Einfluss des historischen Gedächtnisses anhand der Biographie, Familienstruktur und Generationenfolge eines Individuums. Ereignisse der jüngeren Vergangenheit sind als soziale Tatsachen der aktuellen Gruppe präsent, während weiter Zurückliegendes weniger verfügbar ist, sobald das Individuum in andere Gruppen eintritt.
Die Sprache und das Gedächtnis:
Halbwachs nimmt eine innere Sprache des Menschen an und erklärt seine Theorie anhand von Träumen. Durch diese innere Sprache kann der Mensch im Traum Bilder von der Realität unterscheiden, denn er versteht, was er sieht. Dies kann nur gelingen, wenn die Abfolge der Bilder durch sprachliche und somit gesellschaftliche Formen bestimmt ist und nicht bloß durch Assoziationen auf Ebene der Bilder.
Rezeption und Wirkung
[Bearbeiten]Folgende Persönlichkeiten wurden von Halbwachs` Theorie des Kollektiven Gedächtnisses beeinflusst:
Ferdinand de Saussures (1857-1913): Sprachwissenschafter, Zeichentheorie
Kerwin Lee Klein: bezieht sich auf de Saussures` Zeichentheorie und versucht dadurch kollektives und individuelles Gedächtnis zu unterscheiden
Jan und Aleida Assman: beschäftigen sich unter anderem mit Halbwachs` Erkenntnissen
Pierre Noras: setzt sich mit Gedächtnisorten auseinander
Das Gedächtnis ist ein wesentlicher Forschungsgegenstand der Kulturwissenschaften. Aktuell wird versucht, dieses Phänomen durch Erkenntnisse aus der Neurobiologie zu erklären.
Literatur
[Bearbeiten]Microsoft Corporation [Hrsg.] (2006): Microsoft Lernen und Wissen DVD
- Kwaschik, Anne (2004):
- "Rezension von Maurice Halbwachs: Stätten der Verkündigung Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis. hrsg. und übersetzt von Stephan Egger in Sehepunkte 4
Internetquellen
[Bearbeiten]- <http://viadrina.euv-frnkfurt-o.de/-nuyken/the-dyro.html>, abgerufen am 12.04 2006
- <http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/11/6638.html>, abgerufen am 12.04.2006
- www.kfunigraz.ac.at Biografie Maurice Halbwachs, abgerufen am 12.04 2006
- <http://www.stadtarchiv.goettingen.de/personen/halbwchs.htm>, abgerufen am 12.04 2006
- <http://www.suhrkamp.de/titel/titel.cfm?bestellnr=28138>, abgerufen am 12.04.2006
- <http://www.uni-tuebingen.de/TZW/wa/ged/soz/halbwachs.html>, abgerufen am 12.04.2006
- <http://www.uni-tuebingen.de/TZW/wa/ged/soz/soz-docs/d1/Halbwachs50.html>, abgerufen am 12.04.2006
- <http://www.uni-tuebingen.de/TZW/wa/ged/soz/soz-docs/d1/Halbwachs25-4.html>, abgerufen am 12.04 2006
- <http://www.uni-tuebingen.de/TZW/wa/ged/soz/soz-docs/d1/Halbwachs25-2.html>, abgerufen am 12.04.2006
- <http://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Halbwachs>, abgerufen am 21.04. 2006