Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Das Versäumnisverfahren
Ein wichtiges Mittel, um eine zügige Prozessführung sicherzustellen, ist die Sanktionierung der Säumnis der Parteien durch das in den §§ 330 ff. ZPO geregelte Versäumnisverfahren. Die Behandlung der Säumnis im Urteil ist absoluter Klausurenstandard im zweiten Examen.
Voraussetzungen
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Voraussetzungen für Erlass eines VU
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§ 335 listet, negativ formuliert, allgemeine Voraussetzungen für das Ergehen einer Säumnisentscheidung auf. Besonders relevant, vor allem auch in der Klausur, ist dabei § 335 Abs. 1 Nr. 2 ZPO: nur gegen eine ordnungsgemäß geladene Partei kann ein VU ergehen. Ansonsten muss zwischen Kläger und Beklagtem unterschieden werden:
Säumnis des Klägers
[Bearbeiten]Erscheint der Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung (bei Anwaltszwang gilt auch die nicht anwaltlich vertretene Partei als nicht erschienen) oder verhandelt er nicht zur Sache (§ 333 ZPO), ergeht gegen ihn auf Antrag ein klageabweisendes Versäumnisurteil, wenn die Klage zulässig war, § 330 ZPO. Schlüssigkeit und Begründetheit der Klage werden dabei nicht geprüft. Ist die Klage unzulässig, ergeht grundsätzlich ein klageabweisendes Prozessurteil ("unechtes Versäumnisurteil").
Nur wenn der Beklagte durch rügelose Einlassung (§ 39 ZPO) die fehlende Zulässigkeit heilen kann, hat er die Wahl ein klageabweisendes Prozessurteil oder ein echtes Versäumnisurteil zu beantragen. Voraussetzung für ein echtes Versäumnisurteil ist, dass der Beklagte die Sachurteilsvoraussetzungen darlegt und beweist. Vorteil für den Beklagten ist, dass in diesem Fall anders als beim Prozessurteil über den eingeklagten Anspruch endgültig entschieden ist, wenn das Versäumnisurteil rechtskräftig wird.
Säumnis des Beklagten
[Bearbeiten]Der Beklagte ist säumig, wenn er im schriftlichen Vorverfahren seine Verteidigungsabsicht nicht rechtzeitig, also innerhalb der Notfrist von 2 Wochen gem. § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO, anzeigt (§ 331 Abs. 3 S. 1) oder in der mündlichen Verhandlung nicht erscheint, § 331 Abs. 1 S. 1, bzw. nicht verhandelt, § 333 ZPO.
Folge ist, dass mit Ausnahme des Vortrags zu einer Erfüllungsorts- oder Gerichtsstandsvereinbarung das gesamte Vorbringen des Klägers in der Klageschrift und seinen sonstigen Schriftsätzen als zugestanden gilt (§ 331 Abs. 1 S. 1 ZPO). Früheres Bestreiten des Beklagten wird damit irrelevant. Wenn die Klage schlüssig ist, hat das Gericht dann auf Antrag des Klägers ein stattgebendes Versäumnisurteil zu erlassen. Tatsachenvortrag, der erst in der mündlichen Verhandlung vom Kläger vorgebracht wird, ist dabei jedoch unbeachtlich. Ist die Klage unschlüssig wird sie bei Antrag des Klägers auf ein VU durch ein sog. "unechtes Versäumnisurteil" als unbegründet abgewiesen, § 331 Abs. 2 HS. 2 ZPO. Dabei handelt es sich um ein streitiges Urteil. Der Kläger muss aber zuvor nach § 139 ZPO auf die Unschlüssigkeit der Klage hingewiesen werden.
Beiderseitige Säumnis
[Bearbeiten]Sind beide Parteien säumig, kann das Gericht gem. § 251a ZPO nach Aktenlage entscheiden, das Verfahren vertagen, oder das Ruhen des Verfahrens anordnen.
Versäumnisurteil
[Bearbeiten]Inhalt
[Bearbeiten]Nach § 313b ZPO besteht das Versäumnisurteil, wenn es nicht im Ausland vollstreckt werden soll, nur aus Rubrum und Tenor. Das VU muss mit "Versäumnisurteil" überschrieben werden. Das unechte Versäumnisurteil ist gewöhnliches Prozess-, bzw. Endurteil und benötigt daher einen Tatbestand und Entscheidungsgründe.
Tenor
[Bearbeiten]In der Hauptsache- und Kostenentscheidung unterscheidet sich das VU nicht von einem normalen stattgebenden Urteil. Echte Versäumnisurteile sind nach § 708 Nr. 2 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu erklären.
Rechtsbehelf
[Bearbeiten]Das Versäumnisurteil ist ein scharfes Schwert - gegebenenfalls kann durch Säumnis einer der Parteien ein faktisch und rechtlich nicht bestehender Anspruch rechtskräftig tituliert werden. Gegen das echte Versäumnisurteil kann daher immer, also ohne dass die säumige Partei eine Entschuldigung für ihre Säumnis vorbringen muss, Einspruch eingelegt werden, § 338 ff. ZPO.
Zulässigkeit des Einspruchs
[Bearbeiten]Der Einspruch ist zulässig, wenn er statthaft ist und form- und fristgerecht eingelegt wird. Statthaft ist der Einspruch, wenn im Rahmen einer zweiwöchigen Notfrist (§ 339 ZPO) eingelegt wird.
Ist der Einspruch zulässig, wird dann gem. § 342 ZPO das Verfahren in den Stand vor Eintritt der Säumnis zurückversetzt, das VU wird jedoch (noch) nicht aufgehoben. Das Verfahren wird unter Hinwegdenken des Säumnistermins (und aller dort gestellten Anträge und Vorbringen) fortgesetzt und die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage normal durchgeprüft. Je nach Ergebnis der Prüfung wird dann das bereits ergangene Versäumnisurteil bestätigt oder ganz oder teilweise aufgehoben, § 343. Hintergrund dieser Regel ist, dass die obsiegende Partei zwei Vollstreckungstitel hätte, würde man statt der Aufrechterhaltung des VU im Tenor (erneut) den Klageantrag tenorieren.
Ist der Einspruch hingegen unzulässig, bleibt das VU bestehen und der Rechtsstreit ist in dieser Instanz beendet. In diesem Fall wird der Einspruch durch ein Endurteil verworfen, § 341. Rechtsmittel gegen dieses Urteil ist die Berufung, § 511 ZPO.
Tenorbeispiele
[Bearbeiten]Einspruch des Beklagten
[Bearbeiten]Einspruch unzulässig
[Bearbeiten]- I. Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts Berlin vom 3. Oktober 2013 wird als unzulässig verworfen.
- II. Der Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Einspruch zulässig, die Klage aber in vollem Umfang erfolgreich
[Bearbeiten]- I. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Berlin vom 3. Oktober 2013 wird aufrechterhalten.
- II. Der Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Einspruch zulässig, die Klage teilweise erfolgreich
[Bearbeiten]- I. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Berlin vom 3. Oktober 2013 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Beklagte zur Zahlung von 5000,00 € an den Kläger verurteilt wird. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
- II. Die durch die Säumnis des Beklagten bedingten Kosten hat der Beklagte zu tragen. Im Übrigen hat der Kläger 3/10, der Beklagte 7/10 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Einspruch zulässig, die Klage aber vollständig unbegründet
[Bearbeiten]- I. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Berlin vom 3. Oktober 2013 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
- II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Säumnis zu tragen.
- III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, der Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.