Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO

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Mit der Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO kann ein Dritter in dessen Rechte durch die Zwangsvollstreckung eingegriffen würde, gegen den Vollstreckungsgläubiger vorgehen mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung in einen bestimmten Gegenstand rechtsgestaltend für unzulässig zu erklären. Sie hat mit der Vollstreckungsabwehrklage gemeinsam, dass sie sich auf das materielle Recht stützt.

Sinn und Zweck[Bearbeiten]

Wie für die Vollstreckungsabwehrklage ergibt sich die Notwendigkeit für die Drittwiderspruchsklage aus der begrenzten rechtlichen Prüfung durch die Vollstreckungsorgane. So muss der Gerichtsvollzieher bei der Pfändung beweglicher Sachen lediglich sicherstellen, dass sie sich im Gewahrsam des Vollstreckungsschuldners befinden, nicht aber die Eigentumsverhältnisse feststellen.[1] Der Dritte muss in diesem Fall seine Rechte selbst geltend machen. Hierzu dient die Drittwiderspruchsklage.

Zulässigkeit[Bearbeiten]

Statthaftigkeit[Bearbeiten]

Statthaft ist die Drittwiderspruchsklage, wenn ein Dritter (also nicht der Gläubiger oder Schuldner) behauptet, ihm stünde an dem Gegenstand, in den vollstreckt werden soll, ein die Veräußerung hinderndes Recht zu. Zu diesem Begriff siehe unten bei der Begründetheit.

Prozessführungsbefugnis[Bearbeiten]

Die Prozessführungsbefugnis entspricht der Sachbefugnis bei der Vollstreckungsabwehrklage. In der Regel steht sie aktiv dem Dritten zu, der von der Zwangsvollstreckung betroffen ist, obwohl er nicht deren Schuldner ist. Passiv prozessführungsbefugt ist der Vollstreckungsgläubiger.

Zuständigkeit[Bearbeiten]

Nach § 771 ZPO ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung stattfindet. Diese örtliche Zuständigkeit ist ausschließlich, § 802 ZPO. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Streitwert (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG) und ist nicht ausschließlich. Daher kann die sachliche Zuständigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung (§ 38 ZPO) und rügelose Einlassung (§ 39 ZPO) begründet werden.

Rechtsschutzbedürfnis[Bearbeiten]

Die reine Existenz eines Titels genügt noch nicht für eine Drittwiderspruchsklage, da noch nicht klar ist, ob überhaupt in Rechte des Dritten eingegriffen wird. Ausnahme sind Titel auf Herausgabe einer konkreten Sache, an der der Dritte Rechte hat. Bei nichtigen Vollstreckungsakten (z.B. Pfändung einer Forderung, die dem Schuldner gar nicht zusteht) besteht trotzdem ein Rechtsschutzbedürfnis, um den Rechtsschein der wirksamen Pfändung aufzuheben.

Das Rechtsschutzinteresse entfällt, sobald die Zwangsvollstreckung durch Auskehr des Erlöses, Zahlung des Drittschuldners oder Freigabe des gepfändeten Gegenstandes beendet ist. Ein erfolgloser Pfändungsversuch lässt das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen, solange ein weiterer Versuch nicht ausgeschlossen ist. Anders als bei der Vollstreckungsabwehrklage schließt die grundsätzlich einfachere und billigere Vollstreckungserinnerung die Drittwiderspruchsklage regelmäßig nicht aus, da beide Rechtsbehelfe unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen. Das Rechtsschutzbedürfnis soll nur entfallen, wenn die Erinnerung erkennbar ohne jedes Risiko erfolgreich sein wird, was in der Praxis wenig realistisch ist.[2]

Fällt das Rechtsschutzbedürfnis nach Rechtshängigkeit der Drittwiderspruchsklage weg, weil z.B. der Erlös ausgekehrt wird, kann der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklären und seine Klage auf Zahlung von Schadensersatz oder Herausgabe der Bereicherung umstellen. Dabei handelt es sich nach § 264 Nr. 3 ZPO nicht um eine Klageänderung.

Rechtsbehelfsfremde Ansprüche[Bearbeiten]

§ 771 ZPO ist der abschließende Rechtsbehelf für den von der Zwangsvollstreckung betroffenen Dritten, der materiell-rechtliche Einwendungen geltend macht, solang die Drittwiderspruchsklage noch zulässig ist. Ansprüche auf Herausgabe der gepfändeten Sache oder Schadensersatz sind daher solang unzulässig, wie die Zwangsvollstreckung noch nicht beendet ist.[3]

Begründetheit[Bearbeiten]

Die Drittwiderspruchsklage ist begründet, wenn dem Kläger ein die Veräußerung hinderndes Recht zusteht und dessen Geltendmachung nicht durch eine Einwendung des Beklagten ausgeschlossen ist.

Die Veräußerung hinderndes Recht[Bearbeiten]

Der Ausdruck ist missverständlich. Das deutsche Recht kennt keine Rechte, die die Veräußerung eines Gegenstandes definitiv ausschließen. Wie § 932 BGB zeigt, schützt selbst das Eigentum nicht vor Veräußerung. Nach dem BGH liegt ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO vor, wenn der Schuldner den Gegenstand nicht veräußern könnte, ohne in den Rechtskreis des Dritten einzugreifen, so dass der Dritte den Schuldner an der Veräußerung hindern könnte.[4]

Die wichtigsten die Veräußerung hindernden Rechte:

  • Eigentum
  • Vorbehaltseigentum (es besteht aber die Möglichkeit, das Anwartschaftsrecht mitzupfänden und den Restkaufpreis an den Vorbehaltsverkäufer zu bezahlen)
  • Sicherungseigentum
  • Inhaberschaft an Rechten (v.a. Forderungen)
  • Uneigennützige Treuhand
  • Beschränkte dingliche Rechte (Nießbrauch, Erbbaurecht, dingliches Wohnrecht, Grundpfandrecht etc.)
  • Berechtigter Besitz an beweglichen Sachen (herrschende Meinung, aber umstritten)
  • Schuldrechtliche Herausgabeansprüche[5] (aber nicht Verschaffungsansprüche)

Einwendungen des Beklagten[Bearbeiten]

Der beklagte Vollstreckungsgläubiger kann zum einen Einwände gegen das die Veräußerung hindernde Recht vorbringen, zum anderen Verstöße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Einwendungen[Bearbeiten]

  • Das die Veräußerung hindernde Recht wurde durch Scheingeschäft (§ 117 BGB) erworben
  • Übereignung ist nichtig wegen Sittenverstoß (§ 138 BGB), z.B. wegen Übersicherung
  • Einrede nach § 9 AnfG, wenn das die Veräußerung hindernde Recht durch anfechtbares Rechtsgeschäft entstanden ist

Verstoß gegen Treu und Glauben[Bearbeiten]

Haftet der Kläger materiell-rechtlich (auch) für die titulierte Forderung steht der Drittwiderspruchsklage der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.

  • Kläger ist persönlich haftender Gesellschafter (§ 128, § 161 Abs. 2 HGB) des Vollstreckungsschuldners
  • Kläger ist Bürge (§ 765 Abs. 1 BGB) für die titulierte Forderung
  • Kläger haftet als Gesamtschuldner (§ 421 BGB) mit für die titulierte Forderung

Urteil[Bearbeiten]

Die Drittwiderspruchsklage ist wie ein normales Erkenntnisverfahren zu behandeln.

Der Tenor der stattgebenden Klage kann wie folgt gefasst werden:

Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juni 2013, 16 O 182/12 in den Pkw "Opel Corsa", Baujahr 1998, amtl. Kennzeichen B 23-938, Fahrgestellnummer W0L000051T2123456, wird für unzulässig erklärt.

Das stattgebende Urteil muss ganz und nicht nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden, da der Kläger sonst erst bei Eintritt der formellen Rechtskraft die Einstellung der Zwangsvollstreckung durchsetzen kann (§ 775 ZPO setzt eine vollstreckbare Entscheidung voraus). Die Sicherheitsleistung nach § 708 Nr. 11, § 709 ZPO bemisst sich nach dem Wert der Sache, in die nicht mehr vollstreckt werden darf, bzw. nach der Höhe der zu vollstreckenden Forderung, wenn diese niedriger ist. § 709 S. 2 ZPO ist nicht anwendbar, die Sicherheit muss daher in einer absoluten Zahl festgelegt werden.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Eine Ausnahme gilt für Fälle in denen das fehlende Eigentum evident ist. In diesem Fall hat der Dritte die Wahl zwischen der Drittwiderspruchsklage und der Vollstreckungserinnerung nach § 766, BackOK ZPO-Preuß, Stand 1.1.2014, § 766 Rn. 68.
  2. So Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, 9. Aufl. 2010, Rn 585; Kaiser, Die Zwangsvollstreckungsklausur im Assessorexamen, 3. Aufl. 2010, Rn 3
  3. Musielak-Lackmann 10. Aufl. 2013 § 771 Rn. 5
  4. BGH NJW 1971, 799
  5. z.B. aus Miete (§ 546 BGB), Pacht (§ 581 BGB iVm § 546 BGB) oder Leihe (§ 604 BGB)