Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung

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Obwohl das Zwangsvollstreckungsverfahren als formalisiert gilt und insbesondere nicht die materielle Rechtmäßigkeit des Vollstreckungstitels geprüft wird, hat das Vollstreckungsorgan eine ganze Reihe von Voraussetzungen zu prüfen, bevor die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden kann.

Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen[Bearbeiten]

Wie im Erkenntnisverfahren müssen auch für das Vollsteckungsverfahren die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen vorliegen, die noch keinen spezifischen Vollstreckungsbezug haben. In der Klausur sind die Verfahrensvoraussetzungen nur anzusprechen, wenn sich dort Probleme ergeben.

Vollstreckungsantrag[Bearbeiten]

Auch in der Zwangsvollstreckung gilt die Dispositionsmaxime. Die Vollstreckung erfolgt daher nur auf Antrag des Gläubigers (eine Ausnahme normiert § 87 FamFG). Der Antrag ist formlos, Anwaltszwang herrscht nur, wenn das Landgericht als Prozessgericht auch zuständiges Vollstreckungsorgan ist.

Zuständigkeit[Bearbeiten]

Das Vollstreckungsorgan bei dem der Antrag gestellt wird muss örtlich und funktionell zuständig sein. Die örtliche Zuständigkeit hängt regelmäßig vom Ort ab, an dem die Vollstreckungshandlung durchgeführt werden soll (siehe für das Vollstreckungsgericht § 764 Abs. 2 ZPO). Die möglichen Vollstreckungsorgane mit ihren jeweiligen Zuständigkeiten sind:

Gerichtsvollzieher (§ 753 ZPO)[Bearbeiten]

  • Vollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche Sachen
  • Vollstreckung wegen Herausgabeansprüchen auf bewegliche und unbewegliche Sachen
  • Abnahme der Vermögensauskunft
  • Unterstützung anderer Vollstreckungsorgane

Vollstreckungsgericht[Bearbeiten]

  • Vollstreckung wegen Geldforderungen in Forderungen und sonstige Vermögensrechte
  • Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach bürgerlichem Recht gem. § 889 ZPO, z.B. wegen eines Anspruchs aus § 259 Abs. 2, § 260 Abs. 2, § 2028 Abs. 2 und § 2057 S. 2 BGB
  • Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, § 869 ZPO § 1 ZVG

Grundbuchamt[Bearbeiten]

  • Eintragung von Zwangshypotheken ins Grundbuch, § 866 ff. ZPO

Prozessgericht[Bearbeiten]

  • Erwirkung von vertretbaren und unvertretbaren Handlungen (§ 887 bzw. § 888 ZPO)
  • Vollstreckung von Titeln auf Unterlassung oder Duldung (§ 890 ZPO)
  • Verurteilung zur Abgabe einer Willenserklärung (§ 894 ZPO)

Deutsche Gerichtsbarkeit[Bearbeiten]

Gegen ausländische Diplomaten kann keine Zwangsvollstreckung erfolgen, §§ 18 ff. GVG.

Zulässigkeit des Rechtswegs[Bearbeiten]

Die Vollstreckung nach der ZPO findet statt aus den in § 704 und § 794 genannten Titeln. Andere Titel können nur nach ZPO vollstreckt werden, wenn die Anwendung angeordnet wird, z.B. § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG.

Parteifähigkeit[Bearbeiten]

Nach herrschender Meinung muss das Vollstreckungsorgan die Parteifähigkeit prüfen, wenn das nicht schon das Prozessgericht im Erkenntnisverfahren gemacht hat. Von der Prüfung durch das Prozessgericht ist auszugehen, wenn ein Sachurteil erlassen wurde. Auch dann muss die Parteifähigkeit jedoch erneut geprüft werden, wenn neue Tatsachen eingetreten sind, die die Parteifähigkeit in Zweifel stellen.

Prozessfähigkeit[Bearbeiten]

Das Vollstreckungsorgan ist an die Überprüfung der Prozessfähigkeit im Erkenntnisverfahren gebunden, es sei denn es sind neue Tatsachen eingetreten. Anders als bei der Parteifähigkeit genügt nach der Rechtsprechung jedoch keine stillschweigende Bejahung durch Erlass des Urteils.[1]

Prozessführungsbefugnis[Bearbeiten]

Haben mehrere Streitgenossen einen Titel erwirkt und weigert sich einer von ihnen, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, stellt sich die Frage nach der Prozessführungsbefugnis in der Zwangsvollstreckung.

Rechtsschutzinteresse[Bearbeiten]

Das Rechtsschutzinteresse kann bei völliger Aussichtslosigkeit des Vollstreckungsantrags im Ausnahmefall vorliegen, z.B. bei erneutem Antrag unmittelbar nach erfolgloser Vollstreckung. Auch bei Bagatellbeträgen besteht hingegen nach herrschender Meinung ein Rechtsschutzinteresse.[2] Ansonsten wäre die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auf kleine Beträge praktisch ausgeschlossen. Allerdings hat der Schuldner die Kosten der Zwangsvollstreckung nach § 788 ZPO nur zu tragen, wenn er zuvor zur Zahlung aufgefordert wurde.

Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen[Bearbeiten]

Diese Voraussetzungen müssen immer erfüllt sein, damit die Zwangsvollstreckung stattfinden darf.

Vollstreckungstitel[Bearbeiten]

Die Zwangsvollstreckung darf nur aus öffentlichen Urkunden betrieben werden, für die das Gesetz explizit bestimmt, dass die Zwangsvollstreckung aus ihnen betrieben werden darf. Der Titel teilt dem Vollstreckungsorgan mit, wer Gläubiger und Schuldner sind, was der Inhalt des Anspruchs ist und in welchem Umfang vollstreckt werden soll.

Arten von Titeln[Bearbeiten]

Die Vollstreckung findet insbesondere statt aus Endurteilen, § 704 ZPO, den in § 794 Abs. 1 ZPO genannten Urkunden und diversen sonstigen Titeln (Entscheidungen des Familiengerichts, Involvenzpläne, Arbeitsgerichtsentscheidungen, ausländische Urteile, Schiedssprüche usw.).

Anforderungen an den Titel[Bearbeiten]

Der Inhalt des Titels muss vollstreckungsfähig sein, also auf eine mögliche Leistung des Schuldners gerichtet sein. Er muss außerdem hinreichend bestimmt sein. Die Vollstreckungsorgane müssen aus dem Titel selbst heraus in der Lage sein, den Tenor auszulegen. Äußere Umstände dürfen grundsätzlich nicht miteinbezogen werden. Ausnahme sind Urteile, bei denen Tatbestand und Entscheidungsgründe in die Auslegung einfließen dürfen, bzw.m wenn keine Entscheidungsgründe im Urteil enthalten sind (VU, Anerkenntnis), der Inhalt der Klageschrift. Die immer wieder vorkommende Falschtenorierung zur Zahlung von "5% Zinsen über dem Basiszinssatz" ist auszulegen als "5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz".[3]

Vollstreckungsklausel[Bearbeiten]

Die Zwangsvollstreckung findet nach § 724 ZPO grundsätzlich nur aus mit der Vollstreckungsklausel (§ 725 ZPO) versehenen vollstreckbaren Ausfertigungen statt.[4] Sinn und Zweck des Klauselerteilungsverfahrens ist die Entlastung der Vollstreckungsorgane: Die Prüfung, ob die Klausel erteilt werden soll, setzt häufig Kenntnis der Urteilsgründe oder Verfahrensakten des Erkenntnisverfahrens voraus. Zudem stellt das Klauselerteilungsverfahren sicher, dass Sach- und Rechtsfragen durch eine nach § 725 Abs. 2, § 802 ZPO zentrale ausschließlich zuständige Instanz einheitlich entschieden werden und der Ausgang des Vollstreckungsverfahrens nicht von der Ansicht eines zufälligen Gerichtsvollziehers abhängt.[5]

Zustellung des Vollstreckungstitels[Bearbeiten]

Grundsätzlich muss der Titel vor Beginn der Zwangsvollstreckung dem Schuldner zugestellt worden sein, § 750 Abs. 1 S. 1, § 795 ZPO.[6]

Zustellungsmängel führen nicht zur Nichtigkeit, sondern zur Anfechtbarkeit von Vollstreckungsakten, die sich auf den mangelhaft zugestellten Titel stützen. § 189 ZPO ist auch im Vollstreckungsverfahren anwendbar. Der Schuldner kann den Mangel mit der Vollstreckungserinnerung gem. § 766 ZPO oder der sofortigen Beschwerde gem. § 793 ZPO geltend machen.[7]

Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen[Bearbeiten]

Die Vollstreckungsklausel kann auch erteilt werden, wenn die Vollstreckung eines Titels von bestimmten, einfach zu prüfenden Bedingungen abhängig ist.

Mögliche Bedingungen sind

  • der Eintritt eines Kalendertages § 751 Abs. 1 ZPO
  • der Nachweis der Sicherheitsleistung durch den Gläubiger § 751 Abs. 2 ZPO
  • Vollstreckung nur gegen Zug-um-Zug-Leistung des Gläubigers, § 756 ZPO, § 765 ZPO

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. MüKoZPO-Heßler, 4. Aufl. 2012, § 750 Rn. 20 m.w.N.
  2. MüKoZPO-Heßler, 4. Aufl. 2012, § 753 Rn. 51 m.w.N.
  3. OLG Hamm, NJW 2005, 2238
  4. Wichtigste Ausnahmen: Vollstreckungsbescheid, § 796 Abs. 1 ZPO; Arrest und einstweilige Verfügung, § 929 Abs. 1, § 936 ZPO
  5. MüKoZPO-Wolfsteiner, 4. Aufl. 2012, § 724 Rn 2
  6. Wichtigste Ausnahmen sind wiederum Arrest und einstweilige Verfügung nach § 929 Abs. 3 S. 1, § 936 ZPO
  7. MusielakZPO-Lackmann, 10. Aufl. 2013, § 750 Rn 15.