Zur Psychologie des Heimwehs: Heimat

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3. Heimat -ein alltäglicher, aber schwieriger Begriff[Bearbeiten]

3.1 Heimat -die "Bühne des Lebens": W. BREPOHLs Heimatbegriff[Bearbeiten]

Direkt hier anschließend möchte ich die Gedanken referieren, die Prof. Dr. W. BREPOHL (Dortmund -Münster) bei seinem Vortrag mit dem Titel "Heimat und Heimatgesinnung als soziologische Begriffe und Wirklichkeiten" im Rahmen der 2. Fachtagung "Das Recht auf Heimat" im Jahre 1958 in Königstein/Taunus darlegte. (aus: Rabl (Hrsg.), München, 1959, S.13-27) "Heimat" ist für BREPOHL "ein zwischenmenschlicher Zusammen­hang." (ebd. S.14) Es ist der "Raum", an dem der Mensch die Welt entdeckt und in der er einen aktiven Einfluß auf diese hat. BREPOHL spricht, etwas trivial, genau das aus, was wir vorher explizit bei BOWLBY erkannt haben: Der Mensch wächst in einer Wechselbezie­hung mit seiner Umwelt (Mutter-Kind-Beziehung) auf. Den Ort dieser Entwicklung nennt BREPOHL "Heimat". Es sind vier Sphären, in denen sich "Heimat"vollzieht:

  1. Die biologische: Er (BREPOHL) meint damit die menschliche Ten­denz, das Verhalten des anderen nachzuahmen.
  2. Die sprachlich-bewußtseinsmäßige: er denkt hier an die Tatsache, daß der Mensch sich über das Erlernen der Sprache bestimmte Werte aneignet.
  3. Die regionale: Hier erst spricht BREPOHL explizit von physischem Raum, die konkrete Umwelt, die einen Menschen prägt, die er mit seine frühen Erfahrungen aufnimmt.
  4. Die soziale: Damit meint er den "sozialen Raum" (BREPOHL: Die Heimat als Beziehungsfeld; in: Soziale Welt; Band 3 (1952), S.15),


5 Hier wird die Subjektivität eines jeden einzelnen Heimatverständnisses deutlich, die im Widerspruch steht zu einer Gleichsetzung von Vaterland und Heimat, da hier ein abstraktes Konstrukt mit einem individuellen Begriff verglichen wird. das gesellschaftliche Gefüge, in dem der Mensch lebt, wo er mit seiner Umwelt interagiert, wo er geformt wird und wo er seine Umgebung formt. Wichtig scheint mir vor allem BREPOHLs Erkenntnis, den Begriff Heimat vom reinen Bodenbezug zu trennen und seinen sozialen, zwi­schenmenschlichen Aspekt hervorzuheben. Seiner Meinung nach ist gerade dieses "der Kern des Heimatphänomens"(ebd. S.21) Es sind die Beziehungen zwischen den Menschen, ob es sich um Verwandte, Bekannte oder auch Unbekannte 6 handelt, dieses Mit­einanderleben macht das Gefühl von Heimat aus, das an einem be­stimmten Raum stattfindet. Um diese Begriffswandlung deutlicher zu machen, möchte ich BREPOHLs Ideen noch ein wenig ausführen, um dann in einem ge­schichtlichen Abriss von BAUSINGER die verschieden Stationen dieser Entwicklung zu verdeutlichen. "So wenig die Luft schon das Leben ist, ist der Raum schon die Heimat."(BREPOHL, 1952; S.12) BREPOHL führt in seinem Aufsatz aus, daß Heimat mehr als das Milieu des Menschen ist. Es ist vielmehr der subjektive Ort des Individuums, an dem der Mensch in seiner Umwelt aktiv ist. Sein Verhältnis zur Umwelt ist nicht passiv, sondern er steht mit ihr in ständiger Interaktion, somit ist Heimat das "Werk des Menschen." (ebd. S.13) Der Mensch wächst in ein festes "soziales Gefüge" hinein, in dem Normen und Werte vorgegeben sind und in der Regel übernommen werden. Der Status des Anderen wird nicht hinterfragt, sondern als gegeben akzeptiert.7 BREPOHLs Meinung nach entwickelt sich das Heimatgefühl durch das Introjezieren des Erlebens, Fühlens und Er­fahrens der verschiedenen Elemente der Heimat. Das Individuum beginnt die Welt in seinem überschaubaren Umfeld zu entdecken, und es vergleicht spätere Erfahrungen immer mit den ersten heimatlichen Erlebnissen. "Es ist entscheidend für die Struktur und den Wert der 6 Heinrich BÖLL schreibt, daß es die Menschen sind, die man auf der Straße trifft, deren Namen und Geschichte aber nicht kennt, welche Heimat ausmachen.(H.Böll: Stadt der alten Gesichter; aus: Bienek (Hrsg.): Heimat; München, Wien 1985) 7 Hier setzt die Kritik ROTHs (1991) ein, indem er infrage stellt, daß ein soziales Gefüge, wie die Familie, einen positiven Einfluß auf die individuelle Entwicklung hat. Roths Meinung nach ist die Familie vielmehr ein "konservativ-retardierender Faktor", während die Kultur einen fortschrittlichen Aspekt hat. Heimat, daß sie genetisch die erste erlebte Wirklichkeit einer Welt gibt, von der es beliebig viele Varianten gibt."(ebd. S.17) So entsteht das Gefühl der Bindung an die vertrauten Elemente der Heimat. Es sind nicht die einzelnen Elemente, die dieses Gefühl tragen, sondern ihre Ganzheit, darum nennt BREPOHL Heimat eine "erlebte Ganzheit".(S.17) Bei einer Trennung des Menschen von seiner Heimat driften die be­kannten erlebten Elemente und das sie erlebende Individuum ausein­ander, "das ... verblaßt, wird blutleer und die neue Umwelt entbehrt des Gefühlstons. Für BREPOHL ist dies ein Bruch im Inneren der Betroffenen, der "daran erkrankt oder leiden (kann)."(ebd. S.18) BREPOHL ging zuerst davon aus, daß die Entwicklung eines Heimat­gefühls ein so starkes emotionales Engagement erfordert, daß ein Mensch dieses nur einmal während seines Lebens leisten kann und er sich somit nur an einem Ort heimisch fühlen kann. (vgl. BREPOHL 1952, S.15) Später modifizierte er seine Theorie: Aufgrund der Tat­sache, daß es viele Menschen gibt, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden (und noch vertrieben werden), hat er ein dynamisches Modell entwickelt, in dem Heimat ein solches menschliches Grundbedürfnis ist, welches unbedingt befriedigt werden muß, und er somit immer auf der Suche nach einer neuen Heimat und mit ihr nach Geborgenheit und Sicherheit ist. (vgl. BREPOHL 1959, S.54) An dieser Stelle wird wieder die Nähe der beiden Autoren BREPOHL und BOWLBY deutlich, die trotz ihrer verschiedener Disziplinen das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit des Menschen für eines der elementarsten Gefühle des Menschen halten. Abschließend möchte ich noch die Kritik V. BREDOWs und FOLTINs an BREPOHL darstellen: In ihrem Buch "Zwiespältige Zufluchten: Zur Renaissance des Heimatgefühls" (Bonn, 1981) sprechen sie in dem Kapitel über die "Soziale Dimension (von Heimat)" von "entlarvender Geschwätzigkeit" des Autors, als dieser (BREPOHL) versucht, den sozialen Aspekt des Heimatbegriffes zu erläutern. In dem aufgeführten Zitat (BREPOHL 1952, S.14f) neigt BREPOHL zu einer schwärmerischen, einseitigen Darstellung des sozialen Kontextes des Einzelnen in seiner Heimat, die, so die Kritiker, die Wirklichkeit verzerrt wiedergibt und den "normalen" Bürger als unkritisch beschreibt. Ihr Resümee aus dieser Beschreibung ist, daß nur der Intellektuelle in der Lage sei, sich aus diesem Netz von persönlichen Bindungen zu lösen. Ausdrücklich unterstreichen die beiden Autoren aber den Verdienst BREPOHLs, die Relevanz des sozialen Aspekts des Heimatbegriffs erkannt zu haben.8

3.2 Weg zum aktiven Heimatbegriff: BAUSINGERs geschichtlicher Abriss über den unterschiedlichen Gebrauch[Bearbeiten]

Nun komme ich zu BAUSINGERs Erläuterungen zu der Entwicklung des Begriffs "Heimat" (BAUSINGER: Auf dem Wege zu einem neuen, aktiven Heimatverständnis; in: Bürger im Staat, Jhrg.: 1983 Heft 4, S.211-216) Ein wichtiges Problem seiner Definition ist die Umschreibung des Begriffs: Heimat gehört zu den Worten in unserer Sprache, die leicht benutzt werden, über die aber jeder Einzelne eine andere Vorstellung hat. Ein Grund hierfür ist die Entwicklung, der dieser Begriff im Laufe der Zeit unterlag. Ein zweites Problem ist sein ideologischer Gehalt: BAUSINGER schreibt: "Wer heute mit dem Begriff Heimat umgeht, muß fragen, wer ihm über die Schulter sieht, wer ihm souffliert." (BAUSINGER in: Moosmann (Hrsg.): Heimat, Sehnsucht nach Identität. Berlin 1980, S.28) Welche unterschiedlichen Assoziationen mit dem Heimatbegriff zu­sammenhängen, wird deutlich durch eine geschichtliche Betrachtung seiner Entwicklung. Der erste Heimatbegriff, er liegt vor der Indu­strialisierung, bezeichnete den konkreten Besitz eines Einzelnen. Grundbesitzer nannten ihren Hof "Heimat", die durch Erbschaft weitergegeben wurde. So wurde jemand heimatlos, wenn er ohne Erbanteil leer ausging. Heimat hat hier den deutlichsten Sinn von Schutz und Versorgung des Einzelnen. 8 Hier möchte ich auf die wichtige Anmerkung der Autoren V. BREDOW und FOLTIN aufmerksam machen, die den Bereich der "sozialen Dimension" der Heimat für sehr schwierig halten. In ihm sind nämlich alle ideologischen Elemente dieses Begriffs enthalten. Während der Industrialisierung emtwickelten sich zwei verschiedene Bilder von Heimat: Das Bürgertum hatte einen Begriff von Heimat, welcher im Gegensatz zur industriellen Entwicklung stand. Heimat wurde eine Art "Kompensationsraum", eine Utopie für diejenigen, die durch den Fortschritt ihren Einfluß schwinden sahen. So standen sich erstmals Natur, Tradition und Zerstörung des Lebensraums gegenüber. Heimat wurde somit abgetrennt vom alltäglichen Geschehen und beschränkte sich auf eine "Spazierwelt" : "Gerade (...) die Neutralisierung von Heimat zu einer abgezogenen Vorstellung, die alle widerspenstigen und individuellen Realitätsmomente abgestreift hat -gerade sie gab diesem Heimatbegriff jene Flexibilität und Schmiegsamkeit, mit denen er bis in die Gegenwart überdauern konnte." (BAUSINGER, 1983; S. 212) Der zweite Begriff galt als "politisches Beschwichtigungsangebot." (ebd. S.213) Heimat wurde gleichgesetzt mit "Vaterland", um der "heimatlosen Arbeiterbewegung" ein "Identifikationsangebot" zu machen. (KASCHUBA, W.; in: Tübinger Korrespondenzblatt, Nr.20/1979; S.12; zit. aus: BAUSINGER, 1983; S.213) Dieser Offerte, die Arbeiterbewegung in das politische System "Vaterland" zu integrieren, um sie sicherlich leichter zu beeinflussen, entgegnete diese damit, ihre Bewegung als ihre Heimat anzusehen. Somit entstand das erste Mal ein Heimatbegriff, der nicht an einen Ort gebunden ist, sondern ein soziales, individuelles Gebilde ist. Auch der Heimatbegriff des 19. Jahrhunderts ist geprägt durch die idyllisierende Betrachtung des Bürgertums. Er beinhaltet aber auch die karge und harte Lebensführung der Landbevölkerung, die zum Symbol für Bodenständigkeit wurde. So wurde auch ein funktionales Menschenbild geschaffen, welches für die Kolonialmacht Deutschland von Vorteil war. Um 1890 und zwar auf Grund der Krisensituation formierten sich Großbauern und Landwirte gegenüber der Freihandelspolitik. So gelang das bäuerlich-ländliche zu einer Aufwertung durch den Zu­sammenschluß zwischen den Agrariern und den Heimatverbindungen. Heimat wurde auch als Gegenwert zum zentralistischen Reich gesehen. Hier wird wieder die "konservative Tendenz" gegenüber der "Durchindustrialisierung" (ebd. S.213) deutlich. "Da die Heimatbewegung keine Chance mehr sah, sich konstruktiv mit der ganzen Gesellschaft und ihrer Entwicklung auseinanderzusetzen, zog sie sich mehr und mehr auf Teilgebiete zurück." Und es sind gerade diese Teilgebiete, die Heimat zum Produkt "von der Stange" (ebd. S.214) herunterkommen ließen. Sie ist nichts an­deres als die Nische, die dem Menschen gegenüber der menschen­feindlichen Arbeitswelt bleibt. So entsteht eine idyllisierte Verklärung dieses Begriffs, der nur die friedliche Kunstwelt auf dem Lande zuließ. Auswüchse dieses ideologischen Begriffs sind Heimatlieder, Heimatschlager und andere Massenprodukte. Dieses Begriffsver­ständnis fassen V. BREDOW und FOLTIN wie folgt zusammen: "Das Heimat-Ideologem (=Ideologie-Teilstück) 9 neigt zur Prostitu-tion."(V.BREDOW, FOLTIN; 1981, S.16) Dieser Zustand wurde eine nützliche Voraussetzung für die Ideologie des Nationalsozialismus. Gleichzeitig mit der scheinbar unpolitischen Heimatbewegung wurde das nationalsozialistische Menschenbild vermittelt. ("Blut-und Bodengläubigkeit"; BAUSINGER, 1983, S.214) Der Heimatbegriff ist nach BAUSINGER aber kein unkritischer Begriff für eine Ideologie wie der des "3. Reiches". Im Gegenzug hat "Heimat" eine "zentrifugale" Wirkung, die eine Gleichmachung von Region, Tradition und Vaterland schwierig macht. Nach dem Kriege erhielt der Heimatbegriff -trotz seines ideologi­schen Mißbrauchs -eine Renaissance. Deutschland zerfiel in Länder und Regionen. Ein Teil dazu trägt auch die starke Zuwanderung von heimatlosen Vertriebenen bei, die die Relevanz der Geborgenheit durch Heimat unterstrichen. Nach einer Phase der Unpopularität des Begriffs gewann er in den 70er Jahren an Beachtung zurück. Dieser neue Heimatbegriff steht aber nicht in der Tradition der Verherrli­chung von Idyllen und ländlicher Ursprünglichkeit. Er ist vielmehr eine Beschreibung eines Lebensinhaltes von "neuer Qualität." (ebd. S.215) Für BAUSINGER unterscheidet er sich vor allem vom historischen Begriff durch seinen aktiven Charakter. Heimat ist nicht mehr das 9 Interessant in diesem Zusammenhang ist der Gedanke der o.g. Autoren, daß Heimat nicht als Ideologie per Definition gesehen werden kann, sie kann nur ein wichtiges Teilstück einer solchen sein. Da sie "eine hinreichend unspezifische, allgemeine Erfahrung" (S.16) eines jeden Individuums ist, ist sie somit leicht integrierbar in jede Form von Ideologie. schöne Vergangene, dem die Menschen nachtrauern; es ist auch nicht mehr die Scheinwelt, die Nische, in der das Leben erst lebenswert ist. Heimat ist der Begriff für die aktiver Beteiligung an der Gestaltung unseres direkten Umfeldes. Es geht auch um den Erhalt von liebge­wonnenen Zeugnissen aus der Vergangenheit, aber es geht vor allem um die Realisierung einer lebenswerten Umwelt. Hier zeigt sich auch das Paradoxon, daß Umweltschutz auch einen konservativen Aspekt hat, der seinen Vertretern allerdings nicht bewußt ist. (vgl. v.BREDOW, FOLTIN, 17ff)