Astronomische Berechnungen für Amateure/ Kalender/ Astronomische Grundlagen

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Den kalendarischen Einheiten Tag, Monat und Jahr liegen astronomische Abläufe zugrunde. Für den Tag ist es die Drehung der Erde um ihre eigene Achse, die Rotation. Sie bewirkt eine regelmässige Abfolge von Tag und Nacht, und als Kalendertag kann die mittlere Dauer zwischen zwei aufeinander folgenden Zeitpunkten des Sonnenhöchststandes definiert werden. Für den Monat ist der astronomische Ablauf die Bewegung des Mondes um die Erde, als Kalendermonat kann die mittlere Dauer zwischen zwei gleichen Mondphasen (Neumond, Vollmond, Erstes oder Letztes Viertel) definiert werden. Dem Jahr liegt die Bewegung der Erde um die Sonne zugrunde, als Kalenderjahr kann die mittlere Dauer eines Umlaufs der Erde um die Sonne definiert werden.

Der Unterschied zwischen Rotationsdauer und Sonnentag
Unterschied Rotationsdauer und Sonnentag, Anblick

Die vorsichtigen Formulierungen im voranstehenden Abschnitt zeigen: so einfach ist die Sache nicht. Ein Tag ist etwas länger als die Erde braucht, um ein Mal um ihre eigene Achse zu rotieren. Dies rührt daher, dass sich die Erde während ihrer Rotation gleichzeitig auf ihrer Bahn um die Sonne weiterbewegt. Betrachten Sie dazu die nebenstehende Figur: im Punkt A blicken zwei Beobachter an den Himmel, genau Richtung Süden. Der Beobachter auf der Tagseite sieht die Sonne im Meridian, der Beobachter auf der Nachtseite einen (unendlich weit entfernten) Stern. Während sich die Erde einmal um ihre Achse dreht, bewegt sie sich auf ihrer Bahn um die Sonne von A nach B. Blicken die beiden Beobachter wieder genau nach Süden, so sieht derjenige auf der Nachtseite den Stern wieder im Meridian, derjenige auf der Tagseite die Sonne aber noch etwas östlich des Meridians. Die Erde muss sich von B noch um den Winkel α bis zum Punkt C bewegen, bis die Sonne für den Beobachter auf der Tagseite wieder im Meridian steht. In dieser Zeit hat sich für den Beobachter auf der Nachtseite der Stern weiter nach Westen, seinem Untergangspunkt zu bewegt. Dank diesem Unterschied sehen wir im Laufe eines Jahres den ganzen Himmel, haben die Sterne nicht immer zur gleichen Zeit ihren Höchststand am Nachthimmel. Die mittlere der nebenstehenden Abbildungen zeigt den Blick der beiden Beobachter in den drei Bahnpunkten A, B und C. Nach den gleichen Überlegungen ist die Zeit zwischen zwei gleichen Mondphasen länger als die Umlaufzeit des Mondes um die Erde.

Die Sache wird dadurch noch kompliziert, dass gewisse Bewegungen wie z. B. die Rotation der Erde ziemlich gleichmäßig verlaufen, während andere Bewegungen abwechselnd beschleunigt und dann wieder verzögert ablaufen. Als drittes Element kommt hinzu, dass die Bahnen der Himmelskörper keinesfalls unveränderlich sind, sondern sowohl ihre Form wie auch ihre Lage im Raum stetigen Veränderungen unterworfen sind. Den Ursachen gehen wir in einem späteren Kapitel auf den Grund, jetzt beschäftigen wir uns nur mit den Auswirkungen auf die Kalendereinheiten:

  • Es braucht die Angabe eines Referenzpunktes, um eine Bewegung eindeutig bestimmen zu können.
  • Für eine präzise Zeitmessung sind nur Vorgänge sinnvoll, die über mehrere Perioden gemittelt werden.
Der Himmel über einem Beobachter und die wichtigsten Orientierungspunkte

Werden die als unveränderlich festgemachten, unendlich weit entfernten Sterne als Referenz bestimmt, so erhalten wir im Falle der Erdrotation den Sterntag oder die siderische Rotationsdauer. Anschaulich bedeutet dies, dass wir die Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Höchstständen eines bestimmten Fixsterns bestimmen. Seinen Höchststand über Horizont, die sogenannte obere Kulmination oK, erreicht ein Himmelskörper, wenn er bei seiner scheinbaren täglichen Bewegung am Erdhimmel zwischen Aufgangspunkt A und Untergangspunkt U den Meridian von Ost nach West überquert (s. unterste der nebenstehenden Grafiken). Beziehen wir uns statt auf einen Fixstern auf den Frühlingspunkt, so ist der solchermassen gemessene Sterntag (tropische Rotationsdauer) um ein Kleines kürzer als die siderische Rotationsdauer, da der Frühlingspunkt am Sternenhimmel nicht fix ist. Beziehen wir uns im Fall der Erd- bzw. Mondbahn (Jahres- bzw. Monatslänge) auf den Punkt der Bahn, wo der entsprechende Himmelskörper den kleinsten Abstand vom Zentralkörper hat (Perihel im Falle des Abstandes der Erde von der Sonne, Perigäum im Falle des Abstandes des Monds von der Erde), so sprechen wir vom anomalistischen Jahr bzw. vom anomalistischen Monat. Beziehen wir uns im Falle der Mondbahn schliesslich auf die Knoten der Mondbahn[1], so sprechen wir vom drakonitischen Monat. All diese Umlaufzeiten unterscheiden sich leicht voneinander, weil die Fixpunkte eben nicht wirklich fix sind. Und doch hat jede Zeitdefinition ihren Sinn:

  • Der siderische Tag oder Sterntag misst die Rotationsdauer der Erde
  • Der synodische Tag oder Sonnentag misst den scheinbaren Lauf der Sonne am Erdenhimmel (relevant für Kalender)
  • Der siderische Monat misst die Umlaufzeit des Mondes bezogen auf die Fixsterne
  • Der synodische Monat misst die Zeit zwischen zwei gleichen Mondphasen (relevant für Kalender)
  • Der drakonitische Monat misst die Zeit zwischen zwei Knotendurchgängen und spielt bei Finsternissen eine Rolle: Sonnen- bzw. Mondfinsternisse können nur eintreten, wenn sich der Neu- bzw. Vollmond in den Knoten aufhält
  • Der anomalistische Monat misst die Zeit zwischen zwei Durchgängen des Monds durch das Perigäum und damit gleicher scheinbarer Durchmesser am Erdhimmel
  • Der tropische Monat misst die Zeit zwischen zwei Durchgängen des Mondes durch den Meridian des Frühlingspunktes und damit seine Bewegung in einem erdgebundenen Koordinatensystem
  • Das siderische Jahr misst die Umlaufzeit der Erde um die Sonne, bezogen auf die Fixsterne
  • Das tropische Jahr misst die Umlaufzeit der Erde um die Sonne, bezogen auf den Frühlingspunkt und damit gleicher Jahreszeiten (relevant für Kalender, bisher als „astronomisches Jahr“ bezeichnet)
  • Das anomalistische Jahr misst die Zeit zwischen zwei Durchgängen der Erde durch das Perihel und damit gleicher scheinbarer Durchmesser am Erdhimmel

Hinzu kommt, dass die Rotationsdauer der Erde nicht konstant ist, sondern ganz langsam abnimmt. Die Tageslänge nimmt gegenwärtig um etwa 17 μs pro Jahr zu. Dies ist zwar nur ein geringer Effekt, aber doch ein messbarer. In historischen Dimensionen fällt er wohl ins Gewicht. Vor 400 Millionen Jahre hatte das Jahr bei gleicher Länge ca. 400 (kürzere) Tage, oder anders formuliert: ein Tag war damals gut 2 Stunden kürzer als heute. Oder: analysiert man mesopotamische Himmelsbeobachtungen (v.a. Finsternisse) aus der Zeit um ca. –700, so stellt man eine Zeitverschiebung von 5 bis 6 Stunden gegenüber heute fest, was auf die Abbremsung der Erdbewegung seit dieser Zeit zurück zu führen ist.

Abschliessend geben wir noch die folgenden Zahlen:

Zahlenwerte für die Erdrotation, den Mond- und den Erdumlauf
Typ Erdrotation Mondumlauf Erdumlauf
siderisch 86 164.099 Sekunden 27.321 66 Tage 365.256 366 Tage
synodisch 86 400 Sekunden[2] 29.530 59 Tage 365.242 199 Tage[3]
tropisch 86 164.091 Sekunden 27.321 58 Tage 365.242 199 Tage
anomalistisch 27.554 55 Tage 365.259 636 Tage
drakonitisch 27.212 22 Tage


Übungen

  • Verwandeln Sie die Sekunden der Erdrotation in Stunden, Minuten und Sekunden; verwandeln Sie die Tage des Mond- und Erdumlaufs in Tage, Stunden, Minuten und Sekunden!
  • Wie gross ist im Mittel der Winkel α, um den sich die Erde täglich weiter drehen muss, bis die Sonne wieder im Meridian kulminiert?
  • Um welchen Winkel verschieben sich Sonne und Mond vor dem Hintergrund der unendlich weit entfernten Sternen im Laufe eines Tages bzw. einer Stunde?
  • Bestimmen Sie für die Erdrotation und den Mondumlauf den Zusammenhang zwischen siderischer und (mittlerer) synodischer Zeit als Formel, dh. gegeben die synodische Zeit: wie kann die siderische berechnet werden?



Nachweise:

  1. Als Knoten bezeichnet man diejenigen Punkte einer Bahn, in denen ein Himmelskörper die Ebene der Erdbahn (die sog. Ekliptik) durchstösst. Es gibt zwei Knoten: im aufsteigenden Knoten durchstösst er die Ekliptik von Süd nach Nord, im absteigenden Knoten in umgekehrter Richtung.
  2. Im Grunde von den Kalendermachern erzwungen: streng genommen ist heute ein Tag, also eine mittlere synodische Rotation, 86 400.002 s lang. Über Details und Auswirkungen s. Kapitel Zeit; Atomzeit, Ephemeridenzeit und Dynamische Zeit bzw. Zeit; Welche Zeit ist die richtige?
  3. Tropisches und synodisches Jahr sind identisch.