Das Mehrkörperproblem in der Astronomie/ Grundlagen/ Energieerhaltung

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Jedes noch so komplexe System weist unabhängig von seinem genauen Aufbau einige allgemeingültige Eigenschaften auf. So ist in jedem isolierten System die Gesamtenergie konstant. Allerdings sind die meisten natürlichen Systeme nicht isoliert, z.B. tauscht jedes Lebewesen Energie und Stoffe mit seiner Umgebung aus. Auch Sternsysteme sind es streng genommen nie, da die von einer Masse ausgehende Schwerkraft wie bereits erwähnt zwar mit zunehmender Entfernung immer schwächer wird, aber niemals ganz verschwindet.

Ist ein Mehrkörperensemble im Vergleich zum Abstand zu Körpern ähnlicher Masse klein genug, dürfen die von diesen fernen Nachbarn ausgeübten Kräfte meist vernachlässigt werden. Eine solche Entscheidung bedarf allerdings eines gewissen Fingerspitzengefühls. Selbst die nächsten Sterne sind zu weit entfernt, um die Bahnen der Planeten nachweisbar zu beeinflussen. In diesem Sinne ist das Sonnensystem faktisch isoliert. Die in der sogenannten Oortschen Wolke sich aufhaltenden Kometen jedoch sind so weit von der Sonne entfernt, dass nahe Sterne sehr wohl deren Orbits massiv stören können. Auf diese Weise gelangen immer wieder einige von ihnen in das innere Sonnensystem, das sich so doch in Wechselwirkung mit den Sternen seiner Umgebung befindet.

Die abstrahierten Massenpunkte einer Computersimulation dürfen selbstverständlich immer als isoliert betrachtet werden. Die große Schwierigkeit besteht darin, zu entscheiden, ob eine solche Sichtweise den tatsächlichen Gegebenheiten angemessen ist.

Kinetische Energie[Bearbeiten]

Ein allein der Schwerkraft unterworfenes System weist zwei Formen von Energie auf, kinetische Energie und potentielle Energie. Unter der kinetischen Energie (auch Bewegungsenergie genannt) versteht man die Energie, welche man aufwenden muss, um eine Masse vom Ruhezustand aus auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu beschleunigen. Sie ist der beschleunigten Masse und dem Quadrat der Endgeschwindigkeit direkt proportional. Um eine doppelt so hohe Geschwindigkeit zu erreichen, muss das vierfache an Energie zur Verfügung stehen. Um die gesamte kinetische Energie eines Mehrkörpersystems zu kennen, müssen die Energien aller einzelnen Massenpunkte aufaddiert werden.

Der Zusammenhang zwischen Bewegungsenergie, Masse und Geschwindigkeit lässt sich leicht aus dem Prinzip Arbeit = Kraft • Weg herleiten, wobei hier wieder nur Beträge betrachtet werden sollen. Man betrachte einen Körper der Masse , welcher aus dem Ruhezustand auf einer Strecke einer konstanten Beschleunigung unterworfen wird. Nach dem Newtonschen Kraftgesetz ist dazu eine Kraft

erforderlich. Das Arbeitsprinzip besagt, dass dazu wiederum eine Energie

aufgewandt werden muss. Setzt man die schon aus dem Abschnitt "mittlere und momentane Beschleunigung" bekannte Beziehung zwischen Geschwindigkeit, Beschleunigung und Wegstrecke ein, so erhält man:


Einschub für Fortgeschrittene: Kinetische Energie bei beliebiger Beschleunigung

Obige Formel lässt sich auch für beliebige Beschleunigungen beweisen. sei nun eine nur für eine beliebig kleine Strecke wirksame Momentanbeschleunigung. Um den Weg zurückzulegen, wird die Arbeit

benötigt. Mit Hilfe der Definitionen und resultiert daraus

und durch Integration aus dem Ruhezustand


Potentielle Energie[Bearbeiten]

Die potentielle Energie gibt die Energie an, die man benötigt, um eine Masse vollständig aus dem Anziehungsbereich einer anderen zu entfernen. Bei dieser Beschreibung wird man sofort wieder mit dem Problem der in Wahrheit nie vorhandenen Isolation von Himmelskörpern konfrontiert. Da die Schwerkraft in ihrer Reichweite nicht beschränkt ist, kann ein Körper strenggenommen niemals der Anziehung eines anderen entkommen. Jedoch ist es möglich, wie die Raumfahrt anschaulich gemacht hat, eine (kleine) Masse auf eine Bahn zu bringen, auf welcher sie sich immer weiter von der (großen) Masse entfernt, von wo aus sie gestartet ist. Die Energie, die man für eine derartige Bahn aufwenden muss, ist den beiden Massen direkt und ihrem ursprünglichen Abstand umgekehrt proportional. Je näher sich die Massen beim Start zueinander befinden, um so mehr Energie ist erforderlich, um die beiden effektiv voneinander zu trennen, bei z.B. halbem Startabstand die doppelte Energie. Dies ist freilich nicht überraschend, da bei kleineren Anfangsabstand eine entsprechend größere Anziehungskraft überwunden werden muss.


Potentielle Energie im Schwerefeld als Fläche unter der Kurve Anziehungskraft gegen Entfernung


Den exakten Wert der potentiellen Energie erhält man, indem man die Anziehungskraft vom Startabstand an gegen die Entfernung aufträgt und die Fläche unter der entsprechenden Kurve berechnet. Man folgt also abermals der Regel Arbeit = Kraft • Weg, wobei aber nun sich die Kraft entlang der zurückgelegten Strecke ständig ändert. Obwohl nie gänzlich verschwindet, hat diese Fläche einen endlichen Inhalt. Man erhält als Ergebnis, was leider aber nicht elementar beweisbar ist:

In einem aus vielen Massenpunkten bestehendem System existiert für jedes Mitglied gegenüber allen anderen potentielle Energie. Um ein solches aus dem Gesamtsystem zu entfernen, müssen die Anziehungskräfte jeweils aller anderen Körper überwunden werden. Um die gesamte potentielle Energie zu bestimmen, muss über alle möglichen Abstandspaare addiert werden. Sie wird als negative Größe angesetzt, da sie ja aufgewandt werden muss, um das Ensemble aufzulösen.


Einschub für Fortgeschrittene: Potentielle Energie im Schwerefeld

Der Beweis für obige Beziehung lässt sich folgendermaßen skizzieren. Nach dem Gravitationsgesetz wirkt auf eine Kraft

Um von um eine kleine Wegstrecke zu entfernen, muss die Arbeit

verrichtet werden. Um gänzlich entkommen zu lassen, wird das Integral über die Arbeit vom ursprünglichen Abstand bis ins Unendliche fortgeführt. Daraus ergibt sich:


Kinetische und potentielle Energie zusammen bilden die konstante Gesamtenergie des Systems, doch besteht zwischen beiden ein ständiges Wechselspiel. Entfernen sich zwei Massenpunkte voneinander, werden sie durch ihre gegenseitige Anziehung abgebremst. Sie verlieren kinetische Energie, gewinnen aber an potentieller Energie. Nähern sie sich, verhält es sich umgekehrt. Die Massen werden auf höhere Geschwindigkeiten beschleunigt, aus potentieller Energie wird kinetische Energie.

Das Hin und Her zwischen den beiden Energieformen sei hier am Beispiel eines simulierten Doppelsternsystems gezeigt. Beide Komponenten weisen eine Sonnenmasse auf. Die Startpositionen (in Astronomischen Einheiten) der Simulation sind (5 / 0 / 0) und (-5 / 0 / 0), die Anfangsgeschwindigkeiten (in km/s) (0 / 5 / 0) und (0 / -5 / 0).. Während eines Umlaufs variiert der Abstand der beiden Komponenten zwischen 3.9 und 10.0 Astronomischen Einheiten. Im Moment größter Annäherung weisen sie eine Geschwindigkeit von jeweils 12.7 km/s, zum Zeitpunkt maximaler Entfernung eine solche von je 5.0 km/s auf. Die Umlaufdauer beträgt etwa 13.0 Jahre. Man erkennt sehr deutlich den periodischen, zueinander spiegelbildlichen Verlauf von kinetischer und potentieller Energie.


Kinetische und potentielle Energie in einem simulierten Doppelsternsystem


In einem aus vielen einzelnen Massenpunkten bestehenden System ist die Zeitabhängigkeit der Energie selbstverständlich viel komplizierter. Enge Begegnungen zweier Komponenten machen sich durch kurzzeitige Maxima kinetischer Energie entsprechend Minima potentieller Energie bemerkbar. Darüber hinaus unterliegt die Aufteilung der Gesamtenergie aber auch bestimmten langfristigen Trends, welche im praktischen Teil detailliert beschrieben werden.

Ein alltägliches Beispiel für die Umwandlung der einen in die andere Energieform ist das Wasserkraftwerk. Das ins Tal fließende Wasser nimmt an Geschwindigkeit, d.h. an kinetischer Energie zu, welche zum Antrieb einer Turbine genutzt werden kann. Gleichzeitig verliert es potentielle Energie. Um etwa den See eines Pumpspeicherkraftwerks wieder aufzufüllen, muss ja eine andere Energiequelle, z.B. ein Windkraftwerk, angezapft werden.

Elementare Schlussfolgerungen[Bearbeiten]

Betrachtet man die beiden Energieformen für ein System aus 2 Körpern, erwächst aus dem beständigen Hin und Her von kinetischer und potentieller Energie folgende wichtige Regel. Um die beiden Massen für immer voneinander zu entfernen, muss die kinetische Energie des Systems dem Betrage nach mindestens gleich dessen potentieller Energie sein. Überwiegt der Betrag der potentiellen Energie, was einer negativen Gesamtenergie entspricht, bleiben sie einander auf endlichen Bahnen gebunden.

Dies lässt sich anhand einer Kreisbahn mit Radius leicht demonstrieren. Die Bahngeschwindigkeit eines Körpers der Masse , welcher um ein Zentralobjekt der Masse läuft, beträgt wie im letzten Unterkapitel gezeigt und damit seine kinetische Energie . Für die potentielle Energie gilt . Sofern sehr viel größer ist als , kann man davon ausgehen, dass die Zentralmasse sich fast unbeweglich am Schwerpunkt beider Massen aufhält, so dass deren kinetische Energie vernachlässigbar ist. Damit beläuft sich die Gesamtenergie auf:

Die Gesamtenergie eines auf einer Kreisbahn laufenden Körpers ist somit dem Bahnradius umgekehrt proportional. Im Falle einer Ellipsenbahn tritt an die Stelle des Kreisradius die große Halbachse. Bei einer unendlich weiten Bahn ist die Gesamtenergie in der Tat gleich Null

Aus diesem Grenzfall, dass kinetische und potentielle Energie betragsmäßig genau gleich sind, folgt die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit . Diese gibt die Mindestgeschwindigkeit an, auf welche die Masse beschleunigt werden muss, um vom Abstand aus die Masse zu verlassen. Das Gleichsetzen der Ausdrücke für die kinetische und potentielle Energie liefert unmittelbar:

Die Fluchtgeschwindigkeit unterschiedet sich von der Bahngeschwindigkeit allein um den Faktor und zeigt somit die gleiche Abhängigkeit von .

Bei Simulationen von Sternsystemen finden sich nach einer gewissen Zeit stets einzelne Massenpunkte, die im Vergleich zu der Mehrzahl der Mitglieder sehr weit vom Schwerpunkt des Ensembles entfernt sind. Für solche Körper können die übrigen Objekte weitgehend als eine im Schwerpunkt ruhende Zentralmasse aufgefasst werden. Zeigen diese Ausreißer eine mit zunehmender Entfernung abfallende Geschwindigkeit kleiner als , so sind sie weiterhin an das Gesamtsystem gebunden. Anderenfalls handelt es sich um Massenpunkte, welche bereits im Begriff sind, das Ensemble zu verlassen.

Der Hinauswurf einzelner Mitglieder aus einem Mehrkörpersystem widerspricht nicht der Energieerhaltung. Die für 2 Massenpunkte geltende Regel, dass ein System mit einem Überschuss an potentieller Energie stabil ist, lässt sich nämlich nicht auf komplexere Ensembles übertragen. Für ein aus 3 oder mehr Körpern bestehendes System garantiert eine negative Gesamtenergie nur eine relative Stabilität. Dort können Massen durch enge Vorübergänge ohne weiteres so stark beschleunigt werden, dass sie dem Gesamtsystem entkommen. Die dazu erforderliche kinetische Energie wird durch eine Verringerung der potentiellen Energie gewonnen. Die zurückgebliebenen Körper rücken im Mittel etwas näher zusammen.

Diese Eigenschaft eines Mehrkörpersystems wird z.B. für die interplanetare Raumfahrt genutzt. Durch nahe Vorübergänge an großen Planeten können Raumsonden erheblich beschleunigt und so die Flugzeiten ins äußere Sonnensystem enorm verkürzt werden.


C-Code: Gesamtenergie im Mehrkörpersystem

Die für die Berechnung der Beschleunigung eines Massenpunktes eingeführten Variablen m, r, dr, i, k und N können auch für die Bestimmung der Energie verwendet werden. Für die kinetische Energie muss die Geschwindigkeit v analog zur Position r als Vektorarray für den Variablentyp Double deklariert werden, die Energie selbst als einfache Double Ekin. Für die potentielle Energie ist das Vektorarray r schon vorhanden, zusätzlich benötigt werden als einfache Double Epot für die Energie selbst und d für den Betrag des Abstandsvektors, ferner als weiterer Zähler die Unsigned Integer j.

Für die Berechnung der Bahnen der Massenpunkte wird die Energie nicht benötigt, wohl aber zur Kontrolle der Stabilität einer Mehrkörpersimulation. Die Bestimmung der Energie erfolgt daher ebenfalls im Rahmen einer regelmäßig aufgerufenen Prozedur. Die Übergabeparameter sind N, m, r und v, die Rückgabevariablen Ekin und Epot. Der Aufruf geschieht durch energie (N,m,r,v,&Ekin,&Epot).

/* Globale Variablen */

unsigned int N;
double *m;
double **r;
double **v;
double Ekin,Epot;

void energie (unsigned int N, double *m, double **r, double **v, double *Ekin, double *Epot)
{

/* Lokale Variablen */
 
  unsigned int i,j,k;
  double dr[3];
  double d;

/* Berechnung der kinetischen Energie */

  *Ekin = 0;
  for (i = 0;i < N;i ++)
  *Ekin += m[i] * pow (betrag (v[i]),2) / 2;

/* Berechnung der potentiellen Energie */

 *Epot = 0;
  for (i = 0;i < N;i ++)
  {

/* Beitrag pro Abstandspaar zur potentiellen Energie */

    for (j = i + 1;j < N;j ++)
    {

/* Abstandsvektor zwischen zwei Körpern j und i und dessen Betrag */

      for (k = 0;k < 3;k ++)
      dr[k] = r[j][k] - r[i][k];
      d = betrag (dr);

/* Potentielle Energie pro Abstandspaar */

      Epot -= G * m[i] * m[j] / d;
    }
  }
}