Marketing- und Vertriebscontrolling/ Instrumente MVC/ Anwendungsbeispiele

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Zur Verdeutlichung des Einsatzes der vorgestellten Instrumente, soll nun unter Berücksichtigung der in Kapitel 3.3 (Aufgabenherleitung) getroffenen Aussagen ein Fallbeispiel dargestellt werden.

Als Ausgangspunkt für die Betrachtung nehmen wir ein mittelständisches Industriegüterunternehmen, das sich auf Anlagenbau spezialisiert hat. Der Firmenname lautet Clever AG, hat rund 200 Beschäftigte und erzielte in der vergangenen Periode einen Umsatzerlös von rund 40 Mio. Euro.

Die Marketingaktivitäten beschränken sich auf reines Industriegütermarketing (B2B). Daraus ergeben sich für die Clever AG die folgenden zu beachtenden Besonderheiten:

  • Der Bedarf leitet sich in besonderem Maße von den Kunden ab.
  • Die Zahl der potentiellen Käufer ist relativ klein.
  • Bestehende Geschäftsbeziehungen sind relativ fest und es besteht eine enge Bindung zu den Geschäftspartnern.
  • Die Käufer haben eine bessere Informationsgrundlage, da der Markt weniger anonym ist als z.B. bei Konsumgütern.
  • Die Kaufentscheidungen sind oft fundiert, formalisiert und von mehreren Beteiligten getroffen.

Dies hat zur Folge, dass der Kaufentscheidungsprozess entsprechend länger ist, als z.B. im Konsumgüterbereich. [1]

Die Clever AG hat in unserem Beispiel einen Kundenstamm von 8 Kunden. Die Kontaktaufnahme zu potentiellen Kunden geschieht vor allem über die Präsentation des Unternehmens auf Fachmessen und durch Werbung und Vorstellung von Produktinnovationen in Fachzeitschriften. Der Vertrieb wird unterstützt durch 11 Außendienstmitarbeiter, die deutschlandweit aktiv sind.

Aus Sicht des Marketing- und Vertriebscontrolling ist die Entwicklung der Kunden eine entscheidende Größe. Durch die geringe Zahl der Kunden ergibt sich zwar der Nachteil der geringen Risikostreuung, aber gleichzeitg besteht auch ein aus den Besonderheiten des Industriegütermarketings abgeleiteter Vorteil: Durch die engen Kontakte zu seinen Kunden, hat die Clever AG Informationen zur Entwicklung ihrer Kunden und auch die Entwicklung der dahinterliegenden Kundenstufe.

Auf Basis dieser Informationen soll nun durch den Einsatz des Marketing- und Vertriebscontrollings die Frage beantwortet werden, wie rentabel die bisherigen Kunden sind und (noch wichtiger) welches Wachstumpotential sie aufweisen, bzw. ihnen zurechenbar ist. Daraus ableitend soll festgestellt werden, ob die bestehenden Kunden ein stabiles Wachstum aufweisen und die Clever AG ihre Ressourcen darauf konzentrieren sollte. Des Weiteren ist zu klären, inwieweit die Entwicklungsaktivitäten auf die bestehenden Kunden auszurichten sind, um mit den bestehenden Kunden weiter zu wachsen oder ob die Marketing- und Vertriebsaktivitäten auf die Akquisition von Neukunden ausgerichtet werden sollen.

Zunächst bietet sich eine Kundendeckungsbeitragsrechnung an, da sie Auskunft über die mit jedem einzelnen Kunden erzielten Gewinne gibt. Die für die Kundendeckungsbeitragsrechnung benötigten Daten lassen sich relativ einfach aus dem Rechnungswesen generieren und anschließend vergleichen. Es wird deutlich, dass erhebliche Unterschiede zwischen den Kunden bestehen, d.h. ihr prozentualer Anteil des Deckungsbeitrages, gemessen am Kundenumsatz, differieren stark. Der Nachteil dieses Verfahrens für die Clever AG ist, dass der Kundendeckungsbeitrag lediglich eine Dimension in der Bewertung der Kundenbeziehung darstellt.

Die oben genannte Fragestellung nach der Ausrichtung der zukünftigen Marketing- und Vertriebsaktivitäten sowie notwendiger Investitionsentscheidungen bedarf jedoch der Betrachtung mehr als einer Dimension. Um eine umfangreichere Bewertung des Kundenwertes vorzunehmen, führt die Clever AG im nächsten Schritt ein Kundenscoring durch.

Neben Größen wie dem Bedarfsvolumen der Kunden, der Bonität der Kunden, ihrer Auftragskontinuität und der Preisdurchsetzbarkeit bei den einzelnen Kunden, ist in erster Linie der Faktor Kundenwachstum ein entscheidendes Kriterium für die Clever AG. Die engen Geschäftsbeziehungen zwischen der Clever AG und ihren Geschäftspartnern erlaubt eine Schätzung der zu betrachtenden Kriterien die innerhalb des Kundenscoring unterschiedlich gewichtet werden können.

Anschließend werden die Ergebnisse des Kundenscoring in einem Portfolio dargestellt. Als Dimensionen dienen dabei die Kundenattraktivität (mit Bezug auf das Wachstum des Kunden) und die Wettbewerbsposition beim entsprechenden Kunden. Anhand dieser Darstellung wird deutlich, dass die Kunden A, C und F zwar einen relativ hohen Deckungsbeitrag haben, jedoch für die Zukunft mit nur sehr geringem Wachstum gerechnet werden kann. Die Kunden B und D weisen einen relativ geringen Deckungsbeitrag, jedoch ein sehr hohes Wachstumspotential auf. Die Kunden G und H weisen einen geringen Deckungsbeitrag, als auch ein geringes Wachstumspotential auf. Kunde E generiert sowohl einen hohen Deckungsbeitrag und bietet zudem ein hohes Wachstumspotential.

Die Fragen die sich aus dieser Konstellation ergeben lauten wie folgt, und stellen zudem mögliche Handlungsalternativen für die Clever AG dar:

1. Warum ergibt sich für die Kunden A, C und F eine schlechte Wachstumsprognose? Bieten sie eventuell einen hohen Kooperationswert, der beiden Seiten Möglichkeiten eröffnen würde?

2. Warum ist der Deckungsbeitrag der Kunden B und D gering und wie kann diese Situation im Hinblick darauf geändert werden, dass in der Zukunft mit einem erhöhten Bedarfsvolumen gerechnet werden kann? Wie kann sichergestellt werden, dass das Bedarfsvolumen auch in der Zukunft durch die Clever AG bedient wird?

3. Ist die Geschäftsbeziehung zu den Kunden G und H in der jetzigen Form noch sinnvoll?

Die durch das Marketing- und Vertriebscontrolling generierten Informationen und Prognosen wirken sich im Folgenden massiv auf die Marketing- und Vertriebsplanung aus.




<references>

  1. Vgl. Esch, F.-R. u.a., 2008, S. 9.