Rechte und Pflichten im Umgang mit der Polizei/ Selbstbelastungsfreiheit
Zusammenfassung: Niemand muss mit der Polizei kooperieren. Man ist den Beamten gegenüber zu keiner Aussage verpflichtet. Die Aussagepflicht vor Gericht gilt nur für Zeugen und endet, wenn der Zeuge mit dem Beschuldigten verwandt oder verschwägert ist, Berufsgeheimnissträger ist oder sich sonst selber belasten könnte.
Nichtmitwirkung
[Bearbeiten]Niemand ist dazu verpflichtet, bei polizeilichen Ermittlungen mitzuhelfen. Man muss keine Anzeige machen (es sei denn, es handelt sich um schwere Straftaten, die noch verhindert werden können), der Polizei keine Beweismittel aushändigen, man muss nicht einmal den Beamten die Tür aufmachen. Beschuldigte dürfen sogar aktiv die Polizeimaßnahmen behindern (siehe Strafvereitelung). Auch die Flucht, sogar der Gefängnisausbruch, ist nicht generell strafbar.
Allerdings darf man dabei keine weiteren Straftaten begehen. Bei Gefängnisausbrüchen kommt z.B. oft eine Sachbeschädigung oder auch Diebstahl (z.B. eines Fluchtautos) hinzu. Wenn man sich einer Festnahme entziehen will, darf man zwar wegrennen, nicht jedoch den Polizisten mit Gewalt begegnen. (siehe Widerstand gegen Polizeihandlungen).
Von dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit gibt es auch Außnahmen. So muss man z.B. als Beschuldigter gegenüber der Polizei immer Angaben zur Person machen (siehe Ausweispflicht). Solche Ausnahmen werden aber, soweit relevant, in den Einzelkapiteln ausgeführt.
Aussageverweigerung
[Bearbeiten]Hinweis: Der Einfachheit halber wird hier keine Unterscheidung zwischen Aussageverweigerung und Zeugnisverweigerung gemacht.
Ein Beschuldigter ist weder gegenüber der Polizei noch vor Staatsanwaltschaft oder Gericht zur Aussage verpflichtet. Die Verweigerung der Aussage darf dem Beschuldigten nicht negativ angelastet werden. Auch wenn die Polizei sich darin in ihrem Tatverdacht bestätigt fühlt, ist dies kein Argument, um bestimmte weitere Maßnahmen zu rechtfertigen, und schon garnicht ein Indiz oder Beweis
- BVerfG, Urteil vom 7.10.2008
„Der verfassungsrechtliche Schutz der Selbstbelastungsfreiheit darf nicht dadurch entwertet werden, dass der Beschuldigte befürchten muss, sein Schweigen werde später bei der Beweiswürdigung zu seinem Nachteil verwendet.“
Auch nicht Beschuldigte (also Zeugen) sind nicht zur Aussage gegenüber der Polizei oder Staatsanwaltschaft verpflichtet, wohl aber vor Gericht.
- §48 Abs. 1 StPO
„Zeugen sind verpflichtet, zu dem zu ihrer Vernehmung bestimmten Termin vor dem Richter zu erscheinen. Sie haben die Pflicht auszusagen, wenn keine im Gesetz zugelassene Ausnahme vorliegt.“
Drei Personengruppen sind von der Pflicht zur Aussage befreit (nicht aber von der Pflicht, vor Gericht zu erscheinen!):
- Angehörige des Beschuldigten
- Berufsgeheimnisträger
- Zeugen, die sich selbst oder Angehörige belasten könnten.
Die Aussageverweigerung muss evtl. dahingehend begründet werden, dass dieses Recht in diesem konkretem Fall besteht (z.B. durch Erläuterung zur Verwandschaft oder dem Beruf).
Angehörige des Beschuldigten
[Bearbeiten]Als Angehörige der Beschuldigten gelten Verlobte, Ehe- oder Lebenspartner sowie gradlinige Verwandte oder Verschwägerte (z.B. Eltern, Großeltern, Kinder, Enkel usw. von einem selbst oder des Ehepartners), in einer Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt (z.B. Tante, Onkel, Nichten, Neffen; nicht Cousins oder Cousinen, da im Recht der Grad anhand der vermittelnden Geburten bestimmt wird, vgl. §1589 BGB) oder bis zum zweitem Grad verschwägert ist (Geschwister des Ehepartners). Dasselbe gilt für nicht mehr bestehende Verschwägerungen, Ehe-oder Lebenspartnerschaften.
- §52 Abs 1 StPO
„Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt
1. der Verlobte des Beschuldigten oder die Person, mit der der Beschuldigte ein Versprechen eingegangen ist, eine Lebenspartnerschaft zu begründen;
2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3. wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.“
Bei der Vernehmung von Minderjährigen oder psychisch Kranken mit einem Zeugnissverweigerungsrecht müssen die gesetzlichen Vertreter (z.B. Eltern) zustimmen, sofern sie nicht selbst beschuldigt sind.
- § 52 Abs. 2 StPO
„Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. 2Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.“
Berufsgeheimnisträger
[Bearbeiten]Berufsgeheimnissträger sind Leute, die Aufgrund ihres Berufes Geheimnisse der Beschuldigten erfahren haben, die rechtlich geschützt sind. Dazu gehören Geistliche, Rechtliche Vertretungen (Anwälte, Notare, Steuerberater), Ärzte (auch Zahnärzte, Therapeuten, Psychologen etc.), offizielle Berater für Schwangerschaft und Suchtproblemen, Mitglieder eines Landes-, des Bundes- oder des Europäischen Parlaments sowie Journalisten u.ä.
- §53 Abs. 1 StPO
„Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt
1. Geistliche über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Seelsorger anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
2. Verteidiger des Beschuldigten über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3. Rechtsanwälte und Kammerrechtsbeistände, Patentanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Steuerberater und Steuerbevollmächtigte, Ärzte, Zahnärzte, Psychologische Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist; für Syndikusrechtsanwälte (§ 46 Absatz 2 der Bundesrechtsanwaltsordnung) und Syndikuspatentanwälte (§ 41a Absatz 2 der Patentanwaltsordnung) gilt dies vorbehaltlich des § 53a nicht hinsichtlich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3a. Mitglieder oder Beauftragte einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
3b. Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit in einer Beratungsstelle, die eine Behörde oder eine Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt oder bei sich eingerichtet hat, über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekanntgeworden ist;
4. Mitglieder des Deutschen Bundestages, der Bundesversammlung, des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland oder eines Landtages über Personen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Mitglieder dieser Organe oder denen sie in dieser Eigenschaft Tatsachen anvertraut haben, sowie über diese Tatsachen selbst;
5. Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben.“
Von dieser Regelung gibt es einige Außnahmen (vgl. § 53). Da dies jedoch nicht dem Rahmen dieses Buches entspricht und die Betroffenen in ihrer Ausbildung ausführlich darüber belehrt werden, wird hier nicht näher darauf eingegangen.
Zeugen, die sich selbst belasten könnten
[Bearbeiten]Auch Zeugen, die vor Gericht aussagen sollen, müssen dies auch grundsätzlich tun. Sie dürfen jedoch auf einzelne Fragen die Antwort verweigern, wenn sie sonst sich selbst oder Angehörige belasten könnten. In diesem Zusammenhang gelten als Angehörige die im Absatz Angehörige des Beschuldigten aufgeführt wurden.
- §55 Abs. 1 StPO
„Jeder Zeuge kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, deren Beantwortung ihm selbst oder einem […] Angehörigen die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden.“
- BVerfG, Urteil vom 21.4.2010
„Ist von einer Verfolgungsgefahr auszugehen, so ist der Zeuge gemäß § 55 Abs. 1 StPO grundsätzlich nur berechtigt, die Auskunft auf einzelne Fragen zu verweigern“
Auch aus solch einem Schweigen dürfen in einem späteren Verfahren gegen den Zeugen keine für ihn negativen Schlüsse gezogen werden.
- BGH, Urteil vom 26.5.1992
„Es ist unzulässig, Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten daraus zu ziehen, dass dieser sich als Zeuge in einem anderen, den gleichen Tatkomplex betreffenden Strafverfahren auf das Auskunftsverweigerungsrecht […] berufen hat.“
Es ist für diese Regelungen unwichtig, ob man tatsächlich eine Straftat begangen hat oder nicht. Alleine die Möglichkeit, dass man durch eine wahrheitsgemäße Aussage ein Ermittlungsverfahren gegen sich oder Angehörige provozieren könnte, reicht zur Aussageverweigerung aus. Auch muss die Aussage kein alleiniger Beweis oder der einzige Grund für die Einleitung eines Verfahrens sein; es reicht, wenn sie ein "Mosaikstein" für einen belastenden Umstand darstellt.
- BVerfG, Urteil vom 21.4.2010
„Eine Verfolgungsgefahr […] ist anzunehmen, wenn eine Ermittlungsbehörde aus einer wahrheitsgemäßen Aussage des Zeugen Tatsachen entnehmen könnte, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens […] oder auch zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachts veranlassen könnte. [...]. Dies ist zum Beispiel [auch] dann der Fall, wenn die wahrheitsgemäße Beantwortung einer Frage zwar allein eine Strafverfolgung nicht auslösen könnte, jedoch "als Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude" zu einer Belastung des Zeugen beitragen könnte.“
Beispiel:
Auf einer Party wurde ein Mensch von einem Unbekanntem ermordet. Der Zeuge K wird vor Gericht gefragt, wo er zur Tatzeit war. Herr K war auf der Party, hat aber mit der Tötung nichts zu tun. Trotzdem könnte die Aussage, er sei auf der Party gewesen, ihn belasten. Er darf diese also verweigern.
Da das Gericht jedoch nicht wissen kann, wie die verweigerte Aussage lauten würde, ist es oft schwer festzustellen, ob man sich bei einer Aussage dieser Gefahr aussetzen würde oder nicht. Es müssen schon konkrete Hinweise vorliegen, wie sich jemand belasten könnte.
- BVerfG, Urteil vom 21.4.2010
„Für die Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung muss es konkrete tatsächliche Anhaltspunkte geben; bloße Vermutungen oder rein denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus.“
Beispiel:
Ein Herr K wird vor Gericht gefragt, ob er das Alibi des Beschuldigten, der ihn an einem bestimmten Tag getroffen haben will, bestätigen kann. Herr K verweigert die Aussage mit dem Hinweis, er könne sich selbst belasten. Da Herr K sonst in keinerlei Verdacht steht, ist nicht zu erkennen, wie er sich durch diese Aussage belasten könnte; die Verweigerung der Aussage ist also unzulässig.
Hinweis: Wie oben bereits ausgeführt gilt dies nur für Aussagen vor Gericht. Der Polizei gegenüber darf immer ohne Angabe von Gründen die Aussage verweigert werden.
Bei einer nicht rechtmäßigen Aussageverrweigerung kann das Gericht Ordnungsmaßnahmen wie das Eintreiben von Ordnungsgelt oder Ordnungshaft anordnen (vgl. §70 StPO).