Soziologische Klassiker/ Glazer, Nathan

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Biographie in Daten[Bearbeiten]

Glazer Nathan


  • geboren am 25. Februar 1923 in New York City
  • Soziologe, Redakteur und Regierungsberater


  • Als das jüngste der sieben Kinder von Louis (der von Beruf Schneider war) und Tillie (Zacharevich) wuchs Nathan Glazer in New York auf. Er stammt nach eigenen Angaben aus einer sozialistischen, gemäßigt-orthodoxen jüdischen Familie. So beschreibt er sein familiäres Umfeld als "Socialist, but not too socialist; Orthodox, but not too Orthodox, friendly to Palestine, but not a Zionist; Yiddish-speaking, but not a Yaiddishist."
  • 1943: Glazer heiratete Ruth Slotkin. Er hat drei Töchter, Sarah, Sophie, und Elizabeth. Nach ihrer Scheidung 1958 schloss er 1963 erneut eine Ehe mit der Forscherin Sulochana Raghavan.
  • In seiner Studienzeit kam der angehende Soziologe in Kontakt mit der politischen Bewegung des Sozialistischen Zionismus und wurde Mitglied der zionistischen Organisation ""avukah"", die ihn in seinen jungen Jahren prägte. Glazer wurde außerdem Redakteur der Zeitung ""Avukah Student Action"". Mittlerweile ist er weit weniger revolutionär und kann am ehesten dem rechts-liberalen, neokonservativen Spektrum zugerechnet werden.


Akademische Laufbahn[Bearbeiten]

  • Im Jahr 1940 begann Nathan Glazer sein Studium am City College of New York. Er gab seine anderen Studien-Interessen der Wirtschaftswissenschaften und Public Administration zugunsten der Soziologie auf, das er schließlich 1944 abschloss. Glazer beschrieb diesen Entscheidungsprozess als „from socialism to sociology“. 1942 studierte er auch an der University of Pennsylvania. Seinen Doktor (Ph. D. in sociology) absolvierte er an der Columbia University.
  • In den 50er Jahren arbeitete er hauptsächlich für Verlage, und nahm danach Lehraufträge wahr. So lehrte er als Soziologie-Professor an der University of California in Berkeley in den Jahren 1957 und 1958 und darauf im Bennington College, in Bennington, Vermont von 1958 bis 1959. In den folgenden zwei Jahren lehrte er am Smith College in Northampton, Massachusetts. Nach dieser Episode des Dozierens war er für die staatlich Behörde „Housing and Home Finance Agency“ als Experte für Stadtsoziologie tätig. Trotz attraktiver Angebote, wie jener der University of California, Berkeley, entschloss er sich erst 1969 für eine fixe Professur an der Harvard University. Heute ist er Professor emeritus der Graduate School of Education an der Harvard University.
  • Glazer wurden viele akademische Ehrungen zuteil. Er bekam nicht nur hochdotierte Forschungsstipendien, u. a. von Guggenheim und Fulbright, sondern erhielt darüber hinaus akademische Ehrungen und Würdentitel von zahlreichen Universitäten. Nathan Glazer wurde schließlich auch als politischer Berater hinzugezogen. So war er in mehreren Regierungsausschüssen und Arbeitsgruppen (Presidential Task Forces) in den Bereichen Bildung und Stadtpolitik tätig. Darüber hinaus war er Mitglied im Komitee der National Academy of Science für Stadtentwicklung und Minderheitsfragen.
  • Nathan Glazer stellt als einflussreicher Soziologe eine Autorität auf den Gebieten der Ethnien (entspricht im Amerikanischen dem Begriff „race“), Immigration, Stadtentwicklung und der US-amerikanischen Sozialpolitik dar. Er prägte mit seinen Publikationen (insbesondere durch „The Lonely Crowd“ und „Beyound the Melting Pot“) den öffentlichen Diskurs insbesondere zu Immigration und der Amerikanischen Identität und Kultur in den Vereinigten Staaten entscheidend mit.


Journalistische Tätigkeit[Bearbeiten]

+Glazer hat an verschiedenen Magazinen maßgeblich mitgewirkt und macht bis heute seinen Einfluss als politischer Kommentator geltend. Als Mitherausgeber von „The Public Interest“, einer vierteljährlich erschienenen konservativen Zeitung zu Politik und Kultur, arbeitete er u. a. mit Irving Kristol, Francis Fukuyama, Charles Krauthammer und Charles Murray zusammen. Die Publikation richtete sich in erster Linie an Intellektuelle, Journalisten und Politiker, wurde jedoch 2005, nach 40 Jahren, aufgrund von sinkender Nachfrage eingestellt.

+Glazer fungierte auch als Ko-Redakteur des „Commentary“, als Monatszeitschrift des American Jewish Committee 1945 gegründet, in seinen Anfangszeiten strikt liberal und antikommunistisch, seit den 1970ern fest in der Hand der Neokonservativen (Neocons). Heute wird die Zeitschrift im eigenen Verlag publiziert und ist vom AJC unabhängig.

Glazer schreibt Beiträge und arbeitet redaktionell für die vierzehntägig erscheinende, liberale amerikanischen Zeitschrift „The New Republic“.


Historischer und Theoriegeschichtlicher Kontext[Bearbeiten]

Seit dem 19. Jahrhundert existierte in den USA die Vorstellung eines „melting pot“ , nach der die Bevölkerung verschiedener Rassen wie in einem Schmelztopf zusammengeschmolzen werden und auf diese Weise eine völlig neue Zivilisation entsteht. Diese Idee bezieht sich übrigens auf die Immigrant/inn/en aus Nord- und Westeuropa („old immigrants“), die sich ethnisch von den US-Amerikaner/inne/n nicht außerordentlich unterscheiden.

Der Begriff geht ursprünglich auf das Drama „Melting Pot“ (1908 ) des british-jüdischen Schriftsteller Israel Zangwill zurück. Dieser wuchs sich zu einer Assimilationsideologie in den USA aus, war unreflektierter Teil der damaligen politischen Rhetorik, so auch bei den US-Präsidenten Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson, und bestimmte lange Zeit die Realität US-amerikanischer Einwanderungspolitik. Obwohl der Dramatiker bereits acht Jahre nach der Aufführung seines Stücks seine Position der ethnischen und religiösen Vermischung revidiert hatte, hielt sich der Mythos "Melting Pot" hartnäckig.

Nicht desto trotz sind bis heute, etwa 40 Jahre nach dem Ende der Masseneinwanderung nach New York, die maßgeblichen ethnischen Gruppen erhalten geblieben. New York kann zwar nicht für die gesamten Vereinigten Staaten stehen, jedoch für Teile der USA. Auf jeden Fall erweist sich die Hauptthese von Glazers Studie in New York, dass der Melting Pot nicht realisiert worden ist, auch für die USA als haltbar und gültig. Die Vorstellung, dass sich die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen zu einem homogenen Ganzen verschmelzen würden, hat sich als falsch und unhaltbar herausgestellt, weil empirisch die Ethnizität nach wie vor bewahrt worden ist. Diese Tatsache zeigt Glazer zusammen mit Moynihan eindrucksvoll.


Werke[Bearbeiten]

1997: We Are All Multiculturalists Now. Harvard University Press. Cambridge, Massachusetts.

1988: The Limits of Social Policy. Harvard University Press. Cambridge, Massachusetts.

1963: (with Daniel Patrick Moynihan) Beyound The Melting Pot: The Negroes, Puerto Ricans, Jews, Italians and Irish of New York City. MIT Press and Harvard University Press. Cambridge, Massachusetts.

1957: American Judaism: The Chicago History of American Civilization. University of Chicago :Press. Chicago.

1952: (with David Riesman) Faces in the Crowd: Individual Studies in Character and Politics. Yale University Press. New Haven.

1950: (with David Riesman; newest revised edition 2001) The Lonely Crowd: A Study of the Changing American Character. Yale University Press. New Haven.


Das Werk in Themen und Thesen[Bearbeiten]

Das ökologisches Sequenzmodell[Bearbeiten]

Das ökologische Sequenzmodell (1957) hat Nathan Glazer mit Louis Wirth erarbeitet. Es bezieht sich auf die Immigration amerikanischer Juden in die USA und umfasst fünf Phasen:

1. Juden aus Nord- und Westeuropa wandern in die USA ein und errichten in ihren Siedlungsgebeiten ihre eigene Infrastruktur und Institutionen gemäß ihrer Kultur und Religion (Synagogen, Schulen usw.).

2. Mitglieder der ersten jüdischen Immigrantengeneration machen allmählich Karriere und erreichen einen gewissen sozialen Aufstieg. Sie ziehen in bessere Wohngegenden, wo es eine größere ethnische Durchmischung gibt und ein liberaleres Klima vorherrscht. Ihre Umgebung ist nun säkular, und die Assimilation wird wahrscheinlicher.

3. In die nun freigewordenen Wohnungen ziehen jedoch wieder orthodoxe Juden, die aus Osteuropa stammen, nach und gründen ihrerseits wieder religiöse Einrichtungen.

4. Auch die zweite und dritte nachgekommenen jüdische Siedlergeneration mit den ehemals traditionellen Juden macht Karriere und verläßt das jüdische Siedlungsghetto zugunsten besserer Wohngegenden.

5. Einige Generationen später, kommt es schließlich zur Vermischung mit den US-BürgerInnen, eine ethnisch gemischte Gesellschaft entsteht. Glazer und Wirth nehmen also an, dass die Intensivierung der Kontakte mit Andersgläubigen zur Assimilation im Aufnahmeland führt.


Insgesamt ist dieses Modell, wie die meisten Zyklen-, Generationen- und Sequenzmodelle, wenig generalisierbar. Das Migrationsmodell, dass sich am ehesten zur Verallgemeinerung eignet, ist Robert E. Parks und Ernest W. Burgess' Race-Relation-Cycle. (vgl. Han 2005: 46)


Beyound the Melting Pot[Bearbeiten]

„The point about the melting pot, as we say later, is that it did not happen.“

Nathan Glazer und Daniel P. Moynihan (w:en:Daniel Patrick Moynihan) beschrieben ihr Werk „Beyound the Melting Pot“ als „beginning book“, also als wissenschaftliche Arbeit ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Für die Autoren war es „an effort to trace back the role of ethnicity in the tumultuous, varied endlessly complex life of New York City“, in der Hoffnung, auf größere Zusammenhänge zu stoßen.

In der Studie untersuchten sie die Gruppen der Afroamerikaner („Negroes“), Puerto-Ricaner, Juden, Italiener und Iren in der Stadt New York hinsichtlich der Rolle der Ethnizität (the role of ethnicity). Im folgenden sind die Forschungsergebnisse zu den fünf größten ethnischen Gruppen zusammengefasst:


Die Gruppe der Schwarzen (The Negroes)[Bearbeiten]

1960 betrug der Anteil der Schwarzen an der Bevölkerung von New York mit etwas über einer Million, etwa ein Siebtel. Im Vergleich mit anderen Städten wie Chicago, Detroit, Philadelphia und Cleveland (wo zu dieser Zeit 20-25% der EinwohnerInnen Schwarze sind) ist diese Zahl relativ gering. Der Großteil wanderte aus dem Süden ein. Die AfroamerikanerInnen waren jünger als der Altersdurchschnitt der übrigen New Yorker Bevölkerung, was sich auf die Zahl der SchülerInnen und Jugenddelinquenz auswirkte.

Die schwarzen ArbeiterInnen verdienten 70% des Durchschnittslohns der Weißen und war mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit betroffen. So stieg mit der Rezession der 1960er Jahre die Arbeitslosigkeit bei den AfroamerikanerInnen mit 10% überdurchschnittlich an. Die Arbeitsmarktchancen der Frauen waren generell deutlich besser, z. B. mit einem Lohn, der 93% des Lohns weißer Frauen entsprach.


Ein großes Problem für die schwarze Bevölkerung New Yorks war die schulische Segregation. So betrug der Anteil schwarzer Kinder 90% in 95 der insgesamt 589 Grundschulen sowie 85% in 22 von insgesamt 125 Mittelschulen aus. In den Gymnasien gab es gar nur 10% schwarze SchülerInnen.

Die überhaupt größte Diskriminierung der Schwarzen gegenüber der Nichtschwarzen Bevölkerung fand im Wohnbereich statt. Trotz eines formalen Diskriminierungsverbots kam es zur räumlichen Segregation durch die hohen Mietpreise. Die Schwarzen, denen der Aufstieg in die Mittelschicht gelang, zogen vermehrt in die Vorstädte, was auf Widerstand der weißen AnwohnerInnen stieß und wiederum zu einer Wegbewegung Besserverdienender Weißer in andere Wohngegenden führte.

Die politische Partizipation (etwa die Wahlbeteiligung) unter den Schwarzen war recht ausgeprägt. Für sie bedeutete die Politik auch ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen, in erster Linie die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Obwohl die Rassenbeziehungen in New York im Großen und Ganzen harmonisch waren, herrschten auch antijüdische Ressentiments unter den Schwarzen vor. Die jüdischen PolitikerInnen setzten sich zwar für die schwarze Minderheit ein und auch die Ansiedlung von Schwarzen in jüdischer Nachbarschaft war konfliktfrei. Die Juden sind eine Generation (etwa 40 Jahre) vor den AfroamerikanerInnen nach New York gekommen und haben sich schon ihren Platz in der Gesellschaft etbaliert. So begegneten sie den Schwarzen häufig in einer hierarchischen sozialen Beziehung, etwa als Grund- oder Geschäftseigentümer und Vorgesetzte - insbesondere traf dies zu bei Schwarzen in Niedriglohnarbeit und schwarzen Frauen, die als Haushaltskräfte in jüdischen Haushalten arbeiteten. In diesen Situationen kam es zu Spannungen und Konflikten zwischen beiden Einwanderergruppen.

Anders als die Juden in New York hatten die Schwarzen kaum Know-How und Ressourcen, um eigene Unternehmungen und Geschäfte zu gründen. Der Mangel an notwendiger Bildung, unternehmerischen Fähigkeiten, Geschäftssinn und Umgang mit Geld geht auf ihre Vergangenheit als Sklaven zurück. Noch dazu wurden sie in ihren Vorhaben der Kapitalgründung und Organisieren von Räumlichkeiten oft diskriminiert. Selbst das Potential des neu entstandenen Stadtteil Harlems konnte mangels gemeinsamer Herkunftskultur und aufgrund der schwach ausgeprägten Familienstruktur für die schwarze Community nicht ausgeschöpft werden. Gegenteilig war dies bei den aus Jamaika (ehemals Britisch-Westindien) stammenden Schwarzen, die seit 1920 eingewandert, etwa 17% der schwarzen Bevölkerung ausmachten. Aufgrund ihres ausgeprägten Spar-und Investitionsverhaltens, großer Arbeitsmoral und Förderung von Bildung gelang es ihnen, überdurchschnittlich viele Führungspositionen unter der schwarzen Bevölkerung zu erlangen.


Die Gruppe der Puerto-Ricaner (The Puerto Ricans)[Bearbeiten]

Die USA besetzten 1900 die kleine Insel Puerto Rico, setzten ihren eigenen Gouverneur ein und verwalteten es seither. Erst mit 1948 wurde der Inselstaat zum Teil unabhängig, verblieb aber im Commonwealth. Die Puerto-RicanerInnen wanderten als US-StaatsbürgerInnen massenhaft in die USA ein, vor allem nach dem Ende des II. Weltkriegs. So betrug 1961 ihre Zahl 613.000. In den 1960ern nahm die puerto-ricanische Einwanderungswelle zwar ab, aufgrund ihrer Geburtenstärke (jede siebte Geburt) wuchs die Gruppe der Puerto-RicanerInnen trotzdem beträchtlich weiter.


Die Einwanderer siedelten sich vor allem im östlichen Harlem an, aus dem die Juden weggezogen waren. Die Puerto-RicanerInnen waren zu 20% schwarz, lehnten allerdings strikt ab, als Schwarze aufgefasst zu werden. Die AfroamerikanerInnen wiederum distanzierten sich generell von Schwarzen aus dem ehemaligen Gebiet Britisch-Westindiens. Wirtschaftlich waren die puerto-ricanischen ImmigrantInnen ähnlich den JamaikanerInnen sehr aktiv, so gründeten sie an die 4.000 Geschäfte, die auf den Konsum der eigenen ethnischen Gruppe ausgelegt waren. Auf der anderen Seite betrug ihr Einkommen nur 63% des Durchschnittseinkommens der New YorkerInnen. Da sie auch wenig qualifiziert waren, waren sie überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen.


Unter Puerto-RicanerInnen gab es das Phänomen von Pendelbewegungen zwischen ihrer Heimat und New York, was nicht zuletzt auf die Einrichtung einer Flugverbindung zwischen San Juan und New York 1945 zurückgeht. Jedoch ist diese Gruppe stark von der Erosion der Familie und geteilten Familien betroffen, wobei ein Teil in Puerto Rico verblieb und der andere Teil in New York lebte. Ein großes Problem zerrütteter Familienstrukturen bestand darin, dass Mütter von ihren Ehemännern verlassen wurden und sie sich in der Folge wegen ihrer Erwerbsarbeit nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern konnten, die zunehmend verwahrlosten und in die Kriminalität und Drogenszene abrutschten.


Die Gruppe der Juden (The Jews)[Bearbeiten]

Die Juden machten 1960 etwa 25% der Bevölkerung New Yorks aus (ca. ein Drittel der Weißen und Nicht-Puerto-RicanerInnen) – zusammen mit den Juden aus dem Umland der Stadt waren das die Hälfte aller Juden in den ganzen USA. Bis heute ist ihr Anteil in New York vergleichbar geblieben.

Es gab mehrere Einwanderungswellen von Juden nach New York. Erste jüdische Immigration begann bereits 1654 mit einer Gruppe von Sephardim-Juden aus Portugal und Spanien, die auch unter dem Namen „holländische Juden“ („dutch jews“) bekannt geworden sind. Mitte des 19. Jahrhunderts immigrierten viele deutsche Juden aus Österreich, Ungarn, Böhmen und Deutschland nach New York, so lebten 1880 schon etwa 80.000 Juden in der Stadt. In den 1880er Jahren wanderten massenhaft osteuropäische Juden aus Österreich, Rumänien, Ungarn und dem Russischen Reich ein, sodass die Zahl der New Yorker Juden bis 1910 auf 1 Million anwuchs. Die jüdische Immigration erlebte zur Zeit des I. Weltkriegs und 1924 aufgrund des „National Origins Act“, der Einwanderung aus nicht-west- bzw. nicht-nordeuropäischen Staaten massiv erschwerte, kurze Einbrüche. Nichtsdestotrotz gab es 1924 bereits 2 Millionen Juden in New York.


Trotz aller religiösen, kulturellen und sogar sprachlichen Unterschiede kooperierten die Juden, um sich für gemeinsame Interessen einzusetzen. Vertraten die deutschen Juden das reformierte Judentum, so war der Großteil der neu eingewanderten osteuropäischen Juden orthodox. Deutsche reiche Juden gründeten im Jahr 1906 „The American Jewish Committee“ zur Verteidigung der Interessen osteuropäischer Juden. 1917 entstand die „Federation of Jewish Charities“ für koordinierte soziale Aktionen. Für die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in New York angekommenen Juden (1920 Sephardim-Juden aus Griechenland und der Türkei, 1930 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, europäische Juden in den 1940ern und 1950ern) stand die soziale Organisation der „American Jewish“ bereit, um sie in der Fremde aufzunehmen und zu betreuen.


Die Juden aus Osteuropa waren zum großen Teil erfolgreiche Geschäftstreibende, die für eine gute Ausbildung und qualifizierten Werdegang ihrer Kinder sorgten. Ihnen gelang der soziale Aufstieg aus der Arbeiterklasse in die Mittelschicht trotz widriger gesellschaftlichen Umweltbedingungen. So war ein Siebtel der Regierungsangestellten jüdisch, fast die Hälfte der LehrerInnen und die Mehrheit der SchuldirektorInnen.

Typisch für die jüdischen Geschäftsleute war ihre Neigung, selbständig und in kleinen Familienunternehmen, eingebettet in der jüdischen Gemeinde, zu arbeiten. Das gleiche gilt für die Facharbeiter unter den Juden, obwohl diese aufgrund ihrer Ausbilung eher akkulturiert waren. Die politischen Präferenzen der Juden lagen aufgrund ihrer Liberalität bei den Demokraten, während die weiße, protestantische Mehrheitsgesellschaft republikanisch wählte.

Die erfolgreichen, wohlhabenden hatten zwar Zugang zu elitären gesellschaftlichen Kreisen, wurden jedoch allmählich aus Klubs, berühmten Schulen, bestimmten Wohngegenden und Prestige-Berufen ausgeschlossen. Diese gesellschaftliche Praxis der sozialen Ausgrenzung war besonders ausgeprägt in den 1920er und 1930er Jahren. Hatte dies nach dem II.Weltkrieg zwar nachgelassen, integriert wurden diese Juden nicht wirklich. Dazu trugen auch Tendenzen räumlicher Trennung bzw. residentialer Konzentration bei (z. B. in Forest Hills, Bayside-Oakland-Gardens, Central Queens). Interethnische Heirat kam aus diesem Grund ebenfalls so gut wie nicht vor, was jedoch bei den orthodoxen Juden mit ihrer Art der Lebensführung (Kleidungsordnung, Bräuche, Normen bzgl. äußerer Erscheinung) zusammenhängt.

Die Gruppe der Italiener (The Italians)[Bearbeiten]

Ab 1870 erlebte Italien eine unglaubliche, dauerhafte Massenauswanderung von Bauern, Bauarbeitern und Handwerkern erst in Richtung Mittelmeerraum und Westeuropa, wo sie insbesondere beim Bau von Eisenbahnstrecken eingesetzt worden sind. Ab 1885 fanden auch transatlantische Migrationsbewegungen statt, vorerst nach Südamerika und Kalifornien, wo sich die italienischen Einwanderer dem Weinbau widmeten. Italienische Immigranten dominierten die Immigration nach Argeninien und Brasilien für Jahrzehnte. Mit den wirtschaftlichen Krisen in den beiden Ländern handelte es sich dann bei der anschließenden italienischen Immigration in die USA um „umgeleitete“ Migrationsströme aus Südamerika. Ab 1900 gab es schließlich auch direkte Migrationsbewegungen von Süditalien (woher der überwiegende Großteil der Einwanderer stammt) nach New York. So wanderten zwischen 1899 und 1910 insgesamt 2,3 Millionen ItalienerInnen in die Vereinigten Staaten ein, 1,9 Millionen davon Süditaliener. Die meisten süditalienischen ImmigrantInnen (77%) hatten keine berufliche Qualifikation, sowie 66% der Norditaliener. Zudem war die Hälfte der eingewanderten SüditalienerInnen Analphabeten. Die zugewanderten Süditaliener ersetzten auch die irischen Bauarbeiter.

In New York siedelten sich die meisten ItalienerInnen an: So lebten 1880 12.000 der 44.000 italienischen Einwanderer in New York. Auch später wählte etwa ein Viertel aller ImmigrantInnen aus Italien New York als Zielort. 1930 gab es inzwischen 1,7 Millionen Italiener in New York, was einem Sechstel der New Yorker Bevölkerung entspricht und in der Größenordnung bis heute gleich geblieben ist. Das macht sie nach den Juden zur zweitgrößten ethnischen Gruppe New Yorks. In den 1950er Jahren wanderten jährlich 15-20.000 Italiener in die USA aus, wovon wiederum ein Drittel in New York geblieben ist.


Eine italienische Eigenart in Bezug auf ihre sozialen Beziehungen, die einen signifikanten Unterschied zur Integration anderer ethnischer Gruppen macht, ist ihr Verhältnis zur Familie und Nachbarschaft. So ist Mobilität keine individuelle Entscheidung, sondern in erster Linie Sache der Familie. Denn selbst die erwachsenen Kinder mit eigenen Familien blieben in der Nachbarschaft ihrer Eltern. So gründeten sie „italienische“ Viertel, die bis heute bestehen, wie East-Harlem (erste italienische Ansiedlung 1920), North Bronx, Greenwich Village und Staten Island.

Die italienische Community in New York war der italienischen Dorfgemeinschaft nachempfunden und stellte eine nach außen geschlossene Gemeinschaft dar, zu der andere Ethnien wie Puerto-RicanerInnen oder Schwarze keinen Zugang fanden. Der Zuzug anderer Ethnien war für die ItalienerInnen sogar ärgerlich. Die Adaption italienischer Kinder verlief langsamer als die anderer ethnischer Gruppen, weil sie stärker von ihrer Familie befürsorgt und abgeschirmt wurden. Die New Yorker LehrerInnen sprachen daher vom „Italien-Problem“, weil die italienischen Kinder beim Schuleintritt häufig große Schwierigkeiten hatten. Es kamen in der italienischen Gemeinde auch kaum Trennungen oder Scheidungen bei den italienischen Ehen bzw. auch wenig JunggesellInnnen vor. Dies widersprach dem Phänomen der modernen Individualisierung anderer ethnischer Gruppen diametral.


Die süditalienische Mentalität und Kultur fand auch Eingang in die Arbeitswelt der ImmigrantInnen. So arbeiteten etwa zwei Drittel aller italienischen ArbeiterInnen in ethnischen Gruppen geleitet von einem „padroni“, einem Führer aus ihrem Heimatdorf. Obwohl dieses System oft zu Asubeutung führte, weigerten sich die SüditalienerInnen, für Behörden anstatt eines „padroni“ zu arbeiten. Aus dem selben Grund, nämlich dass sich die Solidarität auf die Familie und unmittelbare Nachbarschaft beschränkte, brachten die SüditalienerInnen auch keine überregionalen Hilfsorganisationen zu Stande. Durch diesen Umstand sind die ItalienerInnen trotz ihrer großen Zahl politisch wenig organisiert und repräsentiert. Sowohl Politik als auch Wirtschaft sind von der Gruppe der Iren dominiert.

Wenig überraschend konnte die zweite Einwanderergeneration den wirtschaftlichen und sozialen Status im Vergleich zu ihren Eltern kaum verbessern. Die dritte Generation wies eine bedeutend höhere soziale Dynamik auf und erlangte auch qualifizierte Berufe.


Auch in Bezug auf die Religion fand ein Wandel in der italienischen Gemeinde statt: Während erst die katholische Kirche unter den italienischen Einwanderern an Bedeutung verlor, wandelte sich dies in den 1950er Jahren, wo Religion zuminest in der Mittelschicht wieder mehr en vogue war. Das führte beispielsweise dazu, dass interethnische Heirat mit katholischen Frauen irischer Herkunft an Prestige gewann. Die zwei einst rivalisierenden ethnischen Gruppen glichen sich einander nun an und realisierten eine neue religiöse interethnische Identität – und somit eine Variante des Melting Pot-Ideals.


Die Gruppe der Iren (The Irish)[Bearbeiten]

Die Emigration von Iren (Protestanten und Iren mit englischen oder schottischen Vorfahren) nach Nordamerika fand erstmals im 17. und 18. Jahrhundert statt. Gegen 1800 emigrierten auch katholisiche Iren. Zu umfangreicheren Migrationsbewegungen nach New York kam es zwischen 1846 und 1850 zur Zeit der großen Hungersnot (The Great Famine). So erreichten Iren um 1850 einen Anteil von 26% (rund 130.000) der Bevölkerung New Yorks, 1855 bereits 34%. 1890 waren gar 80% der EinwohnerInnen der Stadt MigrantInnen, davon ein Drittel (fast 410.000) Iren.

Die Mehrheit der Iren hat den Aufstieg aus der Arbeiterklasse in die Mittelschicht vollzogen. So ist das Bankenwesen sowie der juristische Sektor eine irische Domäne, an der „Wall Street“ haben große Banken und prominente irische Rechtsanwaltsbüros ihren Sitz. Insgesamt ist der soziale Aufstieg der Iren als Gruppe im Vergleich zu anderen Ethnien langsam verlaufen und ins Stocken geraten. Außerdem gibt es soziale Probleme, die den Iren eigen zu sein scheinen, wie der Alkoholismus. So lag der Anteil der Iren mit Alkoholabhängigkeit und damit verbunden psychischen Problemen in New York mit fast 26% äußerst hoch.


Die irische Bevölkerung in New York erlebte einen dramatischen Rückgang: 1960 gab es in New York nur noch 312.000 Angehörige der ersten und zweiten Einwanderergeneration, was auch mit einem Zusammenbruch ihrer politischen Macht zu tun hatte. Während viele von ihnen in die Umgebung New Yorks verzogen, wechselten viele Iren zu den Republikanern, sodass die politische Basis wegbrach. Die politischen Funktionäre waren mit einer schwindenden irischen Bevölkerung konfrontiert. Die katholische Kirche, die die Iren in New York als größte Mitgliederorganisation des Landes aufgebaut hatten, konnte lediglich vorübergehend Einfluss auf den amerikanischen Konservatismus nehmen. Denn diese blieb eine irisch-katholische Kirche (1960 lebten in New York eine Million katholische Iren) und verwehrte ihre Öffnung, was ihnen zudem einen Dauerkonflikt mit den liberalen Protestanten bescherte.


Aufgrund des Rückgangs der irischen Immigration in die USA und weil die erste Einwanderergeneration bereits sehr alt ist, was die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte erschwert, wird die irische Identität in Amerika – die es zweifelsohne gibt - zunehmend geschwächt.

Resümee[Bearbeiten]

  • In der ersten und zweiten Einwanderergeneration gehen Sprache und Kultur teilweise verloren. Mit dem Einfluss der Kultur des Aufnahmelands USA, für das die Immigrantengruppen mehr oder weniger aufgeschlossen sind, verändern sie sich – bleiben aber trotzdem von der Mehrheitsgesellschaft über Jahrzehnte unterscheidbar als solche.


  • Die Erkenntnis, dass es relativ stabile ethnische Gruppen gibt, legt weder nahe, dass Assimilation nicht empirisch stattfindet, noch, dass der kulturelle Pluralismus realisiert bzw. eine ernsthafte und realistische Alternative dazu ist. Die Assimilation wird individuell vollzogen, eine vollständige Assimilation findet jedoch nicht statt: „The American in abstract does not exist“


  • In ihrem Ausblick stellen Glazer und Moynihan fest, dass Religion und Rasse die Hauptfaktoren für die Bildung von Minderheitsgruppen sein würden. So bildeten sich vier große Einwanderergruppen: Die Juden, die Katholiken (umfassen italienische und irische Katholiken), die Puerto-Ricaner und Afroamerikaner - sowie die weißen angelsächsischen Protestanten (WASP).


Hatten einst vor allem unterschiedliche Auffassung über Religion (Protestanten vs. Katholiken bzw. Juden vs. Katholiken, Uneinigkeit in Fragen des Laizismus) Konflikte provoziert, so betonen die Autoren einige Jahre später, in der zweiten Auflage des Werks aus dem Jahr 1970, dass nun ethnische Merkmale (z. B. die Hautfarbe) für die Identität der einzelnen Migrantengruppen mehr an Bedeutung gewonnen haben gegenüber religiösen Motive der Unterscheidung zwischen den Minderheiten (insbesondere zwischen Juden und Katholiken).


Rezeption und Wirkung[Bearbeiten]

Das 1965 Milton Gordon erschienene Werk „Assimilation in American Life“ liefert die Gegenthese zu Glazers Standpunkt. Nichtsdestotrotz leiteten Glazer und Moynihan mit ihrem Buch einen Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Denken und Diskurs der Migrationssoziologie aus. Die Rezipienten kritisieren vor allem an "Beyound the Melting Pot" ihre einseitige Argumentationsweise bzw. zur Reduktion neigende Darstellung, so beispielsweise Philip Gleason, Historiker und Prof. emeritus der University of Notre Dame (Indiana): „Glazer and Moynhihan invitied an oversimplified reading by the title they chose and by the statement made twice that“ the point about the melting pot ist that it did not happen“. For, despite this seemingly categorial assertion, they did not deny the reality of assimilation. On the contrary, they regarded assimilation as a powerful solvent that washed out immigrant languages, customs, and „the specifically national aspect.“ For that reason they looked upon „the dream of cultural pluralism“, as no more realistic than „the hope of a melting pot“. Glazer and Moynhihan might therefore have said with equal justice that cultural pluralism „did not happen“ either. ( Gleason, Philip zit. n. Steinberg 2007: 115)

Hatten Glazer und Moynihan in ihrem ersten Buch noch die positive Einschätzung vertreten, die Einkommensunterschiede zwischen Schwarzen und Weißen würden in absehbarer Zeit geringer, so mussten sie dies später relativieren.

Literatur[Bearbeiten]

  • Glazer, Nathan/ Moyinhan, Daniel Patrick (1963):
    "Beyound The Melting Pot: The Negroes, Puerto Ricans, Jews, Italians and Irish of New York City"
    Cambridge, Massachusetts
  • Han, Petrus (2006):
    "Theorien zur internationalen Migration. Ausgewählte interdisziplinäre Migrationstheorien und deren zentralen Aussagen"
    Stuttgart
  • Steinberg, Stephen (2007):
    "Race Relations: A Critique, Stanford, CA "
    Standford University Press.