Verwaltungsrecht in der Klausur/ § 10 Einstweiliger Rechtsschutz 3: Der Antrag nach § 123 VwGO/ B. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags nach § 123 VwGO
§ 10 Einstweiliger Rechtsschutz 3: Der Antrag nach § 123 VwGO
B. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrags nach § 123 VwGO
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10 Nach der Prüfung der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs und der Prüfung der statthaften Antragsart sind im Falle des Antrags nach § 123 VwGO regelmäßig die folgenden weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen anzusprechen, wobei es auch hierbei auf problembewusstes Arbeiten ankommt (dazu § 1 Rn. 52, 123).
I. Antragsbefugnis
[Bearbeiten]11 Auch für die Antragsbefugnis im Verfahren nach § 123 VwGO gilt § 42 II VwGO analog. Der Antragsteller muss ein Recht geltend machen können, das ihm zukommt und das möglicherweise verletzt oder gefährdet ist.[1]
12 Die Möglichkeit der Verletzung in eigenen subjektiven Rechten bedeutet bei einem Antrag nach § 123 VwGO, dass die Möglichkeit eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes von dem Antragssteller darzulegen sind.[2]
13 Begehrt der Antragsteller eine Sicherungsanordnung, muss aus dem Antrag ersichtlich sein, dass die Gefahr besteht, durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.[3] Ist der Antrag auf eine Regelungsanordnung gerichtet, muss der Antragsteller darlegen, dass diese zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder einer drohenden Gefahr erforderlich ist.[4]
14 Formulierungsvorschlag: „Der Antragsteller müsste zudem auch antragsbefugt nach § 42 II VwGO analog sein. Dies setzt voraus, dass er einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund geltend machen kann (…).“
II. (Kein) Vorverfahren
[Bearbeiten]15 Im Rahmen der Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 VwGO ist die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens keine Sachentscheidungsvoraussetzung und daher in einer Klausur nicht zu thematisieren.
III. (Keine) Antragsfrist
[Bearbeiten]16 Grundsätzlich ist beim Antrag nach § 123 VwGO keine Frist zu beachten.[5] Ein Antrag ist also auch schon vor dem Hauptsacheverfahren bzw. während des Widerspruchsverfahrens möglich, sofern das Rechtschutzbedürfnis besteht. Jedoch können spezialgesetzliche Regelungen, wie z.B. im Asylrecht, eine Frist ausnahmsweise anordnen.[6] Im Hinblick auf die Fristberechnung (s. § 2 Rn. 361 ff.) kann auf die Ausführungen im Rahmen der Anfechtungsklage verwiesen werden.
Weiterführende Literaturhinweise finden sich in § 2 Rn. 402.
IV. Beteiligte
[Bearbeiten]17 Die Ausführungen zur Beteiligungs- und Prozessfähigkeit im Rahmen der Anfechtungsklage gelten entsprechend für den Antrag nach § 123 VwGO (s. ausführlich § 2 Rn. 403 ff.).
18 Der richtige Antragsgegner bestimmt sich im einstweiligen Rechtsschutz nach dem richtigen Beklagten in der Hauptsache. Demzufolge kann nur dann auf § 78 VwGO analog abgestellt werden, wenn es sich in der Hauptsache um eine Verpflichtungsklage handelt. Im Übrigen bestimmt sich der richtige Antragsgegner nach dem allgemeinen Rechtsträgerprinzip (s. dazu § 5 Rn. 37 a.E).
19 Auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO sind die Beiladung nach § 65 VwGO[7] und die subjektive Antragshäufung nach § 64 VwGO[8] analog möglich, sodass auf die Ausführungen zur Anfechtungsklage verwiesen werden kann (vgl. § 2 Rn. 445 ff., 455 ff.), wobei diese im Verfahren nach § 123 VwGO relativ selten sind.
V. Zuständiges Gericht
[Bearbeiten]20 Das zuständige Gericht im einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 VwGO ist gem. § 123 II 1, 2 VwGO das Gericht der Hauptsache. Dies ist nach § 123 II 2 VwGO grundsätzlich das Gericht des ersten Rechtszugs. Wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, ist hingegen das Berufungsgericht zuständig (s. zur Zuständigkeit in den jeweiligen Hauptsacheverfahren § 3 Rn. 38 ff. (Verpflichtungsklage), § 5 Rn. 40 ff. (allgemeine Leistungsklage) und § 6 Rn. 89 ff. (Feststellungsklage)).
21 Formulierungsvorschlag: „Das Gericht der Hauptsache ist gem. § 123 II 1, 2 VwGO im einstweiligen Rechtsschutz zuständig. Dessen Zuständigkeit ergibt sich sachlich aus § 45 VwGO und örtlich aus § 52 VwGO.“
VI. Rechtsschutzbedürfnis
[Bearbeiten]Dana-Sophia Valentiner/ Mira Wichmann
22 Auch ein Antrag nach § 123 VwGO erfordert, dass die Antragstellerin rechtsschutzbedürftig ist (s. einleitend zum Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses bereits § 2 Rn. 477 ff.).
23 Grundsätzlich ist für das Rechtsschutzbedürfnis erforderlich, dass kein einfacherer, schnellerer und gleich effektiverer Rechtsschutz in Betracht kommt. Daher ist für einen Antrag nach § 123 VwGO grundsätzlich ein – zumindest konkludenter – Antrag bei der zuständigen Behörde zu stellen.[9] Denn nur so ist gewährleistet, dass die Behörde überhaupt Kenntnis davon erlangt, dass der Betroffene sich gegen Verwaltungsmaßnahmen wenden möchte. Das behördliche Verwaltungsverfahren kann nämlich einen einfacheren und gleich effektiven Rechtsschutz zum gerichtlichen Verfahren leisten.
Ausnahmen vom Antragserfordernis gelten bei besonderer Eilbedürftigkeit der Sache und einer geringen Wahrscheinlichkeit, dass der Antrag rechtzeitig positiv von der Behörde entschieden wird.[10]
Deutet das Verhalten der Antragstellerin, etwa durch zögerliches Betreiben der Hauptsache, darauf hin, dass sie die Sache nicht für eilbedürftig hält oder hat sie bereits einen vorläufig vollstreckbaren Titel erwirkt, kann dies der Annahme des Rechtschutzbedürfnisses entgegen stehen.[11]
24 Das Rechtsschutzbedürfnis einer antragstellenden Behörde fehlt, wenn sie die begehrte Regelung durch eigenes Verwaltungshandeln herbeiführen kann.[12]
25 In Fällen des vorbeugenden Rechtsschutzes (Unterlassungsklage, Feststellungsklage) kommt dem Rechtsschutzbedürfnis eine besondere Relevanz zu. Denn grundsätzlich ist es der Bürgerin vor Beschreiten des gerichtlichen Rechtsweges zumutbar, eine behördliche Maßnahme abzuwarten. Dies folgt u.a. aus dem Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 II GG, der es gerade vermeiden soll, die Entscheidungsfreiheit der Verwaltung durch richterliche Anordnung einzuengen.[13] Daher ist in einem solchen Fall des vorläufig vorbeugenden Rechtsschutzes ein besonderes Interesse an der vorbeugenden Gewährung von Rechtsschutz zu begründen.[14] Dabei muss bei der Prüfung des Rechtschutzbedürfnisses dargelegt werden, dass der Antragstellerin eine irreversible Rechtsbeeinträchtigung droht, die es rechtfertigt schon vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung den vorbeugenden Rechtsschutz zu gewähren.[15]
Fußnoten
- ↑ Wollenschläger, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2019, § 123 Rn. 85; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 33 Rn. 9.
- ↑ Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 123 Rn. 107.
- ↑ Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 33 Rn. 9.
- ↑ Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 33 Rn. 9.
- ↑ Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 21. Zur besonderen Situation bei unterlegenen Bewerbern um eine Beamtenstelle s. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 21.
- ↑ Befristet ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes i.V.m. einem Asylantrag gemäß § 18a IV 1 AsylG, s. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123 Rn. 21.
- ↑ Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 65 Rn. 3, § 123 Rn. 1.
- ↑ Kintz, in: Posser/Wolff, VwGO, 50. Ed., Stand: 1.4.2019, § 64 Rn. 2.
- ↑ Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 123 Rn. 121b; Gersdorf, Verwaltungsprozessrecht, 6. Aufl. 2019, Rn. 213.
- ↑ W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 123 Rn. 22; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 70.
- ↑ Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, S. 525 Rn. 10.
- ↑ OVG Hamburg, Beschl. v. 22.10.1988, Az.: Bs. I 195/88 = NJW 1989, 605; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 123 Rn. 121a.
- ↑ M.w.N. Kuhla, in: Posser/Wolff, VwGO, 50. Ed., Stand: 1.7.2019, § 123, Rn. 43.
- ↑ Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 71.
- ↑ Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 71.