Zivilprozessrecht im 2. Staatsexamen: Der Urkundenprozess

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Die Möglichkeit des Urkundenprozesses soll dem Kläger ermöglichen, besonders schnell einen Vollstreckungstitel zu erlangen, wenn er in der Lage ist, seinen Anspruch mit im Vergleich zu den anderen Beweismitteln als besonders beweiskräftig empfundenen Urkunden zu belegen.[1] Er ist in den § 592 ff. ZPO geregelt.

Statthaftigkeit[Bearbeiten]

Statthaft ist der Urkundenprozess nur bei Ansprüchen, die auf Zahlung von Geld oder Lieferung vertretbarer Sachen oder Wertpapiere gerichtet sind. Alle zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen müssen unstreitig sein oder durch Urkunden bewiesen werden können, § 592 ZPO. Der Kläger hat die Wahl, ob er einen Anspruch im Urkundenprozess oder im normalen Verfahren einklagen will, § 593 Abs. 1 ZPO. Während des Urkundenprozesses kann der Kläger jederzeit vom Urkundenprozess Abstand nehmen, § 596 ZPO. Er wird das insbesondere dann tun, wenn der Gegner Einwendungen oder Einreden mit Urkunden belegt, die der Kläger nur mit anderen Beweismitteln als Urkunden entkräften kann.

Mittel zur Beschleunigung[Bearbeiten]

Um sicherzustellen, dass der Anspruch möglichst schnell durchgesetzt werden kann, sind nach § 595 Abs. 2 ZPO als Beweismittel nur Urkunden und Parteieinvernahme zulässig. Augenschein, Sachverständige und Zeugen scheiden aus. Das gilt auch für Einwendungen des Beklagten, § 598 ZPO. Nach § 595 Abs. 1 ZPO ist zudem die Widerklage im Urkundenprozess ausgeschlossen. Die Aufrechnung ist aber zulässig, wenn der Beklagte seinen Anspruch in den Grenzen von § 598 ZPO beweisen kann.

Urteil im Vorverfahren[Bearbeiten]

Obsiegt der Kläger im Urkundenverfahren, ergeht ein stattgebendes Urteil unter dem Vorbehalt, dass dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten bleibt. Der Tenor erhält in diesem Fall eine Ziffer "IV. Dem Beklagten bleibt die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorbehalten". Das Urteil wird überschrieben mit "Vorbehaltsurteil", im Rubrum wird statt "in dem Rechtsstreit" "in dem Urkundenverfahren" geschrieben. Bei der Vollstreckbarkeit ist zu beachten, dass dem Beklagten nach den § 708 Nr. 4, § 711 ZPO unabhängig vom Streitwert immer eine Abwendungsbefugnis zusteht. Grund dafür ist, dass der Beklagte gegen den ein Vorbehaltsurteil ergangen ist schutzwürdiger ist als eine Partei, gegen die ein erstinstanzliches Urteil nach voller Beweisaufnahme ergangen ist.

Befindet das Gericht, dass der Urkundenprozess nicht statthaft ist, weist es die Klage per Prozessurteil als "im Urkundenprozess nicht statthaft" ab, § 597 Abs. 2 ZPO. Ist die Klage unbegründet, wird die Klage mit gewöhnlichem Endurteil abgewiesen, § 597 Abs. 1 ZPO. Das ist der Fall wenn die Klage unschlüssig ist, der Kläger auf seinen Anspruch verzichtet, oder der Beklagte Einreden mit statthaften Beweismitteln belegt und der Kläger nicht widerspricht. Strittig ist, ob bei Säumnis des Klägers ein kontradiktorisches abweisendes Urteil, oder ein Versäumnisurteil gegen den Kläger ergeht.[2]

Nachverfahren[Bearbeiten]

Nach Erlass eines Vorbehaltsurteils (und nur dann) wird das Verfahren automatisch als als gewöhnlicher Zivilprozess fortgesetzt, § 600 ZPO. Nach herrschender Meinung ist aus prozessökonomischen Gründen jedoch ein entsprechender Antrag notwendig, damit das Gericht das Verfahren weiter betreibt (nach aA gilt § 216 ZPO: Termin zur mündlichen Verhandlung ist von Amts wegen zu bestimmen). Bei Abweisung als unstatthaft oder unbegründet, muss der Kläger ein neues Verfahren anstrengen. Bei teilweiser Abweisung kann er den abgewiesenen Anspruch aber per Klageerweiterung im Nachverfahren geltend machen.

Einheitlichkeit von Vor- und Nachverfahren[Bearbeiten]

Das Nachverfahren bleibt in derselben Instanz. Sachlich und örtlich ist dasselbe Gericht zuständig welches das Vorbehaltsurteil erlassen hat. Alle Beweismittel der ZPO sind zulässig. Prozesshandlungen aus dem Vorverfahren (z.B. Geständnis) bleiben wirksam.

Bindungswirkung des Vorbehaltsurteils[Bearbeiten]

Das Vorbehaltsurteil hat nur eingeschränkte Bindungswirkung auf das Nachverfahren. Da das Vorbehaltsurteil nur erlassen werden darf, wenn die Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen, ist die Zulässigkeit der Klage im Nachverfahren nicht mehr zu prüfen. Nicht geltend gemachte Zulässigkeitsrügen können nach § 296 Abs. 3 ZPO präkludiert sein. Materielle Einwendungen und Einreden unterliegen demgegenüber nicht der Präklusion nach § 296 ZPO, auch wenn sie bereits im Urkundenprozess hätten geltend gemacht werden können. Allerdings hat das Vorbehaltsurteil nach der Rechtsprechung Bindungswirkung für das Nachverfahren gem. § 318 ZPO. Fragen über die bereits im Vorverfahren endgültig entschieden werden mussten, damit das Vorbehaltsurteil ergehen konnte (Schlüssigkeit der Klage, Unbeachtlichkeit durch Urkunden bewiesener Einreden und Einwendungen, Würdigung der vorgebrachten zulässigen Beweise) dürfen im Nachverfahren daher nicht erneut geprüft werden. Rechtsschutz wird insofern nur in der Berufung gewährt.

Streitpunkte über die im Vorverfahren noch nicht entschieden wurde, weil entweder entsprechender Vortrag fehlte oder die Beweisführung im Urkundenprozess nicht möglich war, werden hingegen im vollen Umfang geprüft. Neuer Tatsachenvortrag, Bestreiten zuvor unbestrittener Tatsachen und neue Beweisantritte sind uneingeschränkt zulässig und beachtlich.[3]

Tenorierung[Bearbeiten]

Ähnlich wie beim Urteil nach Einspruch gegen ein VU ist zu beachten, dass bereits ein Vollstreckungstitel existiert. Obsiegt der Kläger auch im Nachverfahren wird das Vorbehaltsurteil für ganz oder teilweise vorbehaltlos erklärt und dem Beklagten werden die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt, bzw. gequotelt. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich in diesem Fall nach § 708 Nr. 5 ZPO. Soweit der Kläger unterliegt, wird das Vorbehaltsurteil ganz oder teilweise aufgehoben, die Klage abgewiesen und dem Kläger werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.


Literatur[Bearbeiten]

  • Tunze: Der Urkundenprozess, JuS 2017, 1073

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. BGH NJW 2008, 523
  2. Zum Streitstand: MüKoZPO-Braun, 3. Aufl. 2007, § 597 Rn. 10
  3. Musielak-Voit 9. Aufl. 2012 § 600 Rn. 10