Zweideutigkeit als System - Thomas Manns Forderung an die Kunst: Vorbilder
Oscar Wilde und Thomas Mann. Ein Vergleich.
[Bearbeiten]Bekannt hat sich Thomas Mann zu dem Leitmotiviker Wagner, dem Entlarver Nietzsche, dem Epiker Tolstoi, dem Genie und Glücksfall Goethe. Oscar Wilde wird von ihm nicht erwähnt. Kannte es dessen Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" (1890, deutsch 1901)? Die Vorrede dort reiht 25 Aphorismen zur Kunst aneinander. Sie sind verwandt mit der Kunstaufassung Thomas Manns, soweit sie die Unverbindlichkeit und Amoralität der Kunst betreffen.
Oscar Wilde: "Es gibt weder moralische noch unmoralische Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben. Nichts sonst."
"Der Künstler hat niemals das Bedürfnis, etwas zu beweisen."
"Laster und Tugend sind für den Künstler Stoffe."
"Was die Form betrifft, ist die Musik der Inbegriff aller Kunst." Das erinnert doch sehr an Zweideutigkeit als System in Doktor Faustus (1947), dort geäußert während eines Diskurs' über die enharmonische Verwechslung.
"Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol". - Thomas Manns Sprache hat Klang, eine equilibierte Rhythmik und große Imaginationskraft infolge der gewagten Prägnanz der Wortwahl, - dies im Sinne von Oberfläche. Zu der ästhetischen Wirkung kommen symbolische Bezüge hinzu, wie psychologisches Durchschauen (vor allem in den frühen Werken) oder mythologische Themen (ab Der Tod in Venedig) und weitere Tiefenperspektiven, die hier nicht alle aufgezählt werden können.
In der "Burleske" Tristan (1903) ironisiert Thomas Mann den literarischen Ästhetizismus, der damals als Widerpart zum Naturalismus auftrat. Doch was am Ästhetizismus kunsttauglich war, hat Thomas Mann fortan übernommen.
Der Ästhetizist Oscar Wilde: "Es gibt nichts Krankhaftes in der Kunst. Der Künstler vermag alles auszusprechen." - Auf Thomas Mann bezogen: Der mit Sprache modellierende Künstler fasst selbst Heikelstes in Worte, ohne zu verletzen oder zu beschämen, - und doch den Kern genauestens treffend.