Pharmakologie und Toxikologie: Einführung
Geschichtlicher Abriss
[Bearbeiten]Naturwissenschaftliche Grundlagen
[Bearbeiten]Die naturwissenschaftliche Pharmakologie beruht auf dem Satz von Paul Ehrlich (*1854 - †1915) „Corpora non agunt nisi fixata“ („Die Medikamente tun nichts, wenn sie nicht gebunden werden“). D.h. Arzneimittelwirkungen beruhen auf der chemischen Wechselwirkung zwischen pharmakologischen und biologischen Molekülen. Diese Wechselwirkung ist physisch erklärbar und die pharmakologische Grundlage medizinischer Wirksamkeit. Demgegenüber stehen die metaphysischen Erklärungen vieler paramedizinischer Lehren wie z.B. der Homöopathie.
Das griech. Pharmakon (φάρμακον) vereinte ursprünglich die Bedeutungen „Gift“, „Droge“ und „Heilmittel“ in sich. Pharmaka sind also Stoffe, die auf Lebewesen eine Wirkung ausüben.
Auch Theophrastus Bombast von Hohenheim alias Paracelsus (*1493 - †1541) wies darauf hin, dass die guten und die schlechten Wirkungen die zwei Seiten einer Medaille sind: „Was ist das nicht Gift ist? All Ding sind Gift und nichts ist ohn Gift. Allein die Dosis macht das ein Ding kein Gift ist. Ein jeglich Speis und ein jeglich Getränk, so es über seiner Dosis eingenommen wird, so ist es Gift, das beweist sein Ausgang: Ich geb auch zu, das Gift Gift sei.“
Mit den erwünschten Wirkungen befasst sich die klinische Pharmakologie, die unerwünschten und giftigen Wirkungen sind das Thema der Toxikologie.
Arzneistoffbezeichnungen
[Bearbeiten]- IUPAC-Name: Chemischer Name - Bsp.: 2-Acetoxybenzoesäure
- INN (International non proprietary name): Chemische Kurzbezeichnung - Bsp.: Acetylsalicylsäure
Arzneimittelbezeichnungen
[Bearbeiten]- Handelsname (Originalpräparat) - Bsp.: Aspirin®
- Generikum: wirkstoffgleiche Kopie des Originalpräparats - Bsp.: ASS STADA®
Aut-idem-Regelung
[Bearbeiten]Abgabe eines anderen, preiswerteren Generikums als das namentliche verordnete. Problematik: Compliance bei älteren Menschen und Einnahmefehler (Änderung der Farbe der Tabletten, Änderung der Arzneiform, des Präparatenamens, des Aussehens der Schachtel).
Der Arzneimittelschatz
[Bearbeiten]Die Rote Liste umfasst derzeit etwa 2.300 Wirkstoffe. Einige hundert davon decken schon den Großteil der Verordnungen ab.
Die Wirkstoffe gibt es dann jeweils in unterschiedlichen Dosierungen, Darreichungsformen und Packungsgrößen (N1 bis 3) von unterschiedlichen Herstellern.
Arzneimittelentwicklung und -zulassung
[Bearbeiten]Phasen der Entwicklung
- Wirkstoffsuche - Festlegung der pharmakologischen Ziels (Enzym, Rezeptor), Identifikation und Optimierung von Leitsubstanzen
- Präklinische Entwicklung - Tierexperimentelle Studien (Phamakokinetik, Toxizität)
- Klinische Entwicklung:
- Phase I - Tests an gesunden Freiwilligen
- Phase II - Studien an kleinen Patientenkollektiven
- Phase III - Große klinische Studien
- Phase IV - Nachzulassungsphase
Von etwa 100 Wirkstoffen bleiben am Ende noch 1 oder 2 übrig. Die Entwicklung eines Arzneimittels nimmt etwa 10 Jahre in Anspruch, die in der Patentbindung von 20 Jahren enthalten sind. Die Entwicklung kostet pro Medikament etwa 500 Mio. bis 800 Mio. US-Dollar.
Die Leitsubstanzen stammen aus der Natur oder werden synthetisch hergestellt.[1] Die Wirkung eines Arzneimittels hängt nur von seiner chemischen Struktur ab, die bestimmt, an welchen Rezeptoren er bindet und was er dort macht (Pharmakodynamik) und von der Konzentration am Wirkort (Pharmakokinetik). Ob der Wirkstoff natürlich oder synthetisch ist spielt dabei keine Rolle. Werbeaussagen wie „natürlich“ und „rein pflanzlich“ verkaufen sich gut, sind jedoch irrational und bedienen die verbreitete Vorstellung von der vermeintlich „sanften Natur“ vs. der „chemischen Keule“. Im Gegenteil: Die stärksten bekannten Gifte stammen aus der Natur, so z.B. das Botulinumtoxin, Schlangengifte oder Pilzgifte. Viele davon werden direkt oder chemisch modifiziert auch therapeutisch eingesetzt, was den Dualismus der Arzneimittelwirkungen unterstreicht.
Tabelle: Beispiele für Pharmaka aus oder nach Vorbild der Natur aus diesem Buch.
Naturstoff | Herkunft | Derivate | Anwendung |
---|---|---|---|
Botox | Clostridium botulinum (Bakterium) | Fokale Dystonie, „Falten“ | |
(+)-Tubocurarin | Chondrodendron (Mondsamengewächse) | Mivacurium, Rocuronium u.a. | Muskelrelaxantien |
Pilocarpin | Südamerik. Pilocarpus-Bäume | Glaukom | |
Atropin | Atropa belladonna (Tollkirsche) | Sinusbradykardie, AV-Block | |
Adrenalin | Körpereigenes Hormon | Reanimation, allergischer Schock | |
Noradrenalin | Körpereigenes Hormon | Schock | |
Reserpin | Rauwolfia serpentina | Antihypertonikum | |
Digitoxin, Digoxin | Digitalis purpurea und Digitalis lanata (Fingerhut) | Schwere Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern | |
BPP5a (Bradykinin potenzierendes Peptid) | Brasil. Jararaca-Lanzenotter (Bothrops jararaca) | Captopril, Enalapril u.a. | Bluthochdruckbehandlung, Rezidivprophylaxe des Herzinfarkts |
Blutprodukte | Körpereigen | Ersatz von Blutbestandteilen | |
Salicylsäure | Salix alba (Weidenrindene), Filipendula (Spiraea) ulmaria (Mädesüß) | Acetylsalicylsäure | Kopfschmerzen, Thrombozytenaggregation nach STENT-Implantation, Herzinfarkt |
Dicumarol | Vergorener Klee (führte bei Rindern zu inneren Blutungen) | Phenprocoumon, Warfarin | Antikoagulation bei Vorhofflimmern, bei künstlicher Herzklappe oder nach Thrombose |
Streptokinase / Urokinase | A-Streptokokken / Urin | Thrombolysetherapie nach Infarkt | |
Secale-Alkaloide | Claviceps purpurea (Mutterkorn) | Abstillen, Morbus Parkinson, Akromegalie, Migräne, postpartale Blutungen | |
Morphin u.a. | Papaver somniferum (Schlafmohn) | Fentanyl, Remifentanil, Sufentanil, Kodein, Loperamid u.a. | Analgetika, Hustenstiller, Antidiarrhoika |
Kokain | Erythroxylum coca (Cocastrauch) | Procainamid, Lidocain | Lokalanästhetika |
Sauerstoff | Bestandteil der Luft | Sauerstoffmangelzustände (Herzinsuffizienz, Infarkt) | |
Ciclosporin A | 11AS-Peptid aus Polypocladium inflatum (Pilz) | Immunsuppression | |
Tacrolimus (FK 506) | Makrolid aus Streptomyces tsukubaensis (Bakterium) | Immunsuppression | |
Colchizin | Colchicum autumnale (Herbszeitlose) | Gichtanfall | |
Insulin | Körpereigenes Hormon | Diabetes mellitus | |
Oxytocin | Körpereigenes Hormon | Geburtseinleitung, Wehenschwäche | |
Adiuretin | Körpereigenes Hormon | Desmopressin | Diabetes insipidus centralis |
L-Thyroxin | Körpereigenes Hormon | Hypothyreose | |
Kortisol | Körpereigenes Hormon | Budesonid, Dexamethason u.a. | Immunsuppression nach Organtransplantation, bei Autoimmunerkrankungen, allergischen Reaktionen |
Estradiol, Progesteron | Körpereigene Hormone | Ethinylestradiol, Levonorgestrel u.a. | Kontrazeption |
L-Dopa | Körpereigene Hormonvorstufe des Dopamins | Morbus Parkinson | |
Penicillin | Penicillium notatum (Pinselschimmel) | Ampicillin, Amoxicillin | Antibiotikum |
Vancomycin | Streptomyces orientalis | Antibiotikum | |
Erythromycin | Streptomyces erythreus | Clarithromycin, Roxythromycin, Azithromycin | Antibiotikum |
Lincomycin | Streptomyces lincolnensis | Clindamycin | Antibiotikum |
Tetrazykline | Streptomyces. sp. | Antibiotikum | |
Chloramphenicol | Streptomyces venezuelae | Antibiotikum | |
Vitamine | Natur | Hypovitaminosen | |
Mineralien (Kalium, Natrium u.a.) und Wasser | Natur | Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushalts |
Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Nebenwirkungen in erster Linie ein Zeichen der Wirksamkeit sind und Allheilmittel, die gegen alles helfen und „völlig nebenwirkungsfrei“ sind, in der Regel auch keine große Wirksamkeit erwarten lassen (frei zitiert nach Gustav Kuschinsky).
Weblinks: Zehn Indizien für Quacksalberei. arznei-telegramm 2003; 34:95.
Phase IV
[Bearbeiten]- Meldesystem zur Erfassung unerwünschter Arzneimittelwirkungen (Pharmakovigilanz)
- Rote Hand Briefe
- Problematik: Neue Medikamente gegenüber Altbewährtem (Vgl. Rofecoxib).
Kostenerstattung und „Off-Label-Use“
[Bearbeiten]Off-Label-Use: Nutzung außerhalb der zugelassenen Indikation.
Orphan-Drugs
[Bearbeiten]Arzneimittel für die Behandlung seltener Krankheiten, für die ein erleichtertes Zulassungsverfahren (beschleunigt, gebührenfrei) möglich ist. Sie sind im Gemeinschaftsregister der EU eingetragen.
Besondere und traditionell begründete Therapierichtungen
[Bearbeiten]Zu den besonderen Therapierichtungen gehören die phytotherapeutische, die homöopathische und die anthroposophische Therapierichtung. Daüber hinaus gibt es Arzneimittel, deren Anwendung traditionell begründet ist.
Für traditionelle und homöopathische Arzneimittel existieren vereinfachte Verfahren, um eine Erlaubnis für das Inverkehrbringen zu erlangen. Es ist kein Wirksamkeitsnachweis erforderlich.
Siehe z.B. die Diskussion um obskure Heilmittel in der „Positivliste“ 2002/2003.
Weblinks:
- Das Arzneimittelgesetz (AMG)
- Prof. Erdmann. “Schamanenmedizin in der Positivliste”. Frankfurter Allgemeine Zeitung, pages 12, 30.12. 2002 (online 17.03.2003).
- Anhang der Positivliste: Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: „Außerhalb der wissenschaftlichen Medizin stehende Methoden der Arzneitherapie“. Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 14, 3. April 1998 (37).
- Shang A et al. “Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects? Comparative study of placebo-controlled trials of homoeopathy and allopathy.”. Lancet, 366(9487):726-32, Aug 27-Sep 2 2005. PMID 16125589. Pressemitteilung: THE LANCET: „Klinische Effekte von Homöopathie sind Placebo-Effekte“. 26.08.05
Quellen
[Bearbeiten]- ↑ Newman DJ, Cragg GM. “Natural Products as Sources of New Drugs over the Last 25 Years”. J. Nat. Prod., 70(3):461-77, Mar 2007 [Epub Feb 20 2007]. DOI:10.1021/np068054v. PMID 17309302