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Die Stringtheorie: M-Theorie

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Die letzten Seiten dieses Buches befassten sich im Wesentlichen mit den Ergebnissen der ersten Superstringrevolution. 1995 hielt der Physiker Edward Witten vor einer Gemeinschaft von Stringtheoretikern aus aller Welt einen wegweisenden Vortrag, der die zweite Superstringrevolution auslöste. Deren erstaunliche Ergebnisse werden nun auf den folgenden Seiten zusammengefasst.

Weblink:  M-Theorie

Fünf verschiedene Stringtheorien

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Trotz aller Eleganz besitzt die Stringtheorie einen Schönheitsfehler. In den letzten Jahren wurden nicht eine, sondern fünf verschiedene Superstringtheorien entwickelt, die im Wesentlichen die gleichen Eigenschaften besitzen, sich aber im Detail unterscheiden. Sie werden bezeichnet als Typ I, Typ IIA, Typ IIB, heterotisch mit Eichgruppe E8 × E8 (kurz E-heterotisch) und heterotisch mit Eichgruppe SO(32) (kurz O-heterotisch)[1] [45].

Die Stringtheorie vom Typ I enthält neben geschlossenen auch offene Strings, besitzt aber den Fehler, dass sie nicht chiral ist, d.h., dass sie nicht zwischen „rechtshändigen“ und „linkshändigen“ Fermionen unterscheidet [2]. Die Theorie vom Typ IIB ist chiral, besitzt aber im Gegensatz zum Typ IIA, die ihrerseits nicht chiral ist, keine Eichbosonen [46]. Die heterotischen Stringtheorien vereinigen bosonische und supersymmetrische Strings auf eine sehr exotische Weise. Auf einem heterotischen String bewegen sich die Quantenzahlen der Bosonen als Wellen in eine Richtung, während sich die der Fermionen in die entgegengesetzte Richtung bewegen [47] [48]. Besonders interessant ist die heterotische Stringtheorie mit der Eichgruppe E8 × E8, da sie alle drei Symmetriegruppen des Standardmodells

und somit ihre entsprechenden Eichbosonen enthält, womit sie das Universum am besten zu beschreiben scheint [46]. Bis 1995 sah es so aus, als gäbe es fünf verschiedene Teiltheorien in der Stringtheorie, was allerdings ein Widerspruch zu ihrem Anspruch war, das Universum mit einer einzigen Theorie zu beschreiben. Dies gab vielen Physikern Grund zur Beunruhigung, bis im Frühjahr 1995 Edward Witten mit einem bahnbrechenden Vortrag die Welt der Strings auf den Kopf stellte [49].

Dualität

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Wittens Vortrag stützte sich vor allem auf das Prinzip der Dualität. In der Physik wird dieser Ausdruck für Theorien verwendet, die unterschiedlich erscheinen, jedoch trotzdem dieselbe Physik beschreiben, wobei man zwischen trivialer und nichttrivialer Dualität unterscheidet. Von trivialer Dualität ist die Rede, wenn z.B. eine Theorie in Deutsch und Englisch verfasst ist. Durch das Umwandeln von deutscher Sprache in englische ändert sich nichts an den Eigenschaften der Theorie. Ergeben sich durch die Übersetzung von einer Theorie in eine andere neue physikalische Erkenntnisse oder zumindest eine Vereinfachung der ihr zugrunde liegenden mathematischen Strukturen, so spricht man hingegen von nichttrivialer Dualität [50].

Witten erkannte, dass die fünf Stringtheorien zueinander nichttrivial dual sind und letztendlich nur Teilaspekte einer einzigen umfassenden Theorie darstellen, der so genannten M-Theorie.

T-Dualität

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Die T-Dualität verbindet zwei Theorien miteinander, die Universen beschreiben, deren kompaktifizierte Dimensionen den Radius R und 1/R besitzen, indem sie Windungs- und Schwingungsmoden von Strings austauscht (vgl. Punkt 5.3). Witten konnte zeigen, dass die Stringtheorien vom Typ IIA und IIB ebenso wie die beiden heterotischen Theorien auf diese Weise zueinander dual sind, sie lassen sich also ineinander umwandeln. Nimmt man z.B. den reziproken Kompaktifizierungsradius eines Universums, das auf Strings vom Typ IIA basiert, und tauscht deren Windungs- und Schwingungsmoden aus, so erhält man ein Universum, dessen Physik von der Stringtheorie vom Typ IIB beschrieben wird [77].

S-Dualität

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Eine weitere Form von Dualität ist die S-Dualität. Um diese genauer erläutern zu können, muss zunächst die so genannte String-Kopplungskonstante eingeführt werden.

Störungsrechnung

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Die Gleichungen der Stringtheorie sind so kompliziert, dass niemand in der Lage ist, deren genaue Form zu bestimmen. Vielmehr müssen Näherungsgleichungen verwendet werden, die die Berechnungen zwar erheblich erleichtern, aber wie der Name schon sagt, nur eine Näherung der exakten Gleichungen darstellen. Hierzu bedienen sich die Stringphysiker der so genannten Störungsrechnung. Wie im Punkt 3.4 erläutert, wechselwirken Strings miteinander, indem die sich zu einem String vereinigen und anschließend wieder in einzelne aufteilen. Die Quantenmechanik sagt jedoch voraus, dass vorübergehend String-Antistring-Paare entstehen können, indem sie sich innerhalb der von der Unschärferelation vorgegebenen Zeit Energie „borgen“ und diese wieder abgeben.

Diese so genannten virtuellen Stringpaare können die Wechselwirkung der ursprünglichen Strings maßgeblich beeinflussen und müssen deshalb in die Gleichungen mit einbezogen werden. Weil nach der Quantenmechanik unendlich viele String-Antistring-Paare entstehen können, müssten auch unendlich viele Schleifen-Diagramme zum eigentlichen Wechselwirkungsprozess hinzuaddiert werden, um diesen exakt zu beschreiben. Da dies unmöglich ist, wird innerhalb eines störungstheoretischen Rahmens näherungsweise angenommen, dass Stringwechselwirkungen als Null-Schleifen-Prozesse (d.h. ohne den Einfluss von String-Antistring-Paaren) stattfinden [51].

Die String-Kopplungskonstante

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Wechselwirkungsprozess mit Korrekturen

Jede physikalische Theorie hat ihre eigene Kopplungskonstante, die die Stärke der zugrundeliegenden Kraft beschreibt. Eine größere Kopplungskonstante bedeutet eine größere Kraft und umgekehrt [77] [78]. Die Kopplungskonstante in der Stringtheorie ist jedoch ein Maß für die Wahrscheinlichkeit, mit der sich ein String vorübergehend in ein virtuelles Stringpaar aufteilt. Ist sie kleiner als 1, so wird die Wahrscheinlichkeit, mit der ein solches Paar entsteht umso kleiner, je größer die Zahl der Schleifen im Diagramm ist. Dies bedeutet, der Null-Schleifen-Prozess beschreibt als Näherung die tatsächliche Wechselwirkung sehr genau. Ist die String-Kopplungskonstante jedoch größer als 1, so wächst die Wahrscheinlichkeit einer solchen Splittung mit der Anzahl der Schleifen, so dass die Beiträge der Schleifendiagramme den Wechselwirkungsprozess derart heftig beeinflussen, dass der Null-Schleifen-Prozess als Näherung völlig unzulässig ist.

Bislang ist die Größe der String-Kopplungskonstanten noch nicht genau bekannt, was eines der größten Probleme der Stringtheorie darstellt, da sie die Gültigkeit der Störungsrechnung und die Massen bzw. Energien der Strings maßgeblich beeinflusst [68].

Aussagen über die Eigenschaften eines auf Strings basierenden Universums lassen sich nur bei schwacher Kopplung (d.h. Kopplungskonstante < 1) machen. Allerdings konnte gezeigt werden, dass sich unter gewissen eingeschränkten Voraussetzungen bei starker Kopplung (d.h. Kopplungskonstante ≥ 1), Teilchen mit bestimmten Eigenschaften, so genannte BPS-Zustände, bestimmen lassen. Somit hatte man die Möglichkeit, exakte Aussagen über einen (wenn auch nur geringen) Teil der physikalischen Eigenschaften bei starker Kopplung zu treffen. Anhand dieser BPS-Zustände konnte Edward Witten mit Hilfe von Joe Polchinski Mitte der 90er Jahre nachweisen, dass die physikalischen Eigenschaften der Stringtheorie vom Typ I bei starker Kopplung exakt mit denen der O-heterotischen Stringtheorie bei schwacher Kopplung übereinstimmen [52].

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Wasser und Eis sehen auf den ersten Blick wie zwei völlig unterschiedliche Stoffe aus. Fällt jedoch die Temperatur von Wasser auf unter 0° C, so verwandelt es sich in Eis. Analog dazu wird Eis zu Wasser, wenn dessen Temperatur 0° C übersteigt. Somit stellt man fest, dass Wasser und Eis nur zwei verschiedene Zustände ein und desselben Stoffs sind.

Dualitäten zwischen den Stringtheorien

Ebenso verhält es sich mit der Stringtheorie vom Typ I und der O-heterotischen Theorie. Zunächst sieht es so aus, als seien beide Theorien völlig unterschiedlich. Nimmt jedoch die Kopplungskonstante der O-heterotischen Theorie einen Wert ≥ 1 an, so ist deren Physik identisch mit der, die die Theorie vom Typ I bei einer Kopplungskonstante < 1 beschreibt, und umgekehrt. Wie bei der Transformation von Wasser und Eis, lassen sich die beiden Theorien ineinander umwandeln, wenn sich die Werte der jeweiligen Kopplungskonstante umkehren [3]. Des Weiteren stellte sich heraus, dass die Stringtheorie vom Typ IIB selbstdual ist. Die physikalischen Eigenschaften der Theorie bei starker Kopplung entsprechen exakt deren Eigenschaften bei schwacher Kopplung [4]. Alles in Allem war dies ein umwerfendes Ergebnis. Mit einem Schlag konnte man die Physik der beiden Stringtheorien bei starker Kopplung genau beschreiben, indem man auf den jeweiligen dualen Partner und dessen Physik bei schwacher Kopplung zurückgriff [52]. Diesen Zusammenhang zwischen Theorien mit schwacher und starker Kopplung bezeichnet man als S-Dualität.

Supergravitation

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In den Jahren vor der Entdeckung der Stringtheorie versuchte man die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik im Rahmen einer auf Punktteilchen basierenden Quantenfeldtheorie zu vereinen [54]. Durch Einbeziehung der Supersymmetrie erreichte man, wie im Punkt 4.2 gezeigt, eine Abdämpfung der Quantenfluktuationen durch die Beiträge der Superpartner. Diese Erweiterung des Standardmodells wird als Supergravitation bezeichnet. Wie sich zeigte, kam man dem Ziel der Vereinheitlichung sehr nahe, wenn man diese nicht in vier, sondern in zehn oder elf Raumzeitdimensionen formulierte, wobei letztere am verheißungsvollsten war. Letzten Endes jedoch, scheiterte sie an zahlreichen mathematischen Problemen und Unstetigkeiten und blieb als supersymmetrische Quantenfeldtheorie der Gravitation erfolglos [68].

Wie bereits erläutert, verhalten sich Strings bei niederenergetischen Prozessen wie Punktteilchen, da die Erfassung ihrer räumlichen Ausdehnung extrem hoher Energien bedarf. Somit lassen sich bei solchen Vorgängen Punktteilchentheorien als Näherung verwenden, die allerdings bei höherenergetischen Prozessen ihre Gültigkeit verlieren. In den 80er Jahren erlebte die zehndimensionale Supergravitation ein plötzliches Comeback, als man feststellte, dass gerade diese die für die niederenergetischen Prozesse in Frage kommende Punktteilchennäherung darstellt. Genauer gesagt gibt es vier verschiedene Supergravitationstheorien, von denen eine die Niederenergie-Punktteilchennäherung der Stringtheorie vom Typ I und der O-heterotischen Theorie, die anderen drei die der Theorien vom Typ IIA, IIB und der E-heterotischen Theorie darstellt. Nun hatte es den Anschein, als gäbe es keine Möglichkeit, die elfdimensionale Supergravitation in die Stringtheorie einzugliedern, weshalb sie von den meisten als „mathematische Kuriosität“ abgestempelt wurde [54]. Edward Witten sollte sie eines anderen belehren.

Weblink:  Supergravitation

Die elfte Dimension

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Erhöhung der Kopplungskonstante beim E-Heterotischen String
Erhöhung der Kopplungskonstante beim String vom Typ IIA
Dualitäten mit M-Theorie
Vereinigung der Grundkräfte

Mit seinem Vortrag setzte Edward Witten die gesamte Stringgemeinschaft in Erstaunen. Zum einen konnte er zeigen, dass die verschiedenen Stringtheorien durch Dualitäten miteinander verknüpft sind, zum anderen führte er eine elfte Dimension in die Stringtheorie ein, die es ihm ermöglichte, die elfdimensionale Supergravitation in einen string-theoretischen Rahmen einzugliedern.

Wittens Ansatz war folgender: Erhöht man die Kopplungskonstante des Strings vom Typ IIA oder des E-heterotischen Strings, so erscheint eine weitere Raumdimension, die zuvor niemand entdeckt hatte. Der E-heterotische String wächst zu einer zweidimensionalen offenen Membran an, während der String vom Typ IIA zu einer geschlossenen Membran (Torus) anwächst. Das ist die gesuchte elfte Dimension[5], die es ermöglicht, die elfdimensionale Supergravitation mit der Stringtheorie zu verbinden. Bei nieder-energetischen Prozessen erscheinen diese Objekte als Punktteilchen. Da sie eine zusätzliche Raumdimension besitzen, stellt deren Niederenergie-Punktteilchennäherung die elfdimensionale Supergravitation dar. Durch diesen Zusammenhang lassen sich nun alle Stringtheorien miteinander verknüpfen und es ergibt sich ein einheitliches Gebilde, die elfdimensionale M-Theorie. Die Bedeutung des „M“ ist bisweilen ungeklärt, es gibt jedoch viele Interpretationen, wie z.B. Membrane, Mystery, Mother, Millennium, Multiverse, Matrix[6] oder ein umgedrehtes W für Witten [68].

Obwohl die M-Theorie bis heute den Forschern Rätsel aufgibt, lassen sich aus ihr bemerkenswerte Eigenschaften von Strings, der Raumzeit und des gesamten Universums ableiten. Eine davon erwächst aus dem Umstand, dass nun nicht mehr nur von kleinen Kopplungskonstanten ausgegangen werden muss. Das führt dazu, dass sich die Gravitation mit den anderen drei Kräften vereinen lässt, was davor nicht möglich war. Somit schafft die M-Theorie als erste Theorie überhaupt die Vereinheitlichung der vier Grundkräfte [68]. Eine der weitreichendsten Konsequenzen jedoch, die sich aus ihr ergeben, ist die Erkenntnis, dass die fundamentalen Bausteine des Universums nicht ausschließlich eindimensionale Strings sind, sondern mehrdimensionale Objekte, so genannte Branes.


  1. Aufgrund der mathematischen Komplexität, ist die Wirkung der nichtbosonischen Stringtheorien nicht angegeben (Wirkung des bosonischen Strings in Punkt 4.1).
  2. W- und Z-Bosonen wechselwirken auf unterschiedliche Weise mit Fermionen, die sich durch ihre Spinorientierung unterscheiden.
  3. Genauer gesagt gilt für die Kopplungskonstante der Theorie vom Typ I und die der O-heterotischen Theorie  : bzw. [53].
  4. Genauer gesagt gilt für die Kopplungskonstante der Theorie vom Typ IIB : [53].
  5. Es sei angemerkt, dass sich diese Raumdimension von den übrigen neun in erheblichem Maße unterscheidet. Während ein String in den anderen neun Raumdimensionen schwingt und sich in ihnen bewegen kann, hängt diese elfte Dimension ausschließlich mit der Struktur des Strings zusammen. Sie hat also keinen Einfluss auf die Gültigkeit der bisher erörterten Eigenschaften der Stringtheorie.
  6. Nach einer neuen Interpretation der M-Theorie von Susskind, Shenker und Banks, in der die fundamentalen Bausteine 0-Branen mit Matrizen als Koordinaten sind, als Matrix-Theorie bezeichnet [55] [56].