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Schach: Mittelspiel

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Das Mittelspiel

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Nach herkömmlichem Verständnis beginnt das Mittelspiel, wenn die Figurenentwicklung abgeschlossen ist, und die Kontrahenten den eigentlichen Kampf aufnehmen. Leider lassen sich die Grenzen zwischen Eröffnung und Mittelspiel nicht so klar ziehen. Die heutige Eröffnungstheorie reicht in den allermeisten Varianten bis weit ins Mittelspiel, außerdem kann bereits die Eröffnung einen Kampf bis aufs Blut bedeuten. Es gibt Situationen, in denen die Figurenentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, und trotzdem beide Spieler der Meinung sind, im Mittelspiel zu sein. Die Unterscheidung zwischen Eröffnung und Mittelspiel in einer Partie hat also mitunter etwas von einer Kunst, und der Spieler sollte sich ein gutes Gespür dafür zulegen, um seine Stellungen angemessen zu behandeln.

Das Mittelspiel ist das Herz der Partie, das Heim seiner Schönheit. Im Gegensatz zur Eröffnung ist Auswendiglernen hier nicht besonders hilfreich, sondern man benötigt ein tiefes Positionsverständnis, um hier bestehen zu können. Im Gegensatz zum Endspiel ist dieser Partieteil höchst komplex, und in jeder Variante lauern Überraschungen und unvorhergesehene Wendungen. Ein Schachspieler mag mit Aussicht auf Erfolg den Plan fassen, das Mittelspiel einfach zu einem günstigen Endspiel abzuwickeln, aber er kann auch bereits im Mittelspiel auf eine Entscheidung drängen, vor allem, wenn er eine Schwachstelle in der Stellung des Gegners entdeckt. Entscheidungen im Mittelspiel besitzen häufig einen besonders hohen Unterhaltungswert, und am ehesten die Chance, zu schachlichem Ruhm und Ehre zu gelangen.

Drei Grundkomponenten machen das Schachspiel aus: Die Figuren, das Brett, und die Züge. Jede dieser Komponenten stellt Möglichkeiten bereit, das Spiel für sich zu entscheiden.

Materialvorteil lässt sich, von Nachlässigkeiten des Gegners abgesehen, über verschiedene taktische Methoden erreichen, insbesondere die Gabel, die Fessel oder den Spieß. Ausgenutzt wird der Materialvorteil am besten, indem strikt Figuren abgetauscht werden. Je weniger Figuren auf dem Feld stehen, um so stärker wirkt sich dieser Vorteil aus, außerdem hat der Gegner weniger versteckte Überraschungen, je einfacher die Stellung ist.

Anfängern sei der Rat nahe gelegt, sich zuerst auf diesen Gewinnweg zu konzentrieren, und nach speziellen Trainingsmöglichkeiten Ausschau zu halten. Der Gewinnweg strebt nach Vereinfachung der Partie, ist also schon von Natur aus anfängerfreundlich.

Außerdem zwingt sich der Spieler selbst, Ordnung in seine Gedanken zu bringen und Flüchtigkeitsfehler zu umgehen, unverzichtbare Basisfertigkeiten.


Stellungsvorteil auf dem Brett lässt sich am ehesten über eine saubere Behandlung der strategischen Elemente und des Zentrums erreichen. Ein kontinuierlicher Stellungsvorteil bewirkt meistens auf Dauer taktische Möglichkeiten, um einen Materialvorteil zu erzielen, gelegentlich läßt sich sogar ein aussichtsreicher Königsangriff herbeiführen.

Initiativevorteil lässt sich über eine saubere Behandlung der Eröffnung mit zügiger Entwicklung, sowie über ein Opfer erreichen. Verwenden lässt sich ein Initiativevorteil häufig zu einem Königsangriff, alternativ lässt er sich in einen Stellungsvorteil verwandeln, oder es stehen taktische Möglichkeiten zur Verfügung, mit denen der Spieler gelegentlich sogar ein Materialopfer in einen Materialvorteil umwandeln kann.

Um diese Grundkomponenten in den Griff zu bekommen, sollte der Spieler sich sowohl der Taktik als auch der Strategie bedienen. Es gibt mehrere Definitionen für die beiden Begriffe. (Beinahe synonym werden die Begriffe "Kombinationsspiel" und "Positionsspiel" verwendet.) Einfach, passend und zweckmäßig bezeichne ich alles, was im Schach berechnet wird, als Taktik, und was eingeschätzt wird, als Strategie. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Taktik und Strategie höchstens zu Lernzwecken und zur Verdeutlichung von elementaren Zusammenhängen sinnvoll. (Darüber hinaus wird sie, auch vom Autor, gerne zur Charakterisierung von Stellungen verwendet.) Eine Variante zu bestimmen ist eine Aufgabe der Berechnung, aber die sich daraus ergebende Stellung zu bewerten ist eine Sache der Einschätzung. Tatsächlich gibt es Extremsituationen, in denen eines dieser beiden Prinzipien beinahe in Reinform auftritt. Als erstes Beispiel sei hier die Mattkombination erwähnt. Die Bewertung ist schnell erledigt: Matt, die Partie ist gewonnen, die Stellung ist also gut!! Aber die Berechnung kann sich über zehn Züge hingestreckt haben. Ein Gegenbeispiel zeigt sich in der Frage "Lange oder kurze Rochade?". Deren Folgen lassen sich selten berechnen, und die Entscheidung beruht fast immer auf Einschätzung. Der Normalfall ist aber eine gemischte Situation, die sowohl Variantenberechnung als auch Stellungseinschätzung erfordert.

Das Zentrum im Mittelspiel

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Voraussetzung für jeden Angriff ist ein stabiles Zentrum. Vom Zentrum aus hat jede Figur in jeden Winkel des Bretts nur noch kurze Wege zurückzulegen, das gilt sowohl für den Vormarsch in die gegnerische Stellung, als auch für den Rückzug, um dem Gegenangriff des Gegners zu begegnen. Umgekehrt muss ein Spieler ohne Zentrumskontrolle für einen Angriff oder auch einen Rückzug das Zentrum zeitaufwendig umlaufen. Lange Wege bieten dem Gegner viele Möglichkeiten für Gegenmaßnahmen, kurze Wege lassen dem Gegner nur wenige Möglichkeiten.

Sollte der Gegner während eines laufenden Angriffs in der Lage sein, das Zentrum zu übernehmen, schneidet er in der Regel die Angriffslinien ab und stört die Zusammenarbeit der Angriffsfiguren. Des weiteren hat er meist die Gelegenheit zu einem effektiven Gegenangriff.

Wenn Sie eine Partie verloren haben ohne zu wissen warum, dann können Sie bei einer nachträglichen Partieanalyse sehr häufig feststellen, Sie haben entweder auf versteckte Weise Züge verschwendet (siehe den nächsten Absatz "Initiative"), oder Sie haben dem Zentrum nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt.

Um zu demonstrieren, wie schnell eine Stellung zusammenbrechen kann, wenn das Zentrum nicht angemessen behandelt wird, sei hier ein Beispiel aus der Spielpraxis des Autors angeführt.

Stellung nach 13. Ld3xSc4


In dieser Position aus unserer Partie, in der der weiße Läufer gerade den schwarzen Springer auf c4 genommen hat, hat Weiß einen leichten Entwicklungsvorsprung. Dieser ist aber keineswegs ausschlaggebend, um die Partie zu einem raschen Ende zu bringen. Man erwartet eher ein langwieriges und zähes Ringen um kleine und kleinste Vorteile.

Schwarz ist gezwungen, die Figur zurückzunehmen, aber er hat zwei Möglichkeiten, das zu tun, nämlich mit dem b-Bauern oder dem d-Bauern. Der b-Bauer steht bereit, die weiße Königsstellung unter Druck zu setzen. Er könnte durch einfaches Vorziehen den weißen Verteidigungsspringer einfach vertreiben. Darauf würde der b-Bauer verzichten, wenn er selber den Läufer nimmt. Ein Schlagen mit dem d-Bauern würde diese Möglichkeit immer noch offen lassen, der d-Bauer würde sich sogar gut in den Angriff einreihen und diesen aktiv verstärken. Schwarz zog also:

13. ... d5xc4

Stellung nach 13. ... d5xc4


Wie sich herausstellte, war aber der Bauernangriff auf die weiße Königsstellung nicht entscheidend. Bauernangriffe sind immer langsam, und es ist nötig, dahinter seine Figuren günstig aufzustellen, damit diese durch die entstandenen Lücken schlüpfen können, bevor der Gegner diese schließen kann. In der schwarzen Stellung ist diese Möglichkeit nicht gegeben.

Viel entscheidender war aber, daß der d-Bauer jetzt keine Kontrolle mehr über das Zentrum ausübte. In der Folge spielt sich die weiße Stellung fast von alleine, während Schwarz viele Gelegenheiten hat, Fehler zu machen, und einige davon auch ausnutzt.

Merke: Wann immer möglich, schlägt man mit einem Bauern zum Zentrum hin, und nicht vom Zentrum weg. Diese Regel kennt auch Ausnahmen, aber man muss schon sehr sorgfältig überlegen, um eine Ausnahme zu erkennen.

14. Sf3-e5 Lg7xe5

15. f4xe5 g6-g5

16. Th1-f1 Lc8-b7

17. Dd2-f2 Th8-h7

18. d4-d5 Dd8-c8

19. d5-d6 c7xd6

20. e5xd6 und Schwarz gab auf.

Die Initiative

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Wer die Initiative hat, bestimmt, was auf dem Brett geschieht. Dabei ist die Initiative sehr flüchtig, sie kann schnell die Seiten wechseln. Darum ist es wichtig, beständig um sie zu kämpfen, unter Umständen ist sogar ein Opfer gerechtfertigt, um sie zu erlangen.

Am ehesten erlangt man die Initiative, indem man ökonomisch mit seinen Zügen umgeht, und verschwendete Züge vermeidet. Die durchgeführten Züge sollten aktiv und effektiv sein, und die Aktivitäten des Gegners bestmöglich unterbinden. Sehr gut geeignet sind häufig Züge, die eine Drohung aufstellen, auf die der Gegner reagieren muss, ohne daß er die eigene Entwicklung vorantreiben kann, zum Beispiel ein Schachgebot, aber häufig reicht schon ein angedrohter Materialgewinn.

Ein populäres Beispiel zur Veranschaulichung ist die Partie Tal-Larsen aus dem Kandidatenturnier von 1965:


In dieser Position hat der schwarze b-Bauer gerade den weißen Springer angegriffen, um ihn zu vertreiben, und mit Tempogewinn den schwarzen Angriff voranzutreiben. Wohin mit dem guten Stück? Die naheliegendsten Lösungen wären 16. Se2 oder 16. Sa4. Aber Michail Tal wäre nicht Michail Tal, wenn er eine unkonventionelle Lösung nicht zumindest ins Auge gefaßt hätte. Er zog

16. Sc3-d5 e6xd5

17. e4xd5


mit der Folge, daß die weißen Läufer jetzt beide mächtig auf die schwarze Königsstellung zielen. Das schwarze Zentrum ist weitgehend paralysiert, der eine Zentrumsbauer verschwunden, der andere wirksam blockiert, auch die Felder c6 und e6 mittelfristig unter weißer Kontrolle, ein schwarzer Flankenwechsel zur Verteidigung damit völlig illusorisch. Und der schwarze Vorstoß auf dem Damenflügel ist zumindest vorerst ins Leere gelaufen.

Vergleichen Sie doch einmal die Aktivität der Figuren beider Seiten. Weiß steht beweglicher, hat mehr und bessere Zugmöglichkeiten.

Der Rest der Partie in Kürze: 17. ... f5 18. Tde1 Tf7 19. h4 Lb7 20. Lxf5 TxLf5 21. Txe7 Se5 22. De4 Df8 23. fxSe5 Tf4 24. De3 Tf3 25. De2 DxTe7 26. DxTf3 dxe5 27. Te1 Td8 28. Txe5 Dd6 29. Df4 Tf8 30. De4 b3 31. axb3 Tf1+ 32. Kd2 Db4+ 33. c3 Dd6 34. Lc5 DxLc5 35. Te8+ Tf8 36. De6+ Kh8 37. Df7 und Schwarz gab auf.

In diesem zweiten Beispiel aus einer Partie auf Bezirksebene wechselt die Initiative, und mit ihr die Gewinnaussichten.



Die schwarze Stellung ist trotz ausgeglichenem Materials höchst unbequem, die Dame versteckt sich in der Ecke, der weißfeldrige Läufer behindert die Schwerfiguren und wird selbst vom Springer behindert. Weiß dagegen erfreut sich einer aktiven Dame, eines Turmes auf der offenen Linie und eines zentralen Springers.

Man sollte davon ausgehen, daß Weiß leichtes Spiel hat, aber es kam anders:

19. Tc1-c7

Dieser optisch gut aussehende Zug erreicht nichts. Beide dadurch bedrohten Steine sind ausreichend geschützt. Außerdem erlaubt der Zug ein Störmanöver.

19. ... Da8-b8

20. Tc7-c2

Damit hat Weiß zwei Züge vergeudet. Wie sich einige Züge später zeigt, war auch die Wahl des Fluchtfeldes c2 ungünstig. Der Turm musste aber den Rückzug antreten, weil er sonst vom Rückweg abgeschnitten und letztlich geschlagen werden könnte, z.B. 20. Dc3 Sc5 21. Txe7 Lf6, und der Turm fällt.

20. ... Sd7-c5

21. Sd4-f3

Weiß versucht, den bedrohten Bauern auf e4 durch die Dame zu bewachen, aber er wird trotzdem geschlagen.

21. ... Sc5xe4

Wenn Weiß jetzt 22. Dxe4 zieht, dann spießt der Läufer sie mit 22. ... Lf5 auf. Diese Variante ist nur möglich, weil der Turm nach c2 geflohen ist.

22. Tc2xc8

Mit der Dame den Springer e4 zu nehmen würde keinen großen Unterschied machen wegen 22. ... Lf5 nebst 23. ... Lxc2.

22. ... Tf8xc8

23. Db4xe4 Db8-c7


Die Stellung hat sich gewandelt. Die weiße Aktivität ist eingedämmt, die verbliebenen weißen Figuren stehen im Moment etwas unkoordiniert. Dagegen sind die schwarzen Schwerfiguren auf der offenen Linie verdoppelt, und auch der Fianchettoläufer schaut recht aktiv aus. Außerdem muß Weiß sich um den angegriffenen Bauern auf b2 und den Isolani auf d5 kümmern. Die Stellung ist ungefähr ausgeglichen, vielleicht mit leichten Vorteilen für Schwarz. In der Folge kam es zu einem zweischneidigen Spiel, in der beide Seiten beständig den Druck auf die gegnerische Königsstellung erhöhten. Dabei gelang es Schwarz zuerst, den Gegner zu einem entscheidenden Fehler zu provozieren.

Tempogewinn

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Zunächst ein Beispiel, um die Wichtigkeit, sparsam mit seinen Zügen umzugehen, zu demonstrieren:

1. e2-e4 Sg8-h6

2. d2-d4 d7-d5

3. e4xd5 Dd8xd5

4. Sb1-c3 (entwickelt den Springer, vertreibt die Dame)

4. ... Dd5-f5

5. Lf1-d3 (dasselbe Spiel mit dem Läufer)

5. ... Df5-g4 (Die schwarze Dame bedroht den Bauern auf g2, aber wie bereits erwähnt, ist es generell eine schlechte Idee, den Bauern b2 oder g2 mit der Dame zu nehmen. In diesem Fall verliert Schwarz einfach zu viel Zeit, den Bauern zu nehmen, und anschließend die Dame wieder in Sicherheit zu bringen.)

6. Sg1-f3 (Weiß ignoriert die Drohung, und entwickelt sich in Ruhe weiter)

6. ... Dg4xg2

7. Th1-g1 (Der weiße Turm ist mit der halboffenen Linie bereits voll entwickelt, was in diesem frühen Stadium selten geschieht. Er gewinnt ein weiteres Tempo, indem er die Dame ein weiteres Mal vertreibt.)

8. ... Dg2-h3

9. Tg1-g3 Dh3-d7

Bis auf den Damenturm verfügt jede weiße Figur bereits über Aktivität. Schwarz dagegen hat eine Springerschande am Rande und eine Dame, die den eigenen Läufer blockiert. Die restlichen schwarzen Figuren stehen noch in ihrer Grundstellung. Der g-Bauer ist für diesen Vorteil ein sehr geringer Preis.

In der Folge wurde Schwarz überrannt.

Zugegeben, derartig leicht macht der Gegner es einem selten, aber wenn er die Möglichkeit zum Tempogewinn bietet, sollte man zumindest darüber nachdenken, dies zu nutzen.



Um zielgerichtet einen Schnelligkeitsvorteil zu erreichen, kann man einerseits den Gegner zwingen, Züge zu verbrauchen. Das macht man, indem man Drohungen aufstellt. Der Gegner muß darauf reagieren und seine eigenen Pläne zurückstellen.

Eine andere Möglichkeit ist die Ausführung von Mehrzweckzügen.

Weiß am Zug


In dieser Stellung stehen die weißen Figuren merklich aktiver als die Schwarzen. Der Springer steht auf der 6. Reihe, die Läufer stehen beide auf Angriff, die Türme sind zentralisiert und die Dame schaut bereits auf den Königsflügel. Die schwarze Dame steht dagegen im Zentrum eher gefährdet als aktiv, die Türme stehen noch hinter den Bauern, und der Läufer hat noch gar nicht gezogen. Allerdings hat Schwarz zwei Drohungen aufgestellt. Der Springer auf d6 ist bedroht, aber der eigentliche Plan ist, mit 23. ... Dg4 den Damentausch zu erzwingen und damit dem weißen Angriff den Schwung zu nehmen.

Weiß zog 23. Ld3-e2, und dieser Zug erfüllt gleich vier Wünsche auf einmal: Der Läufer bewacht den Turm auf d1 und verhindert den Damentausch auf g4. Der Turm d1 dagegen bedroht die schwarze Dame, - zwingt den Gegner also, diese zu sichern -, und bewacht gleichzeitig den bedrohten Springer.





Grundlagen der Taktik

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Allgemeines zur Taktik

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Taktische Glanzleistungen haben sehr häufig etwas heldenhaftes und spektakuläres an sich. Noch heute haben Adolf Andersen, Michail Tal und Viktor Kupreitschik sehr klangvolle Namen. Im Computerzeitalter ist eine taktische Spielweise aber schwer geworden, die Dinger sind einfach besser darin. Wenn man gegen die gewinnen will, dann greift man besser zu strategischen Mitteln. Und weil viele Vereinsspieler zu Hause mit dem einen oder anderen Schachprogramm oder Schachcomputer üben, gewöhnen sie sich eine Spielweise an, die taktische Mittel vermeidet.

Das wesentliche Konzept der Taktik ist die sogenannte Kombination. Damit ist eine Kombination von taktischen Elementen gemeint, und deren Anzahl ist begrenzt. Es sind Die Gabel, Die Fesselung, Der Spieß, Das Ablenkungsopfer, Das Hinlenkungsopfer, Das Beseitigungsopfer, Der Abzug, Der Wartezug, Die Übermacht und Die überlastete Figur.

Die Gabel

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Der weiße Bauer gabelt Turm und Springer, und der schwarze Springer gabelt Dame und Turm.


Die Gabel ist ein einfacher Trick, aber wenn er gelingt, ist er häufig spielentscheidend. Eine Gabel ist die gleichzeitige Bedrohung zweier Punkte (gegnerischer Steine oder Felder) durch einen einzelnen Stein. Da der Gegner häufig nur eine Drohung parieren kann, ist damit in der Regel ein Vorteil (meist Materialgewinn) verbunden.

Jede Figur ist imstande, gegnerische Figuren zu gabeln, aber dem Turm zum Beispiel fällt es schwerer als anderen Figuren.

Als Anfänger sollte man intensiv trainieren, nicht selbst in eine Gabel hineinzugeraten.

Bei Anfängern hat insbesondere die Springergabel verheerende Auswirkungen. Sie sind deshalb oft der Meinung, daß der Springer stärker sei als der Läufer. In Wirklichkeit hat der Springer lediglich eine unorthodoxe Art der Fortbewegung, für die ein Lernender sich erst einmal ein Auge antrainieren muss. Bis zu diesem Zeitpunkt ist der Anfänger der Springergabel nahezu hilflos ausgeliefert, danach relativiert sich die Angelegenheit spürbar.

Die Fesselung

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Die Fesselung ist ausschließlich mit Figuren mit langer Schrittweite, also Läufer, Turm und Dame, möglich. Diese können eine Figur derartig bedrohen, daß diese nicht wegziehen kann, weil die Drohung sonst an eine noch wichtigere Figur weitergeleitet wird.

Man kann verschiedene Formen der Fesselung unterscheiden:

  • Eine echte Fesselung liegt vor, wenn eine Figur wegen Schach nicht mehr ziehen kann. Im Diagramm sind der schwarze Turm auf b6 und der Springer auf g8 echt gefesselt.
  • Eine fast echte Fesselung liegt vor, wenn eine Figur nur noch entlang der Linie der Fesselung ziehen kann. Im Diagramm ist die Dame fast echt gefesselt.
  • Und eine unechte Fesselung liegt vor, wenn die gefesselte Figur nach den Regeln zwar ziehen darf, ihr Zug aber Nachteil (meist Materialverlust) bringt. Im Diagramm würde der schwarze Springer g4 den Weg auf den Turm auf c8 freigeben.

Beispiel

Schwarz am Zug


Hier konnte Schwarz einfach 6. ... Sf6xe4 spielen und einen Bauern gewinnen, weil der freiwerdende Fianchettoläufer jetzt den Bewachungsspringer auf c3 fesselt.

Der Spieß

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In diesem Beispiel muss der schwarze König dem Turmschach ausweichen, und damit die schwarze Dame ihrem grausamen Schicksal preisgeben.


Auch der Spieß ist ausschließlich mit Langschrittlern, also Läufer, Turm und Dame, möglich. Der Spieß wirkt ähnlich wie eine Fesselung. Durch einen Spieß wird eine Figur bedroht, sie muss dieser Bedrohung ausweichen und gibt damit den Weg auf einen wichtigen Punkt frei.

Das Ablenkungsopfer

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Die Annahme eines Ablenkungsopfers verhindert die Abwehr der eigentlichen Attacke.

Ein bekanntes Beispiel für eine Ablenkung ist das sogenannte Seekadettenmatt, das der Operette "Der Seekadett" entstammt.

1. e2-e4 e7-e5

2. Sg1-f3 d7-d6

3. Lf1-c4 Lc8-g4

4. Sb1-c3 a7-a6

5. Sf3xe5 Lg4xDd1?

Schwarz ist zu sehr damit beschäftigt, die weiße Dame zu verschlingen, anstatt Rettungsmaßnahmen gegen das drohende Matt zu ergreifen. Besser wäre gewesen, den Springer zu nehmen.

6. Lc4xf7+ Ke8-e7

7. Sc3-d5#


Praxisbeispiel



In dieser Stellung geschah einfach 11. ... Sf6xe4 mit Bauerngewinn und Bedrohung der Dame.

Weiß glaubte aber nicht, daß der Bauer tatsächlich verloren war, und nahm den Springer mit 12. Sc3xSe4 zurück. Damit wurde aber der wichtige Verteidigungsspringer von der langen Diagonalen a1-h8 abgelenkt.

Es folgte 12. ... Lg7xb2+ mit Hinlenkung des weißen Königs nach b1, gefolgt von dem Abzug 13. ... Lb2-c3+ mit Damengewinn.

Das Hinlenkungsopfer

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Das Hinlenkungsopfer ist eines der anspruchsvolleren taktischen Konzepte. Eine Figur opfert sich, um eine gegnerische Figur auf ein ungünstiges Feld zu locken.

In dieser Stellung lenkt ein Damenopfer auf g8 den Turm auf dieses Feld. Der König kann die Dame dort nicht schlagen, weil sie durch den Springer h6 gedeckt ist. Der schwarze Turm muss die Dame schlagen, weil sein König keine Fluchtmöglichkeit hat. Damit blockiert der Turm das letzte Fluchtfeld seines Königs. Ein Springerschach auf f7 beendet die Partie mit Matt. Ein Matt, bei dem den König all seine Felder durch eigene Figuren blockiert sind, ist das erstickte Matt, das bereits bei den Grundregeln angesprochen wurde.

Aus dieser Position wird es herbeigeführt durch

1. Dd5-g8+ Te8xDg8 (erzwungen)

2. Sh6-f7#

Das Beseitigungsopfer

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Das Beseitigungsopfer hat die Aufgabe, strukturell wichtige Figuren des Gegners aus dem Weg zu räumen. Mitunter kann dieses Ziel auch durch Abtausch ohne Opfer erreicht werden. Die strategischen Auswirkungen dieses Konzepts sind häufig enorm, weil damit die ganze Stellung des Gegners zusammenbrechen kann.

Neshmetdinow - Kasparjan (1955)



1. Dc2xSg6+

Obwohl selbst in großer Gefahr, beseitigt Weiß auf diese Art den einzigen echten Verteidiger des schwarzen Königs. Da die verbleibenden weißen Figuren genug Feuerkraft auf den schwarzen König richten können, ist das Opfer gerechtfertigt. Es folgte noch:

1. ... Kh6xDg6

2. Tf1-f6+ Kg6-g5

3. Tf6-f5+ Kg5-g6

4. Tf7-f6+ Kg6-h7

5. Tf5-h5+ Kh7-g7

6. Th5-g5+ Kg7-h7

7. Lh3-f5#

Der Abzug

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Bei einem Abzug werden zwei Figuren gleichzeitig aktiv.

Im Beispiel zieht der weiße Läufer von e2 nach b5 und bedroht dort die schwarze Dame. Dabei könnte er dort leicht von ihr geschlagen werden, wenn er nicht ...


... dem weißen Turm den Weg zum schwarzen König freigeräumt hätte. Dieser bietet jetzt Schach, und Schwarz muss sich darum kümmern, wobei er die Dame verliert.

Der Abzug ist ein sehr starkes taktisches Motiv. Insbesondere, wenn die enthüllte Figur eine sehr starke Drohung aufstellt, z.B. ein Schachgebot, dann kann die abziehende Figur auch Züge durchführen, die man gewöhnlich nicht in Betracht zieht. Sie kann sich auf ein bedrohtes Feld stellen, und im nächsten Zug von dort die Verteidigungslinie des Gegners durchbrechen. Sie kann aber auch eine gedeckte Figur schlagen.

Im Verteidigungssinne ist es eine gute Idee, dem Gegner keinen starken Abzug zu gestatten. Also immer Augen auf!

Praxisbeispiel

Herbert Ahues - K.
1932

Mit gleich zwei Abzugsangriffen siegte Weiß in der nebenstehenden Stellung.

Weiß hat am Königsflügel einen Angriff gestartet, aber scheint nun nicht mehr weiterzukommen, da der schwarze Läufer einen Damenzug erzwingt. 1.Sh4-g6 dürfte nun schnell gewinnen, aber Ahues fand eine elegante Kombination.

Es geschah

1. Dh5xh7+ Kg8xh7

2. Sh4-g6+ Kh7-g8

3. Th3-h8+ Kg8-f7

4. Th8-f8+ Dd6xf8

5. d5-d6#

Der Bauer selbst bietet kein Schach, sondern macht dem Läufer b3 den Weg frei.

Der Wartezug

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Befindet sich der Gegner in einer Zugzwangstellung, d. h. jeder Zug von ihm verschlechtert seine Position, so kann mit einem Wartezug die eigene Stellung indirekt verbessert werden. Wartezüge tauchen regelmäßig im Endspiel auf, denn dort ist mitunter die Anzahl der nützlichen Züge sehr begrenzt.

Im Mittelspiel sind Wartezüge dagegen selten zu finden, und dann meist auf der Seite des Verteidigers. Seine Figuren stehen bereits optimal, um dem Angriff des Gegners zu begegnen, aber der Angriff hat noch nicht begonnen. Dann bietet sich häufig ein Königszug oder ein Turmzug an, weil diese sich bevorzugt im Hintergrund aufhalten und noch nicht vollständig in die Verteidigung eingebunden sind. Solche Züge können außerdem rückgängig gemacht werden.

Gelegentlich kommt es bereits im Mittelspiel zur Einschnürung, und dem Verteidiger steht nur noch eine kleine und überschaubare Anzahl an Zügen zur Verfügung. Ist in einer solchen Lage jeder einzelne Zug für den Verteidiger nachteilig, liegt wiederum Zugzwang vor und ein Wartezug des Angreifers hat Sinn.

Reti (1922)


In dieser bekannten Studie von Richard Réti, erschienen in der Hastings and St. Leonards Post 1922, gewinnt Weiß, indem er zuerst mit 1.Sc2-d4+! Kc6-c5 eine Zugzwangstellung herbeiführt, und dann mit 2.Kg2-h1!! einfach abwartet. Schwarz hat keinen vernünftigen Zug mehr. Falls er mit dem Läufer zieht, wird er durch eine Gabel auf e6 oder b3 erobert und falls er den weißen Springer schlägt, wandelt sich der Bauer a5 in drei Zügen in eine Dame um.

Sämisch - Nimzowitsch


In dieser Stellung zwischen Friedrich Sämisch und Aaron Nimzowitsch machte Nimzowitsch nur noch einen einzigen Zug, woraufhin Sämisch über eine Stunde lang überlegte und dann aufgab. Nach dem Wartezug 25. ... h7-h6 war eine seltsame Zugzwangstellung entstanden. Mögliche weiße Züge, die nicht sofort eine Figur einstellen, waren 26.Te1-d1 oder 26.Te1-c1, wonach 26. ... Tf2-e2 die Dame gewinnt. Genauso schlecht ist 26.Lg2-f1 Tf2-f3 oder 26.Kh1-h2 Tf5-f3. Es bleiben noch die Bauernzüge. Am Damenflügel kann Schwarz nach 26.a2-a3 oder 26.b2-b3 einfach a6-a5 spielen und abwarten. Am Königsflügel kann Schwarz auf einen Zug des h-Bauern auch abwarten, Lg2-h3 würde dann mit Tf5-f3 beantwortet. Der einzige sinnvolle Zug ist also 26.g3-g4, aber daraufhin folgt dennoch 26. ... Tf5-f3! 27.Lg2xf3 Tf2-h2#.

Die Übermacht

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Hierbei handelt es sich um ein recht einfaches Konzept. Es gewinnt derjenige, der ein Feld am häufigsten kontrolliert. Es ist lediglich darauf zu achten, das beim Tausch nicht wertvolleres Material eingesetzt wird als beim Gegner.



Thema in dieser Stellung mit Weiß am Zug ist der schwarze Bauer auf d5. Dieser wird verteidigt von seinem Bruder auf c6 und dem Läufer auf e6. Insgesamt wird der Bauer also nur zweimal verteidigt.

Angegriffen wird er aber durch den Bauern auf e4, den Läufer auf b3, den Springer auf c3 und den Turm auf d1. Eigentlich auch noch von der Dame auf f3, aber bei dem gleich folgenden Gemetzel wird der Weg zwischen dem schwarzen Turm auf e8 und dem Läufer auf e3 freigeräumt, und die Dame muss diesen bewachen. Sie darf deshalb zur Berechnung nicht herangezogen werden. Der Bauer wird folglich effektiv viermal angegriffen.

Es gibt noch einen Faktor: Weiß kann nicht sofort mit dem Austausch beginnen, weil dann der Springer auf f5 schutzlos dem Läufer e6 ausgeliefert ist. Der Springer darf auch nicht einfach wegziehen, weil sonst Schwarz die Situation auflöst, indem er seinen Bauern abtauscht. Ein Springerzug sollte also eine Drohung aufstellen, die Schwarz zu parieren hat. Auf den Partiezug 15. Sf5xLe7+ folgt 15. ... Sg6xSe7, und der schwarze Bauer ist ein weiteres Mal verteidigt.

Dadurch ergibt sich ein neues Angriffs-Verteidigungsverhältnis für den schwarzen Bauern auf d5. Dieses beträgt somit 4:3, Weiß hat eine Übermacht, und gewinnt folglich den schwarzen Bauern.

16. e4xd5 c6xd5
17. Lb3xd5 Le6xLd5
18. Sc3xLd5 Se7xSd5
19. Td1xSd5 und der Bauer ist gewonnen.

Die überlastete Figur

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Eine Figur, der mehrere Aufgaben zukommen, kann in die unangenehme Situation geraten, nicht mehr alle Aufgaben erfüllen zu können.


Diese Stellung, in der Schwarz am Zug ist, ist recht unübersichtlich. Schwarz droht, seinen Bauern in wenigen Zügen umzuwandeln. Weiß dagegen droht in der für ihn nachteiligen Stellung mit Remis durch Dauerschach: 44. Sf6xh7+ Kf8-e8 45. Sh7-f6+ Ke8-f8 (keine andere Möglichkeit) 46. Sf6-h7+ Kf8-g8 47. Sh7-f6+ und da 47. ... Kg8-h8 zum Matt 48. Td7-h7# führt, muss der König wieder nach f8.

43. ... Tc5-f5

Mit diesem Zug unterbindet Schwarz die Drohung von Weiß. Nach 44. Sf6xh7+ kann der weiße Springer nicht wieder auf das Feld f6 zurückkehren, weil er dort einfach geschlagen wird.

Außerdem ist Weiß gezwungen, sich um den bedrohten Springer zu kümmern, und verliert ein wichtiges Tempo. Wenn Weiß den Springer einfach nur wegzieht, dann gewinnt Schwarz mit einer kleinen, gemeinen taktischen Wendung, z. B. 44. Sf6-e4 c3-c2 45. Td7-c7 (um den Bauern aufzuhalten) Sb2-d3 (überwacht das Umwandlungsfeld) 46. Tc7xc2 Sd3-e1+ 47. K~ Se1xTc2

44. Sf6xh7+



Auf diese Weise holt sich Weiß das Tempo wieder zurück, aber zu einem teuren Preis. Der Springer benötigt zumindest für ein paar Züge den Schutz seines Turms, welcher aber auch die Umwandlung des schwarzen Bauern zu verhindern hat.

44. ... Kf8-g8

45. Td7-c7

Jetzt geht der eben angesprochene taktische Trick nicht mehr, weil der weiße Turm zu schnell ist, also

45. ... Sb2xa4

und der schwarze Bauer ist wieder bewacht.

46. h2-h4

um dem weißen Springer aus seiner misslichen Lage zu helfen, aber es ist schon zu spät:

46. ... Tf5-f7 (Turmgabel)

47. Tc7-c4 b7-b5


und da Weiß in dieser Situation weiteren massiven Materialverlust nicht vermeiden konnte, gab er auf.


Grundlagen der Strategie

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Allgemeines zur Strategie

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Die Umsetzung strategischer Ideen ist selten so spektakulär wie im Bereich der Taktik. Dafür sind strategische Konzepte abstrakter, komplexer und tiefgründiger als ihre taktischen Gegenstücke. Das Feld der Strategie ist in der Regel eine größere Herausforderung an die menschliche Denkfähigkeit, und eine größere intellektuelle Leistung. Ohne Anspruch auf vollständige Gültigkeit behauptet der Pate dieses Buchprojekts aufgrund seiner Spielerfahrung, daß erfolgversprechende taktische Ideen fast ausschließlich in Stellungen anzutreffen sind, in denen sich der Spieler in ausreichendem Maße strategisch positioniert hat. Umgekehrt ist die strategische Bewertung einer Stellung nur in wesentlich geringerem Maß abhängig von der taktischen Bewertung.

Wir betrachten schwache Felder, offene Linien, Fianchettos, isolierte Bauern, rückständige Bauern, Doppelbauern, Freibauern, Bauernketten und Figuren in der gegnerischen Stellung.

An dieser Aufstellung der strategischen Elementarkonzepte kann man deutlich ersehen, daß die Seele des Schachspiels der Bauer ist, handelt es sich doch in den meisten Fällen um besondere Strukturen der Bauernstellung.

Schwache Felder

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Eine wesentliche Aufgabe der Bauern ist es, die gegnerischen Figuren abzuwehren. Dazu müssen sie eine möglichst lückenlose Feldüberwachung insbesondere direkt an der Front durchführen, was in vollständiger Form gar nicht möglich ist. Es geht also einfach darum, eine ausreichende Überwachung zu gewährleisten. Bauern sind für diese Aufgabe so hervorragend geeignet, weil sie keinen hohen Materialwert haben. Jede Figur, die gegen einen Bauern eingetauscht wird, ist vom Materialwert her mindestens dreimal so wertvoll wie der Bauer. Ein Feld, das von einem Bauern bewacht wird, ist für die gegnerischen Figuren tabu, es sei denn, diese sollen bewußt geopfert werden.

Sobald die Bauern vorrücken, worauf sie auch gar nicht verzichten können, entstehen schwache Felder, Felder, die nicht mehr von Bauern überwacht werden können. Stattdessen müssen diese Felder von Figuren überwacht werden, und selbst mit Figurenüberwachung gelingt es nicht selbstverständlich, die gegnerischen Figuren abzuhalten. Der Gegner braucht seine Figuren nicht mehr zu opfern, um dieses Feld zu besetzen, sondern kann einen Figurentausch erzielen. Gelingt es dem Gegner, dort seine Figuren zu platzieren, dann ist es ihm gelungen, in die Stellung seines Gegners einzudringen, und kann dort schmerzhafte und schädliche Manöver durchführen.

Hier ein Partiebeispiel:


Diese Stellung aus einem Mannschaftskampf auf Bezirksebene entstand aus der englischen Eröffnung. Die strategische Idee, die darauf abzielt, dem Gegner einen Zentrumsbauern gegen einen Nichtzentrumsbauern wegzutauschen, ähnelt der sizilianischen Verteidigung mit vertauschten Farben, auch wenn die sich ergebenden Stellungen weniger taktische Schärfe aufweisen. Die Eröffnungsphase ist gerade abgeschlossen, und zum Thema der Partie hat sich der zurückgebliebene weiße Zentrums-e-Bauern entwickelt. Noch wirkt dieser harmlos, aber wenn es ihm gelingt, sich im Zentrum zu entfalten, könnte die weiße Stellung mit zwei Zentrumsbauern übermächtig werden.

Der Springer c3 und der Läufer g2 unterstützen den Vormarsch des Bauern jetzt schon, außerdem kann Weiß einen Turm auf e1 platzieren. Der Springer f3 könnte den schwarzen weißfeldrigen Läufer von f5 vertreiben, und gleichzeitig den Weg für den f-Bauern freimachen, sowie die Diagonale b1-h7 für die Dame befreien. Gegen diese fünffache Unterstützung hat Schwarz keine Chance.

Wenn aber Weiß seinen Plan durchführt, wird der d-Bauer schwach, genauer: Das Feld, auf dem dieser steht. Außerdem wird die weiße Dame den durch den Läufer (wir erinnern uns, der wird von f5 vertrieben, vermutlich nach g4) gefesselten Bauern e2 durch wegziehen entfesseln. Dabei wird sie zur Bewachung des d-Bauern auf der d-Linie bleiben. Dadurch aber wird der weiße d-Bauer gefesselt, sobald das zwischen der weißen und schwarzen Dame liegende Material abgetauscht ist.

10. ... Tf8-e8

Dieser Zug aktiviert den Turm, und erschwert dem Gegner die Entfaltung seines Bauern. Man muß es ihm ja nicht zu leicht machen, sonst schöpft er Verdacht.

11. Sf3-h4 Lf5-g4

Mit 11. ... Lf5-e4 würde Schwarz ebenfalls 12. f2-f3 provozieren, aber dann hätte Schwarz keine andere Möglichkeit, als den Läufer einfach zurückzuziehen. So aber kann Schwarz durch Rückzug des Läufers nach h5 eine Fesselung des f-Bauern androhen, die gleichzeitig den Läufer g2 blockieren würde. Die Dame müßte also das Feld d1 verlassen, muß aber auf der d-Linie bleiben, weil sie als einzige den d-Bauern verteidigt.

12. f2-f3 Lg4-h5

13. Dd1-d2 h7-h6

14. Lg5xSf6

Der Zug 14. Lg5-f4 erlaubt 14. ... Ld6xf4 15. Dd2xf4 g7-g5 16. Df4-f5 g5xh4 mit Materialvorteil für Schwarz. 15. g3xf4 erzeugt zwar einen Doppelbauern, aber die Stellung ist recht unklar.

14. ... Sd7xLf6

Damit räumt der Springer, wie gewünscht, die d-Linie.

15. e2-e4 d5xe4

Auch der schwarze Bauer steht nicht mehr im Weg.

16. f3xe4 Ld6-c5

Dies ist der Nucleus Pudulorum


17. Sh4-f5 Lh5-g4

Beide Seiten erhalten ihren Anspruch auf d4 aufrecht. Schwarz tut dies, indem er droht, die weiße Kontrollfigur abzutauschen.

18. Sc3-a4

Damit behält Weiß die Kontrolle über d4, indem er den Agressor auf c5 abzutauschen droht. Weiß hätte gerne auf diesen Zug verzichtet, denn auf einmal ist der e-Bauer in Schwierigkeiten. Die Alternative 18. Ta1-d1 ist aber nicht möglich wegen des Läufers auf g4.

18. ... Lg4xSf5

19. Sa4xLc5 Sf6xe4

20. Sc5xSe4 Lf5xSe4