Soziologische Klassiker/ Migrationssoziologie/ Ethnisch plurale Gesellschaft

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Ethnischer Pluralismus[Bearbeiten]

Die Idee und der Ursprung des ethnischen Pluralismus sowie bedeutende Vertreter sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.


Der ethnische Pluralismus (auch kultureller Pluralismus) ist ein Konzept des frühen 20. Jahrhunderts, wobei der Pluralismus als Zustand bereits im 19. Jahrhundert durch die Communities der europäischen Einwanderer realisiert worden war. Es stellt auch einen Gegenstandpunkt zur Idee der amerikanischen Einheitsgesellschaft (Anglo-Konformität) und einen Paradigmenwechsel im Denken des politischen Mainstreams der Assimilation dar.


Anglo-Konformität bezeichnet eine normative Idee, die im 19. Jahrhundert in den USA entstand und insbesondere zur Zeit des I. Weltkriegs Amerika beherrschte, als sich dieses im sogenannten „Amerikanisierungsfieber“ befand. So war der soziale Druck äußerst groß für bedingungslose, politische Gefolgschaft für jeden, der in die Vereinigten Staaten eingewandert war. Diese Ideologie und der Zwang zur Konformität arbeitete vor allem gegen die asiatische Immigration, die schließlich auch gesetzlich eingeschränkt war. Besonders schwierig war diese Verpflichtung für Angehörigen von Staaten, die sich im Krieg mit den USA befanden, wie Japan. So waren japanische Einwanderer während des II. Weltkriegs in den USA interniert.


Emily Greene Balch (1867 – 1961), Volkswirtschafterin, Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin, stellte die zu dieser Zeit äußerst gewagte Behauptung auf, dass Amerika keine Nation, sondern bloß ein Land mit unterschiedlichen Nationalitäten ist, die unter einer gemeinsamen Regierung leben. Sie betonte, dass die Anglo-Amerikaner nicht die Leitkultur per se darstellen. Sie sprach sich aus für mehr Toleranz und dafür, ethnische Unterschiede auch zuzulassen (z.B. Mehrsprachigkeit). Sie forderte, dass die ImmigrantInnen human behandelt und ihnen Rechte eingeräumt werden müssen. Eine höhere nationale Einheit und sozialer Frieden könne laut Balch nur so erlangt werden.


Horace Kallen beschrieb in seinem Artikel:„Democracy vs. The Melting Pot“ (1915) ebenso den Begriff des kulturellen Pluralismus. Er nannte dies die „Demokratie der Nationalitäten“. Darunter verstand Kallen die Loyalität der Ethnien gegenüber der Nation und die Ermöglichung ihrer Partizipation am wirtschaftlichen und politischen Leben der Vereinigten Staaten. Einwanderer sollten dabei jedoch stets die Freiheit besitzen, ihre ethnischen Unterschiede und Herkunftskultur zu kultivieren. Demokratie ist für ihn nicht die Nivellierung der Unterschiede, sondern im Gegenteil Toleranz, die Platz läßt für verschiedene kulturelle Einflüsse. Übereinstimmend mit Emily Balch stellt für ihn die USA eine Illusion dar: „America is a word: A historic fact, or as a democratic ideal of life, it is n ot realized at all“, denn für Kallen ist eine „amerikanische Rasse undenkbar. Er stellte sich Amerika als „Nation of Nations“ vor und betonte den Wert kultureller Unteschiede an sich. Kallen forderte also die Verwirklichung der demokratischen Prinzipien der Vereinigten Staaten ein, die bisher nicht realisiert waren.


Nach dem II. Weltkrieg griffen die Angehörigen der ethnsichen Gemeinschaften selbst und auf bewusste Weise die Idee des kulturellen Pluralismus auf. Die späteren Theoretiker des Pluralismus gehen ebenso wie die frühen Vertreter von der Annahme aus, dass die "WASP" eine von vielen Ethnien ist und dass es so etwas wie eine ethnische Kerngesellschaft („core – society“) eigentlich nicht gibt.


Nathan Glazer und Stephen Steinberg gelten als Klassiker des ethnischen Pluralismus. Nathan Glazer ist vor allem bekannt für seine Studie der Immigrantengruppen New Yorks „Beyound the Melting Pot“, in dem er die Assimilationsthese empirisch widerlegt. Stephen Steinberg unterzieht dem ethnischen Pluralismus in seinem Werk „The Ethnic Myth“ einer kritischen Bewertung und betont den Aspekt der sozialen Ungleichheit zwischen den ethnischen Gruppen als Voraussetzung ethnischer Eigenständigkeit.

Literatur[Bearbeiten]

HAN, Petrus (2006):

  • "Theorien zur internationalen Migration: Ausgewählte interdisziplinäre Migrationstheorien und deren zentralen Aussagen"
    Stuttgart:Lucius&Lucius.

TREIBEL, Annette (1999):

  • "Migration in modernen Gesellschaften: Soziale Folgen von Einwanderung, Gastarbeit und Flucht. Grundlagentexte Soziologie, hg. von Klaus Hurrelmann"
    Weinheim, München: Juventa.