Wie mein Buch auf die Welt kommt/ Digitales Zeitalter: Bedrohung oder Chance?
Die Digitalisierung in der Medienbranche ist in vollem Gange. Keiner Gruppe, die am Buchmarkt beteiligt ist - weder Verlage, Buchhandel noch Autorinnen/Autoren - war in den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts klar, welche Auswirkungen die Kombination von Computer und Internet auf die Buchbranche haben würde. Weder über den Umfang noch das Tempo, mit der dieser Wandel etablierte Geschäftsmodelle erschüttern würde. Es sind besonders der Buchhandel und die Verlage, die sich ob ihrer zukünftigen Rolle in Frage gestellt sehen. Russell Grandinetti, einer der Spitzenmanager bei Amazon, beschreibt die Situation so: “The only really necessary people in the publishing process now are the writer and the reader. Everyone who stands between those two has both risk and opportunity.”[1]
In der Diskussion, ob es in Zukunft überhaupt noch Bücher geben wird, treten nach Hans Magnus Enzensberger zwei Hauptkontrahenten auf: die digitalen Evangelisten und die digitalen Apokalyptiker. „Die Evangelisten sind Anhänger froher Botschaften, frohlocken über alle technischen Errungenschaften und prophezeien das Heraufziehen einer elektronischen Demokratie und den Abbau von Hierarchien. Die Apokalyptiker hingegen sehen in jedem neuen Medium einen Sinnverlust und eine Gefahr für die Gesellschaft.”[2] In der alltäglichen Praxis hilft dieser Streit jedoch nicht bei der Bewältigung der grundlegenden Herausforderungen, denen sich sowohl die Autorengemeinschaft, der Buchhandel und die Verlage stellen müssen.
Natürlicher Replikator
Wenn das mediale Potential des E-Books thematisiert wird und dabei seine Chancen und Risiken kontrovers diskutiert werden, sind sich wahrscheinlich wenige Leute bewusst, dass die Anfänge bis in das Jahr 1971 zurückreichen. Michael Stern Hart, damals Student an der Universität von Illinois, gilt als der Erfinder des E-Books. Er stellte als ersten elektronischen Text die Unabhängigkeitserklärung der USA zum Download zur Verfügung. Es war schnell klar, dass der Computer ein ideales Werkzeug für die Verbreitung von Texten ist. Mit ihm war es sehr viel leichter geworden, Texte zu erfassen, zu speichern, zu editieren, zu kopieren und über Netzwerke zu verteilen. Ein natürlicher Replikator.[3] Hart initiierte im selben Jahr das ,Project Gutenberg‘ mit dem Ziel, eine Bibliothek einzurichten, welche der Öffentlichkeit die 10.000 meist verwendeten Bücher zur Verfügung stellen sollte, und das bis zum Ende des 20. Jahrhunderts.[4] Das E-Book wurde in der Öffentlichkeit bis in die Achtzigerjahre weder wahr- noch ernstgenommen. Das änderte sich erst mit der erfolgreichen Einführung der ersten E-Reader um 2007. Im Mai 2014 umfasste die Online-Bibliothek 45.966 freie E-Books[5] und der deutsche Ableger Projekt Gutenberg-DE, welcher von Spiegel Online gehostet wird, 7539.[6]
Umfragen zur Nutzung elektronischer Medien in Europa zeigen, dass die Mehrzahl der Menschen keine Berührungsängste hat. Man kann ohne zu übertreiben behaupten, dass noch nie soviel gelesen und geschrieben wurde wie heute.[7] Viele Menschen führen eine rege Privatkorrespondenz per E-Mail, SMS, Twitter oder Facebook und nutzen das Internet, um sich zu informieren oder multimediale Inhalte zu verbreiten. Dies trifft besonders auf Digital Natives zu, die mit der digitalen Technologie aufgewachsen sind.
Die entscheidende Frage ist, ob der Einzelne die Möglichkeiten des digitalen Zeitalters nutzen kann oder nicht. „Wir fahren Auto, ohne ein Auto reparieren zu können. Aber ein Computer ist kein Auto. Er ist auch kein besseres Radio. Er ist etwas Generelles: Was der Computer für mich machen kann, ist heute nur durch meine Vorstellung begrenzt. Deswegen sollten ihn viele Leute beherrschen." [8] Es ist allerdings eine Tatsache, dass es eine digitale Kluft (Digital Divide) in der Gesellschaft gibt. Weil ein Teil der Bevölkerung diese Technologien nicht nutzt oder nicht nutzen kann, werden sie noch stärker marginalisiert. Die Verheißungen des Internets auf Freiheit, Wissen und grenzenlose Kommunikation für alle erweisen sich als Mythen.[9]
Unabhängig davon entwickelt sich das Web ständig weiter und die Benutzerinnen/Benutzer sind Teil dieser Entwicklung. Es verändert sie. Es formt nicht nur deren Gesten und Gewohnheiten, sondern auch das Bewusstsein.[10] Und sie wiederum verändern das Web durch die Art und Weise der Nutzung. Was auf Zuspruch stößt, kann weiter wachsen, was nicht ankommt verschwindet. Eine Recherche über innovative Projekte in der Buchbranche erbrachte ein vielseitiges Ergebnis. Die nachfolgende Liste mit zehn Beispielen demonstriert beispielhaft deren Bandbreite:
Nr. | Innovatives Projekt |
---|---|
1 | E-book: nur ein Arbeitschritt für viele Endgeräte: “Add, copy and paste!” (Padify[11]) |
2 | „gebrauchte” E-Books auf dem virtuellen Flohmarkt verhökern (Redigi[12]) |
3 | digitale Wasserzeichen für E-Books (Booxtream [13]) |
4 | nur für gelesene Seiten bezahlen (Total Boox [14]) |
5 | transmediale Geschichte mit Leserentscheidungen (Bastei Lübbe Verlag [15]). |
6 | zehn Experten und fünf Tage: Buch ist fertig (Booksprints [16]) |
7 | Bücher im lokalen Copyshop kopieren und drucken (Paperight [17]) |
8 | E-Books mit Bildern, Ton und Filmclips anreichern (Nook Developer [18]) |
9 | die Fans finanzieren Buchprojekte, Lesungen u.ä. (Crowdfans [19]) |
10 | Geschenkkarten für den E-Book- und Hörbuchdownload (Snapload [20]) |
Quellen
- ↑ Streitfeld 2011, o. S.
- ↑ Leibinger-Kammüller 2008, S. 146
- ↑ Vgl. Warner 2013, o. S.
- ↑ Vgl. Dalakov 2014, o. S.
- ↑ Vgl. Gutenberg 2014, o. S.
- ↑ Vgl. Gutenberg-D 2014, o. S.
- ↑ Vgl. Bremer u.a. 2013
- ↑ Wenger 2012, o. S.
- ↑ Vgl. Balbous 2012, o. S.
- ↑ Vgl. Flusser 1992, S. 20
- ↑ http://padify.net/
- ↑ https://www.redigi.com/
- ↑ https://www.booxtream.com/
- ↑ http://www.totalboox.com/
- ↑ http://www.luebbe.de/Buecher/Kinder/Details/Id/978-3-8339-3800-9
- ↑ http://www.booksprints.net/
- ↑ http://www.paperight.com/
- ↑ https://nookdeveloper.barnesandnoble.com/
- ↑ http://www.crowdfans.de/
- ↑ http://www.snapload.de