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Bewusstseinserweiterung: Der Begriff

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung2. Der Begriff Bewusstsein3. Bewusstseinseinschränkung als Wahrnehmungseinschränkung4. Wahrnehmungserweiterung in der Mystik5. Die Methode des Selbsterinnerns6. Wachheit im Schlaf-Theorie7. Wachheit im Schlaf-Praxis8. Selbsterinnern, Klartraum und Klarheit im Wachzustand9. Literatur

 

Der Begriff, den es einzukreisen gilt, ist groß – zu groß, als dass er sich tatsächlich einkreisen ließe. Jede Philosophie, jede Psychologie, jede Religion, jede mögliche menschliche Disziplin beschäftigt sich mit Fragen, die um das Sein als solches, der Möglichkeit es zu erfassen und der Instanz, die dies zu leisten hat, dem menschlichen Bewusstsein, kreisen, ob sie es nun zugesteht oder nicht.

Das Einkreisen dieses Begriffs ist mir als Bewusstheit eine Freude. Da ist etwas, das Freude wahrnimmt – für wahr nimmt.
Ich beginne bewusst zu kreisen und vergesse über die Freude am Kreisen mich selbst und mein eigentliches Vorhaben, nämlich: dass ich Kreise ziehe um einen Begriff, den ich durch diesen Akt begreifbar, anfassbar, abhebbar von Anderem machen soll. Unbewusst versuche ich dem zu entgehen, dies wird mir erst jetzt bewusst.
Und dennoch kreise und kreise ich (wer kreist hier eigentlich?) bei vollem Bewusstsein bis mich die wilde Kreiserei aus dem Karussell wirft und ich bewusstlos werde.
Ich bin nicht tot, doch auch nicht bei Bewusstsein. Verzeih mir liebe/r Leser/in ich wollte dich nicht Bewusst verwirren; oder wollte ich es vielleicht doch, nur eben unbewusst?
Wenn ich das so eben Geschriebene lese, muss ich sagen: das klingt ganz schön selbstbewusst, bin ich mir dessen eigentlich Bewusst? Meiner selbst bin ich mir dabei wahrscheinlich nicht Bewusst. [Quellenangabe fehlt!]

Es wird Zeit das Karussell der Alltagsbegrifflichkeiten wieder zu verlassen, denn die Zentrifugalkraft des Bewusstseinskarussells ist zu groß, als dass man hoffen könnte, sein Zentrum zu erreichen, ohne das Bewusstsein (als Begriff und als Zustand) zu verlieren. Gehen wir also zu dem über worüber wir Gewissheit haben können.

Terminologie

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Der Begriff Bewusstsein kommt von Wissen. Im Deutschen existiert das Wort „bewusst“ seit etwa dem 16. Jahrhundert und zwar als Partizip von „Bewissen“ (frühneuhochdeutsch), was sich zurechtfinden hieß, und beweten, worunter man auf etwas sinnen, um etwas wissen verstand[1]. Als reiner Infinitiv bewusst sein findet sich der Ausdruck als Übersetzung von sibi conscium esse, das schon in der Antike gebraucht wurde. Als conscientia bzw. cogitatio wird der moderne Bewusstseinsbegriff nach allgemeiner Auffassung von Descartes geprägt.

Psychologiegeschichte

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Dieser Abschnitt soll lediglich einen kurzen Überblick geben über die Art und Weise wie das menschliche Bewusstsein als Gegenstand der Erforschung in der abendländischen Psychologiegeschichte aufgetaucht ist und im Laufe der Psychologiegeschichte mal mehr und mal weniger Bedeutung hatte. Die Psychologie als eine Wissenschaft vom Bewusstsein entwickelte sich als eine Synthese von Naturphilosophie und Naturwissenschaften am Ausgang des 19. Jahrhunderts. Einer ihrer ersten Vertreter war Gustav Fechner, der sich in seinem Werk Elemente der Psychophysik 1860 bemühte, mit wissenschaftlichen Methoden eine Korrelation zwischen äußeren Reizen und subjektiven Reaktionen herzustellen. Als Begründer der Psychophysik versuchte Fechner aber auch Im Gang durch die sichtbare Welt, die unsichtbare zu finden., wie er es in seinem gleichnamigen Buch darstellte[2]. Bei Wilhelm Wundt wird der Begriff des Bewusstseins zentral und mit der Psyche überhaupt identifiziert. Wundt versuchte die Methode der Introspektion zu einem wissenschaftlichen, differenzierten Forschungsinstrument aufzubauen. Die introspektive Erforschung der Gefühle führe – so meinte Wundt – zu einer dreidimensionalen Theorie der Gefühle, die sich aus den Anteilen Lust-Unlust, Spannung-Lösung und Erregung-Beruhigung zusammensetzen[3][4]. Nach ihm bemühte sich auch Edward Bradford Titchner (ein Schüler Wundts) an der Cornell University zusammen mit einigen Kollegen, dem Bewusstsein mit Hilfe von Introspektion auf die Spur zu kommen, wobei sie versuchten, den Inhalt ihres persönlichen Bewusstseins zu analysieren, indem sie die Ergebnisse mit den Beobachtungen der anderen Versuchsteilnehmer verglichen[5]. Dabei gelangten sie aber nur selten zu übereinstimmenden Ergebnissen, daher schränkten sie die Art und Weise, wie die Introspektion auszusehen hatte, erheblich ein, was in der Folge – nach Ornsteins Ansicht – zu einer „inhaltlichen Sterilität der Psychologie“ führte[6]. Auf jeden Fall aber lösten diese Untersuchungsmethoden einen Sturm der Entrüstung in der übrigen Fachwelt aus. Man beschwerte sich über die Unwissenschaftlichkeit der von Wundt und Titchener angewandten Methodiken, und gewissermaßen als Gegenbewegung entstand der Behaviorismus. Der Begriff Bewusstsein wurde von da an aus der psychologischen Forschung verbannt. An die Stelle des Bewusstseins, der nicht einsehbaren Black-Box menschlichen Innenlebens, trat das Verhalten und die Analyse seiner Gesetzmäßigkeiten (Reiz/Reaktion), das ohne eine Analyse von Bewusstseinsprozessen erschlossen werden konnte, wie man glaubte[7] Auch Freud, der Begründer der Psychoanalyse, nahm die Bedeutung des Bewusstseins aufgrund seiner Entdeckung des Unbewussten[8] in gewisser Weise zurück, indem er den Bewusstseinsbegriff im Rahmen einer wissenschaftlichen Erklärung psychischer Erkrankungen benutzte. Die Bewusstseinsleistungen wurden seiner Ansicht nach erheblich überschätzt und er erklärte fortan das Unbewusste als das eigentlich Psychische:

Sigmund Freud
„Das Unbewusste ist das eigentlich reale psychische, uns nach seiner inneren Natur so unbekannt wie das Reale der Außenwelt und uns durch die Daten des Bewusstseins ebenso unvollständig gegeben wie die Außenwelt durch die Angaben der Sinnesorgane.“
Quelle: Die Traumdeutung, Seite 580

Erst in den 1960er Jahren erfährt der Begriff des Bewusstseins eine gewisse Renaissance. Die Kognitive Psychologie nimmt ihren Anfang und begründet einen von vielen Autoren gefeierten Paradigmen-Wechsel; sie geht auf den Einzug der Kybernetik in die Psychologie zurück. Der Mensch wird in Analogie zu der in der Computer-Technik verwendeten Begrifflichkeiten als informationsverarbeitendes System begriffen, was die Einführung von Begriffen aus der Computersprache wie Information, Input, Output, Kodieren oder Verarbeiten (processing) rechtfertigen sollte[9]. So gehören zum Bereich der Kognitiven Psychologie:

R. E. Mayer
„Empfindung und Wahrnehmung (Aufnehmen und Erkennen von Reizinput), Lernen (Codieren von Eingangsinformationen), Gedächtnis (Abrufen von eingegangenen Informationen) und Denken (Manipulieren von wahrgenommenen, gelernten und erinnerten Informationen). Diese Themen bilden den Kern der sogenannten kognitiven Psychologie.“
Quelle: Denken und Problemlösen, Seite 7

Der so propagierte Bewusstseinsbegriff und das daraus abgeleitete Menschenbild blieben natürlich nicht unwidersprochen. Einige Psychologen beschäftigten sich dann mit der Erforschung des Arbeits- und Alltagsbewusstseins. Nach Henri Lefebvre, der als Klassiker der Erforschung des Alltagsbewusstseins gilt, entspringt das Bewusstsein des Menschen seinem wirklichen, seinem alltäglichen Sein.[10] Endlich erfährt dann der Bewusstseinsbegriff – vor allem im Umkreis der humanistischen Therapieformen – eine wesentliche Aufwertung. Die Humanistische Psychologie, die sich laut Abraham Maslow als die „dritte Kraft“ neben Behaviorismus und Psychoanalyse versteht, führt den Begriff der Selbstverwirklichung ein. Maslow entwickelte ein fünfstufiges hierarchisch gegliedertes Bedürfnismodell (Maslowsche Bedürfnispyramide), in dem er im wesentlichen zwischen Grund- und Wachstumsbedürfnissen unterscheidet. Die Wachstumsbedürfnisse tauchen erst dann auf, wenn die Grundbedürfnisse hinreichend befriedigt sind. Wachstumsbedürfnisse sind für ihn Bedürfnisse nach Selbsttranszendenz, Selbstverwirklichung, Gipfelerlebnissen, Grenzerfahrungen und Seinserkennen[11].

Das

A. H. Maslow
„Seins-Erkennen kann auch nicht vergleichende oder nicht urteilende oder nicht auswertende Erkenntnis genannt werden.“
Quelle: Psychologie des Seins, Seite 87

Auch Carl Rogers, der Begründer der Klientenzentrierten Therapie und der Encounter-Gruppen, geht von der Möglichkeit eines Bewusstseinswachstums aus. Rogers versteht die Gesamtpersönlichkeit als zwei sich überschneidende Kreise: Der eine steht für die Struktur des Selbst, der andere für die Erfahrung. Wenn die Selbststruktur sich mit der Erfahrung deckt, dann ist die Person oder das, was sie sagt kongruent; wenn die Selbststruktur die Erfahrung ausschließt, entsteht Inkongruenz. Der Teil der Selbststruktur, der außerhalb der Erfahrung liegt, bleibt verzerrt und starr, während die Erfahrung, die geleugnet oder nicht in die Selbststruktur aufgenommen wird, einen fremden und bedrohlichen Charakter annimmt.

Als Folge davon sind stark inkongruente Persönlichkeiten nicht gegenwärtig in dem was sie sagen, da sie sich ihre Erfahrungen nicht aneignen. Die angestrebte Kongruenz wird bei Rogers durch Bewusstheit erlangt.

C. Rogers
„Mir scheint, positive Entwicklung wird erst möglich durch Bewusstheit. Durch Bewusstheit werden die Verzerrungen der Wahrnehmungen aufgehoben oder zumindest verringert. So gesehen wird der Mensch zum ersten Mal zum Potenzial des Menschen; zum grundlegenden sinnlichen und organischen Erleben tritt das bereichernde Element der Bewusstheit hinzu. Der Mensch wird das, was er ist [...]. Das heißt anscheinend, dass der Einzelne – im Bewusstsein das wird, was er – in der Erfahrung – ist. Er ist mit anderen Worten ein kompletter und voll agierender menschlicher Organismus.“
Quelle: Entwicklung der Persönlichkeit, Seite 11

Für Rogers ist das Bewusstsein die höchste aller menschlichen Funktionen. Zur Entwicklung des unverzerrten Bewusstseins ist eine Erhöhung des Gewahrseins des eigenen Selbst oder Selbst-Bewusstheit vonnöten, denn „mit gesteigerter Selbst-Bewusstheit ist es möglich, eine aufgeklärtere Wahl zu treffen, eine Wahl freier von Introjekten, eine bewusste Wahl.“[12]

Den vorläufigen Höhepunkt erfährt die Erforschung des menschlichen Bewusstseins in der sogenannten Transpersonalen Psychologie, die sich nunmehr als die „Vierte Kraft“ versteht. Der Begriff Transpersonale Psychologie (kurz TP) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Strömungen. Das Menschenbild bezieht sich – ähnlich wie das in der humanistischen Psychologie – auf persönliches Wachstum und ganzheitliche Entwicklung, wird aber um die spirituelle Dimension, um das was die Person transzendiert (also über sie hinausweist) erweitert.

Die TP wurde Ende der 1960er Jahre von Anthony Sutich, Abraham Maslow, James Fadiman und Stanislav Grof[13] ins Leben gerufen und versteht sich als interdisziplinär und interkulturell. Charles Tart umkreißt den Gegenstandsbereich der TP wie folgt:

C. Tart
„[...] die sich entwickelnde Transpersonale Psychologie [...] befasst sich ganz speziell mit dem empirischen wissenschaftlichen Studium – natürlich auch im Hinblick auf die sich daraus ergebenden verantwortlichen Maßnahmen – hinsichtlich der sich entfaltenden und der spezifisch menschlichen Meta-Bedürfnisse, der Grundwerte, des All-Bewusstseins, der Gipfelerlebnisse [...], der Ekstase, des mystischen Erfahrungsbereiches, des Numinosen, des Seins, der Selbstverwirklichung, des Essentiellen, der Seligkeit, des Wunders, des letztgültigen Sinns, der Transzendierung des eigenen Ichs, der spirituellen Bereiche, des Einseins, der kosmischen Bewusstheit der individuellen und artspezifischen Synergie, der intensivsten zwischenmenschlichen Begegnung, der Heiligung des Alltagslebens, der transzendentalen Phänomene, der aufs höchste gesteigerten sinnlichen Wahrnehmung, der Reaktions- und Ausdruckfähigkeit sowie der wechselseitig aufeinander bezogenen Vorstellungen und Aktivitäten“
Quelle: Transpersonale Psychologie, Seite 9

Die TP bemüht sich um eine Integration fernöstlicher Religionen und Entwicklungsmodelle (wie z.B. dem chinesischen Taoismus, dem Buddhismus, dem aus Taoismus und Buddhismus entsprungenen Zen-Buddhismus) sowie um die Integration neuerer wissenschaftlicher Theorien aus den Bereichen der Kernphysik (Quantenphysik), System- und Informationstheorie, der Biologie (beispielsweise Rupert Sheldrakes Theorie der Morphogenetischen Felder, die er als unsichtbare organische Strukturen, die Dinge wie Kristalle, Pflanzen und Tiere formen und gestalten und sich organisierend auf das Verhalten auswirken definiert[14] und auch Ergebnisse aus der physiologischen Gehirnforschung (z. B. Pibrams holographisches Modell menschlicher Bewusstseinstätigkeit[15]

Als einer der bedeutendsten Vertreter der TP gilt heute Stanislav Grof, der in seiner mehr als siebzehnjährigen Erforschung der Wirkungsweise psychotroper Substanzen (insbesondere LSD) an Gesunden, Krebspatienten im Endstadium und psychiatrischer Patienten in mehr als 2600 Sitzungen zu dem Ergebnis kam,

Grof, S.
„dass psychedelische Drogen heuristischen Wert als Werkzeuge zur Erforschung des menschlichen Bewusstseins haben und dass es gerechtfertigt ist, aus dieser Arbeit mit diesen Mitteln allgemeine Schlüsse zu ziehen“
Quelle: Boorstein: Transpersonale Psychotherapie, Seite 335

Denn so führt er weiter aus:

Grof, S.
„Ich habe kein einziges Phänomen finden können, das man als invariantes Produkt der chemischen Wirkung der Droge auf irgendeinem der untersuchten Gebiete hätte betrachten können, also auf perzeptivem, emotionalem, ideationalem und physischem Gebiet“
Quelle: ebd. Seite 336

Ein weiterer bedeutender Vertreter der TP ist Ken Wilber, der in seinem Buch Das Spektrum des Bewusstseins ein stufenförmiges Entwicklungsmodell des menschlichen Bewusstseins entwirft, wobei jeder Ebene des Spektrums eine charakteristisches Identitiätsgefühl zugeordnet ist:

Wilber, K.
„von der höchsten Identität des kosmischen Bewusstseins bis hinunter zu jenem drastisch eingeengten Identitätsgefühl, das dem ichhaften Bewusstsein eignet“
Quelle: Walsh/Vaughan – Psychologie in der Wende, Seite 83

Als ein weiterer Vertreter kann auch Robert Ornstein gelten, der in seinem Buch Die Psychologie des Bewusstseins (siehe dazu Kapitel: Bewusstseinseinschränkung) versucht Wege aufzuzeigen, die den vorherrschenden aktiven Modus des Bewusstseins, den als analytisch, verbal, linear und logisch-rational beschreibt, zugunsten des rezeptiven Modus, der ganzheitlich, intuitiv, arational und kreativ funktioniert, zurückzudrängen. Betont wird bei allen mir bekannten Vertretern der TP immer wieder die Notwendigkeit, eigene Erfahrungen im weiten Bereich der möglichen Formen von Bewusstseinserweiterung zu sammeln.

Am California Institute of Transpersonal Psychologie, wo Frances Vaughan (Zusammen mit Walsh Autor des Buches Psychologie in der Wende, 1985) unterrichtet, gibt es beispielsweise fünf Unterrichtsschwerpunkte: Physische, emotionale, mentale, spirituelle und soziale Tätigkeit. Jeder Studentin übt sich in einer physischen Disziplin, wie Aikido oder T’ai Chi, alle unterziehen sich einer klinischen Ausbildung und nehmen ferner an Selbsthilfegruppen teil. Außerdem wird von allen StudentInnen erwartet, dass sie sich, nebst der theoretischen Ausbildung in TP, in einer von ihnen selbst gewählten spirituellen Disziplin üben. Denn die Kenntnis zumindest einer spirituellen Tradition wird als notwendig erachtet, um die beschriebenen Erfahrungen überhaupt verstehen zu können, da man von einer stufenförmigen Entwicklungsmöglichkeit des menschlichen Bewusstseins ausgeht und jede bereits erreichte Stufe die Voraussetzung zum Verständnis der nächsten Stufe bildet. Somit sind höchste Bewusstseinsstufen allein theoretisch nicht nachvollziehbar. Anschaulich gemacht wird dies oftmals anhand folgender Metapher:

Ein Physiker würde aus einer komplizierten Differentialgleichung wahrscheinlich wertvolle Erkenntnisse für seine Arbeit ableiten können, während ein Dachdecker wahrscheinlich nur irgendwelche Formeln erkennen wird. Ein Erstklässler aber wird in der Formel wahrscheinlich nur irgendwelche komischen Zeichen erblicken können und im schlimmsten Fall empört ausrufen, der Physiker könne ja nicht einmal vernünftig schreiben.

Um im Bilde zu bleiben könnte man sagen, die Transpersonalen Psychologen behaupten, dass derzeit noch die Erstklässler das wissenschaftliche Paradigma bestimmen und das ist auch einer der Gründe, warum es mit der Anerkennung der Physiker in der wissenschaftlichen Landschaft z.Zt. noch recht schlecht bestellt ist, denn sie werden nicht nur ausgelacht, sondern auch noch für gefährlich, auf jeden Fall aber für unwissenschaftlich gehalten.

Die Transpersonalen Psychologen fordern deshalb einen Paradigmenwechsel in der Psychologie und begründen dies durch das Konglomerat an Erkenntnissen, das sie in den letzten Jahren der Forschung gewonnen haben und das die Notwendigkeit eines Paradigmen-Wechsels zwingend erweisen soll[16].

Das Ich-Bin-Da-Bewusstsein

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Wir haben immer noch keine rechte Begriffsdefinition entwickelt, mit der es sich arbeiten ließe. Deshalb unternehme ich hier noch einen Versuch, um so etwas wie einen Arbeitsbegriff, der eine Zielsetzung impliziert, zu entwickeln. Die im Folgenden formulierten Gedanken sind sozusagen meine, obwohl es für mich persönlich kein Anrecht auf Gedanken gibt und ich mir darüber im klaren bin, dass ich sicherlich weder die erste noch die letzte bin, die sich diese Gedanken gemacht hat. Wahrscheinlich habe ich das eine oder andere schon einmal irgendwo gelesen und lasse es nun unbewusst hier einfließen. Die hier verwendeten Zitate dienen nur der Veranschaulichung meiner Gedanken und sind in ihrer eigentlichen Bedeutung möglicherweise aus dem Zusammenhang gerissen: So schreibt Hans-Werner Klement in seinem Aufsatz Das menschliche Bewusstsein[17]

H.-W. Klement
„Viele Menschen machen sich nicht klar, dass die Tatsache ihres bewussten Seins von allen Rätseln, das uns die Natur aufgibt, das größte ist.“
Quelle: Das menschliche Bewußtsein

Ohne Bewusstsein als Voraussetzung der Erkenntnis ist keine Wissenschaft möglich. Wollen wir das Bewusstsein erforschen, so ist es gleichsam Bedingung und Gegenstand der Erkenntnis. Ich bin als Seiendes in Form einer Bewusstheit in die Welt geworfen und kann nicht anders, als mich diesem Rätsel zu stellen. Die Frage, was es mit dem Bewusstsein auf sich habe, beschäftigt die Bewusstheiten (die Menschen) in dieser oder anderer Form seit Anbeginn der Zeit.

Die Zeit aber beginnt dort, wo sich der erste Mensch seiner selbst bewusst wird. Wir können angesichts der existentiellen Bedeutung der Fragestellung also getrost bei Adam und Eva beginnen. Ich weise darauf hin, dass die beiden ProtagonistInnen der ersten Stunde hier lediglich als IdeenträgerInnen verwendet werden.

Betrachtet man die Bibel als eine Ansammlung von Geschichten möglicher menschlicher Seins-Zustände, so ziehen sich diese von der Schöpfungsgeschichte, dem Sündenfall und die daran anschließende Vertreibung aus dem Paradies zum höchstmöglichen menschlichen Seinszustand in Gestalt des Jesus Christus bis hin zu ihrem Ende in der Offenbarung, in der es heißt:


„Es wird keine Zeit mehr bleiben.“
Quelle: Off 10,6

Vor dem Bewusstsein also steht das Verbot:


„Dann gebot Gott, der Herr, dem Menschen: Von allen Bäumen darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen, denn sobald du davon isst, wirst du sterben.“
Quelle: Gen 2, 16/17

Als das Verbot durchbrochen war, warf der Mensch zum ersten mal einen Blick auf sich selbst und erkannte, dass er nackt war; d.h. er erkannte, dass er nichts hatte, an dem er sich festhalten konnte, nichts, was ihm gehörte, nichts, von dem er mit Gewissheit sagen konnte, dass es da war, bis auf seine nackte Existenz. Gleichzeitig war die Einheit mit Gott durch die Sehnsucht nach Klugheit und Wissen zum ersten mal gebrochen.

Statt Klugheit und Wissen erhält der Mensch das Instrument des Denkens. Er erlebt durch den Fall aus der Einheit zum ersten mal Zweiheit, indem er einen Riss zwischen Gott und ihm selbst ausmacht. Das Erlebnis der Spaltung bringt auch die Trennung von Subjekt und Objekt, von Erkenner und Erkanntem durch den Prozess des Erkennens mit sich. Von da an steht das Ich dem Du, Gott dem Menschen, der Denker dem Gedachten und das Sein dem potentiellen Nicht-Sein gegenüber, denn durch das Denken erhält der Mensch die Möglichkeit, sein mögliches Nicht-Sein zu antizipieren.

Da aus der Einheit also Zweiheit geworden ist – die Erfahrung des Abgespalten-seins fortan seine Existenz mitbestimmt – entsteht auch das Bewusstein von Raum und Zeit. Denn der Mensch hat nunmehr die Möglichkeit eine Linie von dem einen Punkt zum zweiten aufzumalen (Durch die Abspaltung entsteht der Zweite Punkt im jeweils Gegenübergestellten). Der Mensch kann also jetzt zwei Punkte mit einer Linie verbinden; er kann Geburt und Tod mit einer Linie verbinden und dadurch das Ende der Linie, den vorgestellten Tod vorwegnehmen.

Durch das lineare Zeiterleben, das erst durch den Fall aus der Einheit in die Zweiheit entstehen konnte, also die gedankliche Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wird die Vorwegnahme des eigenen Todes möglich. Als Folge dieser Möglichkeit entstehen Angst und Verzweiflung. Ver-zwei-flung meint hier die vollkommene Überflutung mit zwei-feln. Der Zweifel muss das Denken bestimmen, da es die zwei (der Denker braucht den Gegenstand des Gedachten, das allein durch seine Abgrenzung von Anderem, Trennung in sich birgt, als ein Gegenübergestelltes) immer schon enthält. zwei-feln heißt, dass das Denken die Möglichkeit impliziert zu jedem beliebigen Axiom sowohl ja als auch NEIN sagen zu können und als Instrument alleine nie darüber befinden kann, ob das Axiom, von dem es ausgehen muss, selbst der Wahrheit entspricht oder nicht. Da das Denken seiner Möglichkeit nach also immer spaltend und trennend vorgehen muss, kann es nie etwas anderes hervorbringen als zwei, zwei-fel und Ver-zwei-flung[18].

Wenn es allerdings Wahrheit geben sollte, so muss sie jenseits des Schattens eines Zweifels liegen, also jenseits des Denkens. Der Wahrheit zu entsprechen hieße, sich dieser zwei-fellos anzugleichen und das kann das Denken als Instrument nicht leisten; es stellt sich in seiner notwendigerweise zwei-felhaften Tätigkeit ( also in der unerlässlichen Spaltung in ein ja und auch nein ) als ein Hindernis dar.

Einheit ist demzufolge undenkbar. Ganzheitliches, Einheitliches Denken ist also gar nicht möglich. Die Sehnsucht des vertriebenen Menschen richtet sich aber seit Anbeginn seines Zeit-Bewusstseins auf die Rückkehr in das verlorene Paradies, in dem die Einheit möglich sein soll.

Es stellt sich nunmehr die Frage, ob Einheit, wenn sie schon nicht denkbar ist, wenigstens erfahrbar ist. Obwohl der Existenzialist Jean Paul Sartre nicht gerade zu den Mystikern gezählt werden darf, schildert er uns doch ein solches Erlebnis:

Sartre
„Die Existenz ist nichts, was man aus der Entfernung denken kann: das muss dich plötzlich überfluten, das lastet schwer auf deinem Herzen wie ein großes unbewegtes Tier – sonst ist da gar nichts.“
Quelle: Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie, Seite 689

So oder ähnlich wird es auch unsere beiden ProtagonistInnen der ersten Stunde überflutet haben, als sie erkennen musten, dass sie nackt waren. Das Gewahrwerden der eigenen Existenz ist also nichts Gedachtes, sondern etwas Erlebtes. Der Erlebende begreift die Dimension des Erlebten allerdings erst durch nach-denken, also im nach-hinein, obwohl die Grundlage des Erlebnisses – also die bewusste Erfahrung der Existenz – seiner Möglichkeit nach – auch im nachhinein noch vorhanden ist (denn sonst gäbe es ja nichts Existierendes, das davon Zeugnis geben könnte). Das Erlebnis wird demnach, durch den Prozess des Nachdenkens darüber, zu einem Teil der Vergangenheit. Durch den Einsatz des Denkens verschwindet also das unmittelbare Gewahrsein seiner selbst. Diese Überlegung veranlasste auch Sartre dazu, dem berühmten Satz von Réné Descartes Cogito, ergo sum zu widersprechen. Er meinte, das Cartesische Cogito müsse eigentlich Ich denke, also war ich heißen, da das Cogito als Substanz nur der Vergangenheit angehören könne und immer erst im nachhinein konstatiert werden könne[19].

Es scheint fast, als würde das Erleben der Gegenwart durch das Denken verhindert. Zumindest aber ist auch Gegenwart – genauso wie Einheit – nicht denkbar. Denn wenn ich versuche die Gegenwart von der Vergangenheit und Zukunft zu trennen, erweist sie sich – wie Arthur Schopenhauer sagt – als ein „ausdehnungsloser Punkt“[20]

Der Augenblick, von dem ich spreche, ist also schon in weiter Ferne. So gesehen ist die Gegenwart also keine Dimension der linearen Zeit, wie wir sie kennen, sondern sie müsste als eine Amension bezeichnet werden. Trotzdem kennen wir die Kraft der unmittelbaren gegenwärtigen Erfahrung, die uns unsere Existenz bewusst werden lässt. Um den Gedanken weiter fortzuführen, wenden wir uns nun einem anderen Darsteller in der Bibel zu. Als Moses seinen Herrn nach seinem Namen fragt, antwortet dieser:


„Ich bin der Ich-bin-da
Quelle: Ex 3, 14

So verstanden ist das Göttliche, sich eines beständigen Ich-bin-da-Empfindens gewahr und sich seiner Existenz also permanent und ohne Unterbrechungen bewusst. Ein bewusstes Ich-bin-da würde aus dem WAR und WIRD ein beständiges IST und IST und IST machen. Diese Form des Gewahrseins seiner selbst muss allerdings jenseits des Denkens, als die Kraft, die ein Anderes und damit einen vom Denker abgetrennten Gegenstand vorstellig macht, aus der eins also eine zwei macht und durch das Aufmalen einer Linie von der Vergangenheit in die Zukunft die Gegenwart und damit die Gegenwärtigkeit zerstört, stattfinden. Wenn Gegenwärtigkeit möglich ist, so wird sie durch die trennende Kraft des zeitlich gebundenen Denkens zwei-felhaft, denn schon zieht sich eine kurze Linie vom Denkenden zum Gedachten; der Denkende kann niemals das Gedachte sein. In diesem Sinne ist Denken dem Seienden entgegengestellt.

Wir kehren noch einmal an den Ausgangspunkt des Verhängnisses zurück. Das Versprechen, das den beiden Menschenkindern von der Schlange gegeben wurde und sie zu dem Fall in die Bewusstheit verlockt hatte, lautete:


„Ihr werdet sein wie Gott.“
Quelle: Gen 3.5

Zwar starben die Menschen nicht, wie es ihnen ursprünglich durch das Verbot angedroht worden war, aber das Versprechen blieb zunächst unerfüllt. Stattdessen war der Traum vom Paradies ausgeträumt als das Selbst-Bewusstsein des Menschen erwachte und das Denken seinen Anfang nahm. Um sich über den Verlust hinwegzutrösten, begann der Mensch mit seinem neugewonnenen Instrument – dem Denken – sich selbst und alles andere damit zu erforschen, um doch immer wieder nur festzustellen, dass keine Gewissheit in der Zweiheit und Zerrissenheit möglich ist. Deshalb erinnerte sich der eine oder andere über diese lange Strecke hinweg doch noch des Versprechens. Er wollte sein wie Gott. Sein zu wollen wie Gott – was fälschlicherweise oft damit verwechselt wird, Gott sein zu können – hieße sich eines beständigen Ich-bin-da-Empfindens gewahr zu sein.

Dies soll nun die Form des Bewusstseins sein, auf die im Folgenden hingeleitet werden soll. Zunächst werde ich die Möglichkeit eines solchen Ich-bin-da-Bewusstseins anhand der Fragestellung untersuchen, welche Faktoren des gewöhnlichen Bewusstseins immer wieder dazu beitragen, dass dieses Ich-bin-da-Empfinden vergessen wird.


Quellen

[Bearbeiten]
  1. Guttmann/Langer (Hrsg.):Das Bewusstsein – Multidimensionale Entwürfe, Springer, Wien/New York 1992
  2. Fechner, G. Th.: Über die Seelenfrage – Ein Gang durch die sichtbare Welt, um die unsichtbare zu finden, Leipzig 1861
  3. Legewie/Ehlers: Knaurs moderne Psychologie, Knaur, München/Zürich 1972
  4. Grubitzsch/Rexilius: Psychologie – Theorien – Methoden – Arbeitsfelder – Ein Grundkurs, Rowohlt, Hamburg 1986
  5. Ornstein, R.: Die Psychologie des Bewusstseins, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 1976, Seite 16
  6. Ornstein, R.: Die Psychologie des Bewusstseins, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, 1976, Seite 17
  7. Zurek,A.:Denken und Bewusstsein in Grubitsch/Rexilius, 1986
  8. Freud war natürlich nicht der Entdecker des Unbewussten. es gab schon vor ihm Forscher, aber vor allem Dichter und Literaten, die unbewusste Schlüsse zur Erklärung komplexer Wahrnehmungsleistungen annahmen. (vgl. Legewie/Ehlers 1972, Seite 110)
  9. Klix, F.: Die allgemeine Psychologie und die Erforschung kognitiver Prozesse, Zeitschrift für Psychologie, 1980, 188, Seiten 115–139
  10. Lefebvre, H.: Kritik des Alltagslebens, Kronberg/Ts. 3 1977, Seite 150
  11. Maslow, A.: Psychologie des Seins; Kindler-Verlag, München 1973
  12. Rogers, K.: Entwicklung der Persönlichkeit.. Klett-Cotta, Stuttgart 1976
  13. Grof, S.: Geburt, Tod und Transzendenz, Rowohlt-Verlag, Hamburg 1991
  14. vgl. Gespräch mit Rupert Sheldrake in Sonderband Psychologie Heute – Sonderband Grenzerfahrungen, Weinheim, 1984, Seiten 112–119
  15. Hampden-Turner, Ch.: Modelle des Menschen – Ein Handbuch des menschlichen Bewusstseins. Beltz-Verlag, Weinheim 1982, Seiten 94 ff.
  16. Grof, S.: Geburt, Tod und Transzendenz. Rowohlt-Verlag, Hamburg 1991, Seiten 13–83
  17. Klement, H.-W. (Hrsg.): Bewusstsein – Ein Zentralproblem der Wissenschaften. Agis-Verlag, Baden-Baden, 1975
  18. Im Französischen heißt Verzweiflung = désespoir, abgeleitet von deux = Zwei; Zerrissenheit heißt = désunion, also Nicht-Einheit, der die zwei vorgestellt ist; Im Portugiesischen heißt Verzweiflung= desepero, abgeleitet von duas= Zwei; Im Italienischen heißt es = disperazione, abgeleitet von due = Zwei; Im Englischen finden wir desperation, im Spanischen = desperados. In allen europäischen Sprachen scheint dieser Gemütszustand von der Zahl Zwei abgeleitet zu sein
  19. Sartre, J. P.: Das Sein und das Nichts. Rowohlt, Hamburg 1990, Seite 177
  20. Schopenhauer, A.: Die Welt als Wille und Vorstellung., 11, zweiter Teilband, Werke, Band II, Zürich 1977, Seite 354

 

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