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Das Buch ist konzipiert als Lehrbuch: Alle Kapitel bauen aufeinander auf; zu jedem Einzelthema gehören Beispiele und Übungen. Die abschließenden Kapitel mit den „Anwendungen“ sind vor allem für die betreffenden Fachgebiete von Bedeutung.
Wer bereits Vorkenntnisse zu den komplexen Zahlen hat, kann das Buch an die eigenen Bedürfnisse anpassen, beispielsweise die Grundlagen nur „überfliegen“ und sich auf Ergänzungen und Vertiefungen beschränken.
Die ersten Kapitel dienen der ausführlichen und vertiefenden Behandlung der komplexen Zahlen. Die „Anwendungen“ beschränken sich auf kurze Vorstellung der Zusatzthemen.
Bekannte Zahlenmengen
Die Geschichte der Mathematik zeigt, dass neue Probleme nicht nur neue Methoden hervorgebracht haben, sondern auch zu einer Erweiterung des Zahlenbereichs geführt haben.
Zuerst wurde nur mit den natürlichen Zahlen gerechnet. Diese Menge wurde aber schon bald auf die Menge der ganzen Zahlen erweitert, um auch mit negativen Zahlen zu rechnen und neue Probleme zu lösen. Die weiteren Entwicklungen sind hier tabellarisch dargestellt:
Gleichung
Lösung
Zahlenmenge
positive und negative Zahlen (einschl. Null)
rationale Zahlen
rationale und irrationale Zahlen
In den bisher bekannten Zahlenmengen gibt es keine Lösung für die letzte Gleichung: Das Quadrat einer positiven Zahl ist eine positive Zahl, und das Quadrat einer negativen Zahl ergibt ebenfalls eine positive Zahl. Somit lässt sich keine Zahl finden, deren Quadrat eine negative Zahl ist.
Die reellen Zahlen als Grundlage
Zur Behandlung des Problems gehen wir von den reellen Zahlen aus:
Die Menge der reellen Zahlen besteht aus den rationalen und den irrationalen Zahlen.
Die Menge der rationalen Zahlen umfasst alle Zahlen, die sich als gemeine Brüche ( und ganzzahlig) darstellen lassen. Dies umfasst die ganzen Zahlen, die endlichen Dezimalbrüche und die unendlichen periodischen Dezimalbrüche.
Die Menge der irrationalen Zahlen umfasst alle unendlichen nichtperiodischen Dezimalbrüche. Zu den irrationalen Zahlen gehören z. B. die Wurzeln aus positiven Zahlen, die keine Quadratzahlen sind, die Eulersche Zahl , die Zahl , fast alle Logarithmen und fast alle Werte der trigonometrischen Funktionen.
Die reellen Zahlen können umkehrbar eindeutig auf die Zahlengerade abgebildet werden, das bedeutet: Jeder reellen Zahl entspricht genau ein Punkt der Zahlengeraden und jedem Punkt der Zahlengeraden entspricht genau eine reelle Zahl.
Das System der reellen Zahlen kann insofern als vollständig und nicht weiter ergänzbar bezeichnet werden, als jedem Punkt der Zahlengeraden eine reelle Zahl zugeordnet ist. Innerhalb der Menge der reellen Zahlen sind alle vier Grundrechenarten unbeschränkt ausführbar (außer Division durch 0), und es gibt eine Kleiner-als-Relation (die sich mit Addition und Multiplikation gemäß den bekannten Gesetzen verträgt). Die Menge der reellen Zahlen ist daher ein „geordneter Zahlenkörper“.
Andererseits kann man das System der reellen Zahlen auch als unvollständig betrachten, weil es in ihm keine Lösung der obigen rein quadratischen Gleichung gibt. Das wird der Ausgangspunkt für die komplexen Zahlen.
In diesem Kapitel werden – ausgehend von der Lösbarkeit quadratischer Gleichungen – die komplexen Zahlen eingeführt.
Definitionen
Betrachten wir nochmals die Einführung der irrationalen Zahlen über die folgende quadratische Gleichung:
Zu ihrer Lösung wurde das Wurzelsymbol eingeführt, das wie eine Variable eingesetzt werden kann. Der exakte Wert von ist zwar nicht bekannt, aber wir wissen, dass genau gleich 2 ist.
In ähnlicher Weise führen wir eine Lösung für diese quadratische Gleichung ein:
Wir definieren ein Zeichen, dessen Wert wir zwar nicht kennen, von dem wir aber wissen, dass sein Quadrat gleich –1 ist. Dieses Symbol heißt imaginäre Einheit i.[1]
Definition (Imaginäre Einheit)
Die imaginäre Einheit i ist jene Zahl, deren Quadrat gleich –1 ist: [2]
Die imaginäre Einheit soll den Charakter einer Zahl haben. Wir müssen deshalb untersuchen, ob wir brauchbare, widerspruchsfreie Ergebnisse erhalten, wenn wir auf diese „Zahl“ die bekannten Rechengesetze für reelle Zahlen anwenden. Beim Rechnen mit dieser Zahl wird überall ihr Quadrat durch –1 ersetzt.
Zunächst erhalten wir die Lösungen der obigen quadratischen Gleichung:
Fügt man die Zahl i den reellen Zahlen hinzu, dann entsteht beim Rechnen eine ganze Menge neuer Zahlen, z. B.:
Die allgemeine Form dieser Zahlen führt uns zum Begriff der komplexen Zahlen (in der algebraischen Schreibweise):
Definition (Komplexe Zahlen)
Die Menge der komplexen Zahlen besteht aus allen Zahlen der Form
wird der Realteil von z und der Imaginärteil von z genannt:[3]
Im Falle von erhält man die reellen Zahlen. Die Zahlen mit heißen imaginäre Zahlen, manchmal spricht man auch von rein-imaginären Zahlen.
Aus praktischen Gründen folgen zwei weitere Begriffe:
Definition (Konjugiert-komplexe Zahl)
heißt die zu konjugiert-komplexe Zahl.
Mit konjugiert-komplexen Zahlen befassen wir uns im Abschnitt Division.
Definition (Betrag einer komplexen Zahl)
Der Betrag einer komplexen Zahl ist definiert als Wurzel aus dem Produkt der Zahl mit ihrem Konjugiert-Komplexen:
Mit dem Betrag befassen wir uns im Kapitel Darstellungsformen. Im Abschnitt zur Division steht, wie der Betrag schnell errechnet werden kann.
Rechenregeln
Mit diesen Definitionen soll jetzt gezeigt werden, dass die „üblichen“ Rechenregeln der reellen Zahlen widerspruchsfrei auf die komplexen Zahlen übertragen werden können. Weil es sich um eine Erweiterung der reellen Zahlen handelt, müssen jedenfalls für alle Regeln der reellen Zahlen – siehe unten im Abschnitt Hinweise – unverändert gelten.
Die Zahl 0 – also – muss das neutrale Element der Addition sein.
Die Zahl 1 – also – muss das neutrale Element der Multiplikation sein.
Zu jeder Zahl – also – gibt es ein inverses Element der Addition.
Zu jeder Zahl – also – gibt es ein inverses Element der Multiplikation.
Es gelten die Gesetze für Addition und Multiplikation, also Kommutativgesetze, Assoziativgesetze und Distributivgesetz.
Dabei werden folgende Bezeichnungen verwendet:
0 und 1 werden wahlweise als reelle Zahl oder als komplexe Zahl mit behandelt; die Bedeutung ergibt sich immer aus dem Zusammenhang.
Addition und Subtraktion
Beide Operationen werden mithilfe der Operationen bei den reellen Zahlen definiert:
Definition (Addition und Subtraktion)
Zwei komplexe Zahlen werden addiert und subtrahiert, indem man die Realteile und die Imaginärteile addiert bzw. subtrahiert:
Wenn man es ganz genau nimmt, muss für die Subtraktion zunächst das inverse Element bestimmt werden, indem die Vorzeichen für Realteil und Imaginärteil geändert werden; anschließend wird gezeigt, dass diese Definition den geforderten Bedingungen entspricht.
Damit sind Addition und Subtraktion auf die entsprechenden Operationen der reellen Zahlen zurückgeführt. Offensichtlich gelten also Kommutativ- und Assoziativgesetz.
Multiplikation
Dafür setzen wir einfach die üblichen Klammerregeln ein und beachten bei der letzten Umwandlung die Definition von i bzw. i2:
Diese Umrechnung verwenden wir zur Definition:
Definition (Multiplikation)
Zwei komplexe Zahlen werden multipliziert, indem man die Realteile und die Imaginärteile wie folgt „über Kreuz“ verknüpft:
Durch einfaches Nachrechnen ergibt sich schnell, dass mit dieser Definition die reelle 1 auch das neutrale Element der komplexen Multiplikation ist und das Kommutativgesetz gilt. Genauso (wenn auch langwieriger und langweiliger) wird das Assoziativgesetz bestätigt.
Division
Dafür benötigen wir noch Vorbemerkungen. Berechnen wir (wie angekündigt) den Betrag:
Daraus ergibt sich unmittelbar: Das Produkt aus einer komplexen Zahl und der dazu konjugiert-komplexen Zahl ist reell. Für den Fall (also mit oder ) ist das Produkt positiv.
Ähnlich wie bei der Multiplikation können wir damit die Division einführen. Als „Trick“ erweitern wir bei der ersten Umrechnung den Bruch mit der konjugiert-komplexen Zahl und benutzen bei der zweiten Umrechnung das Quadrat des Betrags:
Wenn wir als Zähler die Zahl einsetzen, können wir mit dieser Umrechnung das inverse Element der Multiplikation definieren:
Definition (Division)
Das inverse Element der Multiplikation einer komplexen Zahl z erhält man durch folgende Vorschrift:
Durch einfaches Nachrechnen lässt sich bestätigen:
Distributivgesetz
Weil die Multiplikation kommutativ ist, brauchen wir nicht zwischen linksdistributiv und rechtsdistributiv zu unterscheiden. Damit beschränkt sich der Beweis auf das Umrechnen der folgenden Beziehung unter Benutzung der Definition einer komplexen Zahl und der Regeln für die reellen Zahlen.
Es handelt sich wieder um einfache Umwandlungen und sei deshalb dem Leser überlassen.
Potenzen
Ohne nähere Herleitung können wir auch Potenzen mit natürlichen Exponenten benutzen, indem wir sie als mehrfache Multiplikation definieren und die Klammerregeln anwenden:
Auch die Erweiterung auf ganzzahlige Exponenten können wir von den reellen Zahlen übernehmen:
Die komplexen Zahlen bilden einen Körper
Die im Abschnitt Hinweise stehenden Regeln für die reellen Zahlen gelten also genauso für die komplexen Zahlen. Damit ist auch ein Körper (im Sinne der Algebra).
Aufgaben
Gewandtheit im Umgang mit den komplexen Zahlen bekommt man durch Übung – bitte sehr.
Bestimme die positiven ganzzahligen Potenzen von i – also – sowie die negativen ganzzahligen Potenzen von i – also . (Es genügen die Exponenten von −8 bis +8.)
Wir vergleichen Real- und Imaginärteil und erhalten:
(a ist zwangsläufig ungleich 0.) Daraus folgt:
Mögliche Lösungen sind also und . Da a reell sein soll, können wir die zweite Lösung nicht gebrauchen; also gilt . Für ergibt sich , und für erhalten wir .
Hinweise
Anmerkungen
↑In der Elektrotechnik wird der Buchstabe i für die elektrische Stromstärke benutzt. Deshalb verwendet man dort ersatzweise den Buchstaben j für die imaginäre Einheit.
↑Der Buchstabe i wird in Formeln teilweise auch kursiv geschrieben. Nach DIN 1302 ist es gerade (normal, aufrecht, nicht kursiv) zu schreiben, weil es eine Zahl darstellt und keine Variable. Deshalb verwendet dieses Buch grundsätzlich die nichtkursive Schreibweise; lediglich im fortlaufenden Text wird zwecks Hervorhebung i geschrieben.
↑Beide Schreibweisen sind möglich, die jeweils erste ist gebräuchlicher.
Regeln der reellen Zahlen
ist ein Körper im Sinne der Algebra, weil alle Bedingungen erfüllt sind:
Addition und Subtraktion
Es gibt 0 als neutrales Element, d. h. für alle gilt:
Zu jedem gibt es ein inverses Element mit der Eigenschaft – nämlich .
Die Addition ist kommutativ:
Die Addition ist assoziativ:
Multiplikation und Division
Es gibt 1 als neutrales Element, d. h. für alle gilt:
Zu jedem mit gibt es ein inverses Element mit der Eigenschaft – nämlich
Die Multiplikation ist kommutativ:
Die Multiplikation ist assoziativ:
Distributivgesetz
Eine Summe oder Differenz wird mit einem Faktor multipliziert, indem man jeden Summanden (bzw. Minuend und Subtrahend) mit diesem Faktor multipliziert und die Produktwerte addiert (bzw. subtrahiert):
Siehe auch
Bei Wikipedia finden sich die folgenden Artikel:
Körper – Bedingungen eines Körpers im Sinne der Algebra
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit verschiedenen Formen, die komplexen Zahlen darzustellen, und weist jeweils auf Rechenverfahren hin. Auch wenn die ersten Darstellungsformen eng zusammengehören, werden sie wegen der besseren Übersichtlichkeit getrennt behandelt.
Die algebraische Form
Dabei handelt es sich um die Schreibweise aus dem vorigen Kapitel. Sie wird auch als arithmetische Form bezeichnet.
Die Grundrechenarten dafür werden jetzt als bekannt vorausgesetzt.
Die Gauß'sche Zahlenebene
Die Zahlengerade ist eine geometrische Darstellung aller reellen Zahlen. Die komplexen Zahlen sind „mehr“, können also auf ihr nicht untergebracht werden. Wir müssen also die reelle Zahlengerade zur Gauß'schen Zahlenebene[1] erweitern – auch kürzer komplexe Ebene oder Gauß'sche Ebene genannt.
Betrachten wir zunächst die (rein-)imaginären Zahlen als Produkte der reellen Zahlen mit i, also die folgenden Zahlen und alle dazwischenliegenden Werte:
Diese Zahlen können wir auf eine eigene, die „imaginäre Zahlengerade“ abbilden. Dabei ist es zweckmäßig, die „imaginäre Einheitsstrecke“ gleich der reellen Einheitsstrecke zu machen. Da die beiden Zahlengeraden die Null gemeinsam haben, müssen wir sie so anordnen, dass sie einander in 0 schneiden. Schon aus Symmetriegründen erscheint es zweckmäßig, die beiden Zahlengeraden senkrecht zueinander anzubringen.
Die horizontale Achse heißt reelle Achse, die vertikale Achse wird imaginäre Achse genannt.
Hinweis
Auch auf der imaginären Achse werden reelle Zahlen aufgezeigt – nicht, wie oft zu sehen ist, imaginäre.
Aus dieser Grafik lassen sich bereits drei Dinge herauslesen:
Komplexe Zahlen lassen sich nicht ordnen. Es existieren also keine Aussagen wie .
Die zu konjugiert-komplexe Zahl ist, geometrisch gesprochen, die Spiegelung des Punktes an der reellen Achse (ähnlich dem Beispiel mit und in dieser Grafik).
Jeder komplexen Zahl kann ein Punkt zugeordnet werden oder auch ein Vektor von zu .
Aus dieser Eigenschaft lassen sich die Rechenregeln für die Addition und Subtraktion herleiten. Vektoren können komponentenweise addiert und subtrahiert werden. Hier ein kleines Beispiel zur Erinnerung:
Wenn wir dieses Prinzip auf die komplexen Zahlen übertragen, erhalten wir die bereits bekannten Regeln:
Bei der Addition der komplexen Zahlen werden die Realteile und die Imaginärteile jeweils für sich addiert.
Bei der Subtraktion werden die Realteile und die Imaginärteile voneinander subtrahiert.
Dies legt nahe, dass wir die Addition und Subtraktion auch grafisch darstellen können und zwar ebenfalls nach den Regeln der Vektorgeometrie (siehe die nebenstehende Darstellung).
Die Illustration von Multiplikation und Division wird auf den nächsten Abschnitt verschoben, wo es leichter verständlich wird (zumal es bei Vektoren mehrere Arten der Multiplikation gibt).
Der Betrag wiederum entspricht der Länge des Vektors , was sich einfach mit dem Satz des Pythagoras erklärt.
Die Polarform
Schreibt man die komplexe Zahl nicht in kartesischen Koordinaten, sondern in Polarkoordinaten, so erhält man die Polarform einer komplexen Zahl, die sich einfach aus der Trigonometrie ergibt:
Das verwenden wir zur Definition der Polarform einer komplexen Zahl:
Definition (Polarform einer komplexen Zahl)
wird als Polarform bezeichnet.
ist eine abgekürzte Schreibweise.
ist eine weitere Schreibweise.
Der Winkel heißt Argument von .
ist der (absolute) Betrag von .
Dabei müssen die Mehrdeutigkeit und der Wertebereich des Arkustangens berücksichtigt werden:
Der Wert heißt Hauptwert von .
Oben hatten wir bereits festgestellt, dass die konjugiert-komplexe Zahl der Spiegelung an der reellen Achse entspricht. In der Polarform können wir das (unter Berücksichtigung der Symmetrien von Sinus und Kosinus) auch so formulieren.
Die folgenden Formulierungen über zwei konjugiert-komplexe Zahlen und sind also gleichbedeutend:
Die Realteile sind gleich, die Imaginärteile unterscheiden sich nur durch das Vorzeichen.
Die den Zahlen entsprechenden Punkte liegen symmetrisch zur reellen Achse.
Die Beträge sind gleich, die Argumente unterscheiden sich nur durch das Vorzeichen.
Zur Eindeutigkeit des Arguments
Der Bezug auf den Arkustangens macht deutlich: Bei der Berechnung des Winkels ist Vorsicht geboten! Nehmen wir zu einer komplexen Zahl mit positivem a und b sowohl die konjugiert-komplexe Zahl (also an der reellen Achse gespiegelt) als auch die Zahl (also an der imaginären Achse gespiegelt). Die Berechnung des Winkels ergibt dann:
In beiden Fällen liefert der Arkustangens denselben Wert. Aber offensichtlich liegen beide Zahlen in verschiedenen Quadranten, also handelt es sich um zwei verschiedene Winkel. liegt im vierten Quadranten, also muss zwischen 270° und 360° betragen. Für im zweiten Quadranten beträgt zwischen 90° und 180°.
Tatsächlich entspricht dies der Mehrdeutigkeit des Arkustangens, der nur innerhalb eines Bereichs – beispielsweise von –90° bis +90° – eindeutig ist.
Ebenfalls problematisch sind die Zahlen und , weil nicht definiert ist. Wegen der Lage im Koordinatensystem können wir den Winkel trotzdem genau angeben: Offensichtlich gelten und .
Man kann also aus der Lage eines Punktes in den einzelnen Quadranten oder auf den Achsen leicht entscheiden, in welchem Bereich der Winkel zu einer bestimmten Zahl liegen muss. Man kann das aber auch durch eine Fallunterscheidung ausdrücken; zusammen mit der üblichen Schreibweise, in der 180° durch ersetzt wird, ergibt sich dann:
Mit dem Arkuskosinus ergibt sich eine einfachere Fallunterscheidung. (Der Arkustangens hängt direkt mit a und b zusammen; deshalb hat er sich für die vorstehenden Überlegungen angeboten.) Der Arkuskosinus ist eindeutig im Bereich von 0 bis . Für diesen Bereich – den ersten und zweiten Quadranten, also für – können wir direkt die erste Umrechnungsformel der Polarform (zur ersten Grafik oben) verwenden.
Für nutzen wir die Symmetrie und die Periodizität des Kosinus. Die Symmetrie an der reellen Achse liefert zu jeder komplexen Zahl die konjugiert-komplexe Zahl (also mit gleichem Realteil a und Vorzeichenwechsel beim Imaginärteil b). Bezeichnen wir nun mit den gesuchten Winkel (im vierten oder dritten Quadranten) und mit den Winkel der konjugiert-komplexen Zahl (im ersten bzw. zweiten Quadranten). Für eine komplexe Zahl im vierten Quadranten ergibt sich unmittelbar . Für eine komplexe Zahl im dritten Quadranten verwenden wir die Differenz zwischen den Winkeln der zueinander konjugiert-komplexen Zahlen und der reellen Achse: Die Differenz beträgt und liefert – zusammen mit der Periode – ebenfalls:
Zusammengefasst liefert das folgende Fallunterscheidung:
Umrechnungen
Algebraische Form in Polarform umwandeln
Hierfür benutzen wir in mehreren Beispielen die Überlegungen zur Eindeutigkeit des Arguments, und zwar sowohl mit dem Arkuskosinus[2] als auch mit dem Arkustangens.
Beispiel 1
Für den Betrag ergibt sich jedenfalls:
Der Arkuskosinus liefert für den Winkel eindeutig:
Mit dem Arkustangens erhalten wir die beiden möglichen Werte:
Aus der Zeichnung ersehen wir, dass nur als Argument in Frage kommt.
Ergebnis beider Varianten:
Beispiel 2
Für den Betrag ergibt sich:
Der Arkuskosinus liefert uns:
Beim Arkustangens wird berücksichtigt, dass der Punkt im ersten Quadranten liegt (Realteil und Imaginärteil sind positiv). Berechnen wir dazu als Argument:
Es ergibt sich für z als geometrische Darstellung ein Pfeil der Länge 4 unter 60° im ersten Quadranten mit folgender Polarform:
Beispiel 3
Diese komplexe Zahl liegt mit negativem Realteil und positivem Imaginärteil im zweiten Quadranten. Durch die gleichen Berechnungen erhalten wir die Polarform:
Betrag
mit Arkuskosinus
mit Arkustangens
Polarform
Bei allen Beispielen führen beide Verfahren zum Ziel. Mal scheint die eine Variante praktischer (nämlich kürzer) zu sein, mal die andere.
Polarform in algebraische Form umwandeln
Dabei müssen wir über Eindeutigkeit und Lage nicht nachdenken: Die gegebenen Werte werden einfach in die Formeln der Herleitung eingesetzt.
Zur komplexen Zahl mit und – also mit dem Winkel 300° im vierten Quadranten – ergibt sich die algebraische Form wie folgt:
Drehung
Betrachten wir die Vektoren der Länge 1 auf den vier Halbachsen:
Die Vektoren zu den Zahlen entstehen also durch aufeinanderfolgende Drehungen um jeweils . Wenn wir diese Zahlen mit i multiplizieren, erhalten wir ein zunächst überraschendes Ergebnis:
Das gilt jedenfalls für genau diese Zahlen. Wir können aber sogar allgemein beweisen:
Satz (Die Multiplikation mit i bedeutet eine positive Drehung um .)
Für eine beliebige Zahl gilt:
Beweis
Zunächst gilt jedenfalls:
Prüfen wir zunächst die Lage der Punkte in den Quadranten:
Bei im ersten Quadranten gelten . Also muss wegen im zweiten Quadranten liegen.
Bei im zweiten Quadranten gelten . Also muss wegen im dritten Quadranten liegen.
In gleicher Weise kann festgestellt werden:
Wenn im dritten Quadranten liegt, muss im vierten Quadranten liegen.
Wenn im vierten Quadranten liegt, muss im ersten Quadranten liegen.
Unter Benutzung der Polarform und trigonometrischer Umrechnungen erhalten wir außerdem:
Angenommen, das letzte Minus-Zeichen wäre zulässig, dann würde wegen
der „neue“ Punkt im selben Quadranten liegen wie der ursprüngliche. Das kann wegen der obigen Überlegung nicht gelten; also kann das Minus-Zeichen bei ± nicht zugelassen werden.
Die Grundrechenarten
Über Addition und Subtraktion machen wir uns keine weiteren Gedanken. Dafür ist die algebraische Schreibweise am praktischsten; notfalls erhalten wir ein Ergebnis durch einfache Umrechnungen.
Für die Multiplikation erhalten wir unter Benutzung trigonometrischer Formeln die folgende Feststellung:
Definition (Multiplikation)
Zwei komplexe Zahlen in Polarform werden multipliziert, indem man die Beträge multipliziert und die Argumente addiert:
Diese Festlegung entspricht widerspruchsfrei den algebraischen Regeln, wie hier zu sehen ist:
Das liefert gleichzeitig eine geometrische Interpretation der Multiplikation, nämlich als Drehstreckung, wie in der vorstehenden Grafik dargestellt: Zunächst wird der Vektor der Länge um den Faktor gestreckt. Der resultierende Vektor hat die Länge und den unveränderten Winkel . Drehen wir jetzt diesen Vektor um den Winkel , so erhalten wir durch die Drehstreckung den Vektor mit der Länge und dem Winkel .
Die Division können wir einfacher herleiten. Gesucht ist eine Zahl z mit folgender Bedingung:
Das ist gleichbedeutend damit, dass die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind:
Wir können also analog zur Multiplikation festlegen:
Definition (Division)
Zwei komplexe Zahlen in Polarform werden dividiert, indem man die Beträge dividiert und die Argumente subtrahiert:
Beachte, dass wir bei der Division komplexer Zahlen letztlich nur zwei reelle Zahlen dividieren, nämlich die beiden Beträge.
Exponentialform
Der Vollständigkeit halber sei noch diese Darstellungsweise genannt:
Definition (Exponentialform einer komplexen Zahl)
wird als Exponentialform bezeichnet.
Dabei ist der Betrag, die Exponentialfunktion[3] und das Argument von .
(Arkus-)Tangens: Weil der Realteil negativ und der Imaginärteil positiv ist, liegt der Punkt im zweiten Quadranten. Das Argument wird wie folgt errechnet:
Wir erhalten also die folgende Polarform:
zu 2.
Der Realteil ist Null, also liegt die Zahl auf dem negativen Teil der imaginären Achse. Der Betrag ergibt sich direkt aus dem Imaginärteil, und das Argument beträgt: Der Form halber soll dies mit dem Arkuskosinus „nachgerechnet“ werden:
↑Benannt nach Carl Friedrich Gauß (1777–1855). – Zusatzbemerkung zur Schreibweise: Nach den geltenden Rechtschreibregeln (§ 62) gibt es zwei Schreibweisen: Gauß'sche Zahlenebene (Eigenname groß mit Apostroph) oder gaußsche Zahlenebene (Eigenname klein ohne Apostroph). In der Mathematik ist auch die Schreibweise „Gaußsche Zahlenebene“ (Eigenname groß ohne Apostroph) üblich.
↑Bei den Berechnungen wird mehrfach folgende Formel verwendet:
↑Ähnlich wie bei i gibt es auch für e sowohl die kursive als auch die normale Schreibweise. In diesem Buch wird es wie jede Funktion normal geschrieben.
In diesem Kapitel werden einige Umformungsregeln zusammengefasst und daraus Potenzen und Wurzeln abgeleitet.
Einfache Berechnungen
Imaginäre Zahlen
Produkt und Quotient zweier (rein-) imaginärer Zahlen sind reelle Zahlen. Für ergibt sich:
Rechnen mit Beträgen
Bei der Einführung der Polarform im vorigen Kapitel wurde für die Multiplikation folgende Formel definiert:
Daraus ergibt sich sofort:
Der Betrag des Produkts ist also gleich dem Produkt der Beträge, das Argument ist gleich der Summe der Argumente.
Man erkennt (durch wiederholte Anwendung) sofort, dass diese Aussagen auch für mehr als zwei Faktoren gelten:
Analog findet man für ungleich 0:
Setzt man darin und , so erhält man für den Kehrwert einer komplexen Zahl:
Speziell für ergibt sich noch:
Konjugiert-komplexe Zahlen
Zur Erinnerung: Aus einer komplexen Zahl z erhält man die dazu konjugiert-komplexe Zahl z, indem man das Vorzeichen des Imaginärteils umkehrt. Als Formel sieht das so aus:
Es gibt die folgenden interessanten Beziehungen mit Real- und Imaginärteil.
Für das Addieren konjugiert-komplexer Zahlen gilt eine einfache Rechenregel:
Dies wollen wir kurz nachrechnen:
Eine gleiche Regel gilt für das Multiplizieren konjugiert-komplexer Zahlen (siehe Übung 1):
Durch wiederholte Anwendung dieser Rechenregel erhält man für jede komplexe Zahl z und jede natürliche Zahl n:
Dies gilt dann auch für Polynome mit komplexen Koeffizienten:
Mit der verkürzten Schreibweise in Polarkoordinaten gibt es folgende Regel (siehe Übung 2):
Dies entspricht auch der geometrischen Interpretation: Dass sich das Vorzeichen des Imaginärteils ändert, ist gleichbedeutend mit der Spiegelung an der Realachse, also dem Vorzeichenwechsel des Winkels.
Aus der Definition des Betrags ergibt sich außerdem folgender Spezialfall für :
Ganzzahlige Potenzen
Potenzen von z mit natürlichen Zahlen als Exponenten sind eine kurze Schreibweise für das Produkt von n gleichen Faktoren:
Wie im Reellen kann diese Definition auf ganzzahlige Exponenten für erweitert werden:
Aus der Multiplikation komplexer Zahlen folgt für lauter gleiche Faktoren z:
Wie man leicht erkennt (siehe Übung 3), gilt diese Beziehung auch für negative ganzzahlige Werte von n. Zumindest für ganzzahlige Exponenten können wir also festlegen:
Grundregel: Potenzen mit ganzzahligen Exponenten
Die n-te Potenz einer komplexen Zahl erhält man, indem man den Betrag mit n potenziert und das Argument mit n multipliziert.
Als geometrische Interpretation können wir einfach die Beschreibung als Drehstreckung aus dem vorherigen Kapitel übernehmen: Der Vektor, der zu der Zahl gehört, wird beim Potenzieren so weit gestreckt, dass der Betrag potenziert wird, und so weit gedreht, dass das Argument vervielfacht wird.
Aus der Grundregel folgen (bei ganzzahligen Exponenten ) die bekannten Rechenregeln für Potenzen:
Die erste Formel leiten wir (mit trigonometrischen Umrechnungsformeln) her, die übrigen überlassen wir der Leserin (Regel 3 siehe Übung 4):
Der binomische Lehrsatz
Aus den Rechenregeln für Potenzen und den Multiplikationsregeln für zwei Klammern folgt sofort, dass der binomische Lehrsatz für positive ganzzahlige Exponenten auch für komplexe Zahlen gilt:
Moivre’sche Formeln
Die obige Formel für positive ganzzahlige Potenzen kann mit der trigonometrischen Darstellung komplexer Zahlen auch so geschrieben werden:
Für wird diese Beziehung als Moivre’scher Satz[1] bezeichnet:
Satz (Moivre’scher Satz)
Für jede komplexe Zahl mit dem Argument und jede natürliche Zahl gilt:
In der verkürzten Schreibweise lautet die Aussage so:
Anstelle eines Beweises hatten wir diesen Satz aus anderen Formeln abgeleitet. Als Übung 5 ist ein Beweis mit vollständiger Induktion vorgesehen.
Andererseits liefert der binomische Lehrsatz für positive ganzzahlige Exponenten, wobei Potenzen von i durch bzw. ersetzt wurden:
Wenn man die rechten Seiten dieser Gleichung und des Moivre’schen Satzes gleichsetzt und berücksichtigt, dass die Realteile und die Imaginärteile jeweils gleich sein müssen, erhält man die Moivre’schen Formeln:
Dabei sind die rechten Seiten so weit zu ergänzen, bis die Binomialkoeffizienten null werden.
Der Moivre’sche Satz gilt zunächst nur für natürliche Exponenten. Er kann aber problemlos auf beliebige ganzzahlige und gebrochene Exponenten erweitert werden.
Beweis (Der Moivre’sche Satz gilt auch für n = 0.)
Die linke Seite der Gleichung liefert als 0-te Potenz den Wert 1. Die rechte Seite der Gleichung liefert , also ebenfalls 1.
Beweis (Der Moivre’sche Satz gilt auch für n < 0.)
Wir ersetzen durch , also . Neben den Potenzgesetzen verwenden wir Umrechnungen für konjugiert-komplexe Zahlen sowie den Moivre’schen Satz für natürliche .
Beweis (Der Moivre’sche Satz gilt auch für gebrochene Exponenten.)
Der Satz soll für Exponenten der Form mit natürlichen Zahlen gelten. Es geht also um den Beweis der folgenden Beziehung:
Dazu gehen wir davon aus, dass die n-te Wurzel aus einer komplexen Zahl zu berechnen ist, wobei die gesuchte Wurzel ist:
Die rechten Seiten der ersten Gleichung mit dem Exponenten als Wurzel und der letzten Gleichung liefern die folgende Beziehung. Beim Potenzieren mit wird erneut der Satz von Moivre für natürliche Exponenten angewandt, diesmal für . Mit der „Entfernung“ des Betrags auf beiden Seiten (also Division durch die Potenz von ) erhalten wir schließlich die gewünschte Gleichheit:
Berechnungen
Weil eine komplexe Zahl als Summe dargestellt werden kann, können wir den binomischen Lehrsatz[2] verwenden.
Zur Berechnung kann auch der Moivre’sche Satz genutzt werden. Dazu führen wir die gegebene Zahl zunächst mithilfe des Betrags und der Umrechnungsformeln in ihre trigonometrische Form über:
Wir erhalten nun der Reihe nach:
Das Ergebnis, das wir mit dem binomischen Satz gewonnen haben, ist exakt, während das zweite Ergebnis infolge der wiederholten Rundungen in der Regel Ungenauigkeiten aufweist und in diesem Beispiel nur „zufällig“ mit dem exakten Ergebnis übereinstimmt.
Wurzeln
Der Beweis zur Moivre’schen Formel hat bereits die Bestimmung einer Wurzel geliefert:
Bei Quadratwurzeln aus (positiven) reellen Zahlen erhält man zwei reelle Lösungen, wobei die positive Lösung als „die Quadratwurzel“ ausgezeichnet wird. Gibt es bei den komplexen Zahlen vergleichbare Feststellungen? Schauen wir uns dazu ein Beispiel an, bei dem die 2-te Wurzel einer bestimmten komplexen Zahl gesucht wird. Eine Lösung ist direkt aus dem Satz von Moivre abzuleiten:
Für eine weitere Lösung muss jedenfalls der Betrag (als positive Wurzel einer positiven reellen Zahl) übereinstimmen; also können wir uns auf das Argument beschränken, das sich um einen Wert vom Argument der ersten Lösung unterscheidet. Es muss also gelten:
Das Quadrat dieser zweiten Lösung ergibt sich aus dem Satz von Moivre:
Das Quadrat der zweiten Lösung muss mit dem Quadrat der ersten Lösung, also mit der ursprünglichen Zahl übereinstimmen. Es müssen also die Sinus- und Kosinuswerte gleich sein. Also werden Werte von gesucht, für die die folgenden Beziehungen gelten:
Bekanntlich wiederholen sich Sinus- und Kosinuswerte mit der Periode . Die Gleichheit in den letzten Gleichungen ist also dann gegeben, wenn wir für nacheinander Vielfache von einsetzen:
Wir finden also mehrere Lösungen als Quadratwurzel, nämlich:
Tatsächlich sind nur die ersten beiden Lösungen verschieden; danach wiederholen sie sich wegen der Periodizität.
Hinweis: Alle diese Feststellungen könnten mit statt kürzer beschrieben werden. Da die Umrechnungen für Sinus und Kosinus mit der Periode geläufiger sind, wurde die umständlichere Schreibweise gewählt.
Dieses Verfahren können wir nun verallgemeinern. Gesucht werden die Wurzeln der folgenden Gleichung:
Der Betrag ist wiederum die n-te reelle Wurzel von , und zwar für alle Wurzeln. Das Argument der ersten Lösung ergibt sich wie im Beispiel direkt aus dem Satz von Moivre:
Die weiteren Lösungen finden wir ebenfalls wie im Beispiel mit dem Satz von Moivre durch Vergleich der n-ten Potenz:
Mit diesem Ergebnis können wir die obige Berechnung einer Wurzel vervollständigen:
Grundregel: Wurzel einer komplexen Zahl
Die n-ten Wurzeln einer komplexen Zahl erhält man wie folgt: Aus dem (reellen) Betrag wird die n-te Wurzel gezogen. Das Argument wird mit Vielfachen von addiert und durch dividiert. Dabei gibt es immer verschiedene Lösungen:
Zu sind dies die Wurzeln:
Die Rechenregeln für Potenzen (siehe oben) galten ausdrücklich für ganzzahlige Exponenten. Die Erweiterung für gebrochene Exponenten – also für Wurzeln – gilt nicht mehr! Gleichgültig, welchen der beiden möglichen Werte oder man für festlegt, erhält man beispielsweise:
Geometrische Interpretation
Zunächst gilt jedenfalls: Der Betrag einer jeden komplexen Wurzel ist gleich, nämlich die n-te reelle Wurzel aus dem Betrag von z. Damit liegen sämtliche Wurzeln auf einem Kreis um den Ursprung O der komplexen Zahlenebene mit dem Radius . Die Argumente unterscheiden sich – unabhängig von z bzw. φ – um den festen Wert . Wir können also zusammenfassen:
Satz (Komplexe Wurzeln in der Zahlenebene)
Die Punkte der Zahlenebene, die zu den n komplexen Wurzeln gehören, liegen auf einem Kreis um den Ursprung O und sind die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks.
Als Beispiel sehen wir uns die fünften komplexen Wurzeln der Zahl 1 an.
Wir erhalten also – wie in der nebenstehenden Grafik – die folgenden Werte:
Einheitswurzeln
Dieses Beispiel kann verallgemeinert werden und hat eine besondere Bedeutung: Die komplexen Wurzeln der reellen Einheit 1 liegen auf dem Einheitskreis (d. h. mit dem Radius 1) um den Ursprung; die erste Wurzel ist die reelle Einheit 1 selbst. Diese komplexen Wurzeln werden Einheitswurzeln genannt. Vor allem die geometrische Interpretation ist oft hilfreich.
Die Quadratwurzeln sind natürlich ±1. Die Kubikwurzeln werden im nächsten Abschnitt bestimmt, die vierten Wurzeln als Übung 8.
Als primitive Einheitswurzel wird die n-te Wurzel mit dem kleinsten Argument ungleich 0 bezeichnet – also diejenige für :
Satz (Einheitswurzeln und ihre Potenzen)
Die n-ten Einheitswurzeln erhält man als Potenzen der primitiven Einheitswurzel:
Wegen der üblichen Reihenfolge der Einheitswurzeln passt folgende Auflistung besser:
Der exakte Beweis wäre umständlicher, als es die Sache erfordert. Bei der Multiplikation werden die Argumente addiert; die Differenz der Argumente zweier benachbarter Einheitswurzeln beträgt also – wie es die Definition der Wurzeln besagt.
Satz (Beliebige Wurzeln und Einheitswurzeln)
Es sei eine (beliebige) komplexe n-te Wurzel einer Zahl z. Dann erhält man alle anderen n-ten Wurzeln von z durch wiederholte Multiplikation mit der primitiven Einheitswurzel.
Auch hier genügt die einfache Überlegung: Bei der Multiplikation werden die Beträge multipliziert und die Argumente addiert. Der Betrag der primitiven Einheitswurzel ist 1, ändert also den Betrag der „nächsten“ Wurzel nicht. Das Argument der primitiven Einheitswurzel ist – genau wie die Differenz der Argumente zweier benachbarter Wurzeln.
Wurzeln aus 1, i, –1, –i
Bestimmen wir die Wurzeln der positiven und negativen Einheiten auf den Achsen – als Beispiel die dritten Wurzeln: Der Betrag für alle Zahlen ist 1 als dritte Wurzel aus 1.
Weil 1 auf der reellen Achse liegt, ist das Argument 0. Die erste Wurzel ist also ebenfalls 1. (Weil die komplexen Zahlen eine Erweiterung der reellen Zahlen sind, darf es auch gar nicht anders sein.) Die weiteren Wurzeln sind um jeweils gedreht.
Die Darstellung von –1 unterscheidet sich von 1 nur durch das Argument, nämlich statt 0. Damit ist die erste Wurzel ebenfalls −1! Die weiteren Wurzeln sind davon ausgehend um 120° gedreht.
Untersuchen wir nun die dritte Wurzel aus i, also der imaginären Einheit. Das Argument von i ist ; das Argument der ersten Wurzel beträgt also . Die weiteren Wurzeln sind ebenso um jeweils gedreht.
Die Darstellung von unterscheidet sich von wiederum nur durch das Argument, nämlich . Auch hier sind die weiteren Wurzeln sind um 120° gedreht.
Dritte Wurzeln von 1
Dritte Wurzeln von –1
Dritte Wurzeln von i
Dritte Wurzeln von –i
Berechnung
Bestimmen wir die Lösungen – also die Wurzeln – der folgenden Gleichung.
Da der binomische Lehrsatz nur für natürliche Exponenten gilt,[3] müssen wir den Satz von Moivre benutzen. Es handelt sich um eine Gleichung 4. Grades, und wir müssen daher 4 Wurzeln erhalten. Um diese zu finden, bringen wir die rechte Seite der Gleichung wiederum auf ihre trigonometrische Form:
Wir erhalten also die folgende Gleichung:
Die „Wurzelformel“ lautet dazu:
Die Werte der vier Wurzeln erhalten wir mit den Einsetzungen , wobei die numerischen Ergebnisse wegen der wiederholten Umrechnungen zwangsläufig nur Näherungswerte sind: