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Die medizinische Dissertation: Analysen: Gegenstand

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Die Analyse des Gegenstands umfasst zwei Aspekte: (1) die Analyse der vorhandenen Literatur über den Gegenstand und (2) das Generieren neuer Erkenntnisse durch eigentätiges Forschen (Experimentieren, Erheben von Datenmaterial etc.). Die folgende Darstellung zeichnet einen idealtypischen Prozess nach, demzufolge die Analyse der Literatur der eigenen Forschungstätigkeit vorangeht. In der Praxis ist dies jedoch eher selten; von Medizin-Doktoranden wird meist erwartet, dass sie nach Erhalt ihres Themas ohne vorherige ausreichend intensive Literaturrecherche mit der Forschung beginnen. Dies ist jedoch ungünstig, da man ohne tiefere Kenntnis der einschlägigen Literatur gewissermaßen ins Blaue hinein forscht und die eigenen Ergebnisse nur schlecht bewerten und einordnen kann. Daher sollte der Forschungsphase eine ausreichend gründliche Phase der Literaturrecherche vorangehen. Die Literaturrecherche lässt sich ohnehin nicht umgehen: Da die eigenen Ergebnisse im Verlauf der Dissertation mit den bisherigen Erkenntnissen in Beziehung gesetzt werden müssen, kommt der Literaturerschließung eine der eigenen Forschung mindestens gleichwertige Bedeutung zu.

Festlegung des Arbeitsthemas

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Wenn das Thema (d. h. der Gegenstand der Arbeit) nicht vom Doktorvater vorgegeben ist, muss es zunächst ausgewählt oder selbst gefunden werden (Leitfrage: „Was will ich erforschen?“). Hierbei wird man sich wohl hauptsächlich von den eigenen Interessen leiten lassen. Ein gewisses Grundinteresse am Thema ist unbedingt erforderlich, wenn das Schreiben der Dissertation nicht zu einer Tortur werden soll.

Ecos Kriterien zur Themenwahl

Für die Wahl des Themas sind die Kriterien von Umberto Eco (zit. n. Franck, 161) nützlich: demnach (1) soll das Thema den Doktoranden persönlich interessieren, (2) die zur Erschließung des Themas erforderlichen Quellen sollen ihm zugänglich sein, (3) der Doktorand sollte mit den Quellen umgehen können und (4) der Doktorand sollte mit der Forschungsmethodik (z. B. Laborarbeit, histologische Analysen, statistische Analysen) hinreichend vertraut sein.

Ist das Thema in seinen Grundzügen bekannt, muss es weiter erschlossen und auf einen bestimmten Teilaspekt begrenzt werden. Franck (158) empfiehlt drei Phasen:

  1. Phase der Themenerschließung:
    • Klärung des eigenen Vorwissens (Was ist mir zu dem Thema bekannt? Was will ich zusätzlich wissen?),
    • Klärung der eigenen Motivation (Was interessiert mich an dem Thema? Warum finde ich das Thema spannend? Was möchte ich herausfinden?)
    • Klärung allgemeiner Aspekte des Themas (anhand der Leitfragen „wer, was, wann, wo, wie, warum“)
  2. Phase der überblicksartigen Literatursichtung: Hier wird ein Überblick über das Thema und die vorhandene Literatur angestrebt; am besten eignet sich hierfür ein Blick in einige aktuelle Journalartikel oder Reviews.
  3. Phase der Themeneingrenzung: Da nicht das Fachgebiet in seiner Breite, sondern ein begrenzter Ausschnitt des Fachgebiets in seiner Tiefe erforscht werden soll, muss das Thema auf einen bestimmten Aspekt oder eine bestimmte Perspektive eingeschränkt werden. Dieser Bereich sollte bei angemessenem Aufwand in einer angemessenen Zeit zu bearbeiten sein (was bei zu abstrakten Themen, zu komplexen oder Mode-Themen kaum möglich ist). Man sollte die Eingrenzung des Themas auf den gewählten Bereich (und die Nichtbehandlung anderer Themenbereiche) begründen können und in der Lage sein, die Beziehung zwischen dem gewählten Teilausschnitt und dem Gesamtthema anzugeben.

Zu diesem Aspekt soll nun eine Fragestellung entwickelt werden, auf die die Arbeit eine Antwort geben soll. Zur Entwicklung und Erschließung der Fragestellung empfiehlt Esselborn-Krumbiegel (64 ff.), folgende Fragen zu stellen:

  1. Was soll herausgefunden werden? Was ist die Hauptfragestellung?
  2. Welche weiteren Fragen ergeben sich aus der Hauptfragestellung?
  3. Inwiefern gibt es Gemeinsamkeiten mit anderen Themen? Worin unterscheidet sich das aktuelle Thema von anderen?
  4. Inwiefern könnte sich die Hauptfragestellung noch erweitern oder einengen?
  5. Was ist der wichtigste Aspekt, der Kern der Hauptfragestellung?
  6. Wie ordnen sich das Thema und die Fragestellung in den Forschungskontext ein? Handelt es sich um ein Randthema oder um ein aktuell stark beforschtes Thema?

Die Fragestellung ist nicht starr, sondern kann sich mit Fortgang der Arbeit verändern. Die in der Fragestellung verwendeten Schlüsselbegriffe sollten im Hinblick auf ihre Definition und ihren Zusammenhang mit anderen Begriffen bekannt sein. Auch bei einem vorgegebenen Thema sollte man die enthaltenen Schlüsselbegriffe auf ihre Bedeutung, ihre Tiefe und ihren Zusammenhang mit anderen Begriffen analysieren.

Recherchen zum Thema

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Wenn der Themenausschnitt und die Fragestellung bekannt sind, kann man mit der Recherche beginnen. Sie gliedert sich in drei Phasen:

  1. Phase der allgemeinen Recherche: Zunächst muss man sich mit dem Thema und dem gewählten Themenausschnitt vertraut machen, wobei man vorerst nur in die Breite recherchiert (ein Teil dieser Phase ist somit schon während der Themenbestimmung abgedeckt worden): Brainstormings, Besuch von einschlägigen Veranstaltungen, Dialog mit Fachleuten und Bekannten, Internetrecherche etc. Mit anderen Worten: Man geht mit offenen Augen durch die Welt auf der Suche nach Material zum interessierenden Thema.
  2. Phase der breiten Literaturrecherche: In dieser Phase verschafft man sich einen ersten Überblick über die vorhandene Literatur zum Thema, und zwar anhand von Überblickswerken (Lehrbücher, aktuelle Reviews etc.), OPAC, Schlagwortkatalogen, Datenbanken, Online-Buchhandlungen etc. Gute Doktorväter führen Literaturlisten zu ihren Forschungsgebieten und können ihren Doktoranden die wichtigsten Titel und Aufsätze nennen. Am Ende dieser Phase besitzt man eine ansehnliche Liste von Literatur zum Thema.
  3. Phase der engen Literaturrecherche: Nun wird die Literatur zum gewählten Themenausschnitt umfassend gesichtet. Hierzu geht man entweder systematisch anhand von Bibliographien vor oder man verwendet eine Methode „organischer Literaturerschließung“, d. h. man geht von derjenigen Literatur aus, die in einem themenrelevanten Zusammenhang in einschlägigen Übersichtsartikeln oder einführenden Büchern genannt wird, und erschließt von dort aus in einem prinzipiell unendlichen Progress zusätzliche relevante Literatur. Durch die zweite Methode erhält man einen fundierten und nach Relevanz gewichteten Überblick über die Literatur des Themengebiets.

Online-Ressourcen für die Literaturrecherche

Folgende Online-Ressourcen eigenen sich zur Literaturrecherche:

Zudem besitzen Universitätsbibliotheken Lizenzen für wissenschaftliche Zeitschriften und andere Ressourcen.

Literatur mit hoher Relevanz für die eigene Arbeit muss zielgerichtet gelesen werden (d. h. selektiv im Hinblick auf die eigene Fragestellung/Zielsetzung). Dies geht nur, wenn Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit eng umrissen sind. Am Ende dieser Phase sollte man in der Lage sein, ein Review zur aktuellen Literatur des Themengebiets zu verfassen.

Wie liest man Literatur nun effizient? Dies soll im Folgenden am Beispiel von Journalartikeln (Papers) erläutert werden.

Zunächst lässt sich anhand des Abstracts die Relevanz des Papers abschätzen.

  • Bei wenig relevanten Papers reicht es, die Kernpunkte des Abstracts zu notieren und zu archivieren (siehe unten).
  • Relevante Papers müssen gründlicher gelesen werden. Um die entscheidenden Informationen aus dem Text zu extrahieren, ist ein möglichst aktiver Lesestil erforderlich. Dies bedeutet,
    • vor dem Lesen das Leseziel festzulegen (wer durch das Lesen nur spezifische Fragen beantwortet bekommen möchte, wählt eine andere Vorgehensweise als derjenige, der einen unspezifischen Überblick bekommen möchte) und sein Vorwissen zu reflektieren und zu sortieren (d. h. Fragen notieren oder eine Probestruktur entwerfen, die durch die beim Lesen gewonnenen Informationen ergänzt und verändert wird; Haft, 46 ff.)
    • sich beim Lesen Notizen zu machen
    • von den wichtigen zu den weniger wichtigen Abschnitten des Papers überzugehen (meist in der Reihenfolge Abstract, Conclusion, Diskussion, Ergebnisse, Einleitung, Methoden)

Die entscheidenden Inhalte werden exzerpiert. Gründliche Exzerpte bringen im späteren Produktionsprozess eine enorme Zeitersparnis (Kruse, 215).

Für das Lesen sollte man eine persönliche Routine entwickeln. Vorgehensweisen, die sich auf das Lesen von Lehrtexten beziehen (wie etwa die PQ4R-Methode), sind hierbei aufgrund ihres spezifischen Fokus (umfassendes Verständnis von neuem Lernstoff) und ihres hohen Zeitaufwands nur in seltenen Fällen hilfreich. Effizient ist hingegen folgende Methode:

  1. Vorbereitungsphase: „Was will ich von dem Text wissen?“ Den Text grob überfliegen, sein eigenes Vorwissen reflektieren und – je nach Leseziel – Fragen notieren bzw. eine vorläufige (grafische) Struktur entwerfen.
  2. Erstes Lesen (dabei von den wichtigen zu den weniger wichtigen Abschnitten gehend) mit Markieren von zentralen Aussagen des Textes. Dabei eigene Einfälle und Gedanken festhalten (z. B. in eckigen Klammern am Textrand oder auf einem separaten Blatt).
  3. Zweites Lesen mit Notieren der Kernaussage des jeweiligen Sinnabschnitts in knappen Worten.
  4. Reflexionsphase: Beantworten der Fragen aus der Vorbereitungsphase bzw. Ergänzen der vorläufigen Struktur anhand der neu gewonnenen Informationen.
  5. Schreiben einer Kurzzusammenfassung auf Basis der Randnotizen: Die relevanten Informationen werden zusammen mit bibliographischen Angaben (Autoren und Jahr sowie Ablageort [Signatur, Internetseite, Ordner]) auf einer Karteikarte (möglichst DIN-A5) oder in einem elektronischen Zettelkasten festgehalten; Zitate werden wortgenau und mit exakter Stellenangabe vermerkt, Abkürzungen erläutert. Außerdem lassen sich kritische Kommentare, Verweise zu anderer Literatur sowie eigene Skizzen und Notizen anbringen. Allgemein gilt hier das Prinzip: „Alles, was wichtig sein könnte, sofort an der richtigen Stelle notieren.“ (Krajewski, 100)
  6. Notiz auf einer „Stichwort-Karteikarte“: Zentrale Aussagen zu einem bestimmten Aspekt zusammen mit den Literatur-Basisangaben (Autor, Jahr) auf „Stichwort-Karteikarten“ (Kruse, 217) notieren, d. h. auf Karteikarten, die die Texte zu einem bestimmten Themenbereich auflisten und auf denen auch eigene Gedanken vermerkt werden können. Eine Literaturquelle kann Stoff für diverse verschiedene Stichwort-Karteikarten liefern. Zudem: In der elektronischen Mindmap einen entsprechenden Untereintrag zum passenden Stichwort erstellen (dies hat den Vorteil, dass die Einträge sortiert und später auf verschiedene Arten strukturiert werden können).
  7. Einordnen und archivieren: Den Aufsatz und die bearbeiteten Karteikarten in den jeweiligen Ordner bzw. Karteikasten einsortieren, so dass sie sich später mühelos finden lassen. Die genaue Literaturangabe in das Literaturverwaltungsprogramm eintragen.

Gerade auf lange Sicht erweist sich diese Methode als sehr effizient.

Exkurs: PQ4R-Methode

Die PQ4R-Methode eignet sich für die kritische Auseinandersetzung mit Lehrtexten und langfristiges Abspeichern.

  • Preview: den Text überfliegen
  • Question: sich Fragen zum Thema überlegen
  • Read: den Text im Hinblick auf die Fragen lesen
  • Reflect: tiefere Auseinandersetzung mit dem Text, indem man sich Gedanken zum Stoff macht, sich kritisch mit dem Stoff auseinandersetzt, Bezüge zu eigenem Vorwissen herstellt, Beispiele sucht etc.
  • Rewrite: die Kerngedanken aus dem Gedächtnis abrufen und notieren
  • Review: die Kernaussagen des Texts nochmals wiederholen

Phase der eigenen Forschung

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Mit hinreichend fundiertem Wissen über den aktuellen Forschungskontext kann man nun beginnen, einen eigenen Beitrag für die Forschung zu leisten, d. h. Daten zu erheben und auszuwerten. Dies bildet den Kern der Doktorarbeit und ist meist am zeitintensivsten. Es geht hierbei weniger um wissenschaftliche, sondern hauptsächlich um technische und organisatorische Aspekte. In Arbeiten mit komplizierten statistischen Berechnungen sollte – möglichst bereits im Vorfeld – ein Statistiker einbezogen werden.

Studienarten

Bei empirischen Studien unterscheidet man üblicherweise folgende Studienarten:

  • Experimentelle Studien: Zellen züchten, Substanzen pipettieren, Mäuse operieren oder ihnen Stoffe injizieren, histologische Schnitte auswerten etc.
  • Klinische Studien: Patienten untersuchen, ihnen Blut abnehmen und auf bestimmte Substanzen untersuchen etc.
  • Statistische Studien: Daten erheben etwa mittels Fragebogen, Sammeln und Auswerten archivierter Patientendaten etc.; statistische Studien haben zwar einen eher schlechten Ruf, können sich aber ebenfalls als sehr arbeits- und zeitaufwändig erweisen. Im Grunde ist übrigens jede empirische Studie „statistisch“, bei der erhobene Daten mittels statistischen Methoden ausgewertet werden.