Was wir von einer Milchbüchse über den Luftdruck lernen
Luftdruck wirkt stets in alle Richtungen
[Bearbeiten]Das erste Kapitel dieser Betrachtung zum Fliegen beschäftigt sich mit den Eigenschaften der Luft, in der das Fliegen stattfindet. Die Eigenschaft, die hier als erstes interessiert, ist der sogenannte Luftdruck. Vom Wetterbericht kennt man Hochdruck- und Tiefdruckgebiete, die meist mit schönem oder schlechtem Wetter verbunden werden. Aber wo sonst begegnet man dem Luftdruck im Alltag?
Folgende Situation ist vielen Kaffeetrinkern bekannt: Wie bekommt man die Milch aus der Milchdose in den Kaffee? Das Bild rechts weist mit dem seltenen Beispiel des Doppellochers schon auf eine Besonderheit hin, aber auch zwei gegenüberliegende Löcher in der Milchdose reichen nicht zur befriedigenden Lösung der Aufgabe, wie Friedrich Copei, 1931 Dozent an der Pädagogischen Akademie Dortmund, in seiner Dissertationsschrift beschreibt:
Das Milchdosenbeispiel
[Bearbeiten]Auf eine Schulwanderung hat einer der Jungen eine Büchse kondensierte Milch mitgebracht, die, den meisten Landkindern etwas Neues, schon mit Interesse betrachtet wird. Feierlich öffnet der Besitzer die Büchse, indem er an einer Stelle ein Loch in den Büchsendeckel bohrt. Er will die Milch ausgießen – aber keine Milch fließt heraus! Nur beim Schütteln spritzen einige Tropfen. Alles staunt: Wie kommt das nur? Die anderen raten ihm: „Du musst das Loch größer machen.“ Er tut‘s – ohne merklichen Erfolg. Einer vermutet: „Die Milch ist wohl dick geworden, vielleicht ist das Loch verstopft“ – aber eine Verstopfung ist nicht zu entdecken. Die anderen wenden auch ein: „Wir haben ja ganz flüssige Milchtropfen herausspringen sehen!“ Der Junge beharrt: „Da muss aber doch etwas davorsitzen, sonst flösse die Milch doch heraus!“ Andere sagen ihm: „Aber es sitzt doch nichts davor.“ Der Lehrer wirft ein: „Nichts?“ ein. Antwort: „Nur Luft, sonst nichts, wir haben‘s ja probiert.“ Da meldet sich einer der Jungen zu Hilfe. Er schlägt ein zweites Loch in die Büchse, so wie er das schon irgendwo gesehen hat. Allgemeines Staunen, denn plötzlich fließt die Milch in schönem Strahl glatt aus der einen Öffnung. Aber doch nur, solange die Büchse schräg gehalten wird, als man die Büchse senkrecht hinstellt, damit die Milch zugleich aus beiden Löchern kommen solle, hört das Fließen wieder auf, und nur wenige Tropfen kommen.
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Die Erklärung führt zur grundlegenden Erkenntnis, dass der Luftdruck allseitig wirkt und die Milch, entgegen der Gewichtskraft und dem Druck der eingeschlossen Luft, in die Dose drückt - zumindest solange sich die Öffnungen auf gleicher Höhe befinden.
Bei einer Schräglage ist die Gewichtskraft über dem höher gelegenen Loch verringert und durch den Luftdruck gelangen Luftblasen in dem Maße in die Dose, wie die Milch aus der tiefer gelegenen Öffnung fließt.
Auch das nebenstehendes Bild verdeutlicht die Allseitigkeit des Luftdrucks. Eine bei Normaldruck am Boden verschlossene Plastikverpackung bläht sich auf, wenn sie sich in der Druckkabine eines Verkehrsflugzeuges befindet. Mit zunehmender Höhe nimmt der Luftdruck ab, in der Druckkabine eines Verkehrsflugzeuges im Reiseflug (ca. 10 km) herrscht ungefähr der Druck der Luft in 2,5 km Höhe. Dies ist ein Kompromiss zwischen dem Wunsch, die mechanische Belastung der Flugzeughülle zu verringern (Überdruck innen gegenüber dem geringen Luftdruck außen, wie die abgebildete aufgeblasene Verpackung) und die ausreichende Sauerstoffzufuhr zu gewährleisten, denn bei geringerem Druck verringert sich auch die enthaltene Sauerstoffmenge zum Atmen. Würde man den Kabinendruck noch weiter verringern, stiege die Gefahr der Höhenkrankheit.
Weiterführende Gedanken
[Bearbeiten]Die Größe des Luftdrucks
[Bearbeiten]Interessant ist noch die Frage, wie „hoch“ eine Milchsäule sein müsste, bis der Druck durch ihre Gewichtskraft ausreicht, den Luftdruck zu überwinden?
Mit dieser Frage haben sich im 17. Jahrhundert bereits G.Galilei beschäftigt und 1641 führte Gasparo Berti (ca. 1600–1643) in Rom einen Versuch durch, um die maximale Höhe einer Wassersäule zu demonstrieren. Bertis Versuch lässt sich heute deutlich einfacher nachstellen. Hierzu wird ein 12 bis 15 m langer, durchsichtiger Schlauch ganz mit Wasser gefüllt, an der Oberseite verschlossen und diese dann in einem Treppenhaus nach oben transportiert, bis die Wassersäule bei etwa zehn Metern stehenbleibt – selbst wenn man das Schlauchende weiter anhebt[3].
Taucher kennen diese Zahl, bei einer Tauchtiefe von ungefähr 10 m ist der Taucher zusätzlich dem Druck ausgesetzt wie außerhalb des Wassers durch die Erdatmosphäre. D.h. die Gewichtskraft einer 10 m hohen Wassersäule entspricht der Gewichtskraft der Luftsäule über uns. Deswegen bleibt das Wasser im Schlauch bei einer Höhe von ca. 10 m stehen, weil dann der Druck durch die Gewichtskraft der Wassersäule im Gleichgewicht mit dem Luftdruck ist.
Nimmt man eine Flüssigkeit mit größerer Dichte als Wasser oder Milch, wird die notwendige Höhe der Flüssigkeitssäule geringer. Ein typisches Quecksilberbarometer hat bei normalem Luftdruck eine Höhe der Quecksilbersäule von 760 mm (heute 1013 hPa). Das entspricht der alten Einheit für Druckmessungen, dem Torr. In einem ausgeprägten Hochdruckgebiet werden Werte bis 782 mm (1043 hPa) erreicht, in einem stürmischen Tiefdruckgebiet fällt der Luftdruck bis auf 743 mm (990 hPa)[4]. Die benötigte Flüssigkeit wird jeweils vom Reservoir zur Verfügung gestellt bzw. aufgenommen. Würde das Reservoir weggenommen, würde das Quecksilber – wie bei der Milchbüchse oder dem Schlauch – im Rohr verbleiben.
Ein häufiges Misskonzept
[Bearbeiten]Der Luftdruck wird oft mit dem Gewicht der über uns befindlichen Luftsäule begründet. In der Tat kann die Größe des Luftdrucks auf diese Weise bestimmt werden. Durch diese Herleitung gerät aber das Bewusstsein über die Allseitigkeit des Luftdrucks leicht verloren. Aber genau diese allseitige Wirkung des Druckes in Gasen ist es, die uns dieses Gewicht überhaupt nicht spüren lässt, weil auch in unserem Gewebe Luft- bzw Gasblasen sind, deren allseitiger Druck mit dem allseitigen Luftdruck im Gleichgewicht stehen, ganz so wie in der Milchbüchse.
Die Allseitigkeit des Luftdrucks und seine Stärke verdeutlicht auch dieser ehemals rechteckige Würfel vor der Kunsthalle in Bremen. Der Edelstahl-Kubus hatte die Ausgangsmaße 2 x 2 x 2 m und wurde in einer öffentlichen "Implosions-Aktion" anlässlich der Langen Nacht der Museen am 24. Mai 2014[5] verformt: hierfür entzog Ewerdt Hilgemann dem Kubus mithilfe einer Vakuumpumpe die Binnenluft, der sich verringernde Druck im Inneren des Kubus und der allseitige Luftdruck außerhalb des Kubus führten dazu, dass der Würfel sich allseitig verformte und zusammengestaucht wurde.
Literatur und Weblinks
[Bearbeiten]- ↑ Friedrich Copei, Der fruchtbare Moment im Bildungsprozess (Diss. phil. Berlin), Quelle & Meyer, Leipzig 1930 (VII, 134 S., mit Fig.); 5., unveränderte Aufl., eingel. und hrsg. von Hans Sprenger, Quelle & Meyer, Heidelberg 1960
- ↑ Malte Brinkmann, Der fruchtbare Mmoment im Bildungsprozess - Friedrich Copei 1902-1945, vom 23.8.2017, Phänomenologische Erziehungswissenschaft, abgerufen am 2. Februar 2022
- ↑ 3,0 3,1 Das Schlauchexperiment, Landschulheim Steinmühle, 2017, Wikipedia:Pascals Barometer, abgerufen am 9. Februar 2022
- ↑ Messwert 2021 für Donauwörth, Werner Neudecks Wetterpage, abgerufen am 29. Januar 2022
- ↑ Performance vor der Kunsthalle Bremen in 2014, Ewerdt Hilgemann, abgerufen Dez 2021