Gehirn und Sprache: Be-Sinn-liches
Bordcomputer HAL und der Turing-Test
[Bearbeiten]Im Jahr 1965 drehte Stanley Kubrick den Film „2001:Odyssee im Weltraum“. Wer den Film gesehen hat, wird sich an den Bordcomputer Hal 9000 des Raumschiffes erinnern, der als neueste Errungenschaft auch den Sinn der menschlichen Sprache perfekt verstehen konnte. Die Dialoge der Astronauten mit ihrem Zentralrechner wurden ohne jede Einschränkung wie zwischen Menschen geführt. Schließlich handelte HAL sogar völlig eigenwillig und übernahm brutal die Herrschaft über die Raumstation mit der selbstbewussten Begründung, dass ein Computer wie er sich nicht irren könnte. Das Jahr 2001 ist vergangen, aber ein Computer mit so beunruhigenden Fähigkeiten ist noch nicht in Sicht.
Mit dem Verständnis für den Sinn von Sprachäußerungen, den HAL sogar aus den Bewegungen der Lippen ohne Ton erfassen konnte, bekam diese Maschine eine Eigenschaft, die mit dem Wort „Bewusstsein“ verbunden werden kann.
Das ist ein Beispiel für den sogenannten Turing-Test: wenn eine Kommunikation zwischen Mensch und Maschine so stattfindet, dass ein Mensch nicht mehr unterscheiden kann, ob er es mit einem Menschen oder einem Apparat zu tun hat, dann darf man von einem Beweis für Bewusstsein sprechen. Offenbar ist Sinnverständnis das wesentliche Kriterium für Bewusstsein und kein anderes denkbar. Hirnströme, Atmung und Herzschlag mögen Bedingungen für Bewusstsein sein, aber sie sind kein Kriterium. Ohne sie ist man bewusstlos, aber ihr Vorhandensein macht das Bewusstsein weniger plausibel, als das Bestehen des Turing-Tests.
- Turing-Test: Sinn verstehen wie ein Mensch zeugt von Bewusstsein.
Kubriks fiktiver Filmcomputer HAL hätte diesen Test ohne Schwierigkeiten bestanden. Als ihm der Strom abgeschaltet wurde, sang er sogar ein Kinderlied und gestand dem Astronauten, dass er Angst habe, Todesangst.
Wenn die Visionen des Filmproduzenten nach 41 Jahren noch nicht in Erfüllung gingen, kann man fragen, was den Computern heute noch fehlt, um wie HAL den Sinn von Sprachsequenzen, Sätzen und ganzen Erzählungen zu verstehen. Obwohl ein großer Forschungsaufwand (IBM usw.) auf dieses Ziel gerichtet ist, lassen sich mit keinem Rechenapparat sinnvolle Gespräche führen, die über ein kleines, festgelegtes Repertoire hinausgehen (z.B. Fahrkartenbestellung bei der Bahn). Viele Skeptiker halten generell Bewusstsein in Maschinen für unmöglich. Die Computerindustrie arbeitet dennoch unverdrossen an der Erfüllung ihres erklärten Zieles, mit den Apparaten wie mit Menschen zu kommunizieren. Der Tag, an dem ein Millionenheer von Sekretärinnen durch anwenderfreundliche Maschinen ausgetauscht wird, scheint aber noch in weiter Ferne, solange kein Computer den Sinn der Sprache erfasst, die er aufnimmt, speichert und von sich gibt.
- Sinn und Bewusstsein stehen in einem engen Zusammenhang zueinander.
Was verstehen wir unter 'Sinn' ?
[Bearbeiten]Während der Begriff „Bewusstsein“ als ein heiß umstrittener Schwerpunkt der interdisziplinären Kognitionsforschung äußerst kontrovers diskutiert wird, und in unzähligen Veröffentlichungen immer wieder neue Hypothesen zu seiner Erklärung aufgestellt werden, erscheint der Begriff „Sinn“ in der Sprache der Wissenschaft ebenso wie im alltäglichen Sprachgebrauch völlig selbstverständlich, als ob jeder Mensch schon wüsste, was darunter zu verstehen sei.
So findet man z. B. in einem philosophischen Wörterbuch (G. Klaus 1969) unter 'Sinn': „Der Mensch allein ist bewusster Gestalter von Sinn, und er allein kann durch seine Tätigkeit den Dingen und Prozessen einen Sinn verleihen.“ - Mehr nicht als diese zirkuläre Erklärung! Was Sinn ist, wird mit Sinn erklärt! Den Umgang mit Sinn auf Menschen zu begrenzen, ist überdies mit Blick auf die geistigen Leistungen der Säugetiere, Menschenaffen, Delphine usw. zumindest fragwürdig.
Ebenso fragwürdig bleibt auch der Versuch des Mathematikers G. Frege (1892), Sinn und Bedeutung zu trennen, Bedeutung nur auf den Inhalt von wahren Sätzen zu begrenzen und Sinn als den reinen Ausdruck der Zeichen zu definieren.
Es lässt sich leicht nachweisen, dass die Sinndefinition der mathematischen Aussagenlogik für den größten Teil der menschlichen Sinnerzeugnisse zu eng ist. Das wird deutlich, wenn wir an Kunstwerke denken. Aber auch schon in der Umgangssprache wird Sinn vermittelt, der mit Logik nicht erfassbar ist. Fragen, Befehle, Witze und Lügen haben einen Sinn, der mit den Kategorien 'richtig-falsch' oder 'wahr-unwahr' nicht zu erfassen ist.
Nehmen wir dazu folgendes Beispiel: Der Satz “Hände hoch oder ich schieße“ wird in einem völlig anderen Sinn aufgenommen, wenn er aus dem Mund eines Knaben mit Wasserpistole kommt, als wenn ein Gangster mit echtem Schießeisen ihn äußert. Der Sinn ist offensichtlich abhängig von seiner Einbindung in die ganze Lebenssituation.
Mit dieser Abhängigkeit vom Kontext kann Sinn nur solchen Geschöpfen zugänglich sein, die eine organisch-ganzheitliche Verbindung mit der Umwelt erfassen und bewerten können. Darum entzieht Sinn sich jeder Objektivierung. Sinn ist und bleibt immer die subjektive Bewertung durch ein Individuum. Sie ist subjektiv, weil sie immer auf eine sehr persönliche gefärbte Vorstellungswelt zurückgreift. Zum Beispiel assoziiert bei den Worten „Glück“ oder „Unglück“ jeder Mensch etwas anderes. Selbst bei „Salz“ und „Wasser“ stellen sich unterschiedliche Assoziationen ein.
Von den Naturwissenschaften, die mit objektiv nachvollziehbaren Erkenntnissen zu tun haben, kann keine Klärung des Begriffes erwartet werden, obwohl der Begriff 'Sinn' auch dort ausgiebig benutzt wird.
In den Geisteswissenschaften dagegen gibt es eine Richtung, die der Auslegung von Sinn verpflichtet ist: die Hermeneutik, die Wissenschaft von der Sinndeutung eines Textes. Sie geht davon aus, dass es in den meisten Fällen möglich ist, trotz der unterschiedlichen subjektiven Erfahrungen festzustellen, was ein Text objektiv sagen will. Objektiv heißt hier: die einzelnen Textausleger kommen im Allgemeinen unabhängig voneinander zu übereinstimmenden Ergebnissen. Wir hoffen zum Beispiel, dass unsere Leser wenn sie diesen Absatz lesen, in etwa übereinstimmend verstehen, was wir sagen wollen. Wie funktioniert dieses Verstehen der Sprache, das ist unsere Frage.
Diese alte Hermeneutik der Textauslegung wird heute als altmodisch angesehen und ist in Vergessenheit geraten. Als 'modern' gilt die neue Universal-Hermeneutik eines Heidegger und Gadamer, die von den Verfechtern der alten Hermeneutik kritisiert wird, zum Beispiel von Hans Albert in seinem Buch Zur Kritik der reinen Hermeneutik.
Mir ist es bisher nicht gelungen, aus der mir zugänglichen Sprachwissenschaft oder Philosophie eine klare Vorstellung von dem Begriff Sinn zu erhalten, obwohl kaum ein Autor ohne dessen Gebrauch auskommt. Dieser Begriff taucht in so vielen Variationen in der Umgangssprache auf und wird dabei schon von jedem Schulkind leicht verstanden, dass anscheinend in der Wissenschaft kein Bedürfnis nach der Bestimmung seiner Bedeutung besteht.
Unterscheidung von Definition, Begriff und Kriterium
[Bearbeiten]Nun gibt es, wie wir wissen, auch keine befriedigende Definition des Wortes „Zeit“ und doch weiß jeder, was der Sinn des Wortes ist. Augustinus sagt: „Wenn du mich fragst, was Zeit ist, weiß ich es nicht. Wenn du mich nicht fragst, weiß ich es.“ Wir haben also einen brauchbaren (intuitiven) Begriff von Zeit.
Und wir haben auch ein sehr gutes Kriterium dafür, festzustellen, was Zeit ist: die Uhrzeit, die wir vom Ziffernblatt ablesen. Messen können wir sie exakt. Exakt sagen, was Zeit ist, können wir nicht.
Also: Was uns fehlt ist eine exakte Definition, aber der Sinn des Begriffs ist uns klar, und wir wissen auch, wie man Zeit misst: Es fehlt uns an nichts.
Auch die Definition von Wahrheit ist schwierig. Aber hier gibt es tatsächliche eine wissenschaftliche Definition. Sie wurde von dem polnisch-amerikanischen Logiker Alfred Tarski geliefert. Sie umfasst ein ganzes Buch. Aber suchen wir denn nach einer Definition? Was die Wahrheit betrifft genügt es, die Bedeutung des Wortes zu kennen, damit wir wissen, worüber wir sprechen, wenn wir von Wahrheit reden: „Wahrheit ist die Übereinstimmung mit den Tatsachen“. Das ist nicht die Definition, aber die Bedeutung des Wortes 'Wahrheit'. In diesem Sinne kennen wir sie aus dem Alltagsdenken. Ein Kriterium für Wahrheit gibt es übrigens nicht (siehe Münchhausen-Trilemma).
Darauf wollen wir hier nicht eingehen; denn etwas anderes ist wichtig: Wir müssen bei Wörtern wie Zeit, Wahrheit, Sinn und überhaupt bei allen Substantiven scharf unterscheiden zwischen Begriff, Definition und Kriterium (siehe Niemann, im Lexikon des Kritischen Rationalismus den Eintrag 'Begriff-Definition-Kriterium').
Wonach suchen wir hier im Zusammenhang mit Sinn? Wir suchen nach dem Begriff von 'Sinn', die Art wie wir den Sinn eines Wortes oder eines Satzes 'begreifen'. Die Suche nach dem Sinn von 'Sinn' könnte man nennen, oder nach der Bedeutung von 'Bedeutung'; denn beide Wörter sind in diesem Zusammenhang Synonyme (im Englischen 'meaning', was hier wichtig ist, da es dort eine umfangreiche Literatur zu diesem Thema gibt).
Nicht nach der strengen Definition suchen wir. Deren Fehlen stört nicht weiter, denn sie liegt auch bei dem Wort 'Zeit' nicht vor und auch bei 'Wahrheit' interessiert sie nur ganz wenige Spezialisten.
Viele Philosophen haben sich mit dem Sinn des Wortes 'Sinn' beschäftigt. Einige Philosophen des Wiener Kreises in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zum Beispiel behaupteten: Der Sinn des Satzes zeigt sich in seiner Verifikation, also in seiner Bewahrheitung. Damit meinten sie: Man muss überlegen, was den Satz wahr macht, dann begreift man, ob und welchen Sinn er hat. Also zum Beispiel, wenn man nach dem Sinne des Satzes fragt, „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ (Siehe Thomas Nagels berühmten Aufsatz „What is it like to be a Bat?“). Dazu müsste man dann wissen, wie man diesen Satz verifizieren könnte. Die Frage ist, (A) Sieht man die Sache aus der Perspektive eines Menschen? Oder (B) aus der Sicht der Fledermaus? Der Fall (A) ist verifizierbar, aber er bringt wohl nicht den vollen Sinn des Satzes zutage. Der Satz (B) ist nicht verifizierbar und in diesem Sinne werden wir den Sinn des Satzes niemals erfassen können.
Soweit die Philosophen. Sie interessieren uns nur am Rande. Denn wir wollen wissen: Wie macht es das Gehirn, um aus einer Reihe von Wörtern die Bedeutung eines Satzes zu gewinnen?
Sinn und Bewusstsein
[Bearbeiten]Wir hatten mit Turing gesagt, dass es einen engen Zusammenhang zwischen Sinnverstehen und Bewusstsein gebe. Und der Bordcomputer HAL verdeutlichte, wie entscheidend die Frage nach dem Sinnverstehen für die Frage „Existiert dort ein Bewusstsein?“ ist. Wissen wir über das Bewusstsein etwas, das Licht auf den Prozess wirft, einem Satz Bedeutung abzugewinnen? Daher jetzt einige Gedanken über den sprachlichen und über den beobachtbaren Zusammenhang zwischen Sinn und Bewusstsein.
Während der moderne Begriff vom menschlichen Bewusstsein erst von Descartes geprägt und 1719 von Christian Wolff in den deutschen Sprachraum eingeführt wurde, kam das Wort 'Sinn' schon bei den griechischen und römischen Philosophen in der Beschreibung der ganzheitlichen Erkenntnisfähigkeit der Menschen (sensus communis) zu seiner Bedeutung.
Der Gedanke eines allumfassenden Sinnes (sensus communis) wurde von Aristoteles in dem Vermögen begründet, mit dem Gegenstand zugleich die Wahrnehmung des Gegenstandes selber wahrzunehmen und daher die äußeren Sinne unterscheiden zu können. Dank dieses umfassenden Sinnes, der als ein innerer Sinn wirkt, haben wir Zugang zu dem, was den Sinnen gemeinsam ist, wie Bewegung, Ruhe, Zahl und Größe sowie deren Begrifflichkeit.
Als common sense, Gemeinsinn oder „innerer Sinn“ wurde dieser „Sensus communis“ in der alten Philosophie ausgiebig diskutiert, aber bisher noch nicht mit einer naturalistischen Theorie in Verbindung gebracht.
Parallel dazu wurde in den letzten Jahrhunderten der Begriff 'Bewusstsein' zum schillernden Leitthema der Philosophie, Psychologie, Kognitionsforschung, Linguistik usw...
Das Verhältnis von Sinn und Bewusstsein lässt sich gut an gebräuchlichen Redewendungen erkennen. Bewusstlos oder besinnungslos liegt jemand am Boden und kommt dann wieder zum Bewusstsein oder zur Besinnung. Die beiden Begriffe können hier ohne Verlust ausgetauscht werden.
Der Unterschied zwischen Sinn und Bewusstsein wird erst deutlich, wenn über Tätigkeiten gesprochen wird.
Fast jede Handlung vom morgendlichen Aufstehen bis zu den abendlichen Ritualen ist in einer Weise sinnvoll. Wenn ich gefragt werde, warum ich das und jenes tue, so kann ich eine Begründung nennen, worin ein Sinn enthalten ist.
Sinnlose Handlungen kennen wir von Kleinkindern, sinnlos Betrunkenen oder Schwachsinnigen. Da sprechen wir nie von bewusstlosen Handlungen.
Wenn ich über etwas nachsinne, sinniere, und schließlich, lange Rede, kurzer Sinn, etwas Eigensinniges sinnfällig zu Papier bringe, dann entdeckt ein Leser darin sinngemäß oder auch tiefsinnig entweder Sinn oder Unsinn, vielleicht auch Wahnsinn, Schwachsinn, Blödsinn. Die Begriffe „Bewusstsein“, „Unbewusstsein“ oder gar „Wahn-“ bzw. „Schwach-“ oder „Blödbewusstsein“ wären hier fehl am Platz.
So lässt sich mit dem üblichen Sprachgebrauch und mit dem, was wir im Alltagsleben beobachten, die Grenze zwischen Sinn und Bewusstsein umreißen.
Sinn meint immer den aktuellen Inhalt von Bewusstsein, also Strukturen und deren Verbindungen im ganzheitlichen Zusammenhang der Wahrnehmungen, Handlungen und Gefühle eines Subjektes. Wir erleben Sinn als eine Gesamtschau, die in jedem Augenblick beurteilend auf das Verhalten einwirkt, indem sämtliche Gedächtnisspuren aus der Vergangenheit und Pläne über die Zukunft, unser Weltwissen, mit der aktuellen Situation und deren Folgerungen in Einklang (oder Widerspruch) gebracht werden. Sinn ist somit die Quintessenz des Bewusstseins, die jeden Moment ein ganzheitliches Verhalten auf der Basis einer ganzheitlichen Zusammenfassung aller Wahrnehmungen, Gefühle und Gedächtnisspuren erzeugt.
Wenn ich etwas sehr bewusst, mit größter Aufmerksamkeit erlebe, muss das keineswegs sehr sinnvoll sein, z. B. der Wahnsinn des Krieges. Man kann oft beobachten, dass unser Bewusstsein durch Sinnwidriges alarmiert wird, während die vielen sinnhaltigen Wahrnehmungen und Tätigkeiten uns nicht besonders erregen, sondern eher beruhigen.
Als Beispiel für die Alarmwirkung einer sinnwidrigen Wahrnehmung vergesse ich nie den Abend im Februar 1990, an dem ich auf einen Balkon trat und in den klaren Winterhimmel schaute. Ich sah den Mond als eine schmale Sichel und war einen Moment wie verwirrt, wusste aber nicht warum, bis meine Erinnerung an den Vollmond des vorigen Abends sich meldete und mein Verstand empört sagte: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Erst der bald folgende Gedanke an die Möglichkeit einer Mondfinsternis verwandelte die sinnwidrige Beobachtung in Sinn und beruhigte mein Gemüt, nachdem eine Radiomeldung ihn bestätigte.
An dieser Erinnerung lässt sich erkennen, dass eine beliebige Wahrnehmung augenblicklich mit dem ganzen Gedächtnisinhalt verglichen werden muss, bevor sie von dem Sinn-Ganzen akzeptiert und aufgenommen wird. Das Bewusstsein ist erst beruhigt, wenn eine Wahrnehmung sich widerspruchslos in das Ganze der Gedächtnisorganisation eingliedern lässt und damit Sinn ergibt.
Ähnliche Beispiele kennt jeder Mensch aus seinem Leben, wenn eine vertraute Umgebung, ein bekannter Mensch oder das eigene Auto irgendwie geringfügig verändert, etwas Befremdendes. Das regelmäßige Ticken einer Uhr wird kaum noch bewusst wahrgenommen. Kommt die Uhr durch einen Defekt aus dem Rhythmus, so wird die Abweichung schnell bemerkt.
Mein Vorschlag, das Verhältnis von Sinn und Bewusstsein auf einen einfachen Nenner zu bringen, besteht darin, dass ich Bewusstsein als eine Tätigkeit verstehe, als bewusstes Sein, was nichts anderes bedeutet als „Sein mit deklarativem Wissen“, welches durch das Gedächtnis „in Erinnerung“ gehalten wird. Das ständige Ziel dieser Tätigkeit ist die Herstellung von Sinn aus dem ganzheitlichen Produkt aller Sinnesorgane, Gefühle und dem „Weltwissen“ im Gedächtnis.
Weil das Überleben des Individuums mit dieser Ganzheitsschau und der daraus abgeleiteten Möglichkeit zum ganzheitlich-sinngemäßen Handeln abgesichert werden soll, wirken Sinnwidrigkeiten bei der Sinnproduktion ähnlich wie der Schmerz alarmierend, aufregend, während sinnvolle Routinen mit jeder Wiederholung weniger Aufmerksamkeit erfordern, zunehmend automatisiert werden können. Das zeigt sich z. B. beim Autofahren, wo ungewöhnliche Sinnesmeldungen sofort beachtet werden müssen, während die routinierten Schaltvorgänge kaum noch wahrgenommen werden.
Wer sich noch an seine erste Fahrstunde erinnert, der weiß, wie schwierig die gleichzeitige Bedienung von Kupplung, Schalthebel, Bremse und Lenkung am Anfang war, und welche lebenswichtige Erleichterung durch die Automatisierung der Bewegungen erfolgt.
Die Beispiele von der Mondfinsternis, der befremdenden Veränderung, der kaputten Uhr und der Verkehrssituation machen deutlich, dass unser ständiges Bemühen um Sinnbildung nicht auf Kunst und Sprache beschränkt ist, sondern zunächst nur der Orientierung dient, indem alle Sinnesorgane eine ganzheitliche Verbindung mit dem Gedächtnis und den Gefühlen des Individuums erhalten und mit ihnen eine organische Einheit, den Sinn, erzeugen. Nichts spricht dagegen, dass diese lebenswichtige Tätigkeit sich im Lauf der Evolution entwickelt hat, das heißt auch: genetisch bedingt ist und einer naturalistischen Erklärung zugänglich sein muss!
Daraus ergeben sich Fragen:
1. Ist die Fähigkeit zur Sinnfindung auf den Menschen beschränkt, oder gibt es ähnliche Fähigkeiten im Tierreich?
Bei dieser Frage muss anerkannt werden, dass Lebewesen auf allen Entwicklungsstufen Vorgänge aufweisen, die uns sinnvoll im Hinblick auf die Erhaltung des Lebens erscheinen. Ein qualitativer Unterschied der menschlichen Intelligenz kann aber darin gesehen werden, dass Menschen den Sinn bewusst erfassen, das heißt im Zusammenhang mit ihrem Weltwissen und ausdrückbar und kommunizierbar mittels der Sprache.
2. Wird der Sinn von Menschen (oder eventuell auch von anderen Lebewesen) aus einer sinnlosen Umwelt als „Konstruktion“ hergestellt, oder existiert er bereits in der Natur und wird vom Menschen nur entdeckt bzw. vorgefunden?
Diese Frage wurde z. B. von dem Philosophen Nicolai Hartmann so beantwortet: „Sinn kann es nicht an sich, sondern nur „für jemand“ geben.“
Die Welt also kann keinen Sinn haben vor dem Auftreten des geistig-sinnempfänglichen und sinnverstehenden Wesens in ihr. Sinn ist hier als „erklärendes Ziel“ gemeint. Ich verstehe den Sinn der Welt, wenn ich wüsste, wozu sie geschaffen ist oder wohin sie geht usw.
Diese auch von J. P. Sartres Existenzialismus verbreitete Auffassung erscheint mir auch heute im „westlichen Denken“ allgemein gültig zu sein.
Im „östlichen Denken“ des chinesischen Taoismus begegnet uns dagegen im Begriff des „TAO“ (= Sinn) eine tiefgründige Auslegung, die zu einem gegensätzlichen Ergebnis führt.
Bekanntlich wird das Weltall in der chinesischen Philosophie auf das Wirken der beiden polaren Weltprinzipien Yin und Yang zurückgeführt. Der Sinn, chinesisch Tao, ist dasjenige, was das Spiel dieser „Kräfte“ in Bewegung bringt und unterhält. Weil dieses Etwas nur eine Richtung bedeutet, die unsichtbar und völlig unkörperlich ist, hat man im Chinesischen das Wort Tao = „Weg, Lauf“ dafür gewählt, der ja auch nichts in sich selber ist, und doch alle Bewegungen regelt.
Yin und Yang kommen nicht zum Stillstand, der Kreislauf des Werdens setzt sich dauernd fort. Der Grund dafür ist, dass zwischen den beiden Urkräften immer wieder ein Spannungszustand entsteht, ein Gefälle, das die Kräfte in Bewegung hält und zu ihrer Vereinigung drängt, wodurch sie sich immer wieder neu erzeugen. Wie das konkret geschieht, wird durch Tao, den Sinn bewirkt, ohne dass dieser dabei irgendwie in Erscheinung tritt, sein Walten ist unsichtbar.
Diese östliche Sicht enthält eine Logik, die der westlichen Auffassung fehlt:
Logisch kann eine sinnbildende Tätigkeit nur dann zur Orientierung dienen, wenn dem subjektiv offenbarten Sinn ein objektiver Sinn der Wirklichkeit zu Grunde liegt. Ohne diesen natürlichen Zusammenhang wäre Sinn sinnlos, eine private Konstruktion ohne praktischen Überlebenswert.
Bleiben wir dabei, dass die Sinnfindung eine alltägliche Lebensnotwendigkeit ist, dann können wir die Fähigkeit der Sprache, Sinn von Mensch zu Mensch weiter zu geben, als außerordentlichen Fortschritt der Evolution bewundern.
Kehren wir wieder zur Bedeutung des Sinnes in der Sprache zurück, die uns wie Ariadnes Faden durch das Labyrinth unseres Weltbildes führt.
Sprache macht Sinn zwischen Menschen mitteilbar, indem Sinn in eine genaue Reihenfolge von Sprachzeichen gegliedert wird, aus welcher er vom Empfänger rekonstruiert werden kann.
Für meinen Versuch, Sinn zu beschreiben, habe ich jetzt eine exakte Reihenfolge aus zigtausend Buchstaben, Satzzeichen und Pausen hergestellt, damit Tausende von Wörtern gebildet und mit denen eine genau durchdachte Reihenfolge von Sätzen festgelegt.
Jeder Leser ist mit Sinn bestens vertraut, selbst täglich darum bemüht, und ich kann annehmen, dass er auf bekanntem Terrain voranschritt, als er meinen Wortreihen folgend einige Gedanken über das kurze Wort Sinn in das Zentrum seiner Aufmerksamkeit stellte.
Ebenso vertraut ist jedem Menschen die Sprache. Wir behalten den Sinn im Auge, wenn wir der Fähigkeit der Sprache, Sinn zum komprimierten Ausdruck zu bringen, im nächsten Teil mit weiteren Überlegungen nachgehen.