Mathematik: Analysis: Reelle Zahlen: Eigenschaften

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In diesem Kapitel werden die grundlegenden Eigenschaften der reellen Zahlen aufgelistet. Beweisbar sind sie an dieser Stelle des Buches noch nicht, da hierzu die (auf später verschobene) Konstruktion von erforderlich ist, d. h., die Eigenschaften werden zunächst als Axiome aufgelistet, die, nachdem sie später bewiesen sind, zu Sätzen werden.

Falls der mathematische Begriff Körper für Sie neu ist, ein paar Bemerkungen: Beim Betrachten bestimmter Mengen, wie z. B. den rationalen und reellen Zahlen, stellt man fest, dass diese Mengen bestimmte Rechengesetze erfüllen müssen. Eine solche Menge, einschließlich der Rechengesetze für „Addition“ und „Multiplikation“, hat man zu dem Begriff des Körpers zusammengefasst. Ein Körper besteht also aus 3 Dingen: einer Menge, die mindestens 2 Elemente enthält und zwei Abbildungen (Addition und Multiplikation), wobei Addition und Multiplikation bestimmte, immer gleiche, Gesetze erfüllen müssen. Formal sieht das für die reellen Zahlen so aus:


Die reellen Zahlen sind ein Körper[Bearbeiten]

ist ein Körper, d. h., die Menge enthält mindestens 2 Elemente, und für alle erfüllen die beiden Abbildungen
und
 
folgende Eigenschaften (man schreibt wieder statt bzw. statt ):
  1. Das Assoziativgesetz:



  2. Das Kommutativgesetz:



  3. Das Distributivgesetzgesetz:



  4. Es gibt ein neutrales Element 0 (Null) und ein neutrales Element 1 (Eins) in , so dass für alle gilt:
    und


  5. Zu jedem gibt es ein inverses Element der Addition, , für das gilt:

    Zu jedem , , gibt es ein inverses Element der Multiplikation, für das gilt:


Aus diesen Regeln lassen lassen sich alle weiteren Rechenregeln ableiten. Aber diese Eigenschaft charakterisiert die reellen Zahlen nicht, denn auch die rationalen Zahlen bilden einen Körper.


Die Menge der reellen Zahlen ist linear geordnet, d.h., es kann bei zwei Zahlen eindeutig bestimmt werden, welche die größere und welche die kleinere ist. Diese Eigenschaft wird formal wie folgt beschrieben:

Die reellen Zahlen sind linear geordnet[Bearbeiten]

Auf existiert eine Ordnung " ≤ " . ist eine linear geordnete Menge mit folgenden Eigenschaften:
Seien mit .

  1. Dann gilt für alle :   und

  2. für alle mit :   .


Die obigen Eigenschaften der linearen Ordnung stellen die Verträglichkeit der Ordnung mit den algebraischen Eigenschaften des Körpers her. Dies wird im Kapitel über Ungleichungen ausführlicher dargestellt.

Die beiden Eigenschaften, Körper und lineare Ordnung, charakterisieren die Menge der reellen Zahlen noch immer nicht, da sie beispielsweise auch durch die rationalen Zahlen erfüllt werden. Für die folgende Eigenschaft trifft dies nicht mehr zu:


Die reellen Zahlen sind vollständig[Bearbeiten]

Die Vollständigkeit von lässt sich anschaulich durch folgende Eigenschaft beschreiben:


Seien zwei nichtleere Teilmengen von , und es sei für alle und . Dann gibt es eine reelle Zahl , so dass für alle und gilt:  


Zu dieser Beschreibung gibt es mehrere äquivalente Aussagen. Hierzu ein Beispiel:


Satz
Folgende Aussagen sind äquivalent:
Seien zwei nichtleere Teilmengen von und es sei für alle und . Dann gibt es eine reelle Zahl , so dass für alle und gilt:   Jede nichtleere nach oben beschränkte Menge reeller Zahlen besitzt ein Supremum in .


Beweis
Der Beweis hat zwei Teile. Im ersten Teil ist die linke Seite des obigen Satzes Voraussetzung, im zweiten Teil die rechte.
  1. ⇒: Sei eine nichtleere, nach oben beschränkte Menge reeller Zahlen. Zu zeigen ist, dass diese Menge ein Supremum in besitzt. Sei und { ist eine obere Schranke von }.
    Da die Menge nichtleer und nach oben beschränkt ist, sind und zwei nichtleere Mengen. Zudem ist jedes eine obere Schranke von , d. h., es gilt für alle . Damit sind die Voraussetzungen der linken Seite erfüllt: Es existiert also mit für alle und alle . Dieses ist auch schon das gesuchte Supremum, denn die linke Ungleichung besagt, dass eine obere Schranke von ist, und die rechte Ungleichung besagt, dass die kleinste obere Schranke, also das Supremum, ist.

  2. ⇐: In diesem Teil wird die Gültigkeit der rechten Seite des obigen Satzes vorausgesetzt:
    Seien zwei nichtleere Mengen reeller Zahlen, und es gelte für alle und alle . Zu beweisen ist, dass es ein gibt mit für alle und alle .
    Nach Voraussetzung ist nichtleer, und jedes ist eine obere Schranke von , da für alle und . Ein solches existiert, da nach Voraussetzung nichtleer ist. Also besitzt ein Supremum , und es gilt für alle . Da die kleinste obere Schranke in war, gilt für alle , also insgesamt für alle und alle . Genau das war zu zeigen.


Die Eigenschaft der Vollständigkeit erscheint auf den ersten Blick wenig spektakulär. Hierzu ein Gegenbeispiel:


Beispiel[Bearbeiten]

Sei { , und } und { , und }. Diese beiden Mengen grenzen offenbar ein. Offenbar gilt auch für alle und (diese Vermutung ist für einen Beweis der Existenz von nicht ausreichend und wäre ggf. zu beweisen). Aus der Eigenschaft der Vollständigkeit würde sofort die Existenz von folgen. In der Einleitung zu den reellen Zahlen wurde aber gezeigt .


Dieses Beispiel zeigt (bewiesen wurde es nicht), dass die rationalen Zahlen die Eigenschaft der Vollständigkeit nicht erfüllen.


Die Menge reellen Zahlen hat also folgende Haupteigenschaften:


  • ist ein Körper. Dies beschreibt die algebraischen Eigenschaften von .
  • Es gibt eine lineare Ordnung auf , die mit den algebraischen Eigenschaften verträglich ist, und
  • ist vollständig, d.h., zwischen zwei reellen Mengen und mit für alle , gibt es immer ein , für das gilt: .


Es stellt sich noch die Frage, was der mehrfach verwendete Begriff „charakterisiert“ bedeuten soll. Man kann zeigen, dass zwei Mengen, auf die die obigen Eigenschaften zutreffen, bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt sind. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet es in diesem Zusammenhang, dass es eine bijektive Abbildung zwischen diesen beiden Mengen gibt und diese Abbildung „additions- und multiplikationserhaltend“ ist.
Dies bedeutet, dass es gleichgültig ist, ob zuerst in der einen Menge eine Addition oder Multiplikation durchgeführt und dann das Ergebnis mit der bijektiven Funktion in die andere Menge abgebildet wird, oder zuerst die zu addierenden oder zu multiplizierenden Elemente in die andere Menge abgebildet werden und dann dort Addition oder Multiplikation durchgeführt werden.


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