Aussageform und Substitution – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“
Du hast dich vielleicht schon darüber gewundert, dass wir manchmal den Begriff „Aussage“ und manchmal den Begriff „Aussageform“ benutzen. Der Unterschied liegt darin, dass Aussageformen freie Variablen besitzen, während in Aussagen keine freien Variablen vorkommen. Doch was sind freie Variablen?
Freie und gebundene Variablen
[Bearbeiten]Variablen sind Platzhalter (Leerstellen) in einem sprachlichen Ausdruck, die für Elemente der Grundmenge stehen. Sie können durch Quantoren oder andere Operatoren gebunden werden. Die Bedeutung der gebundenen Variablen ist an den Operator gekoppelt, in dessen Wirkungsbereich sie liegen. So besagt , dass die Aussage zutrifft, egal welches Element aus dem Grundbereich für genommen wird. dagegen heißt nur, dass es wenigstens ein Element aus dem Grundbereich gibt, für das zutrifft. Eine Variable, die nicht gebunden ist, heißt frei.
So ist die Variable im Ausdruck frei und im Ausdruck durch den Allquantor gebunden. Aber nicht nur Quantoren können Variablen binden. Auch durch Mengenausdrücke der Form oder durch Summen können Variablen gebunden werden. Solltest du Summen oder Mengen noch nicht kennen: Kein Problem. Diese werden wir später behandeln. Generell gilt:
Definition (Freie und gebundene Variablen)
Eine Variable ist gebunden, wenn sie durch einen mathematischen Operator (z. B. einen Quantor) eingeführt wurde und im Wirkungsbereich dieses Operators liegt. Ansonsten ist eine Variable eine freie Variable.
Hier noch einige Beispiele:
Beispiel (freie und gebundene Variablen)
Verständnisfrage: Welche der Variablen in den folgenden Ausdrücken sind frei und welche sind gebunden?
Antwort:
Terme
[Bearbeiten]Variablen sind Platzhalter für Elemente aus einem Grundbereich. Grundbereiche in der Mathematik sind häufig die Zahlbereiche , , , oder . Es kann aber auch eine ganz andere Menge der Grundbereich sein, beispielsweise die Menge aller Menschen, Autos oder Musikinstrumente. Ausdrücke, die Elemente aus dem Grundbereich bezeichnen, werden Terme genannt. Mit Hilfe von Operationssymbolen (auch Verknüpfungen genannt) wie , und werden aus Termen weitere Terme gebildet. Zu einem Operationssymbol gehört eine natürliche Zahl als Stellenzahl, die angibt, wie viele Terme zu einem neuen Term verknüpft werden. Die Terme, die verknüpft werden, heißen Argumente, das Ergebnis der Verknüpfung Resultat.
Beispiel (Operationssymbole)
- Das Pluszeichen „“ ist 2-stellig und macht aus zwei Zahlen eine dritte, die Summe: .
- Das Vorzeichen „“ ist 1-stellig: . Das Subtraktionszeichen „“ dagegen ist 2-stellig: .
- Beim größten gemeinsamen Teiler „“ und beim kleinsten gemeinsamen Vielfachen „“ werden die Argumente in der Regel dahinter notiert: und .
- Die Potenz ist 2-stellig, aber das Operationssymbol wird gar nicht notiert. Stattdessen wird die Verknüpfung durch das Hochstellen widergegeben: .
- Der Durchschnitt „“ und die Vereinigung „“ von Mengen sind 2-stellige Verknüpfungen: und .
- Das Komplement einer Menge „“ ist 1-stellig und wird häufig hochgestellt hinter dem Argument notiert: .
- Bei mehrstelligen Verknüpfungen stehen die Argumente in Klammern hinter dem Symbol:
Bei 2-stelligen Operationssymbolen werden die Klammern weggelassen, wenn sie nicht erforderlich sind.
Definition (Term)
Terme sind sprachliche Ausdrücke, die eine Zahl oder ein anderes Objekt bezeichnen. Insbesondere sind Variable Terme. Mit Hilfe von Verknüpfungen können aus Termen weitere Terme gebildet werden.
Terme treten oftmals als Teile von Aussagen auf.
Beispiel (Terme)
Einige Terme aus diesen Beispielen enthalten weitere Terme: So enthält der Term „“ die Terme „“ und „“ und der Term „“ enthält die Terme „“ und „“.
Prädikate
[Bearbeiten]Von Verknüpfungen sind Prädikate (auch Relationssymbole genannt) zu unterscheiden. Prädikate haben wie Verknüpfungen eine Stellenzahl. Die Argumente von Prädikaten sind ebenfalls Terme, aber das Resultat ist eine Aussage oder eine Aussageform. Beispiele für Prädikate sind größer-gleich () und die Teilmengenbeziehung ().
Definition (Prädikat)
Prädikate verbinden Terme zu Aussagen bzw. Aussageformen. Sie haben eine Stellenzahl. Ist ein -stelliges Prädikat, so heißt , dass auf zutrifft. 2-stellige Prädikate werden meist zwischen die Argumente geschrieben.
Hinweis
Die Schreibweise von Prädikaten ist genau dieselbe wie bei Verknüpfungen! Es muss also aus dem Zusammenhang erschlossen werden, was von beiden gemeint ist.
Beispiel (Prädikat)
Aussageformen, Formeln
[Bearbeiten]Mit Hilfe der Begriffe freie und gebundene Variable können wir definieren, was Aussageformen sind:
Definition (Aussageform, Formeln)
Aussageformen sind sprachliche Ausdrücke mit freien Variablen, die durch Belegung dieser Variablen mit konkreten Werten in eine Aussage übergehen.
Als Oberbegriff von Aussagen und Aussageformen ist die Bezeichnung Formel üblich:
Definition (Formel)
Eine Formel ist eine Aussage oder eine Aussageform und damit ein Oberbegriff für beide Konzepte. Jede Formel ist damit entweder eine Aussage oder eine Aussageform.
Verständnisfrage: Welche der folgenden formalen Ausdrücke sind Aussagen und welche sind Aussageformen?
Antwort:
- Aussageform ( und kommen frei im Ausdruck vor)
- Aussageform ( kommt frei im Ausdruck vor)
- Aussage (keine freien Variablen)
- Aussageform ( kommt frei im Ausdruck vor)
- Aussage (keine freien Variablen)
Der Wahrheitsgehalt der obigen Aussagen und Aussageformen hängt jeweils von der gewählten oder vorgegebenen Grundmenge ab.
Substitution von Termen für Variablen
[Bearbeiten]Ersetzt man in einem Ausdruck eine freie Variable durch einen Term, so nennt man diesen Vorgang Substitution. Das kommt beispielsweise beim Lösen von Gleichungssystemen vor. Beispiel:
Aus der 2. Gleichung erhalten wir , was wir als Substitution nutzen können. Daher ersetzen wir in Gleichung 1. die Variable durch den Term und erhalten so: , woraus sich schließlich ergibt.
Beim Substituieren musst du darauf achten, dass du nur und wirklich nur freie Variablen durch den entsprechenden Term ersetzt. Gebundene und quantifizierte Variablen müssen unangetastet bleiben. Beispiel:
Beachte, dass die gebundene Variable nicht verändert wurde. Wenn im Substitutionsterm freie Variablen vorkommen, die in der Aussageform bereits gebunden sind, dann müssen diese gebundenen Variablen umbenannt werden. Es dürfen nämlich durch die Substitution keine Variablen gebunden werden, die vorher frei waren:
Im obigen Beispiel wird durch die Substitution die freie Variable neu eingeführt. Jedoch ist in der ursprünglichen Aussageform bereits durch den Existenzquantor gebunden. Deswegen muss die gebundene Variable umbenannt werden (hier in die Variable ). Würde man dies nicht tun, dann würde die freie Variable ebenfalls gebunden werden, was bei einer Substitution nicht erlaubt ist.
Definition (Substitution)
Gegeben sei ein Ausdruck mit der freien Variablen und ein beliebiger Term . Dann entsteht der Ausdruck durch die Substitution dadurch, dass alle Vorkommen von durch ersetzt werden. Sollten durch die Substitution freie Variable gebunden werden, so sind die gebundenen Variablen vorher umzubenennen.
Eine andere Schreibweise für diese Substitution ist , für den substituierten Term .
Verständnisfrage: Wie lauten folgende Aussageformen beziehungsweise Aussagen nach der Substitution?
- für die Substitution
- für die Substitution
- für die Substitution
- für die Substitution
Antwort:
- . In der Aussage ist keine freie Variable und kann daher nicht ersetzt werden.
Verständnisfrage: Wieso können sich Aussagen durch eine Substitution nicht ändern?
Weil Aussagen per Definition keine freien Variablen besitzen und nur freie Variable substituiert werden, bleiben Aussagen bei einer Substitution unverändert.