Sozialklima von Gruppen: Definitionsansätze und Theorien
I.:
Einführung |
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Definitionsansätze
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Frühe Ansätze
[Bearbeiten]Bei einer Forschungsrichtung, die schon relativ viel empirische Arbeiten vorgelegt hat, kann man eine ausführliche Diskussion über Definitionen ihres grundlegenden Konzeptes erwarten. Das Sozialklima wurde aber meist stillschweigend als schon endgültig definierte Basis aller Forschungen angesehen. So verwundert es nicht, wenn JAMES & JONES von einer eklatanten Diskrepanz zwischen der Popularität der Klimaforschung und der Uneinheitlichkeit der Definitionen sprechen (1974; s.a. BOOCOCK, 1973; NIELSON & KIRK, 1974). Die Autoren folgern daraus, dass es keine allen Ansprüchen gerecht werdende Definition von Sozialklima geben wird. Schraubt man die Ansprüche allerdings nicht so hoch, dann kann man auf dem schwierigen Felde der Begriffsdefinition einen Schritt weiterkommen.
Wenn ein psychologisches Konstrukt für menschliches Verhalten bedeutsam ist, so findet sich dieses meist in irgendeiner Form in der Alltagssprache wieder. Dieser Bezug zur Umgangssprache ist nicht neu (vgl. ALLPORT & ALLPORT, 1921; v.FRIEDEBURG, 1966), aber anschaulich. Auch das Sozialklima ist umgangssprachlich schon längst erfasst und wird meist dort angesprochen, wo Urteile über Institutionen oder Gruppen irgendeine Rolle spielen. Begriffe wie 'Betriebsklima', 'Klimazone', 'Atmosphäre', 'Corpsgeist', 'Klassengeist', 'Ethos', 'Stimmung' (RUTTER & MAUGHAN, 1980) sprechen für sich (DREIKURS, 1971; GÖTTE, 1962; MEISTER, 1965; WITTE, 1979).
Diese "überindividuelle, sozialpsychologische Äußerungsform" (GÖTTE, 1962, 33) wird aber auch in früheren wissenschaftlichen Ansätzen kaum präziser gefasst. Einmal ist es die Summe der Einstellungen und Verhaltensweisen (GÖTTE, 1962, 35), "mehr oder minder klare und unausgesprochene Meinungen, Gefühlsreaktionen, Verhaltensweisen, also ... subjektive Momente ..."(ADORNO & DIRKS, 1955, 9) zum anderen der emotionale 'tone' einer Gruppe (WITHALL, 1949, 348) sowie einfach ein 'Gesellungstrieb' (P. LERSCH), 'feel' (THOMAS, 1976), 'Gemeinschaftsgefühl' (A. ADLER, s. KAISER, 1977). über das Sozialklima haben - freilich unter anderen Begriffen - schon bedeutende Pädagogen, wie z.B. PESTALOZZI ('Erziehungsraum von Vertrauen und Liebe') und andere reformpädagogische 'Klassiker' (FRÖBEL, ROUSSEAU), nachgedacht, die alle die "Klassengruppe als eine Identität" (HEILAND, 1979) gesichert sehen wollten.
Es lagen also schon seit langem Begriffe für das Sozialklima vor, aber erst nach einer gewissen Ausdifferenzierung von Forschungsfragen und einer Hinwendung zur analytischen Sichtweise von Wissenschaft wurde die Notwendigkeit erkannt, den Begriff schärfer zu fassen, als bisher geschehen. Alleine durch historische Bezüge und aneinandergereihte Synonyme des Sozialklimas ist dieses noch nicht definiert. Dem Begriff und der Definition gelten die nächsten beiden Abschnitte.
Zum Begriff 'Klima'
[Bearbeiten]Der Begriff 'Klima' fand schon relativ früh Verwendung für die Beschreibung von Gruppenphänomenen; das 'Betriebsklima' ist in diesem Zusammenhang vermutlich der älteste Begriff. Der Eingängigkeit und Plausibilität dieses Begriffes ist es wohl auch zuzuschreiben, dass man - wenn auch nicht grundsätzlich in der Alltagssprache - den Begriff 'Klima' als Adaption aus der Meteorologie beibehalten hat.
'Klima' kommt vom griechischen 'Klinein', was mit 'neigen' übersetzt werden kann. ARISTOTELES verwendete diesen Begriff für die Neigung einer Landschaft gegen die einfallende Sonnenstrahlung. Klima wird heute als 'mittlerer Zustand' aller meteorologischen Erscheinungen während eines bestimmten Zeitraumes bezeichnet (JOLK, 1957). CHEMNITZ (1978) beschreibt die Adaption des Begriffes auf den sozio-emotionalen Bereich sehr genau, so dass darauf hier nicht mehr weiter eingegangen werden muss.
Die Definition des Sozialklimas
[Bearbeiten]Die naiv-psychologischen Vorstellungen über das Sozialklima sind als allgemeiner Umriss des Problems sicher geeignet, können aber wegen ihres Allgemeinheitsgrades nicht zur Grundlage wissenschaftlicher Arbeit dienen. CHEMNITZ weist darauf hin, dass dem Sozialklima eine 'Ganz- oder Komplexqualität' zukomme, was man gerade bei der Definition berücksichtigen müsse. Er formuliert: "Sozio-emotionales Klima ist die Bezeichnung für ein Gruppenphänomen, das typisch für eine Gruppe ist und als diffus-gefühlsartige Ganz- oder Komplexqualität einer Gruppe zu eigen ist" (1978, 119).
Diese Betonung des 'diffus-Gefühlsartigen' findet sich schon bei WITHALL (1949) und PERKINS (1951). In der neueren Klimaforschung allerdings wird dieser Aspekt - außer bei CHEMNITZ- nicht mehr betont. Denn die undifferenzierte Beschreibung von affektiven Gruppenprozessen durch 'Lust/Unlust' und 'Erregung/Beruhigung' reicht bei den aktuellen pädagogischen Fragestellungen schon lange nicht mehr aus.
Es ist schwierig, eine formale Definition so zu konstruieren, dass sie nicht trivial, sondern gebrauchsfähig wird. Ein möglicher Ausweg besteht darin, das Konzept dort, wo möglich, zu spezifizieren. CHEMNITZ beispielsweise schlägt deshalb den Begriff 'sozio-emotionales Klima' vor, da dieser den Sachverhalt am besten träfe (1978, 117f). Dieser Begriff unterscheidet sich von dem des Sozialklimas eigentlich nur in der Betonung des emotionalen Aspektes. CHEMNITZ nahm einen Transfer von seiner Methode (Klima erhoben durch Fragen nach der 'Stimmung' des Einzelnen) auf den Begriff vor. Im folgenden werden Definitionsbestandteile des Begriffes Sozialklima diskutiert, um einer möglichen endgültigen Definition näher zu kommen.
a) Bezugsrahmen
In der Literatur ist der Begriff des Klimas immer in einen bestimmten Zusammenhang gestellt worden: Schulklima (z.B. FEND, 1977), Klassenklima (z.B. MEISTER, 1978) oder auch Klassengeist (SPECHT & FEND, 1979) sowie Unterrichtsklima (z.B. DREESMANN, 1980a). CHEMNITZ (1978) referiert nahezu zehn verschiedene Bezeichnungen für dieses Konstrukt. Schulklima z.B. unterscheidet sich von Klassenklima durch folgende Kriterien: Es umfasst thematisch andere Bereiche (Schulleitung etc.) und es ist eine weitere, hierarchisch höhere Organisationsform. Damit ist Klassenklima nicht Ausschnitt des Schulklimas (so PEKRUN, 1983, 86), sondern hat eine hierarchisch tiefer liegende eigenständige Qualität.
Nun wird man sich fragen müssen, wieso in dieser Arbeit der Begriff des 'Sozialklimas der Klasse' verwendet wird und nicht der des Klassen- oder Unterrichtsklimas. Klassenklima reduziert den Klimabegriff allzu sehr auf die institutionelle Funktion der Klasse. Dabei wird nicht deutlich genug, dass die Klasse als Gruppe - wie noch zu zeigen sein wird - in vielerlei Hinsicht eine sozialpsychologische Einheit wie jede andere Gruppe in anderem Zusammenhang ist. Hinzu kommt, dass das Sozialklima einer Klasse auch von exogenen Faktoren abhängig ist und nicht - wie der Begriff Klassenklima suggeriert - ein in sich geschlossenes System ist.
Unterrichtsklima ist eine restriktive Bezeichnung. Sie schränkt das Sozialklima auf einen zeitlich-geographischen Raum ein, wobei übersehen wird, dass Aspekte des Sozialklimas nicht nur vom Unterricht abhängen, sondern auch von nicht rein unterrichtlichen Faktoren wie z.B. die Schüler-Schüler-Beziehungen. Eine weitere - noch auszudifferenzierende - Folge ist, dass Forscher dabei die starke Konfundierung von Fach (Unterricht) und Lehrer übersehen (s. z.B. DREESMANN, 1980a).
b) Kontinuität
Personen, die einen meteorologischen Zustand als Klima bezeichnen, machen damit u.a. deutlich, dass keine Möglichkeit besteht, diesen Zustand zu ändern. Das meteorologische Klima ist personenunabhängig (falls man nicht menschengemachte Veränderungen wie z.B. Smog dazuzählt). Das soziale Klima hingegen ist eher eine Beschreibung eines sozialpsychologischen Zustandes, wobei die Personen als Gruppe weitgehend die alleinigen Urheber dieses Klimas sind. Das Sozialklima ist demnach personenabhängig, hat also eine andere Qualität als der meteorologische Begriff.
Der Bedeutungsumfang des Begriffes Sozialklima umfasst den Begriff 'Kontinuität', allerdings weniger stark als beispielsweise der Begriff 'Kultur'. Mit der oben angesprochenen Analogie des Sozialklimabegriffes zum Begriff des Klimas aus der Meteorologie hat sich DIEDERICH (1984) eingehend beschäftigt. Seine Hauptkritik besteht darin, dass die subjektiv erlebte Umwelt lange nicht so konstant ist, wie es der Klimabegriff suggeriert. Schulische Wirklichkeit wandele sich ständig und sei in Teilbereichen und über die Zeit verschieden. In der Klimaforschung aber würden von den Schülern Generalisierungen über die Zeit verlangt, quasi nur aggregierte Werte erfragt. Treffender sei der Begriff des 'Wetters', da dieser der schulischen Realität näher käme (vgl. dazu aber CHEMNITZ, 1978). Diese Kritik DIEDERICHs ist nicht ganz unbegründet. In der Tat verläuft die Sozialklimaforschung in der von ihm charakterisierten Weise. Die Frage ist nur, ob DIEDERICH und die bisherige Sozialklimaforschung die gleichen Ziele verfolgen. DIEDERICH bevorzugt die Erhebung und Analyse kurzfristiger Einflüsse und Ereignisse. Der Klimaforschung allerdings ging es immer um langfristige Wirkungen (vgl. LINDGREN, 1974: Sozialklima als 'langfristige Atmosphäre'; s.a. PEKRUN, 1983, 66) , manchmal in der Spannbreite eines ganzes Schuljahres. Es geht im letzten Ansatz - wie DIEDERICH richtig feststellt - um generalisierte Ansichten der Schüler über ihre subjektiv erlebte Umwelt. In den verschiedensten Theorien werden aber gerade diese generalisierten Ansichten und Erwartungen herangezogen, um zukünftiges Verhalten zu prognostizieren. Eine Darstellung dieser Theorien wird noch folgen (s. Kap. 2.4). Der Begriff des Sozialklimas umfasst in seiner Bedeutung sicherlich mehr als sein meteorologisches Pendant. Bedeutungsverschiebungen und Erweiterungen sind unvermeidlich, resultierende Probleme werden aber durch eine eindeutige Definition vermieden.
c) Klima als molarer Begriff
Klima bezieht sich auf alle Mitglieder einer Gruppe und wird damit ein für alle Gruppenmitglieder übergreifender Begriff. Dies wird mit allen Vor- und Nachteilen durch die Definition von DREESMANN (1980) deutlich. Er definiert das Sozialklima als den "gemeinsamen Erlebensanteil der Schüler einer Klasse" . Man kann diese Definition in etwa wie folgt darstellen (s. Abb. 2.1):
Beide Klassen (N(1) = 4, N(2) = 4) zeichnen sich durch ein verschieden starkes Klima aus. Klasse 1 hat ein gering ausgeprägtes Klima (=schwarzes Quadrat in der Mitte), in Klasse 2 ist das Bild stark verschoben: es gibt insgesamt ein stark ausgeprägtes Klima, aber Schüler 3 und 4 haben keine gemeinsame subjektive Wahrnehmung der Lernumwelt im Gegensatz zu z.B. Schüler 1 und 2. Diese Art der Definition ist nicht neu. ALLPORT & ALLPORT haben bereits 1928 diese Übereinstimmung von Beurteilern als Maß zur Bewertung von Persönlichkeitseinschätzungen eingeführt. Eine inhaltliche Bestimmung des Klimas wird durch diese Definition nicht gegeben.
d) Mehrdimensionalität
Eine solche ist theoretisch bisher noch nicht abgeleitet worden, d.h., dass die Inhalte des Klimabegriffes meist empirisch (z.B. bei der Konstruktion von Fragebogen) ermittelt wurden, wie z.B. 'Kohäsion', 'Wettbewerbsorientierung', 'Kooperation' und viele andere mehr (s. MOOS, 1974a). Man muss sich vorstellen, dass jede der beiden Darstellungen in Abb. 2.1 nicht für das Klima allgemein gilt, sondern für einzelne Klimadimensionen (z.B. Kohäsion und wahrgenommene Schwierigkeit des Unterrichts) stehen kann. Theoretisch kann das schwarze Quadrat in der Mitte sogar ganz verschwinden, das Klima ist dann 'nicht existent'. Man muss davon ausgehen, dass das Sozialklima verschiedene Umweltdimensionen gleichzeitig umfassen kann.
e) Differenzierungsfähigkeit
Sozialklima ist ein Begriff zur Beschreibung von Gruppen, womit untrennbar verbunden ist, dass dieser Begriff zwischen Gruppen unterscheiden kann. Wenn er dies nicht könnte, würde er als Definitionsbestandteil von Gruppe unfruchtbar sein.
In Anlehnung an SYDOW & CONRAD (1982) soll folgende Definition Ausgangspunkt weiterer Überlegungen sein:
Das Sozialklima von Schulklassen als hypothetisches Konstrukt ist
- ein auf die Schulklasse bezogenes,
- differenzierendes,
- relativ überdauerndes,
- molares und
- mehrdimensionales Aggregat subjektiver Wahrnehmung und kognitiver Verarbeitung von situationalen Reizen, das sich in der Beschreibung von Umwelten, Strukturen und Verhalten in der Schulklasse bzw. in einem ihrer Subsysteme (z.B. Cliquen) durch das Individuum widerspiegelt und die Bildung von Einstellungen zur Lernsituation sowie individuelles Verhalten beeinflusst.
Der zweite Teil dieser Definition soll erst einmal dahingestellt sein. Er enthält allerdings auch nur Aussagen zur Entstehung und Wirkung des Sozialklimas, etwas, was nicht unbedingt in eine Definition gehört.
Klima ist also ein relativ überdauernder Aspekt der Umwelt, der von den Handelnden erfahren wird, Ihr Verhalten beeinflusst und durch bestimmte charakteristische Begriffe der Umwelt beschrieben werden kann (TAGIURI, 1968).
Neben dieser Definition gibt es noch einige 'Ausreißer', die Sozialklima gänzlich anders definieren. Schon das Studium des Inhaltsverzeichnisses des einschlägigen Werkes von DUNKIN & BIDDLE (1974) macht deutlich, dass 'climate' in einem anderen Sinnzusammenhang verwendet wird als in dem, wie er bisher gebraucht wurde. 'Climate' umschreibt dort die Führungsstilforschung, formelle und informelle Normen sowie Sozialstrukturen der Klasse im allgemeinen Sinne. All diese Faktoren beeinflussen das Sozialklima, sind aber kein Bestandteil von diesem.
Nun könnte man annehmen, dass der Klimabegriff einer Wandlung unterlegen war und dass dieser Begriff heute eindeutig auf Lernumweltaspekte und deren Wahrnehmung begrenzt ist. Dem ist leider nicht so: HOFFMANN (1973) schreibt über Klima, meint aber Techniken der Verhaltensmodifikation. KÖTTL & SAUER (1980) erheben soziometrische Strukturen und bezeichnen diese als soziales Klima.
CHEN & FRESKO (1978) bezeichnen mit 'school climate' die Selektionsrate einer Schule. Auch hier muss wieder gesagt werden, dass die Selektionsrate eine wichtige Kontextvariable ist und wohl auch Einfluss auf das Sozialklima haben wird, aber beide Begriffe kann man nicht synonym behandeln. Auch in seiner grundsätzlich positiv zu bewertenden Arbeit definiert SCHREINER (1973) Sozialklima etwas außerhalb des wissenschaftlichen Konsens als die "Gesamtheit der sozialen Erfahrungen von Schülern und Lehrern in der Schule" (1973, 134). Das Sozialklima hängt sicher mit den sozialen Erfahrungen interdependent zusammen, ist aber mit diesen nicht gleichzusetzen.
In neueren Arbeiten schlägt man vor, „je nach Fragestellung der Untersuchung, zwischen drei Formen der Anwendung des Klimabegriffs zu unterscheiden“ (GREWE 2003, S. 14).
Der erste Typus, das psychologische (auch: individuelle) Klima, basiert auf der Wahrnehmung der Umwelt durch den Einzelnen (vgl. EDER 1996, S. 27). Da das Individuum in Interaktion mit anderen Personen einer Gruppe steht, ergibt sich dieses Klimakonstrukt nicht nur aus der Wahrnehmung des Einzelnen, sondern auch aus kollektiv geteilten sowie kommunizierten Wahrnehmungen (vgl. S. 27). Einen Beleg dafür liefert EDER (1996, S. 212).
Den zweiten Typus bezeichnet der Autor als aggregiertes Klima, welches den Durchschnitt individueller Wahrnehmungen durch Mittelwertbildung angibt (vgl. S. 27). Ein solches Klima ist in der Realität jedoch nicht vorhanden, es sei denn, die Schulmitglieder stimmen wirklich in ihren Wahrnehmungen überein, da sie diese reflektiert haben (vgl. DREESMANN, EDER, FEND, PEKRUN, SALDERN, WOLF 1992, S. 664).
Ein solches Klima wäre der dritte Typus, das kollektive Klima, das durch gemeinsam geteilte Wahrnehmungen auf der Basis von Kommunikation und Interaktion entsteht (vgl. EDER 1996, S. 27).
In der zurückliegenden Diskussion wurde mehr oder minder nur Literatur aus dem pädagogisch-psychologischen Bereich berücksichtigt. Dies scheint im ersten Anlauf legitim, aber bei genauerer Sicht eine Vernachlässigung von Befunden aus anderen Forschungstraditionen zu sein. Aus diesem Grunde wird im nächsten Abschnitt eine Übersicht über Sozialklimaansätze in der Organisationspsychologie erstellt.
Exkurs: Der Sozialklimabegriff in der Organisationspsychologie
[Bearbeiten]Es kann bei der derzeitigen Literaturlage kein Zweifel daran bestehen, dass das Sozialklima oder ähnliche Konstrukte in der Organisationspsychologie eine ältere Tradition haben als im weiteren Umfeld der Schulpsychologie oder -pädagogik. Diese sehr viel früher vollzogene Rezeption des Klimabegriffes in die Organisationslehre ist historisch dadurch bedingt, dass LEWIN während seiner Forschungstätigkeit am 'Massachusetts Institut of Technology' (MIT) intensiv und erfolgreich mit Industrieunternehmen zusammengearbeitet hat. Und dies in einer Zeit des massiven Taylorismus, der - wie bekannt - den 'homo oeconomicus' als Leitbild seiner Ideologie verfocht.
So hat sich - wie SYDOW (1981) feststellt - das Klimakonzept auch zuerst im angloamerikanischen Bereich und erst später im deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Es fällt zudem auf, dass in der organisationspsychologischen Literatur die Rolle des Sozialklimas als zentraler Bestandteil in der Erklärung des Organisationsverhaltens gesehen wird, was sich in den folgenden zu beschreibenden Modellen niederschlägt.
Definitionsansätze in der Organisationspsychologie
[Bearbeiten]Ältere deutschsprachige Definitionsansätze zum Betriebsklima wurden schon an anderer Stelle angesprochen (s. Kap.1). Innerhalb der Organisationspsychologie bzw. Managementlehre scheint es große Meinungsverschiedenheiten über den Begriff des Organisationsklimas zu geben (DESSLER, 1976; s.a. CONRAD & SYDOW, 1981).
CAMPBELL et al. (1970, 390) definieren das Klima als eine "Menge von Attributen und Erwartungen", die die Organisation beschreiben (s.a. HELLRIEGEL & SLOCUM, 1976). DESSLER betont die Wahrnehmung verschiedener Dimensionen der Organisationsumwelt durch die Individuen (1976, 187; s.a. GIBSON et al., 1973). Das Organisationsklima wird auch als 'Persönlichkeit' oder 'Charakter' einer Organisation bezeichnet, eine Zuschreibung, die auch von MOOS präferiert wird (DUBRIN, 1974; PORTER & LAWLER, 1975). Oft wird in diesem Zusammenhang von Eigenschaften, Charakteristika und Attributen gesprochen, die wahrgenommen werden (HUSE & BOWDITCH, 1977; KELLY, 1974; NEUBERGER, 1977) und die das Verhalten des Einzelnen und der Gruppe beeinflussen (GIBSON et al., 1973; GILMER & DECI, 1977; HELLRIEGEL & SLOCUM, 1976; HODGETS & ALTMANN, 1979; ROSENSTIEL, 1980; STAEHLE, 1980; STEERS, 1977).
Wesentlich an diesen Teildefinitionen sind vor allem zwei Aspekte:
- Klima ist eine Menge (Summe) von wahrgenommenen Merkmalen,
- Klima beeinflusst das Verhalten.
Diese beiden Aussagen sind deshalb wichtig, da sie Gegenstand heftiger Diskussionen gewesen sind, wie später noch zu zeigen sein wird. Zwei Autoren ergänzen die Definitionen des Organisationsklimas um folgende Bestandteile:
- das Klima einer Organisation unterscheidet sich von dem anderer Organisationen,
- das Klima ist relativ überdauernd,
- das Klima ist die Folge von Verhalten der Mitglieder einer Organisation sowie der Regeln und Bestimmungen dieser Organisation(DUBRIN, 1974; WEINERT, 1981).
Man hat keine Mühe, diese Erkenntnisse auch in der schul- bzw. klassenbezogenen Klimaforschung wiederzufinden. Z.T. treten in der Managementliteratur recht exotische Bezeichnungen für das Sozialklima auf ('Zeitgeist einer Organisation', KELLY, 1974) oder das Sozialklima wird auf bestimmte eingegrenzte Verhaltensbereiche bezogen, wie das z.B. HOFFMANN (1980) für das Konfliktverhalten tut. Weitgehende Einigkeit scheint darüber zu bestehen, dass das Organisationsklima ein Konzept mit subjektivem Charakter ist, wobei es Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu der parallel verlaufenden Forschung zur Arbeitszufriedenheit zu geben scheint (NEUBERGER, 1974a,b; SYDOW, 1981; GEBERT & ROSENSTIEL, 1981).
Zur Zentralität des Organisationsklimas in betriebsorganisatorischen Modellen
[Bearbeiten]Es fällt ins Auge, dass Organisationspsychologen und Betriebswirtschaftler - letztere wohl aufgrund ihrer weitgehend anerzogenen kybernetischen Denkweise - dem Klima innerhalb von Organisationsprozessen eine eindeutige Rolle zuweisen und dies auch graphisch auszudrücken versuchen, jedenfalls weit öfter, als dies in den pädagogischen Wissenschaften geschieht. Dabei kann man zwei grundsätzliche Interpretationsrichtungen unterscheiden: Einmal ist das Organisationsklima eher peripher ausgelagert und 'durchdringt' alle Bereiche der Organisation, zum anderen wird das Klima zum zentralen Bestandteil des Ablaufes von Organisationsprozessen.
Zur ersten - kleineren - Gruppe gehören die Arbeiten von CAMPBELL et al. (1970), DUBRIN (1974) und BLEICHER & MEYER (1976). Stellvertretend hierzu ist das Modell von CAMPBELL et al. in Abb. 2.2 wiedergegeben.
In diesem Modell wird deutlich, dass das Klima als Indikator für Organisationsprozesse gewertet wird (s. hierzu besonders BLEICHER & MEYER, 1976). Unklar bleibt, wo in diesem offenen System etwas geändert werden könnte, um das Klima evtl. zu verbessern. Dieses Problem ist bei den Modellen der zweiten Gruppe leichter zu lösen, da hier dem Klima innerhalb der Organisation eine eindeutige Funktion zugewiesen wird. So z.B. bei DESSLER (1976, s. Abb. 2.3), der in seinem recht einfachen Modell die intervenierende Rolle des Klimas deutlich macht (s.a. FRESE, 1980; HUSE & BOWDITCH, 1977 und das Modell von STEERS, 1977, 104).
In DESSLERs Modell wird besonders die sozialpsychologische Rolle des Organisationsklimas hervorgehoben. GIBSON et al. (1973) machen den intervenierenden Charakter des Klimas besonders deutlich (s.Abb. 2.4).
Ebenso differenziert sehen HELLRIEGEL & SLOCUM (1976) die Stellung des Klimas, wie in Abb. 2.5 deutlich wird.
Dieses Modell fällt durch die konsequente Verwendung von Doppelpfeilen auf. Dies bedeutet, dass zwischen den Komponenten keine Kausalbeziehungen angenommen werden, sondern es werden ausschließlich Interdependenzen favorisiert. Dies macht die empirische Fundierung durch evtl. gewünschte Effektschätzungen im Gegensatz zum Modell von GIBSON et al.(1973) nicht gerade einfacher.
Ein Modell von HODGETTS & ALTMANN (1979) wirft eine ganz andere Perspektive auf. Hier wird das Organisationsklima synthetisch auf die verschiedenen Managementebenen (Top, Middle, Lower) bezogen. Dieses Modell (Abb. 2.6) ließe sich evtl. auf ähnliche Analyseebenen im Schulsystem beziehen - ein Gedanke, der später noch einmal aufgegriffen wird (s. Kap.4).
Innerhalb der Organisationspsychologie ist die wichtige Rolle des Sozialklimas erkannt. Diese kurze Übersicht über verschiedene Modelle zeigt allerdings ein gravierendes Maß an Unsicherheit in der Erklärung darüber, wie und wo das Sozialklima die Organisation beeinflusst. Ein Rückgriff auf vorliegende Theorien erscheint damit unerlässlich. Dabei sollten diejenigen Theorien berücksichtigt werden, die sich zur Erklärung menschlichen Verhaltens mit dem Begriff Umwelt im weitesten Sinne auseinandersetzen.
Zusammenfassung und Überleitung
[Bearbeiten]Wie oben im vorangegangenen Abschnitt dargestellt wurde, gestaltet sich die Erforschung des Sozialklimas durch ungenaue Begrifflichkeit besonders problematisch. Einerseits ist das Phänomen erkannt und propädeutisch auch benannt, andererseits aber gerade deshalb wissenschaftlich kaum abgrenzbar. Dem Begriff haften Konnotationen (überdauernd, sozial, gruppenbezogen) an, die durch eine Arbeitsdefinition erfasst sind. Trotz mancher Kritik findet die Definition des Sozialklimas als 'gemeinsame Erlebensweise' von Mitgliedern einer Gruppe oder Institution einen breiten Konsens. Eine Diskussion über vorliegende Theorien zur Erklärung menschlichen Verhaltens sollte hier noch offene Probleme klären helfen.
Wie hinlänglich bekannt ist, wurden vorerst zwei unabhängige Erklärungsbereiche herangezogen: personenabhängige und personenunabhängige (=umweltabhängige ) Merkmale. Nachdem die dieser Dichotomie zugehörigen Theorieansätze (Personalismus vs. Situationalismus) nicht die erwünschte Erklärungskraft nachweisen konnten, wurde die gegenseitige Abhängigkeit beider in den Mittelpunkt gerückt. Auf diese als Interaktionismus bekannte Richtung und die dazugehörigen Vorläufer soll im folgenden hingearbeitet werden, da nur auf diesem Wege die theoretische Fundierung des Konzeptes 'Sozialklima' deutlich werden kann.
Allerdings muss vorher eine notwendige Einschränkung gemacht werden: Den verhaltenstheoretischen Ansätzen, in denen die Umwelt oder Situation als Erklärungsvariable mit einbezogen wird, geht es vorwiegend um die Klärung individuellen Verhaltens und damit auch um die individuell subjektive Wahrnehmung der Umwelt. Sozialklima als Gruppenphänomen wird nicht angesprochen. Dies wird Aufgabe des 3. Kapitels sein. JAMES & JONES (1974) unterscheiden aus diesem Grunde auch das (individuelle) 'psychological climate' und das 'organizational climate' als Gruppenphänomen. Da ersteres aber unbestreitbar ein Fundament des letzteren ist, ist es auch gerechtfertigt, diejenigen Ansätze und Theorien genauer zu analysieren, die etwas zur subjektiven Umweltwahrnehmung zu sagen haben.