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Konvergenz und Divergenz beweisen – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Aus Wikibooks

In diesem Kapitel wird erläutert, wie man die Konvergenz und Divergenz einer Folge beweisen kann. Normalerweise teilt sich diese Arbeit in zwei Arbeitsschritte auf: Zunächst versucht man auf einem Schmierblatt, eine Beweisidee zu finden, die man danach im zweiten Schritt in einem Beweis umsetzt und ins Reine schreibt. Dabei ist oftmals der Lösungsweg auf dem Schmierblatt ein völlig anderer als die letztendliche Beweisargumentation. Dies werden wir auch bei den Beispielaufgaben in diesem Kapitel sehen.

Jedoch gibt es kein Schema F zur Lösung von Grenzwertaufgaben! Auch wenn ich dir in diesem Kapitel einige Tipps und Tricks mit an die Hand gebe und dir im Studium auch immer wieder neue Lösungen für Konvergenzaufgaben begegnen werden, wirst du auf Übungsaufgaben stoßen, bei denen die bisher gelernten Lösungsstrategien nicht funktionieren. Hier musst du selbst kreativ werden und auf Basis der dir bereits bekannten Sätze versuchen, neue Lösungswege zu finden. Dies ist aber gewollt. Denn du sollst im Mathematikstudium lernen, innovative Lösungsstrategien für neue Problemtypen zu entwickeln :).

Beweise für Konvergenz führen

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Beispielhafter Beweis der Konvergenz einer Folge mit der Epsilon-Definition des Grenzwerts

Allgemeine Beweisstruktur

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Bevor wir uns einer konkreten Beispielaufgabe zuwenden, ist es sinnvoll, die allgemeine Beweisstruktur für die Konvergenz einer Folge zu verstehen. So weiß man nämlich, wie der finale Beweis aussehen muss. Die Konvergenz der Folge gegen wird durch folgende Aussage beschrieben:

Diese Aussage gibt die allgemeine Beweisstruktur vor:

Der Satz „ existiert, weil…“ kann im Übrigen entfallen, wenn dies offensichtlich ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn explizit angegeben wird und klar ist, dass eine natürliche Zahl ist.

Beispielaufgabe und allgemeines Vorgehen

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Die Beispielaufgabe lautet

„Konvergiert die Folge mit ? Wenn ja, gegen welchen Grenzwert? Beweise alle deine Behauptungen.“

Der Lösungsweg involviert folgende Schritte:

  1. Grenzwert finden
  2. notwendige Beweisschritte auf Schmierblatt finden
  3. Beweis nach obiger Beweisstruktur aufschreiben

Grenzwert finden

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Zunächst müssen wir bestimmen, ob die Folge konvergiert und welchen Grenzwert sie im Fall der Konvergenz besitzt. Hierzu bieten sich folgende Techniken an:

  • Erste Folgenglieder berechnen: Du kannst die ersten Folgenglieder berechnen und gegebenenfalls in ein Diagramm einzeichnen. Möglicherweise bekommst du so schon Ideen über die Eigenschaften der Folge und über einen möglichen Grenzwert.
  • Große Folgenglieder ausrechnen: Mit einem Taschenrechner oder einem Computer kannst du sehr große Folgenglieder ausrechnen. Liegen all diese Folgenglieder in der Nähe einer bestimmten reellen Zahl? Dann könnte diese Zahl der Grenzwert der Folge sein.
  • Mutmaßungen anstellen: Du kannst deine Intuition verwenden, um den Grenzwert zu erraten. Du kannst aber auch Überlegungen anstellen, was der Grenzwert sein müsste.

Fangen wir also damit an, die ersten zehn Folgenglieder von zu berechnen:

1 0,5
2 0,666…
3 0,75
4 0,8
5 0,833…
6 0,857…
7 0,875
8 0,888…
9 0,9
10 0,909…

Diese können wir in einem Diagramm einzeichnen:

Die ersten zehn Folgenglieder der Folge a_n=n/(n+1)
Die ersten zehn Folgenglieder der Folge a_n=n/(n+1)

Wir sehen, dass die ersten Folgenglieder monoton steigen, wobei der Anstieg zwischen den Folgengliedern immer kleiner wird. Wir können deswegen vermuten, dass die Folge konvergiert. Ein klarer Kandidat für einen Grenzwert ist noch nicht erkennbar. Hierfür können wir hohe Folgenglieder ausrechnen, weil diese in der Nähe des Grenzwerts liegen müssten. Es ist

und

Große Folgenglieder liegen also in der Nähe von und deswegen liegt die Hypothese nahe, dass der Grenzwert der betrachteten Folge ist. Aber auch folgende Überlegungen stützen diese Hypothese: Wenn sehr groß ist, dann ist , weil die Addition von eins bei großen Zahlen kaum etwas am Wert ändert. Es müsste also gelten

Wegen diesen Betrachtungen kommen wir zur Hypothese, dass der Grenzwert der Folge ist.

Warnung

Obige Argumentationen erfüllen nicht die Voraussetzungen eines gültigen Beweises. Durch sie kann nur eine Vermutung gewonnen werden, was der Grenzwert einer Folge sein könnte. Einen Beweis musst du danach immer gesondert führen.

Beweisschritte finden

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Der Kern des Beweises ist die Abschätzung . Um diese zu finden, fängt man am Besten mit dem Betrag an und versucht diesen so lange zu vereinfachen und nach oben abzuschätzen, bis man einen Ausdruck findet, der kleiner als ist. Bei den Abschätzungen dürfen wir beliebige Bedingungen für der Form stellen, wobei eine natürliche Zahl ist, die nur von und abhängen darf ( darf also nicht von abhängen!).

Verständnisfrage: Warum darf nicht von abhängen?

Schaut man sich die obige Beweisstruktur an, wird hier so definiert, dass ist. Was sein kann, hängt also von ab. Wenn nun umgekehrt auch von abhängen würde, hätte man einen in sich geschlossenen Kreis von Abhängigkeiten, den man nicht auflösen könnte: hängt von ab, was von abhängt, was von abhängt... und so weiter. Weil von abhängt, kann auch nicht von abhängen, weil auch dann eine indirekte Abhängigkeit von nach und somit ein in sich geschlossener Kreis von Abhängigkeiten besteht.

In der Beweisstruktur erkennen wir dies daran, dass definiert werden muss, noch bevor und damit bekannt ist. Es kann also nicht von abhängen, weil man sonst im Beweis mit Hilfe der Größe bzw. angeben müsste, ohne dass diese Größen definiert wären. Widerspruch!

Auch in der Definition der Konvergenz können wir es erkennen:

darf nur von dem abhängen, was vor ihm steht: also und . Die Variable wird nach eingeführt. Damit darf nicht von oder abhängen.

Auch kann man probieren, nach umzustellen, um die gewünschte Bedingung für zu finden. Jedoch muss man hier darauf achten, dass man nur Äquivalenzumformungen verwendet. Am Ende müssen nämlich alle Umformungen auch in die Gegenrichtung geführt werden können, damit man im Beweis aus wieder die Zielungleichung zeigen kann. In diesem und nächsten Kapitel sind dafür einige Beispiele.

Seien nun , ,…, die Bedingungen an die Variablen , welche wir für den Beweis brauchen. Am Ende wählen wir im Beweis . So wird nämlich gewährleistet, dass aus automatisch , usw. folgt. Damit können wir im Beweis alle Abschätzungen durchführen, die wir auf dem Schmierblatt vorher gefunden haben.

Kehren wir zur obigen Beispielaufgabe zurück und fangen an, zu vereinfachen:

Von diesem Ausdruck wissen wir aufgrund des archimedischen Axioms, dass er irgendwann kleiner als ist. Das archimedische Axiom fordert nämlich, dass es für alle ein mit gibt. Um zu erreichen, kann gewählt werden. Dann folgt nämlich . Damit reicht es, wenn die folgende Bedingung erfüllt:

Damit haben wir die gewünschte Abschätzung mit der einzigen Bedingung . Wir wählen im Beweis also , wobei , wie oben genannt, mit dem archimedischen Axiom gewählt wird.

Beweis aufschreiben

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Wir schreiben nun den Beweis ins Reine (zur Übung kannst du selbst probieren, den Beweis nach dem obigen Schema aufzuschreiben):

Beweis

Sei beliebig. Nach dem archimedischen Axiom gibt es ein mit . Wähle . Für alle gilt:

Wenn wir den Beweis und den Lösungsweg miteinander vergleichen, dann sehen wir, dass sie völlig verschieden formuliert sind. Im Beweis scheint die Wahl von und vom Himmel zu fallen, weil ohne bekannten Lösungsweg nicht klar ist, warum man diese Zahlen so wählen sollte. Dies zeigt, dass man niemals den Beweis eines Mathematikers mit dem Lösungsweg zum Beweis verwechseln sollte!

Übungsaufgabe

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Wir empfehlen euch, genau wie eben beschrieben, die folgende Aufgabe zu versuchen.

Aufgabe (Konvergenz einer Folge)

Beweise, dass die Folge mit konvergiert. Wie lautet ihr Grenzwert?

Wie kommt man auf den Beweis? (Konvergenz einer Folge)

Wir gehen genau wie oben beschrieben vor. Zunächst benötigen wir einen Grenzwert:

Lösungsschritt: Grenzwert finden

Wir können wie oben die ersten Folgenglieder ausrechnen, oder wir überlegen uns gleich folgendes: Für sehr große gilt für den Zähler der Folge , und für den Nenner . Insgesamt gilt daher

falls sehr groß ist. Unsere starke Vermutung ist somit, dass gegen den Grenzwert konvergiert.

Nun folgt die rechnerische Vorarbeit, um anschließend den Beweis sauber aufschreiben zu können:

Lösungsschritt: Nötige Beweisschritte finden

Laut der Definition der Konvergenz müssen wir zu jedem ein finden, so dass für alle gilt: . Dazu vereinfachen wir den Ausdruck zunächst:

Nun formen wir die Ungleichung um, zu einer Ungleichung der Form :

Damit haben wir eine passende Bedingung für , und damit auch gefunden. Wählen wir nämlich , was nach dem archimedischen Axiom möglich ist, so folgt aus dem eben hergeleiteten für alle : .

Damit sind wir mit unserer Vorarbeit fertig, und müssen den Beweis nur noch in „Mathematikerdeutsch“ formulieren.

Beweis (Konvergenz einer Folge)

Sei beliebig. Nach dem archimedischen Axiom gibt es ein mit . Sei beliebig. Dann ist

Beweise für Divergenz führen

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Allgemeine Beweisstruktur

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Die Divergenz einer Folge tritt per Definition genau dann ein, wenn die Folge nicht konvergent ist. Die aussagenlogische Formulierung von Divergenz ist also genau die Negation der Konvergenz-Definition. Dafür tauschen wir alle Quantoren aus und ändern im Teil nach den Quantoren zu . (Analog würden wir bei Negation zu und zu umändern.) Bei Divergenz der Folge haben wir also folgende Aussage zu beweisen:

Die damit verbundene Beweisstruktur ist:

Hier können Teile des Beweisschemas weggelassen werden, wenn sie offensichtlich sind. Jedoch muss die grundlegende Beweisstruktur erhalten bleiben.

Beispielaufgabe

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Die Folge

Schauen wir uns den Divergenzbeweis exemplarisch an folgender Aufgabe an:

„Divergiert die Folge mit ? Beweise deine Behauptung.“

Auch hier können wir mit den obigen Techniken (erste Folgenglieder berechnen, große Folgenglieder ausrechnen usw.) eine Vermutung aufstellen, ob diese Folge divergiert. Wir sehen aber schnell, dass die Folge über alle Grenzen hinweg wächst und sich dabei keiner reellen Zahl annähert. Die Folge sollte also divergieren. Jetzt versuchen wir, einen Beweis für diese Behauptung zu finden.

Lösungsweg

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Kern des späteren Beweises ist die zu zeigende Ungleichungskette

Starten wir also wieder mit dem Betrag . Auf einem Schmierblatt versuchen wir diesen Ausdruck so lange zu vereinfachen und nach unten abzuschätzen, bis wir einen Term haben. ist dabei beliebig vorgegeben und wir können keinen Einfluss auf den Wert von nehmen. Schließlich müssen wir den Beweis für alle Zahlen führen.

Jedoch können wir und frei wählen. Es muss nur gesichert sein, dass und ist, wobei eine beliebige natürliche Zahl ist. Da nach im Beweis eingeführt wird, darf von abhängen (jedoch nicht von ). Die natürliche Zahl darf sowohl von , als auch von abhängen. Wir können also während der Abschätzung nach unten beliebige Bedingungen an und sammeln. Diese Bedingungen werden zum Schluss ähnlich wie beim Konvergenzbeweis zusammengefasst.

Fangen wir also an mit . Um den Term zu vereinfachen, können wir fordern, weil wir dann den Betrag weglassen können. Dass für ein die Ungleichung erfüllt ist, erhalten wir aus den Folgerungen der Bernoulli-Ungleichung. Eine davon besagt:

„Für jede Zahl und jede Zahl gibt es ein , so dass ist.“

Wir müssen nur und setzen. So erhalten wir mit der Bedingung :

Nun müssen wir beweisen, also formen wir dies durch Äquivalenzumformungen um:

So erhalten wir die neue Bedingung , womit wir die letzte Ungleichung beweisen können. Für haben wir noch keine Bedingungen und können damit diese Zahl frei wählen. Dass es tatsächlich für jedes ein gibt mit , liegt daran, dass wir die Folgerung aus der Bernoulli-Ungleichung auch mit benutzen können. Wir müssen nur aufpassen, dass ist. So wählen wir einfach . Für haben wir die beiden Bedingungen und . Also wählen wir , um beide Bedingungen zusammenzufassen.

Beweis aufschreiben

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Nun haben wir alle notwendigen Schritte, um den Beweis zu führen:

Beweis

Sei beliebig. Wähle . Sei beliebig. Wähle so, dass ist. Dies ist aufgrund der Folgerungen aus der Bernoulli-Ungleichung möglich. Es ist nun

Weitere Beweismethoden für Konvergenz und Divergenz

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In den obigen beiden Abschnitten haben wir die Konvergenz beziehungsweise die Divergenz einer Folge direkt über die Epsilon-Definition des Grenzwerts geführt. In den folgenden Kapiteln wirst du auch folgende weitere Möglichkeiten kennen lernen, mit denen du Beweise zur Konvergenz und Divergenz führen kannst:

  • Jede unbeschränkte und monotone Folge divergiert. Beispiel: Die Folge divergiert, weil sie unbeschränkt ist.
  • Jede beschränkte und monotone Folge konvergiert. Beispiel: Die Folge ist nach unten durch und nach oben durch beschränkt. Außerdem ist die Folge monoton steigend. Deswegen konvergiert sie.
  • Sei eine Folge. Wenn es für alle ein gibt, so dass für alle ist, dann konvergiert die Folge . Dieses Kriterium wird Cauchy-Kriterium genannt, und ich werde es dir später genauer vorstellen. Es wird hauptsächlich in allgemeineren Beweisen verwendet und weniger dazu, die Konvergenz einer speziellen Folge zu zeigen.
  • Mit Hilfe der Grenzwertsätze und des Sandwichsatzes kannst du auch den Grenzwert von Folgen berechnen, ohne die Epsilon-Definition des Grenzwerts verwenden zu müssen.