Das Leibniz-Kriterium ist ein spezielles Konvergenzkriterium für alternierende Reihen. Das sind Reihen, bei denen das Vorzeichen bei jedem Summanden wechselt, also Reihen der Form
oder
, wobei alle
positiv sind. Da solche Reihen häufig konvergieren, aber nicht absolut konvergieren, scheitern die anderen Konvergenzkriterien oftmals.
Wie der Name schon vermuten lässt, wurde das Kriterium von dem Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahre 1682 veröffentlicht. Übrigens wurde auch der Butterkeks mit seinen 52 Zähnen (in Anlehnung an die 52 Zahnräder der ersten von Leibniz entwickelten Rechenmaschine) nach ihm benannt.
Einstiegsbeispiel: Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe[Bearbeiten]
Da Beweisideen an konkreten Beispielen oftmals besser veranschaulicht werden können, betrachten wir zunächst das Beispiel der alternierenden harmonischen Reihe
. Für die Konvergenz müssen wir zeigen, dass die Folge der Partialsummen
konvergiert. Für
haben die Partialsummen die Werte
Die Partialsummen der alternierenden harmonischen Reihe
Daran erkennen wir, dass die Werte in immer kleiner werdenden Schritten hin und her springen. Außerdem fällt auf, dass die Partialsummen mit ungeraden Indizes
anscheinend monoton fallen und diejenigen mit geraden Indizes
monoton wachsen. Dies können wir allgemein leicht nachrechnen. Für alle
gilt nämlich
d.h.
. Und ganz analog
, d.h.
. Damit ist
monoton fallend und
monoton steigend.
Wenn wir zeigen könnten, dass
nach unten und
nach oben beschränkt sind, dann wären beide (Teil-)Folgen nach dem Monotoniekriterium konvergent. Nun sind aber alle ungeraden Partialsummen durch die geraden Partialsummen nach unten und umgekehrt alle geraden durch die ungeraden nach oben beschränkt, denn für alle
gilt
und damit
bzw.
. Insbesondere gilt daher
und
. Also ist
nach unten durch
und
nach oben durch
beschränkt.
Nach dem Monotoniekriterium sind somit
und
konvergent.
Wir sind aber noch nicht fertig! Zum einen müssen wir zeigen, dass beide Teilfolgen gegen denselben Grenzwert konvergieren und zum anderen, dass daraus auch die Konvergenz von
folgt.
Sei also
und
. Wir müssen nun zeigen, dass beide Grenzwerte gleich sind, also dass
gilt. Dies lässt sich aber schnell erledigen. Einerseits ist nämlich mit der Summenregel für Grenzwerte
Andererseits haben wir oben
gezeigt. Damit ist nun
Also ist
und daher
.
Nun müssen wir noch zeigen, dass
ebenfalls gegen
konvergiert. Dazu müssen wir die Definition der Konvergenz benutzen, d.h. wir müssen zeigen
Wir wissen aber bereits
da ja
und
gegen denselben Grenzwert
konvergieren. Setzen wir nun
, so folgt unmittelbar
Verständnisfrage: Warum reicht
nicht aus?
Verallgemeinerung der Beweisidee für das Leibniz-Kriterium[Bearbeiten]
Die Frage ist nun, inwiefern wir den gerade geführten Beweis für die Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe verallgemeinern können, um ein allgemeines Konvergenzkriterium für alternierende Reihen zu erhalten. Dazu müssen wir uns klar machen, welche Eigenschaften der alternierenden harmonischen Reihe wir für den Konvergenzbeweis herangezogen haben.
- Zum einen wissen wir, dass die nichtnegative Koeffizientenfolge ohne das alternierende Vorzeichen
monoton fällt. Daraus hat sich dann die Monotonie und die Beschränktheit der beiden (Teil-)Partialfolgen
und
und damit deren Konvergenz ergeben.
- Zum anderen haben wir davon Gebrauch gemacht, dass
eine Nullfolge ist. Daraus konnten wir schließlich folgern, dass
und
und damit auch
gegen denselben Grenzwert konvergieren.
Mehr Eigenschaften der alternierenden harmonischen Reihe hatten wir im Beweis oben nicht verwendet. Genau das sind auch die Voraussetzungen für das Leibniz-Kriterium:
Satz (Leibniz-Kriterium)
Sei
eine nichtnegative monoton fallende Folge reeller Zahlen mit
, dann konvergiert die alternierende Reihe
.
Für den Beweis müssen wir nun nur noch einmal den Beweis, den wir für die Konvergenz der alternierenden harmonischen Reihe geführt haben, für eine allgemeine alternierende Reihe mit denselben Eigenschaften durchführen.
Beweis (Leibniz-Kriterium)
Erneut müssen wir die Konvergenz der Partialsummenfolge
zeigen.
Beweisschritt 1:
ist monoton fallend und
monoton steigend, denn für
gilt
und analog
.
Beweisschritt 2:
ist nach unten und
nach oben beschränkt, denn für
gilt
Damit ist
sowie
Nach dem Monotoniekriterium konvergieren somit die Partialsummenfolgen
und
.
Beweisschritt 3:
und
konvergieren gegen denselben Grenzwert. Sei
und
. Da wir in Beweisschritt 2 die Konvergenz beider Folgen gezeigt haben, können wir die Summenregel für Grenzwerte anwenden. Es folgt
Andererseits gilt
da
eine Nullfolge ist und damit auch die Teilfolge
. Also ist
.
Beweisschritt 4:
konvergiert ebenfalls gegen
. Da
und
gegen
konvergieren, gilt
Setzen wir nun
, so folgt
Also konvergiert die Reihe
.
Alternativer Beweis[Bearbeiten]
Alternativ lässt sich das Leibniz-Kriterium auch mit Hilfe des Cauchy-Kriteriums beweisen.
Alternativer Beweis (Leibniz-Kriterium)
Um das Cauchy-Kriterium anwenden zu können, müssen wir zeigen, dass unter den Voraussetzungen des Leibniz-Kriteriums gilt
Zunächst betrachten wir nur ungerade
und schätzen für diese die Summe
ab. Zum einen ist
Zum anderen gilt
Die beiden Ungleichungsketten zusammen ergeben
für ungerade
.
Ganz analog erhalten wir für gerade
die beiden Ungleichungen
woraus sich für gerade
ebenfalls
ergibt. Also gilt die Ungleichung für alle
.
Nun war aber nach Voraussetzung
eine Nullfolge, d.h.
. Mit der gerade gezeigten Ungleichung folgt daher
Also konvergiert die Reihe
nach dem Cauchy-Kriterium.
Anmerkungen zum Leibniz-Kriterium[Bearbeiten]
- Natürlich gilt das Leibniz-Kriterium auch für Reihen der Form
. Denn diese unterscheiden sich nur durch die "umgedrehten" Vorzeichen. Der Beweis funktioniert ganz analog mit vertauschten Rollen von
und
.
- Ebenso gilt es für Reihen der Form
oder
. Lass dich durch Indexverschiebungen nicht aus der Ruhe bringen!
- Beachte, dass aus dem Leibniz-Kriterium nur die Konvergenz und nicht die absolute Konvergenz der Reihe folgt. Wie oben schon erwähnt, gibt es viele konvergente alternierende Reihen, die nicht absolut konvergieren. Ein Standardbeispiel ist wieder die alternierende harmonische Reihe
.
- Im Gegensatz zu manch anderem Konvergenzkriterium kann aus dem Leibniz-Kriterium nie die Divergenz einer Reihe gefolgert werden. Besitzt eine Reihe nicht alle Eigenschaften, die das Kriterium fordert, heißt das nicht, dass die Reihe divergieren muss. Das Leibniz-Kriterium ist in diesen Fällen nicht anwendbar. Siehe hierzu auch das letzte Warnbeispiel unten.
- Aus dem Beweis zum Leibniz-Kriterium folgt, dass
mit
und
eine Intervallschachtelung ist.
- Eine weitere Beweismöglichkeit für das Leibniz-Kriterium besteht darin, zunächst das allgemeinere Dirichlet-Kriterium zu beweisen und das Leibniz-Kriterium dann als Spezialfall zu folgern. Genaueres hierzu folgt zum Ende dieses Kapitels.
- Schließlich lässt sich das Leibniz-Kriterium erweitern auf den Fall, dass
eine nicht-positive, monoton steigende Nullfolge ist. Der Beweis funktioniert ganz analog. Fassen wir beide Fälle zusammen, so konvergiert die Reihe
, falls
eine monotone Nullfolge ist.
Aufgabe (Leibniz-Kriterium)
Ist die Reihe
konvergent?
Beweis (Leibniz-Kriterium)
Für
gilt
, sowie
Beweisschritt 1: 
Beweisschritt 2: 
Damit ist
eine Nullfolge.
Zusatzfrage: Konvergiert die Reihe absolut?
Nein, denn
divergiert. Es gilt nämlich
und
divergiert.
Daher divergiert die Reihe nach dem Minorantenkriterium.
Warnbeispiele zur Beachtung der Voraussetzungen[Bearbeiten]
Wir weisen darauf hin, dass es zur Anwendung des Leibniz-Kriteriums wichtig ist, immer beide Voraussetzungen an
zu überprüfen. D.h.
muss sowohl monoton fallend als auch eine Nullfolge sein. Im Folgenden diskutieren wir zwei Beispiele von divergenten alternierenden Reihen, für die jeweils nur eine der Voraussetzungen erfüllt ist. Das dritte Beispiel ist eine alternierende Reihe, die konvergiert, obwohl die Voraussetzungen des Leibniz-Kriteriums nicht erfüllt sind. Das Leibniz-Kriterium ist daher nur ein hinreichendes und kein notwendiges Konvergenzkriterium.
Beispiel (Warnbeispiel 2 zum Leibniz-Kriterium)
Als zweites betrachten wir die Reihe
mit
. Für diese gilt
ist nicht monoton fallend. Das wird sofort klar, wenn wir die ersten Folgenglieder betrachten:
. Wir erkennen, dass
usw. gilt. Allgemein ist für alle
immer
(Beweis über Induktion) und daher
. Also ist die Folge nicht monoton fallend, da ansonsten
gelten müsste.
- Allerdings ist
eine Nullfolge.
Aufgabe (Nullfolge)
Beweise dies.
Also ist das Leibniz-Kriterium auch hier nicht anwendbar. Die Reihe divergiert ebenso. Um dies zu zeigen, verwenden wir das gleiche Argument, welches wir bei der Divergenz der harmonischen Reihe benutzt haben, indem wir zeigen, dass die Partialsummenfolge
unbeschränkt ist. Dazu benutzen wir die Abschätzung
Aus dieser folgt
Da nun die harmonische Reihe divergiert, divergiert auch
und damit die gesamte Reihe.
Beispiel (Warnbeispiel 3 zum Leibniz-Kriterium)
Zuletzt betrachten wir die Reihe
mit
. Für diese gilt
ist nicht monoton fallend. Denn für alle
gilt
.
Also ist eine Voraussetzung des Leibniz-Kriteriums nicht erfüllt. Dennoch konvergiert die Reihe nach dem Majorantenkriterium.
Aufgabe
Beweise, dass die Reihe
konvergiert.
Lösung
Es gilt
für alle 

Also ist die Reihe nach dem Majorantenkriterium absolut konvergent und daher auch konvergent.
Folgerung: Fehlerabschätzung für den Grenzwert[Bearbeiten]
Wie auch mit den anderen Konvergenzkriterien kann man mit dem Leibniz-Kriterium zwar die Konvergenz einer Reihe zeigen, nicht jedoch deren Grenzwert berechnen. Im Kapitel über die harmonische Reihe wurde schon erwähnt, dass
gilt. Um das zu zeigen, reicht das Leibniz-Kriterium jedoch nicht aus, wir brauchen dafür weitere Hilfsmittel. Allerdings können wir aus dem Beweis zum Leibniz-Kriterium eine praktische Fehlerabschätzung herleiten, mit der sich der Grenzwert abschätzen lässt.
Im Beweis haben wir gezeigt, dass
monoton fallend ist und gegen
strebt. Genauer noch gilt mit dem Monotoniekriterium
. Zur Wiederholung: Das Infimum einer Menge war die größte untere Schranke einer Menge. Also gilt damit
für alle
. Genauso war
monoton steigend mit
. Da das Supremum eine kleinste obere Schranke war, gilt
für alle
. Insgesamt erhalten wir also
sowie
.
Hieraus folgen nun aber die beiden Ungleichungen
Aus beiden Ungleichungen zusammen erhalten wir damit die Abschätzung
Satz (Fehler-Abschätzung für alternierende Reihen)
Konvergiert eine alternierende Reihe
nach dem Leibniz-Kriterium, so gilt
Verallgemeinerung des Leibniz-Kriteriums: Dirichlet-Kriterium[Bearbeiten]
Das Dirichlet-Kriterium lässt sich auf Reihen der Form
anwenden. Der Beweis beruht auf der abelschen partiellen Summation, auf die wir an dieser Stelle jedoch verzichten wollen, da das Kriterium in Grundvorlesungen meist nicht behandelt wird. Der Beweis der Kriteriums und der abelschen partiellen Summation befindet sich in der entsprechenden Übungsaufgabe.
Wir sehen sofort, dass die Voraussetzungen an
genau dieselben sind wie im Leibniz-Kriterium. Setzen wir nun
, so ist die erste Voraussetzung erfüllt, und wir erhalten das Leibniz-Kriterium. Es stellt also einen Spezialfall des Dirichlet-Kriteriums dar.
Aufgabe
Zeige, dass
die erste Voraussetzung aus dem Dirichlet-Kriterium erfüllt, d.h. dass
beschränkt ist.
Lösung
Es gilt
Also ist
offensichtlich beschränkt.