Das Quotientenkriterium erlaubt Konvergenz- und Divergenzbeweise bei vielen konkret gegebenen Reihen und wird deswegen häufig eingesetzt. Es ist zwar bei weniger Reihen einsetzbar als das Wurzelkriterium, jedoch sind Beweise mit dem Quotientenkriterium in der Regel einfacher zu führen als solche mit dem Wurzelkriterium.
Das Quotientenkriterium wurde erstmals vom Mathematiker und Physiker Jean-Baptiste le Rond d’Alembert veröffentlicht, zu dessen Ehren es auch d’Alembertsches Konvergenzkriterium genannt wird.[1]
Genau wie beim Wurzelkriterium wird beim Quotientenkriterium die Konvergenz einer Reihe über das Majorantenkriterium auf die Konvergenz einer geometrischen Reihe zurückgeführt. Sei also
eine gegebene Reihe mit
für alle
. Die Forderung, dass die Reihe nur nichtnegative Summanden besitzt, brauchen wir für das Majorantenkriterium. Wir wissen, dass die Reihe konvergiert, wenn es ein
mit
für alle
gibt. Dies folgt aus dem Majorantenkriterium und der Tatsache, dass die geometrische Reihe
für
konvergiert.
Beim Wurzelkriterium wird die Ungleichung
direkt zu
umgeformt. Beim Quotientenkriterium wählt man ein rekursives Kriterium, das
impliziert. Zunächst wissen wir, dass
sein muss. Im Rekursionsschritt brauchen wir eine Bedingung, mit der man aus der Ungleichung
die Ungleichung
schließen kann. Gehen wir also davon aus, dass wir
bereits bewiesen haben. Es gilt dann (wenn wir davon ausgehen, dass
ist):
Um
zu beweisen, genügt es aufgrund der obigen Umformung auch
zu zeigen. Dies reduziert sich weiter zu der Ungleichung
, welche wir zeigen müssen. Hierzu benötigen wir die Aussage
, die wir im Folgenden annehmen. Aus der Bedingung
können wir wiederum folgern, dass
und damit auch
ist. Nun haben wir eine Idee, was wir zu zeigen haben und welche Induktionsannahmen wir treffen werden.
Zusammenfassung der ersten Überlegungen[Bearbeiten]
Aus
und
können wir zeigen, dass
ist und die Reihe somit nach dem Majorantenkriterium konvergiert. Ein Beweis ist hier über vollständige Induktion möglich. Zunächst haben wir den Induktionsanfang
direkt gegeben. Im Induktionsschritt gehen wir davon aus, dass
wahr ist und können damit folgern
Die Konvergenz einer Reihe hängt nicht vom Wert von endlich vielen Summanden ab. Das heißt, die Änderung endlich vieler Summanden beeinflusst die Konvergenz der Reihe nicht. Dementsprechend kann man vermuten, dass die Bedingung
nicht benötigt wird. Wenn wir nur die Bedingung
annehmen, dann erhalten wir
Insgesamt erhalten wir so
. Dies reicht aus, um mit Hilfe des Majorantenkriteriums die Konvergenz zu zeigen, weil
eine konvergente Reihe ist. Damit kann man allein aus
für alle
die Konvergenz der Reihe zeigen.
Zweite Verbesserung[Bearbeiten]
Wir können weiter verallgemeinern, indem wir
nur für fast alle anstatt für alle natürlichen Zahlen
fordern. Sei
die erste natürliche Zahl, ab der
für alle
gilt. Dann ist
Insgesamt erhalten wir so
. Indem man
setzt, folgt die Ungleichung
und somit:
Damit konvergiert die Reihe nach dem Majorantenkriterium. Es reicht also,
nur für fast alle
zu fordern.
Umformulierung mit Limes superior[Bearbeiten]
Die Bedingung, dass
für ein festes
mit
und für fast alle
ist, kann auch mit dem Limes superior ausgedrückt werden. Diese Bedingung gilt nämlich genau dann, wenn
ist.
Einerseits folgt aus
für fast alle
, dass der größte Häufungspunkt, also der Limes superior, von
kleiner als
und damit kleiner als
ist.
Sei andererseits
. Dann ist für alle
die Ungleichung
für fast alle
erfüllt. Wegen
kann ein
so klein gewählt werden, dass
ist. Setzen wir
. Dann ist zum einen
und zum anderen ist
für fast alle
.
Zusammenfassung: Aus
folgt zunächst für ein
, dass
für fast alle
ist. Daraus folgt die Konvergenz der Reihe
.
Die Sache mit der absoluten Konvergenz[Bearbeiten]
In der obigen Argumentation haben wir nur Reihen betrachtet, deren Summanden nichtnegativ sind. Was passiert mit Reihen
, bei denen einige Summanden
negativ sind?
Wir können obige Argumentation zumindest auf die Reihe
anwenden. So können wir die absolute Konvergenz beweisen, die ja auch die normale Konvergenz der Reihe impliziert. Bei Reihen mit nichtnegativen Summanden ändert sich beim Übergang von
auf
nichts, da für solche Reihen die Gleichung
für alle
erfüllt ist. Wir können also zusammenfassen:
Ist
, dann konvergiert die Reihe
absolut.
Quotientenkriterium für Divergenz[Bearbeiten]
Lässt sich mit einer ähnlichen Argumentation auch die Divergenz einer Reihe beweisen? Schauen wir uns
an. Wenn der Quotient im Betrag größer gleich eins ist, dann ist
Wenn also ab einem beliebigen Index
für alle nachfolgenden Indizes
die Ungleichung
erfüllt ist, dann wächst die Folge
ab dem Index
monoton. Diese Folge kann keine Nullfolge sein, da sie nach dem Folgenglied
monoton wächst und
. Wenn aber
keine Nullfolge ist, dann ist auch
keine Nullfolge. Daraus folgt nach dem Trivialkriterium, dass die Reihe
keine Nullfolge ist. Das Trivialkriterium besagt ja, dass
wäre, wenn die Reihe
konvergieren würde. Fassen wir zusammen:
Das Quotientenkriterium[Bearbeiten]
Fassen wir die obige Herleitung in einem Beweis zusammen:
Beweis (Quotienten-Kriterium für Konvergenz)
Sei
eine Reihe mit Summanden ungleich Null.
Beweisschritt: Konvergenz mit dem Quotientenkriterium
Beweisschritt: Divergenz mit dem Quotientenkriterium
Verschärfung mit Limes inferior[Bearbeiten]
Die gerade behandelte Voraussetzung für die Divergenz lässt sich mit Hilfe des Limes inferior verschärfen. So ist das Kriterium leichter anzuwenden. Gilt
, folgt daraus
für fast alle
. Also divergiert die Reihe. Die umgekehrte Richtung muss nicht gelten. Aus
für fast alle
muss nicht
folgen, da die Folge
nicht zwangsläufig einen kleinsten Häufungspunkt besitzt. Es handelt sich also um eine stärkere Voraussetzung für die Divergenz der Reihe.
Grenzen des Quotientenkriteriums[Bearbeiten]
Bei
können wir nichts über Konvergenz bzw. Divergenz der Reihe aussagen. Es gibt nämlich sowohl konvergente als auch divergente Reihen, die diese Bedingung erfüllen. Ein Beispiel hierfür ist die divergente Reihe
:
Auch die konvergente Reihe
erfüllt diese Gleichung:
Wir können also aus
weder folgern, dass die Reihe konvergiert, noch, dass sie divergiert. Wir müssen in einem solchen Fall ein anderes Konvergenzkriterium verwenden.
Vorgehen bei der Anwendung des Quotientenkriteriums[Bearbeiten]
Entscheidungsbaum für das Quotientenkriterium
Um das Quotientenkriterium auf eine Reihe
anzuwenden, bilden wir zunächst
und betrachten den Grenzwert:
- Ist
, dann konvergiert die Reihe absolut.
- Ist
, dann divergiert die Reihe.
- Ist
für fast alle
, dann divergiert die Reihe.
- Können wir keinen der drei Fälle anwenden, können wir nichts über die Konvergenz der Reihe aussagen.
Aufgabe
Untersuche die Reihe
auf Konvergenz oder Divergenz.
Wie kommt man auf den Beweis?
Zunächst bilden wir den Quotienten
und betrachten dessen Grenzwert:
Damit ist
, womit aus dem Quotientenkriterium folgt, dass die Reihe absolut konvergiert.
Beweis
Die Reihe
konvergiert absolut nach dem Quotientenkriterium, denn es ist
Aufgabe
Untersuche die Reihe
auf Konvergenz bzw. Divergenz.
Beweis
Die Reihe
divergiert, denn für
ist
Hinweis
Du weißt vielleicht schon, dass
ist. Dementsprechend kannst du alternativ auch den Beweis darüber führen, dass
. Diese Argumentation kann aber nur angewandt werden, wenn
bereits in der Vorlesung bewiesen wurde.
Aufgabe
Untersuche für welche
die Reihe
konvergiert, absolut konvergiert bzw. divergiert.
Beweis
Wir nutzen das Quotientenkriterium mit
:
Damit folgt
Weil der Grenzwert existiert, stimmen Limes superior und Limes inferior überein. Also gilt
Uns interessiert für welche
Konvergenz, absolute Konvergenz und Divergenz vorliegt. Aus dem Quotientenkriterium folgt, dass die Reihe absolut konvergiert, wenn
ist. Im Fall
folgt mit dem Quotientenkriterium widerum die Divergenz der Reihe. Den Fall
müssen wir extra untersuchen:
Fall 1: 
Fall 2: 
Fall 3: 
Zuletzt gilt
Da das Quotientenkriterium hier keine Konvergenzaussage liefert, müssen wir die beiden Fälle einzeln untersuchen:
Fall 1: 
Es gilt
Da es sich um die harmonische Reihe handelt, divergiert diese.
Fall 2: 
Es gilt
Die Reihe ist nach dem Leibniz-Kriterium konvergent, jedoch nicht absolut konvergent, da
als harmonische Reihe divergiert.
Vergleich zwischen Quotienten- und Wurzelkriterium[Bearbeiten]
Das Quotientenkriterium lässt sich bei einigen Reihen wesentlich leichter anwenden als das Wurzelkriterium. Ein Beispiel ist die Reihe
, deren Konvergenz man mit dem Quotientenkriterium gut beweisen kann:
Im Wurzelkriterium muss man folgenden Grenzwert betrachten:
Hier ist unklar, ob und wogegen eine Konvergenz vorliegt. Dass
schnell anwächst, könnte für eine Nullfolge sprechen. Allerdings wird die Folge
durch das Ziehen der
-ten Wurzel stark abgeschwächt. Tatsächlich lässt sich
zeigen (und damit folgt
). Dieser Beweis ist jedoch sehr aufwändig. Ähnlich verhält es sich bei der Reihe
. Mit dem Quotientenkriterium erhalten wir
Damit ist die Folge divergent nach dem Quotientenkriterium. Im Wurzelkriterium haben wir folgenden Grenzwert zu betrachten:
Man kann beweisen, dass diese Folge gegen
konvergiert. Das ist jedoch aufwendig und erfordert zusätzliche Konvergenzkriterien, die oftmals in einer Analysis-Grundvorlesung nicht zur Verfügung stehen. In beiden Fällen ist die Lösung mit dem Quotientenkriterium einfacher.
Allerdings gibt es auch Reihen, die mit dem Wurzelkriterium lösbar sind und bei denen das Quotientenkriterium nicht anwendbar ist. Ein Beispiel dafür ist die Reihe
Das Quotientenkriterium ist hier nicht anwendbar. Für die Quotientenfolge gilt nämlich
Damit ist
, da die Quotientenfolge für ungerade
wegen
nach oben unbeschränkt ist. Andererseits gilt
für alle geraden
und damit für unendlich viele Quotienten. Insgesamt müssen wir aber feststellen, dass das Quotientenkriterium nicht anwendbar ist. Hingegen liefert das Wurzelkriterium
Damit ist
und die Reihe konvergiert absolut. Damit ist im obigen Beispiel das Wurzelkriterium anwendbar, während das Quotientenkriterium kein Ergebnis ergibt. Insgesamt ist es so, dass das Wurzelkriterium einen größeren Anwendungsbereich als das Quotientenkriterium hat. Auf jede Reihe, deren Konvergenzverhalten mit dem Quotientenkriterium feststellbar ist, kann auch das Wurzelkriterium angewendet werden. Dies folgt aus folgender Ungleichung:
Hier wird offensichtlich: Ist
, so ist automatisch
. Ist
, ist automatisch
. Ist also das Quotientenkriterium anwendbar, ist immer das Wurzelkriterium anwendbar. Die Umkehrung gilt nicht, wie es das obige Beispiel zeigt. Wir verzichten hier auf den etwas theoretischen und langwierigen Beweis der Ungleichung. Fortgeschrittene können sich gerne an der entsprechenden Übungsaufgabe versuchen.
Vertiefung: Kriterium von Raabe[Bearbeiten]
Falls das Quotientenkriterium in obiger Form scheitert, weil beispielsweise
ist, gibt es eine verschärfte Form, bei der man die Quotientenfolge
genauer abschätzen muss. Sie nennt sich Kriterium von Raabe und ist nach dem Schweizer Mathematiker Joseph Ludwig Raabe benannt.
Das Kriterium von Raabe lässt sich oft nicht so leicht wie das Quotientenkriterium anwenden und wird in den Grundvorlesungen häufig nicht behandelt. Deshalb erwähnen wir es hier nur und verzichten auf eine Herleitung. Fortgeschrittenen, die das Kriterium herleiten möchten, empfehlen wir die entsprechende Übungsaufgabe. Das Kriterium von Raabe lautet
Beispiel (Raabe-Kriterium)
Sehr einfach lässt sich mit dem Raabe-Kriterium die Divergenz der harmonischen Reihe
zeigen. Hier ist nämlich
. Für alle
gilt damit
Also divergiert die Reihe.