Stetigkeit der Umkehrfunktion – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

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In diesem Kapitel führen wir einen Satz ein, der eine hinreichende Bedingung gibt, unter der die Umkehrabbildung einer bijektiven Funktion wieder stetig ist. In der Literatur wird der Satz manchmal Satz von der Stetigkeit der Umkehrabbildung oder Umkehrsatz genannt. Das erstaunliche an diesem Resultat ist, dass die Umkehrfunktion einer unstetigen Funktion sehr wohl stetig sein kann.

Motivation[Bearbeiten]

Die stetige und umkehrbare Funktion mit dem Definitionsbereich

Wir wollen uns eine möglichst allgemeine Bedingung überlegen, wann eine bijektive Funktion mit eine stetige Umkehrfunktion besitzt. Der erste Ansatzpunkt, den wir dabei natürlicherweise untersuchen, ist die Stetigkeit von . Spontan würden wir vermuten, dass aus der Stetigkeit von auch die von folgt. Das dem nicht so ist, zeigt folgendes Beispiel:

Die unstetige Umkehrfunktion

Die Funktion ist stetig, da sie sowohl auf als auch auf stetig ist. Außerdem ist sie streng monoton steigend, und damit injektiv. Das Bild von ist und damit ist surjektiv. Insgesamt ist bijektiv und damit umkehrbar. Die Umkehrabbildung besitzt die Funktionsvorschrift:

Diese Umkehrfunktion ist nicht stetig, da sie bei eine Sprungstelle besitzt. Es kann also tatsächlich vorkommen, dass eine stetige Funktion eine unstetige Umkehrfunktion besitzt.

Auch eine andere Sache zeigt sich: Die Umkehrfunktion ist ebenfalls umkehrbar mit Umkehrfunktion . Dies bedeutet aber, dass eine unstetige Funktion (wie ) eine stetige Umkehrfunktion haben kann. Wir halten daher fest:

Die Stetigkeit / Unstetigkeit einer Funktion hat keinerlei Einfluss auf die Stetigkeit / Unstetigkeit ihrer Umkehrfunktion.

Das Problem liegt im Definitionsbereich von . Dieser ist , ist also kein Intervall. Der Definitionsbereich ist nicht zusammenhängend und besitzt eine „Lücke“. Wie wirkt sich diese „Lücke“ nun auf die Umkehrfunktion aus?

Da der Definitionsbereich von der Zielmenge von entspricht, hat somit die Umkehrfunktion diese „Lücke“ in der Zielmenge. Gleichzeitig wird aus der Zielmenge von der Definitionsbereich von . Damit kann aber nicht stetig sein. Der Definitionsbereich von ist ein Intervall und damit zusammenhängend, während die Zielmenge eine Lücke besitzt. Da surjektiv ist und jede Zahl aus dem Zielbereich annehmen muss, muss der Graph von einen Sprung aufweisen. Somit ist unstetig.

Wir müssen daher als Voraussetzung fordern, dass der Definitionsbereich von ein Intervall ist, um diese Problematik zu verhindern. In der Tat reicht diese Forderung aus, damit stetig ist. Dies werden wir mit Hilfe der --Charakterisierung der Stetigkeit beweisen. Mit Hilfe des Zwischenwertsatzes können wir außerdem folgern, dass der Zielbereich von und damit der Definitionsbereich von ein Intervall ist.

Satz von der Stetigkeit der Umkehrfunktion [Bearbeiten]

Satz (Stetigkeit der Umkehrfunktion)

Sei ein Intervall und eine surjektive, streng monotone und stetige Abbildung. Dann ist bijektiv, und die Umkehrfunktion

ist stetig und im gleichen Sinn wie streng monoton. Außerdem ist ein Intervall.

Beweis (Stetigkeit der Umkehrfunktion)

Beweisschritt: ist bijektiv

Seien mit . Also ist oder . Da streng monoton ist, folgt daraus oder . In jedem Fall gilt . Also ist injektiv. Da als surjektiv vorausgesetzt ist, ist die Abbildung bijektiv.

Beweisschritt: ist streng monoton

Sei ohne Beschränkung der Allgemeinheit streng monoton steigend, d.h. aus mit folgt . Sei nun mit . Wir müssen nun zeigen, dass ist.

Nun gibt es mit und . Damit ist und . Da injektiv ist, ist . Auch kann nicht sein. Sonst müsste sein, was wegen ausgeschlossen ist.

Also ist bzw. . Dies beweist, dass wie streng monoton steigt. Im Fall, dass streng monoton fällt, kann analog bewiesen werden, dass auch streng monoton fällt.

Beweisschritt: ist stetig

Wir verwenden die --Charakterisierung der Stetigkeit. Sei hierzu und beliebig. Sei weiter das Urbild von unter , d.h. . Wir müssen nun zeigen, dass es ein gibt, so dass für alle mit ist. Damit ist stetig in . Da beliebig gewählt wurde, folgt daraus die Stetigkeit von . Wir führen nun eine Fallunterscheidung darin durch, ob ein Randpunkt von ist:

Fall 1: ist kein Randpunkt von

Da kein Randpunkt von ist, gibt es ein mit und . Wir setzen und . Ist streng monoton steigend, so gilt . Ist streng monoton fallend, so ist . Damit bildet das Intervall bijektiv auf bzw. ab. Setzen wir

so folgt

Damit ist für alle mit erfüllt. Also ist stetig in .

Fall 2: ist ein Randpunkt von

Nehmen wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit an, dass das Maximum von ist. Nun gibt es ein mit , so dass in liegt. Damit existiert und wir können setzen.

Wenn streng monoton steigt, dann bildet das Intervall bijektiv auf ab. Dann ist . Weil es kein mit gibt, gilt somit für alle mit . Dies beweist die Stetigkeit von in . Analog kann vorgegangen werden, wenn monoton fällt oder das Minimum von ist.

Beispiele[Bearbeiten]

Wurzelfunktionen[Bearbeiten]

Beispiel (Wurzelfunktionen)

Ist mit . Dann ist die -te Potenzfunktion

streng monoton steigend, denn für mit gilt

Also ist injektiv. Weiter ist surjektiv, denn zu jedem gilt für :

Die Umkehrfunktion ist die -te Wurzelfunktion mit . Nach dem Satz zur Stetigkeit der Umkehrfunktion ist sie ebenfalls streng monoton wachsend und stetig.

Natürliche Logarithmusfunktionen[Bearbeiten]

Beispiel (Natürliche Logarithmusfunktionen)

Die Exponentialfunktion

ist streng monoton steigend. Seien mit . Dann gibt es ein mit . Damit gilt

Aus der strengen Monotonie folgt, dass injektiv ist. Weiter ist die Exponentialfunktion surjektiv, denn es gilt:

Die Surjektivität folgt damit aus der Stetigkeit der Exponentialfunktion und dem Zwischenwertsatz. Die Umkehrfunktion ist die natürliche Logarithmusfunktion:

Sie ist wegen der strengen Monotonie der Exponentialfunktion auch streng monoton steigend. Aus dem Umkehrsatz der Stetigkeit folgt außerdem, dass die Logarithmusfunktion stetig ist.

Übungsaufgaben[Bearbeiten]

Übungsaufgabe 1[Bearbeiten]

Aufgabe (Stetigkeit der Umkehrfunktion 1)

Sei definiert durch die Zuordnungsvorschrift:

Beweise folgende Aussagen:

  1. Zeige, dass auf stetig, streng monoton wachsend und injektiv ist.
  2. Zeige, dass surjektiv ist.
  3. Begründe, warum die Umkehrfunktion existiert und bestimme die Zuordnungsvorschrift von explizit. Zeige, dass stetig und streng monoton wachsend ist.

Lösung (Stetigkeit der Umkehrfunktion 1)

Lösung Teilaufgabe 1:

ist stetig als Quotient der stetigen Funktionen und . Dabei ist für alle . Seien mit . Zum Beweis der strengen Monotonie zeigen wir, dass ist:

Fall 1:

Dann gilt

Fall 2:

Hier ist

Fall 3:

Hier ist

Fall 4:

Es gilt

Also ist streng monoton steigend auf und damit auch injektiv.

Lösung Teilaufgabe 2:

Es gilt für alle :

Damit ist stets . Außerdem ist

und

Da stetig ist, gibt es nach dem Zwischenwertsatz zu jedem ein mit . Also gilt für das Bild , womit surjektiv ist.

Lösung Teilaufgabe 3:

Da bijektiv ist, existiert die Umkehrfunktion . Als Umkehrfunktion ist ebenfalls bijektiv. Nach dem Satz über die Stetigkeit der Umkehrabbildung ist außerdem stetig und streng monoton steigend. Zur Berechnung von unterscheiden wir zunächst zwei Fälle:

Fall 1:

Fall 2:

Ist nun , so ist und damit . Ist umgekehrt , so ist auch und damit . Insgesamt folgt daraus

Übungsaufgabe 2[Bearbeiten]

Aufgabe (Stetigkeit der Umkehrfunktion 2)

Sei mit

  1. Zeige, dass injektiv ist.
  2. Bestimme das Bild .
  3. Begründe, warum die Umkehrfunktion stetig ist.

Lösung (Stetigkeit der Umkehrfunktion 2)

Lösung Teilaufgabe 1:

ist stetig als Komposition der stetigen Funktionen , und . Weiter gilt für mit :

Nun ist für . Da die Sinusfunktion auf dem halboffenen Intervall streng monoton steigt, folgt weiter

Weil die Exponentialfunktion streng monoton wächst, gilt außerdem . Damit ist:

Also steigt streng monoton und ist damit injektiv.

Lösung Teilaufgabe 2:

= Zunächst ist

Weiter gilt

und daraus folgt

Da stetig und ein Intervall ist, ist ebenfalls ein Intervall (siehe „Folgerung zum Zwischenwertsatz“). Da streng monoton steigt und ist, folgt

Lösung Teilaufgabe 3:

Da ein Intervall und bijektiv ist, folgt aus dem Satz von der Stetigkeit der Umkehrfunktion, dass die Umkehrfunktion stetig ist.