Fall 9a

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Autor: Christoph Schröder - zur Vorgängerversion vgl. die Autor:innen-Liste

Schwierigkeitsgrad: Zwischenprüfungsklausur (2 Std.)

Sachverhalt[Bearbeiten]

Die gläubige Muslima G möchte nach Abschluss ihres rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Bayreuth im Januar 2021 unmittelbar mit dem Rechtsreferendariat im Oberlandesgerichtsbezirk Bamberg beginnen. Sie bewirbt sich hierzu form- und fristgemäß beim Präsidenten des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg für den Einstellungstermin 1.4.2020. Schon während Ihrer Vorbereitungen auf die Erste Juristische Prüfung hatte G erfahren, dass das Tragen eines religiösen Kopftuchs in Gerichtssälen in Bayern für Richter:innen und Staatsanwält:innen untersagt ist. Nach Auffassung der G ist dies inakzeptabel, da das Tragen eines Nikab[1] in der Öffentlichkeit - und damit auch im Gerichtssaal - für sie Ausdruck ihres Glaubens ist und doch nicht staatlicherseits einfach verbotenen werden könne. Schließlich habe sich der Staat aus Glaubensfragen grundsätzlich komplett heraus zu halten.

G ist sich jedoch nicht sicher, ob ein derartiges Verbot auch für sie im Rahmen ihres Rechtsreferendariats gilt. Als sie die Bewerbungsunterlagen und Vordrucke vor dem Absenden ihrer Bewerbung an das OLG Bamberg durchlas, fand sie hierzu keine Aussage. Als G mittels Einstellungsbescheid des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 3.3.2021 die Zulassung zum Rechtsreferendariat im OLG-Bezirk Bamberg erteilt wurde, stieß sie jedoch in dem mit "Auflagen" überschriebenen Teil des Bescheids auf einen Passus, der wie folgt lautet: "Auf Art. 57 AGGVG i.V.m. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG wird hingewiesen: Bei der Wahrnehmung von Amtshandlungen mit Außenkontakt (z. B. Wahrnehmung des staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienstes, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in der Zivilstation) dürfen keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke (z. B. Kopftücher) getragen werden, die Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können."

Nach Rücksprache mit dem Präsidenten des OLG Bamberg könne hierfür auch keine Ausnahme zugunsten der G zugelassen werden, da hiervon eine negative Vorbildwirkung ausginge und "das Gesetz klar formuliert" sei. Der Staat sei in religiösen und weltanschaulichen Fragen zu absoluter Neutralität verpflichtet, um ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben sämtlicher Religionen ermöglichen zu können. Zudem würde die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege beeinträchtigt. Die erkennbare Distanzierung der einzelnen Richter:innen von individuellen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen bei Ausübung des Amtes stärke nämlich das Vertrauen in die Justiz insgesamt und die öffentliche Kundgabe von Religiosität sei im Gegensatz hierzu geeignet, das Gesamtbild der Justiz - das gerade durch eine besondere persönliche Zurücknahme der zur Entscheidung berufenen Amtsträger:innen geprägt sei - zu beeinträchtigen. Überdies müssten auch Dritte, v. a. Angeklagte in einem Strafprozess, davor geschützt werden, mit fremden religiösen Anschauungen gegen ihren Willen konfrontiert zu werden.

G möchte sich dies nicht gefallen lassen und ist von den Ausführungen des OLG-Präsidenten nicht überzeugt. Der Sitzungsdienst der Staatsanwaltschaft und die Wahrnehmung richterlicher Tätigkeit stellen für sie die spannendsten Tätigkeiten des gesamten Referendariats dar. Zwar besteht kein Anspruch auf Übernahme und Durchführung dieser Tätigkeiten. Es ist jedoch verbreitete Praxis und im Falle des Sitzungsdienstes der Staatsanwaltschaft sogar vorgeschriebener Bestandteil der praktischen Stationsausbildung, dass Rechtsreferendar:innen Amtshandlungen mit Außenkontakt vornehmen. Diese Aufgaben könne sie zur Wahrung ihres Glaubens bzw. ihres Verständnisses vom Islam jedoch nur wahrnehmen, sofern sie hierbei ein Kopftuch tragen könne. Sie klagt daher gegen die "Auflage" in ihrem Einstellungsbescheid, da sie unbedingt die Sitzungsvertretung wahrnehmen will.

Die Bemühungen der G bleiben jedoch ohne Erfolg, da sowohl das Verwaltungsgericht Bayreuth als auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) ihrer Klage nicht stattgeben. Gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beschließt die G Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu erheben und faxt ihre Beschwerdeschrift über das etwas eingestaubte Faxgerät ihrer Eltern an das Bundesverfassungsgericht.

G macht inhaltlich geltend, die Entscheidung des BayVGH verkenne die Bedeutung ihrer Glaubensfreiheit und verstoße damit gegen das Grundgesetz. Es könne keinen Unterschied machen, ob sie als Zuschauerin im Gerichtssaal ein Kopftuch trage oder als Vertreterin der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. Beides sei private Grundrechtsausübung und staatlicherseits hinzunehmen. Zudem sei zusätzlich ihre Berufsfreiheit verletzt, da ihr ohne Wahrnehmung der Sitzungsvertretung ein bedeutsamer Teil ihrer Ausbildung zur Volljuristin verwehrt würde.

Fallfrage[Bearbeiten]

Hat die fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde der G vor dem Bundesverfassungsgericht Aussicht auf Erfolg? Auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen ist - ggf. hilfsgutachtlich - einzugehen.

Auszug aus dem Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetz (BayRiStAG)

Art. 11 BayRiStAG

(2) 1Richter und Richterinnen dürfen in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können. 2Satz 1 gilt für Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sowie Landesanwälte und Landesanwältinnen entsprechend.

Auszug aus dem Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (Gerichtsverfassungsausführungsgesetz - AGGVG)

Art. 57 AGGVG

Nimmt ein Rechtspfleger oder ein Rechtsreferendar ihm übertragene richterliche oder staatsanwaltschaftliche Aufgaben wahr, gilt Art. 11 des Bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetzes entsprechend.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Twitter oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

Zusatzmaterial / Weiterentwickelte Fälle[Bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Ein Nikab (oder auch Niqab) ist ein Kopftuch in Form eines Schleiers, der das ganze Gesicht bis auf die Augen verdeckt., vgl. Duden/Nikab. Dieser ist vor allem auf der arabischen Halbinsel verbreitet, Wikipedia/Niqab/Verbreitung.