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Fall 5 Lösung

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Autorin: Dana-Sophia Valentiner

Notwendiges Vorwissen: Meinungsfreiheit, Prüfung der Verfassungsbeschwerde

Behandelte Themen: Meinungsäußerungsfreiheit, Schmähung und Formalbeleidigung, Art. 3 III 3 GG, mittelbare Drittwirkung, Urteilsverfassungsbeschwerde, Beschwerdefrist

Zugrundeliegender Sachverhalt: OpenRewi/ Grundrechte-Fallbuch/ Fall 5

Schwierigkeitsgrad: Anfänger:innen


Die Verfassungsbeschwerde des B hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

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Die Verfassungsbeschwerde müsste zunächst zulässig sein. Sie ist zulässig, wenn sie die Voraussetzungen aus Art. 93 I Nr. 4a GG und §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt.

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts

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Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG ist für die Verfassungsbeschwerde der Rechtsweg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet.

II. Beschwerdefähigkeit

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B müsste auch beschwerdefähig sein. Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist „jedermann“ beschwerdefähig, also jede Person, die Trägerin von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann. B ist als natürliche Person Grundrechtsträger und somit beschwerdefähig.

III. Beschwerdegegenstand

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Zudem müsste ein tauglicher Beschwerdegegenstand vorliegen. Beschwerdegegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG jeder „Akt öffentlicher Gewalt“. Dies kann ein Handeln oder Unterlassen der Legislative, der Exekutive oder der Judikative sein, Art. 1 III GG. Vorliegend sieht sich der B durch die Kündigung und die Entscheidungen der Arbeitsgerichte in seinem Recht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG verletzt. Die Kündigung durch seine Arbeitgeberin, die Druckerei D, stellt eine einseitige Willenserklärung dar, die nicht durch die öffentliche Gewalt erfolgte. Die Kündigung ist somit kein Akt öffentlicher Gewalt.

B wendet sich weiter auch gegen die letztinstanzliche arbeitsgerichtliche Entscheidung, welche die Kündigung der Druckerei als rechtmäßig erachtete. Die letztinstanzliche Gerichtsentscheidung ist als Akt der Judikative tauglicher Beschwerdegegenstand für eine Urteilsverfassungsbeschwerde.

Weiterführendes Wissen

Inhaltlich greift B alle arbeitsgerichtlichen Entscheidungen an, nicht nur die letztinstanzliche Entscheidung. Es könnte sich daher streng genommen um mehrere, miteinander verbundene Verfassungsbeschwerden handeln. In der Praxis geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass gerichtliche Entscheidungen „prozessual überholt“ sind, wenn die höhere Instanz in vollem Umfang und mit eigenständiger Begründung über den Streitgegenstand entschieden hat.[1] Vorliegend ist dem Sachverhalt lediglich zu entnehmen, dass in allen gerichtlichen Entscheidungen die Kündigung als rechtmäßig eingestuft wurde. Es ist aber nicht ersichtlich, ob sie jeweils eigenständige Begründungen aufwiesen.

Klausurtaktik

An dieser Stelle ist es auch vertretbar, von mehreren miteinander verbundenen Verfassungsbeschwerden auszugehen.

IV. Beschwerdebefugnis

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B müsste auch beschwerdebefugt sein. Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG kann die Verfassungsbeschwerde „von jedermann“ mit der Behauptung erhoben werden, durch die öffentliche Gewalt in einem Grundrecht oder in einem grundrechtsgleichen Recht verletzt zu sein. Die beschwerdeführende Person muss dafür substantiiert vortragen, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein.

1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung

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Der Vortrag der beschwerdeführenden Person muss die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung oder der Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechtes ergeben, d.h. eine solche darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein.

Bei der Urteilsverfassungsbeschwerde muss die beschwerdeführende Person substantiiert eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts durch die Judikative rügen. In Betracht kommt insbesondere die fehlerhafte Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe im Privatrecht. Die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte sind bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln als objektive Wertentscheidungen zu berücksichtigen. Das Grundgesetz entfaltet insoweit eine Ausstrahlungswirkung (sogenannte mittelbare Drittwirkung).

Vorliegend rügt B die Verletzung seines Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG. Er behauptet, die Arbeitsgerichte hätten die Meinungsfreiheit gegenüber dem Kündigungsinteresse der Arbeitgeberin bei der Auslegung des „wichtigen Grundes“ im Sinne von § 626 BGB nicht hinreichend berücksichtigt. Eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts ist demnach jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

2. Beschwerde

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B müsste auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein.

Die beschwerdeführende Person ist selbst betroffen, wenn sie geltend machen kann, in eigenen Grundrechten betroffen zu sein. B rügt eine Verletzung der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG und damit eines eigenen Grundrechts.

Die Betroffenheit müsste auch gegenwärtig vorliegen, d.h. die beschwerdeführende Person muss schon oder noch betroffen sein. B wendet sich gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die seiner Kündigungsschutzklage nicht abgeholfen haben. Er ist durch die Entscheidungen gegenwärtig betroffen.

B ist durch die gerichtliche Entscheidung, nach der die Kündigung ihm gegenüber rechtmäßig war, auch unmittelbar, d.h. ohne weiteren Zwischenakt, betroffen.

Klausurtaktik

Der Prüfungspunkt der Beschwer, der ursprünglich allein für die Rechtssatzverfassungsbeschwerde entwickelt wurde, kann hier ohne weitere Untergliederung (eigene Beschwer, gegenwärtige Betroffenheit, unmittelbare Betroffenheit) und auch knapper dargestellt werden, da bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde – wie hier – in der Regel keine Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen bestehen dürften.

B ist somit beschwerdebefugt.

V. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität

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Die Verfassungsbeschwerde kann gemäß § 90 II 1 BVerfGG erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden. Außerdem darf der Grundsatz der Subsidiarität der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht entgegenstehen. B hat den fachgerichtlichen Rechtsweg vor den Arbeitsgerichten erschöpfend bestritten. Ihm stehen auch keine weiteren Möglichkeiten zur Verfügung, das Urteil zumutbar anderweitig anzugreifen, folglich ist der Grundsatz der Subsidiarität hier gewahrt.

VI. Frist und Form

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B müsste die Verfassungsbeschwerde form- und fristgerecht erhoben haben.

Zunächst ist das Fristerfordernis zu prüfen. Gemäß § 93 I 1, 2 BVerfGG ist die Verfassungsbeschwerde binnen eines Monats ab Zustellung der gerichtlichen Entscheidung zu erheben. Die letztinstanzliche Entscheidung ist B am 28.1.2021 zugestellt worden. Die Frist berechnet das Bundesverfassungsgericht anhand der §§ 187 ff. BGB. Die Frist beginnt gemäß § 187 I Var. 1 BGB am 29.1.2021 um 0:00 Uhr. Sie endet gemäß § 188 II Alt. 1 BGB am 28.2.2021 um 24:00 Uhr. Der 28.2.2021 ist jedoch ein Sonntag. Nach § 193 BGB endet die Frist in diesem Fall am nächsten Werktag, also am 1.3.2021 um 24:00 Uhr. B hat die Verfassungsbeschwerde somit am 1.3.2021 fristgemäß erhoben.

Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 23 I 1 BVerfGG schriftlich beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Die Beschwerdeschrift müsste des Weiteren eine ausreichende Begründung gemäß §§ 23 I 2, 92 BVerfGG aufweisen. Laut Sachverhalt hat B die Verfassungsbeschwerde schriftlich erhoben. Auch vom Vorliegen des Begründungserfordernisses kann ausgegangen werden. Folglich liegt eine formgerecht erhobene Verfassungsbeschwerde vor.

VII. Ergebnis zur Zulässigkeit

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Die Verfassungsbeschwerde des B ist somit zulässig.

B. Begründetheit

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Die Verfassungsbeschwerde müsste auch begründet sein. Sie ist begründet, wenn B durch die arbeitsgerichtliche Entscheidung in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht verletzt wird, vgl. Art. 93 I Nr. 4a GG. Das Bundesverfassungsgericht ist keine Superrevisionsinstanz, d.h. es überprüft die angegriffene Entscheidung nicht auf ihre Rechtmäßigkeit, sondern ausschließlich auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Eine solche Verletzung kommt erst dann in Betracht, wenn dargelegt ist, dass die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Bedeutung eines Grundrechts beruht; das Gericht etwa den Umfang des Schutzbereichs eines Grundrechts verkannt hat.

Klausurtaktik

Diese Ausführungen können auch unter einem gesonderten Prüfungspunkt zum „Prüfungsmaßstab“ oder „Prüfprogramm“ angebracht werden, siehe dazu Fall 9.

Vorliegend könnte Art. 5 I 1 GG verletzt worden sein. Eine Grundrechtsverletzung liegt vor, wenn in den Schutzbereich eines Grundrechts eingegriffen wird, ohne dass dieser Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.

Klausurtaktik

Bei der Prüfung der Begründetheit ist wiederum zu beachten, dass es sich um eine Konstellation der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten handelt. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist eine gerichtliche Entscheidung. Die behauptete Grundrechtsverletzung liegt vor, wenn das Gericht entweder bei der Entscheidungsfindung grundrechtliche Wertungen verkannt hat oder die angewendeten Rechtsnormen ihrerseits nicht mit Verfassungsrecht vereinbar sind. Letzteres ist im vorliegenden Fall eher abwegig. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der § 626 BGB verfassungswidrig ist. Vielmehr geht es darum, ob das Gericht bei der Prüfung des „wichtigen Grundes“ im Sinne des § 626 BGB einen grundrechtskonformen Ausgleich der Rechte der Parteien vorgenommen hat. Hier sind die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und das Kündigungsinteresse der Arbeitgeberin abzuwägen gewesen. Der B rügt, das Gericht habe hierbei die Meinungsfreiheit nicht angemessen berücksichtigt. Die Begründetheitsprüfung setzt sich damit auseinander, ob dies zutrifft oder nicht.

I. Schutzbereich

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Zunächst könnte der Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG eröffnet sein.

1. Sachlicher Schutzbereich

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Der sachliche Schutzbereich müsste eröffnet sein. Art. 5 I 1 Alt. 1 GG garantiert das Recht, die eigene Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind, und zwar ungeachtet eines etwaigen ehrschmälernden, polemischen oder verletzenden Gehalts der Äußerung.[2] Die Schranke der „persönlichen Ehre“ in Art. 5 II GG ergibt, dass sogar beleidigende Äußerungen als Meinungen eingestuft werden können. Der B betitelte seinen Kollegen C mehrmals mit den Worten „Ugah, Ugah!“, um ihn als Person of Colour zu provozieren. Dabei handelt es sich zwar um eine herabwürdigende Äußerung, die aber in ebendieser Diskreditierung jedenfalls noch ein Element der Stellungnahme beinhaltet. Die Äußerung ist von dem weit gefassten Meinungsbegriff erfasst.

Klausurtaktik

Es ist auch möglich, an dieser Stelle bereits zu thematisieren, ob die Äußerung die Grenze der Schmähung bzw. Formalbeleidigung überschreitet. In dem Bearbeitungsvorschlag wird dies erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung geprüft.

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2. Persönlicher Schutzbereich

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Auch der persönliche Schutzbereich müsste eröffnet sein. Nach Art. 5 I 1 Alt. 1 GG hat „jeder“ das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Der B ist als natürliche Person von dem persönlichen Schutzbereich erfasst.

Somit ist der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet.

II. Eingriff

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Zu prüfen ist, ob ein Eingriff in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit vorliegt. Nach dem sogenannten „klassischen“ Eingriffsbegriff ist ein Eingriff jede staatliche Maßnahme, die eine in den Schutzbereich fallende Tätigkeit final, unmittelbar, rechtsförmig und imperativ beeinträchtigt. Ein Eingriff könnte in der arbeitsgerichtlichen Entscheidung liegen, mit der ein „wichtiger Grund“ für die Kündigung gemäß § 626 BGB angenommen wurde. Die Auslegung und Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften obliegen den Gerichten. Bei ihren Entscheidungen haben sie dem Einfluss der Grundrechte auf die anwendbaren gesetzlichen Vorschriften Rechnung zu tragen (sogenannte mittelbare Drittwirkung der Grundrechte).

Klausurtaktik

Es bestehen mehrere Möglichkeiten, im Rahmen der Prüfung darauf aufmerksam zu machen, dass eine Fallkonstellation der sogenannten mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten vorliegt. Hier wird dieser Aspekt ausdrücklich erst im Eingriff angesprochen. Es ist aber auch möglich, hierauf bereits in der Zulässigkeit bei der Beschwerdebefugnis einzugehen, siehe dazu Fall 7.

In der arbeitsgerichtlichen Bestätigung der Kündigung, die sich auf eine von der Meinungsfreiheit geschützte Aussage stützt, liegt eine Beeinträchtigung dieser Freiheit.[3] Die Entscheidung beschränkt das Recht des B auf freie Meinungsäußerung final und unmittelbar. Es ergeht als Gerichtsentscheidung in rechtsförmiger Weise und ist mit Befehl bzw. Zwang durchsetzbar. Ein Eingriff liegt somit schon nach dem klassischen Eingriffsbegriff vor.

Klausurtaktik

Sofern – wie hier – bereits der klassische Eingriffsbegriff zu einem Eingriff führt, kann ein Erörtern des modernen Eingriffsbegriffs unterbleiben.

III. Rechtfertigung

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Der Eingriff könnte jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies setzt voraus, dass das betroffene Grundrecht einschränkbar ist, die angewendete Rechtsgrundlage und die Anwendung und Auslegung durch das Gericht verfassungsmäßig sind.

1. Einschränkbarkeit

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Gemäß Art. 5 II GG findet die Meinungsfreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre (sogenannter qualifizierter Gesetzesvorbehalt). Bedeutsam ist vor allem die Schranke der allgemeinen Gesetze. Ein Gesetz ist „allgemein“ im Sinne von Art. 5 II GG, wenn es nicht auf das Verbot einer bestimmten Meinung gerichtet ist und (zumindest auch) dem Schutz von Verfassungsgütern dient, die gegenüber der Meinungsfreiheit im Einzelfall den Vorrang haben können.

Klausurtaktik

An dieser Stelle könnte auch etwas ausführlicher auf das Verständnis des allgemeines Gesetzes und die Abgrenzung von Sonderrechtslehre und Abwägungslehre eingegangen werden, bevor die hier verwendete Definition gefunden wird (die der sogenannten Kombinationslehre des BVerfG entspricht).

§ 626 BGB verbietet keine bestimmte Meinung und ermöglicht mit dem unbestimmten Tatbestandsmerkmal des „wichtigen Grundes“ eine Abwägung widerstreitender Rechtsgüter, von denen etwa die Berufsfreiheit der Arbeitgeberin gemäß Art. 12 I GG im Einzelfall den Vorrang vor der Meinungsfreiheit genießen kann. Es handelt sich bei § 626 BGB somit um ein allgemeines Gesetz.

Klausurtaktik

Die Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehalt (hier: das allgemeine Gesetz) können an verschiedenen Punkten geprüft werden: 1) innerhalb der „Einschränkbarkeit“, wenn – wie hier – dieser Prüfungspunkt keiner längeren Ausführungen bedarf, 2) als eigenständiger Prüfungspunkt zwischen „Einschränkbarkeit“ und der „Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage“, 3) als eigenständiger Prüfungspunkt der „Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage“. Wichtig ist, dass der Prüfungspunkt in der Bearbeitung sichtbar wird. Thematisiert werden muss diese Aufbaufrage jedoch nicht.

2. Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage

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§ 626 BGB ist sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß. Insbesondere ermöglicht die generalklauselartige Formulierung des „wichtigen Grundes“ einen verhältnismäßigen Ausgleich der jeweils betroffenen Rechtsgüter Privater.

Klausurtaktik

Der Sachverhalt enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtsgrundlage verfassungswidrig sein könnte, sodass die Prüfung hier äußerst knapp erfolgen kann. Es ist jedoch nicht zu beanstanden, wenn hierzu in zwei, drei kurzen Sätzen ausgeführt wird.

3. Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesanwendung und -auslegung im Einzelfall

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Das Gericht müsste auch im konkreten Einzelfall bei der Auslegung und Anwendung von § 626 BGB Bedeutung und Reichweite der Meinungsfreiheit zutreffend erkannt und eine verhältnismäßige Abwägung der widerstreitenden Rechtsgüter vorgenommen haben.

a) Ermittlung des Sinns der Meinungsäußerung
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Zunächst müsste das Gericht Bedeutung und Reichweite der Meinungfreiheit bei der Auseinandersetzung mit der Aussage des B hinreichend ermittelt haben.[4] Dies erfordert, dass das Gericht sich mit den Deutungsmöglichkeiten der Aussage befasst, auf der die Kündigung beruht. Die Arbeitsgerichte haben eine umfängliche Beweisaufnahme vorgenommen und die Äußerung auf dieser Grundlage als grobe rassistische Beleidigung eines Arbeitskollegen und als erhebliche Pflichtverletzung gewertet. Die Bewertung der Äußerung als fundamental herabwürdigende, rassistische Beleidigung ist insbesondere im Lichte von Art. 3 III 1 GG, der sich gegen rassistische Diskriminierung wendet, nicht zu beanstanden.[5] Die Gerichte haben jedenfalls nicht grob verkannt, dass die Äußerung des B grundsätzlich eine von der Meinungsfreiheit geschützte Aussage darstellt.

b) Ausfall der Einzelfallabwägung?
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Grundsätzlich erfordert die Meinungsfreiheit eine Abwägung der drohenden Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit mit anderen Rechtsgütern. Ausnahmsweise tritt die Meinungsfreiheit aber bei herabwürdigenden Äußerungen von vornherein zurück, ohne dass es einer Abwägung im Einzelfall bedürfe. Dies ist durch das Bundesverfassungsgericht insbesondere anerkannt bei Formalbeleidigungen und Schmähungen, welche die Menschenwürde der beleidigten bzw. geschmähten Person berühren. In solchen Fällen ist keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen.

An das Vorliegen einer Formalbeleidigung oder Schmähung sind sehr strenge Anforderungen zu stellen.

aa) Schmähung
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Die Äußerung des B könnte als Schmähung zu bewerten sein. Eine Schmähung liegt erst dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund einer Äußerung steht. Sachkritik darf grundsätzlich auch pointiert, grob und überspitzt ausfallen. Erst wenn die Äußerung sich als gravierende persönliche Herabwürdigung bzw. Degradierung darstellt, überschreitet sie die Grenze zur Schmähung. Dies könnte bei dem Ausruf „Ugah Ugah“ verbunden mit Affenlauten der Fall sein. Diese Äußerung des B gegenüber seinem Kollegen C könnte für sich genommen einen menschenunwürdigen Charakter haben. Die Aussage verbunden mit den Affenlauten stellt People of Colour in die Nähe zu Tieren und adressiert sie ganz ausdrücklich nicht als Menschen, sondern als minderwertig. Die Aussage ist bereits für sich genommen derart verachtend, dass sie eine Schmähung darstellen kann. Es handelt sich um eine menschenverachtende Diskriminierung. Die Menschenwürde aus Art. 1 I GG wird laut Bundesverfassungsgericht angetastet, wenn eine Person nicht als Mensch, sondern als Affe adressiert wird und damit das in Art. 3 III 1 GG ausdrücklich normierte Recht auf Anerkennung als Gleiche frei von rassistischen Zuschreibungen verletzt wird.[6] Danach ist in der Äußerung eine Schmähung zu sehen.

bb) Formalbeleidigung
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Daneben könnte die Äußerung des B auch eine Formalbeleidigung darstellen. Bei der Formalbeleidigung handelt es sich um die Verwendung besonders krasser, aus sich heraus herabwürdigender Schimpfwörter, die kontextunabhängig als gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeiten einzustufen sind.[7] Es handelt sich bei dem Ausruf „Ugah Ugah“ verbunden mit Affenlauten um eine durchaus gängige Form der rassistischen Diffamierung, die mit dem Ziel der gravierenden persönlichen Herabwürdigung eingesetzt wird, z.B. im Zusammenhang mit Fußballspielen.[8] Die Äußerung stellt somit auch eine Formalbeleidigung dar.

Klausurtaktik

Hier kann auch anders argumentiert werden und eine Schmähung und Formalbeleidigung mit Blick auf die strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen (noch) abgelehnt werden. Im Rahmen der verhältnismäßigen Abwägung ist dem Charakter der Äußerung und ihren Bezügen zu Art. 1 I GG und Art. 3 III 1 GG dann angemessen Rechnung zu tragen.

c) Hilfsgutachten: Verhältnismäßigkeit der Anwendung und Auslegung im konkreten Einzelfall
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Hilfsgutachterlich ist zu prüfen, ob das Gericht bei der konkreten Anwendung und Auslegung im Einzelfall die widerstreitenden Rechtsgüter in einen verhältnismäßigen Ausgleich (praktische Konkordanz) gebracht oder die Wertungen von Art. 5 I 1 GG verkannt bzw. im Rahmen der Abwägung grob verletzt hat. Bei der Prüfung des „wichtigen Grundes“ hatte das Gericht das Kündigungsinteresse der Druckerei (Art. 12 I GG) mit der Meinungsfreiheit des B abzuwägen.

Klausurtaktik

Geprüft wird hier die Herstellung praktischer Konkordanz. Eine vierstufige Verhältnismäßigkeitsprüfung ist dafür nicht erforderlich.

Im Rahmen der Abwägung sind zunächst die widerstreitenden Interessen abstrakt zu bestimmen. Der B beruft sich auf seine Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG. Das Kündigungsinteresse der Druckerei ergibt sich demgegenüber auch mit Blick auf die Fürsorgepflichten der Arbeitgeberin, ihr Personal vor rassistischen Anfeindungen durch Kolleg*innen zu schützen. Diese Pflicht ergibt sich wiederum in Zusammenschau der § 3 III, § 12 III AGG und § 75 I BetrVG. Diese Regelungen gestalten das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 III 1 GG aus, wonach niemand wegen der „Rasse“[9] benachteiligt oder bevorzugt werden darf. In diesen Regelungen findet zudem die verfassungsrechtliche Wertung der Unantastbarkeit der Menschenwürde aus Art. 1 I GG ihren Niederschlag.[10]

Die Arbeitsgerichte haben in ihren Entscheidungen konkret berücksichtigt, dass die Äußerung im Rahmen einer Auseinandersetzung während einer Betriebsratssitzung getätigt wurde. In diesem dienstlichen Kontext sind auch die Schutzpflichten der Arbeitgeberin gegenüber ihren Mitarbeiter*innen besonders gewichtig. Die Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin ist zudem aufgrund von Vorfällen in der Vergangenheit verdichtet, weshalb die Arbeitgeberin zur Herstellung eines diskriminierungsfreien Arbeitsumfeldes ein besonderes Interesse an der Kündigung hat. Der B war bereits in der Vergangenheit wegen diskriminierender Äußerungen gegenüber Kolleg*innen abgemahnt worden. Ihm war damit die Bedeutung seiner Äußerungen aus der vorherigen Abmahnung bekannt. Diese Abmahnung verblieb allerdings ausweislich der hier in Rede stehenden Äußerung wirkungslos. Dies haben die Gerichte im Rahmen einer Gesamtwürdigung in einer Weise gewertet, die nicht von einer groben Verkennung der Meinungsfreiheit zeugt.

4. Zwischenergebnis

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Der Eingriff in die Meinungsfreiheit war somit gerechtfertigt.

IV. Ergebnis

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Die arbeitsgerichtliche Entscheidung verletzt den B nicht in seinem Recht auf Meinungsfreiheit. Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet. Sie wird keinen Erfolg haben.

Weiterführende Studienliteratur

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Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

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  • Die Meinungsfreiheit erfordert grundsätzlich eine Abwägung zwischen der drohenden Beeinträchtigung der persönlichen Ehre einerseits und der Meinungsfreiheit andererseits.
  • Bei Schmähung und Formalbeleidigung tritt die Meinungsfreiheit ausnahmsweise dergestalt hinter den Schutz der persönlichen Ehre zurück, dass die Einzelfallabwägung entbehrlich ist. An diese Ausnahmefälle sind strenge Maßstäbe anzulegen.
  • Menschenverachtende diskriminierende Äußerungen, welche die Menschenwürde (Art. 1 I GG) und das in Art. 3 III 1 GG enthaltene Verbot rassistischer Diskriminierung berühren, lassen sich nicht unter Berufung auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen.

Dieser Text wurde von der Initiative für eine offene Rechtswissenschaft OpenRewi erstellt. Wir setzen uns dafür ein, Open Educational Ressources für alle zugänglich zu machen. Folge uns bei Bluesky oder X oder trage dich auf unseren Newsletter ein.

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Inhaltsverzeichnis des Buches

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Zusatzmaterial / Weiterentwickelte Fälle

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Fußnoten

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  1. BVerfG, Urt. v. 24.02.2018, Az.: 2 BvR 309/15, Rn. 60 = BVerfGE 149, 293, 317.
  2. BVerfG, Beschl. v. 10.10.1995, Az.: 1 BvR 1476/91 = BVerfGE 93, 266 <289 f.> - Soldaten sind Mörder.
  3. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19, Rn. 8.
  4. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19, Rn. 11 m.w.N.
  5. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19, Rn. 11.
  6. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19, Rn. 18.
  7. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19, Rn. 11.
  8. Siehe etwa hier https://www.deutschlandfunk.de/rassismus-im-fussball-landessportbund-berlin-distanziert.890.de.html?dram:article_id=471106.
  9. Zur Verwendung dieses problematischen, in der Verfassung verwendeten Begriffs siehe Fall 10.
  10. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19, Rn. 17 ff.
  11. BVerfG, Beschl. v. 02.11.2020, Az.: 1 BvR 2727/19.