Fall 7 Lösung
Bei diesem Text handelt es sich um die Arbeitsversion eines im DeGruyter-Verlag veröffentlichten Werkes, das unter folgendem Link abgerufen werden kann. Hauptverantwortlich für den als PDF veröffentlichten Artikel war Maximilian Petras.
Kommentare oder direkte Änderungen sind herzlich willkommen und werden in der zweiten Auflage berücksichtigt. Eine Anleitung dazu gibt es unter diesem Link
Behandelte Themen: Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde, Prüfung eines Freiheitsgrundrechtes, mittelbare Drittwirkung der Grundrechte, Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Recht am eigenen Bild, Privatsphäre, Clickbaiting, Sphärentheorie, Pressefreiheit
Zugrundeliegender Sachverhalt: SV Fall 7
Schwierigkeitsgrad: Zwischenprüfungsklausur, Studierende der ersten Semester
Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, sofern sie zulässig und soweit sie begründet ist.
A. Zulässigkeit
[Bearbeiten]Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 93 I Nr. 4a GG und der §§ 90 ff. BVerfGG erfüllt.
I. Zuständigkeit des BVerfG
[Bearbeiten]Das BVerfG ist gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG für die Entscheidung über Verfassungsbeschwerden zuständig.
II. Beschwerdefähigkeit
[Bearbeiten]Gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist „jedermann“, also jeder, der Träger von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann, beschwerdefähig. Indem G als natürliche Person Grundrechtsträger ist, ist er „jedermann“ und somit beschwerdefähig.
III. Prozessfähigkeit
[Bearbeiten]G ist ebenfalls prozessfähig, hat also die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch einen selbst bestellten Vertreter vornehmen zu können.
Punkt II und III können hier in der gebotenen Kürze behandelt werden. Eine Zusammenfassung unter einem Punkt der Prüfung ist ebenfalls möglich, um ein wenig Zeit zu sparen.
III. Beschwerdegegenstand
[Bearbeiten]Beschwerdegegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG jeder „Akt öffentlicher Gewalt“. Dies kann sowohl ein Handeln oder Unterlassen der Exekutive, der Judikative als auch der Legislative sein, vgl. Art. 1 III GG. Hier richtet sich G gegen das letztinstanzliche Urteil, das einen Akt der Judikative darstellt. Ein Akt der öffentlichen Gewalt liegt demnach vor.
IV. Beschwerdebefugnis
[Bearbeiten]G müsste beschwerdebefugt sein. Gemäß Art. 93 I Nr. 4a GG, § 90 I BVerfGG ist die Behauptung einer Grundrechtsverletzung erforderlich. Diesem Erfordernis ist dann genügt, wenn die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung besteht, da die beschwerdeführende Person selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist.
1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung
[Bearbeiten]Der Vortrag der beschwerdeführenden Person muss die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung oder der Verletzung eines grundrechtsgleichen Rechtes ergeben, d.h. eine solche darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Hier kommt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei der Auslegung der §§ 22, 23 KUG in Betracht.
Im Folgenden muss auf die sogenannte "mittelbare Drittwirkung" eingegangen werden, da hier nicht das Verhältnis Staat-Bürger:in vorliegt, sondern eine Beziehung zwischen Privaten (G und M) einschlägig ist. Hintergründe und weitere Tipps sind im entsprechenden Lehrbuchkapitel zu finden. Eine etwas anders strukturierte Version des Aufbaus eines Falles zur mittelbaren Drittwirkung wird im Fall 5 zur Meinungsfreiheit umgesetzt.
Da es sich bei der angegriffenen Maßnahme um ein zivilgerichtliches Urteil handelt, das die Rechtslage zwischen zwei Privaten betrifft, ist fraglich, ob eine Grundrechtsverletzung überhaupt möglich ist.
Als Teil der Staatsgewalt sind zwar auch die Zivilgerichte gem. Art. 1 III GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden, ihre Urteile beschränken sich aber auf die Feststellung der zwischen den privaten Beteiligten bestehenden Rechtslage. Da nach überwiegender Auffassung zwischen Privaten keine unmittelbare Grundrechtsgeltung anzunehmen ist (Umkehrschluss aus Art. 9 III 2 GG), sondern die Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat bilden, könnte demnach in einem solchen Konflikt zwischen Privaten bereits grundsätzlich die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung zu verneinen sein.
Anerkannt ist jedoch, dass die Grundrechte zwischen Privaten eine sog. mittelbare Drittwirkung entfalten. Da die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sondern auch eine objektive Wertordnung aufstellen, sind die Zivilgerichte verpflichtet, auch die Vorschriften des Privatrechts, insbes. die Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, im Lichte der Grundrechte auszulegen und anzuwenden. In einer Konstellationen wie dieser ergibt sich die mittelbare Drittwirkung weiterhin aus der grundrechtlichen Schutzpflichtdimension, da G hier die Handlung der M zu erdulden hatte, weil ihm das Gericht keinen Schadensersatz zuerkannte.
Bei dem zugrundeliegenden Zivilrechtsverhältnis handelt es sich um eine "außervertragliche" Konstellation, weil G und M gerade keinen Vertrag geschlossen haben. M hat gehandelt, G hat hierauf reagiert. Eine vertragliche Konstellation würde vorliegen, wenn die beiden einen Lizenzvertrag abgeschlossen hätten, der M erlaubt, mit den Bildern von G Werbung zu betreiben. Auch in einem Vertragsverhältnis lässt sich die mittelbare Drittwirkung der Abwehr- oder Schutzpflichtdimension zuordnen.
Vorliegend wäre eine Grundrechtsverletzung zumindest dann möglich, wenn die Gerichte diese „Ausstrahlungswirkung der Grundrechte“, in Form der Schutzpflicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, auf das Privatrecht verkannt hätten. Dies ist hier nicht von vornherein ausgeschlossen.
2. Selbstbetroffenheit (eigene Beschwer)
[Bearbeiten]Für eine eigene Beschwer muss die beschwerdeführende Person geltend machen, selbst in ihren Grundrechten verletzt zu sein. Die Abbildungen betrafen die Person des G. Somit liegt eine eigene Beschwer des G vor.
3. Unmittelbare Betroffenheit
[Bearbeiten]Eine unmittelbare Betroffenheit liegt wegen der umstandslosen Wirkung der Bildveröffentlichung auf G ebenfalls vor.
4. Gegenwärtige Betroffenheit
[Bearbeiten]Ebenfalls müsste der G gegenwärtig betroffen sein.
Dies ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Beeinträchtigung in der Vergangenheit liegt. Allerdings liegt die Betroffenheit dennoch vor, wenn von der in der Vergangenheit stattgefundenen Maßnahme immer noch beeinträchtigende Wirkungen ausgehen oder wenn eine Wiederholung möglich ist.
Vorliegend ist der Beitrag von G zwar nicht mehr auf der Facebookseite der M zu sehen, allerdings sind über 6000 Personen mit der Information konfrontiert worden, dass G Krebs haben könnte. Dieses Gerücht besteht fort.
Darüber hinaus ist G vor den zivilgerichtlichen Instanzen unterlegen. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Handlungen der M wurde G nicht zuerkannt. Solange der G keinen Schadensersatzanspruch zugesprochen bekommen hat, besteht die Gefahr der Wiederholung des Clickbaiting.
Demnach ist der G hier auch durch das Urteil gegenwärtig betroffen.
Die Prüfung der Gegenwärtigkeit sollte hier zwar kurz problematisiert werden, daran darf die Klausur jedoch nicht scheitern. Das Bundesverfassungsgericht ist grundsätzlich großzügig mit diesem Maßstab.
V. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität
[Bearbeiten]Die Verfassungsbeschwerde kann gemäß § 90 II 1 BVerfGG erst nach Erschöpfung des Rechtsweges erhoben werden, soweit ein Rechtsweg zulässig ist. Hier hat G den Rechtsweg erfolglos bestritten. Anderweitige Möglichkeiten, das Urteil anzugreifen bestehen nicht, womit auch der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt worden ist.
VI. Frist und Form des Antrags
[Bearbeiten]Die beschwerdeführende Person müsste mit ihrem Antrag die Form- und Fristvorschriften wahren. Die Verfassungsbeschwerde müsste gemäß § 23 I 1 BVerfGG schriftlich beim BVerfG eingereicht werden. Der Antrag müsste des Weiteren eine ausreichende Begründung gemäß §§ 23 I 2, 92 BVerfGG aufweisen. Außerdem müsste die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 I 1 BVerfGG fristgerecht erhoben worden sein. G hat alle Formvorschriften erfüllt.
VII. Ergebnis zur Zulässigkeit
[Bearbeiten]Die Verfassungsbeschwerde des G ist zulässig.
B. Begründetheit
[Bearbeiten]Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn G durch das Urteil in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist, Art. 93 I Nr. 4a GG. In Betracht kommt hier eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG. Bei Freiheitsrechten ist eine Grundrechtsverletzung dann gegeben, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegt, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist.
Achtet bei der Prüfung immer auf saubere Obersätze. Gerade bei der Verfassungsbeschwerde ist dieser Obersatz besonders wichtig. In diesem Fall weicht der Obersatz trotz mittelbarer Drittwirkung nicht von normalen Konstellationen ab. Schaut euch hierzu die Ausführungen im entsprechenden Lehrbuchkapitel an.
Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz. Es prüft nicht die Auslegung einfachen Rechts, sondern allein die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts. Relevant werden könnte hierbei eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten, die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, die fehlende Berücksichtigung einzelner Grundrechte oder eine Missachtung der Reichweite oder der Bedeutung der Grundrechte bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte. Eine Bedeutung des Grundrechts wurde verkannt, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der betroffenen Grundrechte beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet.
Bei der Auslegung der "berechtigten Interessen" des G gemäß §§ 22, 23 KUG könnte die Bedeutung dessen allgemeinen Persönlichkeitsrechts verkannt worden sein, indem ihm der Schutz seiner Interessen versagt worden ist.
Ihr solltet im Folgenden also gerade nicht §§ 22, 23 KUG prüfen, sondern lediglich die einschlägigen Grundrechte anhand der hier einschlägigen unbestimmten Rechtsbegriffe zur Entfaltung bringen.
I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
[Bearbeiten]In Betracht kommt hier eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG.
1. Schutzbereich
[Bearbeiten]Zunächst müsste der sachliche und persönliche Schutzbereich eröffnet sein.
Als besondere Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG abgeleitet. Es wird durch verschiedene Fallgruppen ausgestaltet und konkretisiert. Eine Fallgruppe ist das Recht auf Selbstdarstellung. Hierdurch wird ein gewisser Einfluss auf die Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit garantiert. Dazu gehört ebenfalls ein Offenbarungsschutz, welche höchstpersönlichen Lebenssachverhalte mit der Öffentlichkeit geteilt werden. Spezieller ist im Recht auf Selbstdarstellung auch das Recht am eigenen Bild enthalten, wonach das Verfügungsrecht des Einzelnen über öffentliche bildliche Darstellungen der eigenen Person gewährleistet ist. Die M veröffentlichte Porträtfotos des G ohne dessen Einwilligung. Das Recht des G am eigenen Bild ist daher berührt.
Darüber hinaus gewährleistet das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Möglichkeit, bestimmte Aspekte der privaten Lebens durch Rückzug und Vertraulichkeit (Privatsphäre) zu schützen, um dort die eigene Individualität zu entwickeln. Hierbei werden verschiedene Sphären mit unterschiedlichem Schutzgehalt differenziert. Unterschieden werden Intimsphäre, Privatsphäre und Sozialsphäre. Die Intimsphäre ist durch einen besonders starken Bezug zur Menschenwürde ausgezeichnet und deshalb absolut geschützt. Hierunter fallen Bereiche der totalen Zurückgezogenheit, wie z.B. die private Sexualität.[1] Demgegenüber umfasst die Privatsphäre z.B. Bereiche der Zurückgezogenheit gegenüber der Öffentlichkeit, wie ein nicht-öffentliches Treffen mit Bekannten. Staatliche Eingriffe in die Privatsphäre können unter strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt werden. Sofern eine Tätigkeit nicht in die Privatsphäre fällt, wird sie der Sozialsphäre zugerechnet. Eingriffe in die Sozialsphäre können unter weniger strengen Anforderungen gerechtfertigt werden. Hierbei sind die Abgrenzungen zwischen den Sphären nicht trennscharf. Letztendlich muss im Einzelfall differenziert werden, wie die Näheverhältnisse der beteiligten Personen und der Sozialbezug der Situation einzuordnen sind.
Gerade in Bezug auf Prominente, die regelmäßig in der Öffentlichkeit stehen, wird der Schutz nicht räumlich sondern thematisch entwickelt.[2] Das steht im Einklang mit der Ausstrahlungswirkung des Art. 8 EMRK, welcher ebenfalls das Privat- und Familienleben schützt. Von der Privatsphäre umfasst sind solche Angelegenheiten, deren Informationsinhalte typischerweise als privat eingestuft werden.[3] Dazu gehören gerade auch Krankheiten.[4] Eine mögliche Krebserkrankung von G ist keine Information, die das öffentliche Wirken des G unmittelbar betrifft. Stattdessen muss sie als höchstpersönlich eingestuft werden. Demnach ist durch die Falschinformation die Privatsphäre des G betroffen.
Art. 8 ist Teil der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den das Bundesverfassungsgericht zur Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes heranzieht. Für Hintergründe und weitere Beispiel vgl. das Kapitel im Lehrbuch.
Als natürliche Person ist G Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sodass auch der persönliche Schutzbereich eröffnet ist.
Sowohl der sachliche als auch der persönliche Schutzbereich ist eröffnet.
2. Eingriff
[Bearbeiten]Weiterhin muss geprüft werden, ob ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des G vorliegt.
Nach dem klassischen Eingriffsbegriff ist ein Eingriff jede staatliche Maßnahme, die eine in den Schutzbereich fallende Tätigkeit final, unmittelbar, rechtsförmig und imperativ beeinträchtigt. Hier könnte ein Eingriff darin gesehen werden, dass dem G durch die Zivilgerichte kein Schadensersatz zugesprochen worden ist. Allerdings stellt dies ein Unterlassen staatlicher Tätigkeit dar. Zumindest bei dem Merkmal der Unmittelbarkeit wäre ein Eingriff nach dem klassischen Verständnis problematisch.
Nach dem modernen Eingriffsbegriff ist ein Eingriff schon dann gegeben, wenn die Grundrechtsträger:in durch eine dem Staat zurechenbare Handlung in ihrer Grundrechtsausübung beeinträchtigt wird. Eine Beeinträchtigung kann auch in einem Unterlassen liegen, sofern eine Handlungspflicht besteht und die Folgen des Unterlassens vorhersehbar waren.[5] Die Handlungspflicht ergibt sich hier in der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des G. Dass die Ablehnung von Schadensersatz die Beeinträchtigung negiert, war als Folge ebenfalls vorhersehbar. Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht liegt demnach vor.
An dieser Stelle zeigen sich die ersten handfesten Probleme der mittelbaren Drittwirkung. G möchte Geld (Schadensersatz) von einem anderen privaten Beteiligten und das Gericht versagt ihm diesen Anspruch. Das erinnert nur noch entfernt an die klassische abwehrrechtliche Grundrechtskonstellation, in der ein staatliches Organ den Schutzbereich eines Grundrechts beschränkt/beeinträchtigt. Wenn dennoch der klassiche Aufbau Schutzbereich-Eingriff-Rechtfertigung gewählt wird, muss unbedingt auf diese Besonderheiten eingegangen werden. Andere Aufbauvarianten sind ebenfalls vertretbar.
3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
[Bearbeiten]Ein Grundrechtseingriff ist gerechtfertigt, wenn er eine verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeiten des Grundrechts darstellt.
a) Einschränkbarkeit des Grundrechts
[Bearbeiten]Für das allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt die Schrankentrias des Art. 2 I GG. Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung wird im weiten Sinne verstanden. Er umfasst alle formell und materiell verfassungsmäßigen Rechtssätze, also die gesamte verfassungsmäßige Rechtsordnung. Dies entspricht einem einfachen Gesetzesvorbehalt. Der Schranke der Rechte anderer sowie der des Sittengesetzes kommt daneben keine eigenständige Bedeutung zu. Art. 2 I i.V.m. 1 I GG ist demnach durch oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar. Das Urteil wird auf § 823 II BGB i.V.m. §§22, 23 KUG gestützt. Das KUG stellt als Parlamentsgesetz eine zulässige Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.
b) Grenzen der Einschränkbarkeit
[Bearbeiten]Das Urteil stellt aber nur dann eine verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, wenn sowohl die dem Urteil zugrunde liegenden Normen als auch deren Anwendung in Form des Urteils verfassungsgemäß sind.
Die §§ 823 BGB, 22, 23 KUG sind sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß.
Das war im Bearbeitungsvermerk vorgegeben.
Bei der Anwendung dieser Normen durch das Gericht liegt eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts insbesondere dann vor, wenn bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wurde.
Fraglich ist, ob die Fachgerichte bei der Anwendung der §§ 22, 23 KUG eine Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „berechtigtes Interesse“ gewählt haben, welche die Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts richtig eingeschätzt hat. Gemäß § 23 KUG dürfen Bilder von Personen der Zeitgeschichte auch ohne Einwilligung veröffentlicht werden, wenn nicht ein berechtigtes Interesse entgegensteht. G steht als Person des öffentlichen Lebens unabhängig von einem konkreten Anlass im Blickpunkt der Öffentlichkeit und ist daher eine Person der Zeitgeschichte.
Insofern gilt es, das „berechtigte Interesse“ des G an einer Unterbindung der Veröffentlichung, hier verankert im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, sowie das in § 23 KUG zum Ausdruck kommende Informationsinteresse der Allgemeinheit und die Pressefreiheit der M aus Art. 19 III, 5 I 2 GG gegeneinander abzuwägen. Die hier gegenläufigen Interessen sind im Rahmen der praktischen Konkordanz zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.
Hier wird also gerade nicht der Maßstab der Verhältnismäßigkeit angelegt. Warum das so ist, kann im im entsprechenden Lehrbuchkapitel nachgelesen werden.
aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht entwickelt insbesondere wegen seiner Bezüge zur Menschenwürde eine hohe Schutzwirkung. Im konkreten Fall ist das Persönlichkeitsrecht in dessen Ausformung als Recht auf Selbstdarstellung sowie Schutz der Privatsphäre betroffen. Hier wurde der G mit der schweren Krankheit Krebs in Verbindung gebracht, die weitreichende Folgen für die eigene Lebensgestaltung hat. Schon deswegen, aber auch weil diese Krankheit bei G tatsächlich nicht vorlag, ist durch die Verknüpfung von Überschrift und Bild im Facebookbeitrag die Privatsphäre des G betroffen. Ebenfalls hat G keine Einwilligung zur Veröffentlichung seines Bildes erteilt, sodass noch spezieller das Recht am eigenen Bild betroffen ist.
Hinsichtlich des konkreten Bildes ist die Beeinträchtigung allerdings nicht besonders gewichtig, da es sich um ein nicht unvorteilhaftes Fotos aus dem Bereich seiner beruflichen Tätigkeit und somit um ein Foto aus der Sozialsphäre handelt.
Wenn hier kein Porträtfoto benutzt worden wäre, sondern ein Bild aus dem privaten Bereich oder sogar unter Abbildung mit den Kindern der prominenten Person, wäre die Betroffenheit um einiges gewichtiger. Da nur ein Porträtfoto benutzt worden ist, war die Verknüpfung mit der Krebserkrankung entscheidend.
bb) Auf der anderen Seite steht das Grundrecht der Pressefreiheit aus Art 5 I 2 GG. Presse umfasst alle zur Verbreitung an die Allgemeinheit bestimmten Druckerzeugnisse. Unproblematisch umfasst sind hiervon periodisch erscheinende Printpublikationen.
Ob auch reine Online-Publikationen von der Pressefreiheit erfasst sind oder ggf. unter die Rundfunkfreiheit fallen, ist stark umstritten. Hier handelte es sich allerdings nicht um ein reines Online-Angebot, sondern um ein Print-Magazin, das die eigenen Inhalte durch eine Veröffentlichung auf der Facebook-Seite unterstützt.
Bei der M handelt es sich schon wegen der ebenfalls regelmäßig erscheinenden gedruckten Zeitschrift um Presse. Hinsichtlich der konkreten Inhalte ist das Presseorgan frei in der Gestaltung. Auch die Veröffentlichung von Bildberichten über gesellschaftlich hochgestellte Persönlichkeiten kann grundsätzlich der Meinungsbildung dienen. Selbst das reine Mittel des Erzielens von Aufmerksamkeit, z.B. durch Schlagzeilen auf der Titelseite von Publikationen, ist von der Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 GG gedeckt. Indem die Fotos mehrere Prominenten mit einer sensiblen Frage wie einer Krebserkrankung verknüpft werden, reicht das Interesse der Lesenden an nur einem der auf den Fotos Abgebildeten aus, um mindestens Aufmerksamkeit zu wecken. Der Beitrag wird in solch einer Form gestaltet, dass ein entstandendes Informationsbedürfnis der Lesenden erst durch den Klick auf den Link voll befriedigt werden kann. Hierbei geht es darum, möglichst viele Seitenaufrufe zu generieren und dadurch die Werbeeinnahmen der M zu steigern. Für eine Zeitschrift, die sich hauptsächlich über Werbeeinnahmen finanziert, ist diese Einkommensquelle essentiell. Das Generieren von Aufmerksamkeit zur Erzielung von Einnahmen ist hier von der Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 GG mitumfasst.[6]
Bis hierhin wurde abstrakt beschrieben, welches Gewicht die betroffenen Grundrechte zugesprochen bekommen. Danach müsst ihr euch entscheiden, welches der beiden schwerer wiegt.
cc) Allerdings muss sich an den grundsätzlich weiten Schutz der Pressefreiheit ein nennenswerter journalistischer Beitrag anschließen, der im Bezug zur Ursprungsverlinkung vom Facebook-Post steht. Mit der verlinkten Veröffentlichung ist jedoch keinerlei Informationswert mit Blick auf den G verbunden.[7] Er kommt in dem Artikel des Magazins gar nicht vor. Eine inzidente Berichterstattung über die Nicht-Erkrankung des Klägers wäre annehmbar, findet sich so aber nicht in dem verlinkten Artikel wieder. Ebenfalls weist der G keinen Bezug zu dem tatsächlich an Krebs erkrankten Moderatoren auf, im Gegenteil wäre sein Bild beliebig mit dem Bild eines anderen nicht an Krebs erkrankten Menschen austauschbar.[8]
Darüber hinaus könnte die Bildfolge als redaktionell aufgearbeitetes "Rätsel" aufgefasst werden und so einen journalistischen Mehrwert darstellen. Allerdings würde ein solches Rätsel voraussetzen, dass die Lesenden über gezieltes Nachdenken zu einer Lösung kommen können. Hier ist lediglich ein Raten möglich. Nicht zuletzt wird die Bildfolge durch das Magazin selbst auch nicht als Rätsel präsentiert.[9]
Über das reine Bild hinaus hat die Nachricht auf der Profilseite keinen Informationswert und kann hier keinen greifbaren Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten.[10] Da eine Krebserkrankung bei G nicht vorlag und dies der M bekannt war, ist die Präsentation des Bildes am Rande der Falschmeldung, was den Schutz aus Art. 5 I 2 GG zusätzlich vermindert.
Selbst wenn man der M unterstellen würde, ein nennenswertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu befriedigen, stünde auf der anderen Seite eine erhebliche Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des G. Werbeeinnahmen reichen nicht aus, um eine prominente Person in einer sensiblen Angelegenheit an den Rande einer Falschmeldung zu rücken.
Indem der BGH bei der Auslegung der "berechtigten Interessen" aus § 23 KUG das Gewicht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts grundlegend verkannt hat, ist das letztinstanzliche Urteil nicht verfassungsgemäß.
cc) Zwischenergebnis
Das Urteil stellt keine verfassungsmäßige Konkretisierung der Einschränkungsmöglichkeiten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar.
4. Zwischenergebnis
[Bearbeiten]Der Eingriff kann nicht gerechtfertigt werden. Somit liegt eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 I i.V.m. 1 I GG vor.
II. Zwischenergebnis
[Bearbeiten]Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
C. Ergebnis
[Bearbeiten]Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet und hat daher Aussicht auf Erfolg.
Weiterführende Studienliteratur
[Bearbeiten]- das zugrundeliegende Urteile: OLG Köln, Urt. v. 28.05.2019, Az.: 15 U 160/18 sowie BGH, Urt. v. 21.01.2021, Az.: I ZR 120/19
- OpenRewi Lehrbuch zu den Grundrechten, allgemeines Persönlichkeitsrecht
Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte
[Bearbeiten]- in grundrechtlichen Klausuren mit mittelbarer Drittwirkung darf nicht das zugrundeliegende Zivilrecht selbst ausgelegt werden
- Berichterstattung über Krankheiten ist der Privatsphäre zuzuordnen
- die Methode des Clickbaiting zur reinen Generierung von Aufmerksamkeit kann das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen
Hierfür gibt es Präsentations-Folien, die unter diesem Link abrufbar sind. Wird nutzen dafür das Tool CodiMD. Die Folien können also mit dem Link direkt benutzt werden. Wenn ihr unsere Folien verbessern, ändern oder bei der Erstellung mithelfen wollt, schreibt uns an folien@openrewi.org
Fußnoten
[Bearbeiten]- ↑ Epping, Grundrechte, 8. Auflage 2019, Rn. 629 ff.
- ↑ EGMR, Urt. v. 24.6.2004, Az.: 59320/00, Rn. 61 ff - Caroline von Hannover/Deutschland
- ↑ BVerfG, Urt. v. 15.12.1999, Az.: 1 BvR 653/96, Rn. 85 = BVerfGE 101, 361 - Caroline von Monaco
- ↑ BVerfG, Beschl. v. 8.3.1972, Az.: 2 BvR 28/71, Rn. 53
- ↑ Augsberg/Viellechner, JuS 2008, 406 (408)
- ↑ BGH, Urt. v. 21.01.2021, Az.: I ZR 120/19, Rn. 38
- ↑ BGH, Urt. v. 21.01.2021, Az.: I ZR 120/19, Rn. 56
- ↑ OLG Köln, Urt. v. 28.05.2019, Az.: 15 U 160/18, Rn. 41
- ↑ OLG Köln, Urt. v. 28.05.2019, Az.: 15 U 160/18, Rn. 42
- ↑ OLG Köln, Urt. v. 28.05.2019, Az.: 15 U 160/18, Rn. 40