Prüfung Freiheitsgrundrecht
Autor:innen: Max Milas, Hannah Ruschemeier
Die Prüfung eines Freiheitsgrundrechts ist für eine Vielzahl öffentlich-rechtlicher Klausuren relevant. Ein souveräner Umgang mit den verschiedenen Prüfungskonstellationen ist daher unentbehrlich. Die Mehrzahl der Grundrechte sind Freiheitsrechte, hinsichtlich des Prüfungsaufbaus wird zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten unterschieden. Aus diesem Grund beginnt der folgende Abschnitt mit einer kurzen Einführung in den Prüfungsaufbau eines Freiheitsgrundrechts, stellt dann die verschiedenen Klausurkonstellationen überblicksartig dar und geht schließlich in eine intensive Auseinandersetzung mit Schutzbereich, Eingriff und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung über.
A. Prüfungsaufbau eines Freiheitsgrundrechts
[Bearbeiten]Ein Freiheitsgrundrecht ist dann verletzt, wenn ein Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts vorliegt, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Denn Freiheitsgrundrechte schützen bestimmte Freiheitsräume der Grundrechtsträger:innen, in die staatlicherseits nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen eingegriffen werden darf. Daraus folgt ein dreistufiger Aufbau. Die Prüfung eines Freiheitsgrundrechts beginnt mit der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person in den persönlichen und sachlichen Schutzbereich eines Grundrechts fällt (sog. Schutzbereich). In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob durch staatliches Handeln ein Eingriff in diesen Schutzbereich vorliegt (sog. Eingriff). In einem dritten Schritt stellt sich die Frage, ob dieser Eingriff durch die Verfassung gerechtfertigt werden kann (sog. verfassungsrechtliche Rechtfertigung). Der dritte Schritt enthält seinerseits zwei Unterschritte. Erstens muss ein grundrechtseinschränkendes Gesetz vorliegen, das auf einer Einschränkungsmöglichkeit des Grundrechts beruht (sog. Einschränkbarkeit des Grundrechts). Dieser Unterschritt wird in der Literatur auch als "Schranke" bezeichnet. Zweitens müssen sowohl das grundrechtseinschränkende Gesetz als auch die auf diesem Gesetz beruhende Einzelfallmaßnahme (beispielsweise Rechtsverordnung, Verwaltungsakt oder Gerichtsurteil) formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sein (sog. Grenzen der Einschränkbarkeit). Dieser zweite Unterschritt wird in der Literatur auch als "Schranken-Schranke" bezeichnet. Die Prüfungsreihenfolge baut logisch aufeinander auf; wenn bereits kein grundrechtlich geschütztes Verhalten vorliegt, ist die Prüfung eines Eingriffs nicht möglich. Liegt kein Eingriff vor, besteht kein Rechtfertigungsbedürfnis. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung erfordert, die Wertungen aus Schutzbereich und Eingriff zu prüfen und zu gewichten. In vielen Klausuren liegt der Schwerpunkt auf der Prüfung der Verhältnismäßigkeit.
In der Klausur ist die Verletzung eines Freiheitsgrundrechts also anhand der folgenden Gliederung zu prüfen:
- I. Schutzbereich
- II. Eingriff (bzw. Schutzversagung)
- III. Rechtfertigung
- 1. Einschränkbarkeit des Grundrechts - Schranken
- 2. Grenzen der Einschränkbarkeit - Schranken-Schranken
- a) Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
- aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
- bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
- (1) Wesentlichkeitslehre
- (2) Bestimmtheitsgebot
- (3) Wesensgehaltsgarantie
- (4) Verbot des Einzelfallgesetzes
- (5) Zitiergebot
- (6) Verhältnismäßigkeit
- (a) Legitimer Zweck
- (b) Geeignetheit
- (c) Erforderlichkeit
- (d) Angemessenheit
- b) Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des Gesetzes
- a) Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
B. Klausurkonstellationen
[Bearbeiten]I. Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes/materielle Grundrechtsprüfung
[Bearbeiten]Sollte in der Klausur nur nach einer Grundrechtsverletzung gefragt sein, ist eine verfassungsprozessuale Prüfung nicht vorzunehmen. In der typischen Klausurkonstellation ist die Frage zu beantworten, ob ein Gesetz mit der Verfassung vereinbar ist. Die Prüfung orientiert sich dann an dem oben vorgestellten dreistufigen Schema. Es ist zu prüfen, ob 1.) das Gesetz einen Sachbereich regelt, der in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ob 2.) das Gesetz in diesen Schutzbereich eingreift und ob 3.) dieser Eingriff durch Verfassungsrecht gerechtfertigt werden kann.
Formulierungsbeispiel Grundrechte-Fallbuch, Fall 3 (Frage 3)
„Ist § 3 BSmG mit Art. 2 I GG vereinbar?“
II. Urteilsverfassungsbeschwerde
[Bearbeiten]Erhebt eine Person in der Klausur eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gerichtsurteil (sog. Urteilsverfassungsbeschwerde), ist nicht nur zu prüfen, ob das einschränkende Gesetz, das im Urteil angewendet wurde, selbst mit der Verfassung vereinbar ist. Dies entspricht der Prüfung unter I. Daran anschließend muss auch geprüft werden, ob der Einzelakt (bspw. Gerichtsurteil oder Verwaltungsakt) mit der Verfassung vereinbar ist. Für jede Ebene ist eine getrennte Prüfung der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit durchzuführen. Zunächst ist also die (formelle und materielle) Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu prüfen.
Erst im Anschluss daran ist die (formelle und materielle) Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts zu prüfen. In der Regel stellt dieser zweite Schritt (Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts [insbes. Verhältnismäßigkeit des Einzelakts]) den Schwerpunkt der Klausur dar. Prüfungsmaßstab bei der Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts ist nur die Verfassung selbst, also die Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht. Das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz und kontrolliert "nur", ob durch den Einzelakt Grundrechte verletzt worden sind.
Formulierungsbeispiel Grundrechte-Fallbuch, Fall 5
„Hat die Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche arbeitsgerichtliche Entscheidung Aussicht auf Erfolg?“
Davon zu trennen ist aber die Anwendung von einfachgesetzlichen Normen. Das BVerfG kontrolliert die Anwendung von einfachgesetzlichen Normen nur im Hinblick darauf, ob die Fachgerichte einfachgesetzliche Normen willkürllich angewendet haben. Grundrechtlicher Anknüpfungspunkt für diese Willkürkontrolle ist Art. 3 I GG.
III. Freiheits- und Gleichheitsrechte
[Bearbeiten]In einer Klausur werden Freiheitsrechte standardmäßig vor den Gleichheitsrechten geprüft. Auch wenn das BVerfG zum Teil die Freiheits- und Gleichheitsprüfung zusammenzieht oder "vermischt", sollten in der Fallbearbeitung beide Grundrechtsgruppen getrennt voneinander bearbeitet werden. Kommt ohnehin nur ein Gleichheitsverstoß infrage, ist die Prüfung nicht einschlägiger Freiheitsrechte nicht angezeigt. Es sind im Ergebnis aber alle in Betracht kommenden Grundrechte zu prüfen.
Im allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht können Grundrechte im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen. Diese wird entweder als eigener Prüfungspunkt oder im Rahmen einer Ermessensüberschreitung als potenzieller Verstoß gegen höherrangiges Recht geprüft. Eine Grundrechtsverletzung kann auch durch Einzeleingriff vorliegen, auch wenn diese Konstellation verfassungsprozessual (fast) keine Rolle spielt. Im Polizeirecht kann die Versammlungsfreiheit Art. 8 GG wichtig werden, wenn es um Maßnahmen nach dem jeweiligen bundes- oder landesrechtlichen Versammlungsgesetz geht. Praktisch relevant sind auch die besonderen Anforderungen des Art. 13 GG bei Hausdurchsuchungen oder Überwachungsmaßnahmen nach der StPO, soweit die Wohnung als geschützter Bereich betroffen ist.
Weiterführende Studienliteratur
[Bearbeiten]- Ekkehard Hoffmann/Fabian König, Grundrechte als Herausforderung bei der Falllösung im Examen – wie ist vorzugehen, wenn mehrere Grundrechte oder andere Verfassungsgüter herangezogen werden müssen?, ZJS 2012, 54-69.
Fußnoten
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