Grundrechtskonkurrenzen

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Autor: Alexander Brade

Notwendiges Vorwissen: Prüfungsstruktur Freiheitsgrundrecht

Lernziel: Grundrechtliche Konkurrenzlagen verstehen und in Klausuren lösen können.


Eine Konkurrenzlehre existiert nicht nur im Strafrecht. Auch im Verfassungsrecht gibt es Fälle, in denen ein und derselbe Sachverhalt durch mehrere (Grund-)Rechtsnormen gleichermaßen erfasst wird und sich deshalb – sowohl für die Praxis als auch für die Fallbearbeitung – die Frage stellt, welche Konsequenzen dies für die anzuwendenden Normen hat.

A. Vorliegen einer Konkurrenzlage[Bearbeiten]

Zunächst ist dem Begriff und den tatbestandlichen Voraussetzungen der Grundrechtskonkurrenz nachzugehen.

I. Begriff und Abgrenzungsfragen[Bearbeiten]

Es gibt Situationen, in denen sich der Grundrechtsträger hinsichtlich eines staatlichen (Eingriffs-)Aktes auf mehrere seiner Grundrechte berufen kann, weil sein Verhalten zugleich vom Schutzbereich mehrerer Grundrechtsnormen[1] (einer Verfassung[2]) erfasst wird (sogenannte grundrechtliche Konkurrenzlage).[3]

Beispiel: Verbietet die dafür zuständige Behörde ein religiös motiviertes Straßentheater, das einen Versammlungszweck verfolgt,[4] kommt ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 4 GG (Religionsfreiheit), Art. 5 I 1 GG (Meinungsfreiheit), Art. 5 III 1 GG (Kunstfreiheit) sowie von Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) in Betracht.


Von der Grundrechtskonkurrenz ist die Grundrechtskollision zu unterscheiden: Sie behandelt nicht das „Miteinander“ der Grundrechte eines Grundrechtsträgers, sondern das „Gegeneinander“ der Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger.[5] Das ist bei der bereits thematisierten Einschränkbarkeit von Grundrechten von Bedeutung, da zu den Schranken auch die (Grund-)Rechte Dritter zählen.

Beispiel: Tritt die positive Religionsfreiheit (Art. 4 GG) einer Muslima, die als Lehrerin mit Kopftuch tätig ist, mit der negativen Religionsfreiheit (Art. 4 GG) ihrer Schülerinnen und Schüler in Widerstreit, gilt es, diese Grundrechtskollision durch umfassende Güterabwägung der widerstreitenden Rechte zu lösen.

Weiterführendes Wissen

Ebenfalls kein Fall der Grundrechtskonkurrenz sind Konstellationen, in denen eine einzelne staatliche Maßnahme verschiedene Grundrechte unterschiedlicher Grundrechtsberechtigter berührt; insoweit spricht man von „Grundrechtsparallelität“.[6] Davon zu unterscheiden ist der sogenannte additive Grundrechtseingriff, der verschiedene einzelne Maßnahmen bündelt, die dienselben Adressaten grundrechtlich belasten (z.B. paralleler Einsatz einer Vielzahl von Überwachungsmaßnahmen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren[7]).

II. Sachverhaltszerlegung und Tatbestandsabgrenzung[Bearbeiten]

Sachverhaltszerlegung und Tatbestandsabgrenzung gehen der Konkurrenzlehre vor. Sofern sich der Lebensvorgang nach zeitlichen Maßstäben so zerlegen lässt, dass eine Zuordnung zu unterschiedlichen Grundrechtstatbeständen erfolgen kann, handelt es sich um eine „bloße“ Schein-Konkurrenz und nicht um eine „echte“ Konkurrenzlage.

Beispiel: Es dürfte zulässig sein, die polizeiliche Durchsuchung einer Wohnung, die zur Beschlagnahme einer dort gefundenen Sache führt, in zwei Segmente zu zerlegen, von denen eines allein Art. 13 I GG (Durchsuchung) und das andere einzig Art. 14 I GG (Beschlagnahme) betrifft.[8]

Sind mehrere Grundrechte dagegen gleichzeitig berührt, bleibt zur Vermeidung der Konkurrenzsituation nur die Möglichkeit der möglichst präzisen Abgrenzung der verschiedenen Schutzbereiche. Das ist ein durchaus probates Mittel, dessen Leistungsfähigkeit aber nicht überschätzt werden sollte: „Tatbestandsabgrenzung der Grundrechtsnormen darf [...] nicht gleich zu Tatbestandsausschluss führen“, da mit Grundrechtsbindung auch (und gerade) Grundrechtsausschöpfung, also die Prüfung sämtlicher an sich einschlägiger Grundrechte, gemeint ist.[9]

Beispiel: Oftmals erfolgt die Abgrenzung der Berufsfreiheit von der Eigentumsgarantie danach, ob eine staatliche Belastung auf den Erwerb (Art. 12 I GG) oder den Zugriff auf bereits Erworbenes (Art. 14 I GG) gerichtet ist.[10] Trotz dieser eine klare Abgrenzbarkeit der Grundrechte suggerierenden Faustformel werden beide Grundrechte häufig parallel Anwendung finden, weil Eingriffe oftmals beide Gewährleistungsgehalte berühren.

B. Behandlung der Konkurrenzlage[Bearbeiten]

Steht fest, dass eine grundrechtliche Konkurrenzlage besteht, stellt sich die Frage, ob der Hoheitsakt an allen berührten Grundrechtsnormen zu messen ist (II.), oder ob ein Grundrecht das/die andere/n als Prüfungsmaßstab verdrängt (I.).

I. Normverdrängende Konkurrenz[Bearbeiten]

Hier ist insbesondere an die Spezialität zu denken. In diesem Fall enthält eine (Grundrechts-)Norm alle Tatbestandsmerkmale einer anderen (Grundrechts-)Norm und zusätzlich weitere Merkmale.[11] Das hat zur Folge, dass die Grundrechtsprüfung ausschließlich am Maßstab der spezielleren Norm zu erfolgen hat. Soweit beispielsweise ein Verhalten Ausdruck der „besonderen“ Freiheitsrechte, sei es der Glaubens-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit, ist, wird Art. 2 I GG dann in seiner Deutung als allgemeine Handlungsfreiheit als die generelle Norm verdrängt;[12] entsprechend gehen die speziellen Gleichheitssätze dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG vor[13]. Im Übrigen hängt die Frage der Spezialität davon ab, wie die Reichweite der Schutzbereiche der jeweils einschlägigen Grundrechtsnormen im Einzelnen bestimmt wird.

Beispiel Nr. 1: Geht man davon aus, dass staatliche Maßnahmen gegen die von Versammlungsteilnehmer:innen vertretenen Ansichten („Inhalt“ der Versammlung) allein an Art. 5 I 1 GG zu messen sind, während für solche Hoheitsakte, die sich allein gegen die Meinungsäußerung durch das Medium der Versammlung („Form“ der Versammlung) richten, Art. 8 I GG maßgeblich sei,[14] läge darin bereits eine tatbestandliche Schutzbereichsabgrenzung, ohne dass es auf das Konkurrenzverhältnis zwischen Art. 5 I 1 GG und Art. 8 I GG ankäme. Wird die Versammlungsfreiheit hingegen „lediglich“ als Freiheit der kollektiven Meinungsäußerung verstanden, spielt die Konkurrenzlehre eine Rolle. Die Versammlungsfreiheit würde dann nämlich, soweit sie einschlägig ist, als speziellere Norm Vorrang vor Art. 5 I 1 GG genießen.

Beispiel Nr. 2: Schwierigkeiten bereitet auch das Verhältnis der Grundrechtsgewährleistungen im Fall des religiös motivierten Straßentheaters mit Versammlungszweck. Es spricht Vieles dafür, der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und der Kunstfreiheit (Art. 5 III 1 GG) zumindest im Verhältnis zu Art. 5 I 1 GG den Vorrang einzuräumen. Was die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) anbelangt, erscheint es indes vertretbar, sie entweder zurücktreten zu lassen[15] oder Idealkonkurrenz anzunehmen[16].

Weiterführendes Wissen

Noch ungeklärt ist, ob in der Grundrechtslehre – wie im Strafrecht – Subsidiarität und Konsumtion anzuerkennen sind.[17] Richtigerweise wird man hier zurückhaltend sein müssen: Zwar kann ein Grundrecht typischerweise, aber nicht notwendig mit anderen Grundrechtsbestimmungen zusammentreffen; man denke nur erneut an das Beispiel einer politischen Versammlung, bei der sowohl der Schutzbereich des Art. 8 GG als auch der des Art. 5 I 1 GG berührt sind. Zu bedenken ist aber, dass sich das Grundgesetz für einen ausdifferenzierten Katalog von Grundrechten entschieden hat, die allesamt der Verwirklichung unterschiedlicher Werte dienen.[18] Das gilt es auch bei der Subsidiarität [19] zu beachten, die im Grundgesetz (anders als im StGB) keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat; das hat auch seinen Sinn, da Subsidiarität und Konsumtion dem Straftäter eher zum Vorteil gereichen, während es den Grundrechtsberechtigten genau umgekehrt erginge (Stichwort: Effektivität des Grundrechtsschutzes). Gleichwohl ist mitunter im Kontext der allgemeinen Handlungsfreiheit als „Auffanggrundrecht“ von Subsidiarität die Rede,[20] womit der Sache nach nichts anderes als das bereits beschriebene Spezialitätsverhältnis zwischen Art. 2 I GG und den besonderen Freiheitsgewährleistungen gemeint sein kann.

Nicht zur Auflösung von Konkurrenzlagen taugt die sogegannte „Meistbetroffenheitstheorie“[21]. Sie zieht (allein) diejenige Grundrechtsnorm als Maßstab heran, gegen die sich der „Schwerpunkt des Eingriffs“ richtet.[22] Gegen diese Sichtweise spricht nicht nur die Vagheit des „Schwerpunkt“-Kriteriums, sondern auch die Gefahr, dass auf diese Weise Grundrechtsnormen vorschnell ausgeblendet werden[23].

Beispiel: Kaum nachvollziehbar ist, warum sich ein:e (Presse-)Redakteur:in gegenüber der Behinderung seiner:ihrer Arbeit nicht zugleich auf Art. 5 I 2 GG und Art. 12 I GG berufen können soll. Denn ob der betreffende Hoheitsakt „spezifisch“ auf den Beruf oder die Tätigkeit für die Presse zielt, wird sich in der Mehrzahl der Fälle nicht zweifelsfrei ermitteln lassen.[24]

II. Idealkonkurrenz[Bearbeiten]

Besteht keine normverdrängende Konkurrenz, finden die einschlägigen Grundrechtsnormen parallel Anwendung (Idealkonkurrenz). Das wirkt sich auf die anzuwendenden Schranken aus (1.) und kann – in Einzelfällen – zu einem neuen Maßstab im (Grundrechts-)Verbund führen (2.).

1. Schrankendivergenz[Bearbeiten]

Bei der Idealkonkurrenz sind zunächst die konkret heranzuziehenden Grundrechtsschranken zu ermitteln. Keine Probleme ergeben sich dann, wenn sämtliche anzuwendenden Grundrechte demselben Schrankenvorbehalt unterliegen („Schrankenkongruenz“). Sind die Voraussetzungen der Schrankenvorbehalte jedoch unterschiedlich ausgestaltet (einfacher Gesetzesvorbehalt, qualifizierter Gesetzesvorbehalt oder verfassungsimmanenter Schrankenvorbehalt), stellt sich die Frage, welcher sich durchsetzt. Das ist nach hier vertretener Auffassung die „stärkere“ Grundrechtsschranke;[25] eine „Schrankenleihe“ vom schwächer ausgestalteten Grundrecht hin zu dem Grundrecht mit dem stärkeren Schutz hätte nämlich zur Folge, dass mehrfach grundrechtlich garantierte Interessen im Ergebnis weniger weitgehend geschützt wären, als wenn nur „einfacher“ Grundrechtsschutz bestünde[26].

Beispiel: Keine Änderung ergibt sich demnach für das religiös motivierte Straßentheater mit Versammlungszweck, da Art. 5 I 1 GG und – nach umstrittener Auffassung – auch Art. 8 I GG durch Art. 4, 5 III 1 GG verdrängt werden und diese dann (idealkonkurrierenden) Grundrechte gleichermaßen einem verfassungsimmanenten Schrankenvorbehalt unterliegen. Anders verhält es sich für die (berufliche) Tätigkeit als Presseredakteur:in; insoweit muss sich die Beschränkung (einheitlich) am Maßstab des qualifizierten Gesetzesvorbehalts des Art. 5 II GG messen lassen.

Weiterführendes Wissen

Zwar sind Freiheits- und Gleichheitsgrundrechte grundsätzlich nebeneinander anwendbar.[27] Wechselwirkungen treten indes auch hier auf: So hat das BVerfG beispielsweise gesetzliche Rauchverbote am Maßstab des Art. 12 I GG i.V.m. Art. 3 I GG gemessen.[28] Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sind hier umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten, wie die durch Art. 12 I GG verbürgte Berufsausübungsfreiheit, auswirken.[29]

2. Grundrechtskumulationen[Bearbeiten]

Das eigentliche Problem kumulierender Belastungen ist durch die Heranziehung der „stärksten“ Grundrechtsschranke aber noch nicht gelöst. Hier kommen „Verstärkungswirkungen unter Grundrechten“[30] zum Zuge, die es sowohl auf Schutzbereichs- als auch auf Rechtfertigungsebene gibt.

a) Schutzbereichsebene[Bearbeiten]

Die Figur der Schutzbereichsverstärkung hat das BVerfG maßgeblich in zwei Entscheidungen geprägt. So führt es im Urteil „Caroline von Monaco II“ wie folgt aus: „Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Eltern oder Elternteilen erfährt eine Verstärkung durch Art. 6 I, II GG, soweit es um die Veröffentlichung von Abbildungen geht, die die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern zum Gegenstand haben.“[31] Eine derartige Grundrechtskombination findet sich auch im Schächt-Urteil, das die Tätigkeit eines nichtdeutschen gläubigen muslimischen Metzgers, der Tiere ohne Betäubung schlachten will, verfassungsrechtlich am Maßstab von „Art. 2 I i.V.m. Art. 4 I und II GG“ beurteilt.[32] In beiden Fällen erkannte das BVerfG einen Grundrechtsverstoß nicht schon wegen der Einzelgewährleistungen, sondern erst mit Rücksicht auf die Nichtbeachtung ihrer spezifischen Verstärkungswirkungen, die auf Rechtfertigungsebene, also im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zum Tragen kommen.

Weiterführendes Wissen

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht i.S.d. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG bildet zwar die „Urform“ der Kombinationsmethodik, stellt aber – streng genommen – keinen Fall der Grundrechtskonkurrenz dar.[33] Jenseits des (allgemein anerkannten) allgemeinen Persönlichkeitsrechts sollte man Kombinationsgrundrechten - generell - mit einer gewissen Skepsis begegnen, weil sie Unklarheiten über die maßgeblichen Grundrechtsbegrenzungen schaffen.[34]

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b) Verstärkung auf Rechtfertigungsebene[Bearbeiten]

Damit ist die Idee einer Kombinationsbildung auf Abwägungsebene angesprochen, die den Zweck verfolgt, einer Betroffenheit mehrerer Grundrechte durch einen einzelnen Eingriff im Wege einer „Gesamtabwägung“ Rechnung zu tragen.[35] Dem liegt die – zutreffende – Annahme zugrunde, dass die Einschlägigkeit mehrerer Grundrechte in Bezug auf einen konkreten Fall in bestimmten Konstellationen zu einem höheren Schutzniveau für die Grundrechtsberechtigten führen kann.[36] Dabei versteht es sich von selbst, dass der Grundrechtsschutz nicht linear zunimmt; Grundrechtsnormen lassen sich nicht mathematisch addieren.[37] Die eigentliche Herausforderung besteht deshalb darin, Kriterien festzulegen, die den Fall der Idealkonkurrenz, in dem die einschlägigen Grundrechte unmodifiziert nebeneinander stehen, von dem Fall unterscheiden, in dem sich aus ihrem Verbund ein neuer Maßstab ergibt. Vielversprechend erscheint der Ansatz, die Verstärkung davon abhängig zu machen, ob die betroffenen Grundrechte „sachlich oder funktionell“ verwandt sind.[38] Im Übrigen wird man danach differenzieren müssen, ob und inwieweit die (ideal-)konkurrierenden Grundrechtsnormen in ihrem Rand- oder Kernbereich berührt sind. Marginale Normbetroffenheit steht zwar nach dem oben Gesagten der Bejahung einer Konkurrenzlage mit dem „hauptsächlich einschlägigen Grundrecht“ nicht entgegen,[39] wohl aber der Annahme einer Verstärkungswirkung des Grundrechtsschutzes.

Beispiel: Bei einem religiös motivierten Straßentheater (mit Versammlungszweck) wird man für die idealkonkurrierenden Grundrechte (Art. 4, 5 III 1 GG) zumindest dann von einer Verstärkungswirkung ausgehen müssen, wenn die künstlerische Darbietung dem religiösen Gebrauch eine besondere Ausdruckskraft verleiht, es sich also nicht bloß um schmückendes Beiwerk handelt.

Weiterführendes Wissen

Außerhalb des Anwendungsbereichs der Konkurrenzlehre liegt die Idee einer „funktionalen Verschränkung der Grundrechte“ verschiedener Grundrechtsträger:innen, die das BVerfG im Urteil zur Suizidhilfe „entdeckt“ hat: „Erst dadurch, dass zwei Personen Grundrechte in einer auf ein gemeinsames Ziel gerichteten Weise ausüben können, hier die Umsetzung des Wunsches nach assistierter Selbsttötung, wird der verfassungsrechtliche Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben wirksam. Der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung korrespondiert daher auch ein entsprechend weitreichender grundrechtlicher Schutz des Handelns des Suizidassistenten.“[40]

C. Hinweise für die Fallbearbeitung[Bearbeiten]

In der Klausur sind Grundrechtskonkurrenzen selten ausdrücklich zu thematisieren, ihr systematisches Verständnis ist aber entscheidend für die gedankliche Vorbereitung der Klausurlösung. Zu empfehlen ist, sämtliche einschlägige Grundrechte nacheinander zu prüfen, wobei die Gleichheitsrechte den Freiheitsrechten nachfolgen. Überlegungen zur Tatbestandsabgrenzung bzw. zur Spezialität sind dabei im Rahmen der Prüfung der Schutzbereichseröffnung (des jeweils vorrangig zu prüfenden spezielleren Grundrechts) anzustellen; in eindeutigen Fällen kann es auch bereits an der Beschwerdebefugnis i.S.d. Art. 93 I Nr. 4a GG fehlen. Besteht Idealkonkurrenz, gelten prinzipiell für jedes Grundrecht (nur) die ihm eigenen Begrenzungen; das bedeutet aber auch, dass sich der Hoheitsakt (auch) an dem am schwersten einschränkbaren Grundrecht messen lassen muss. Die Berührung mehrerer Grundrechte kann zwar bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen. Generell ist von der Annahme einer Verstärkungswirkung aber abzuraten, da für eine eingehende Begründung in Klausuren nur selten Raum ist.

Weiterführende Studienliteratur[Bearbeiten]

  • Pischel, Konkurrenz und Kollision von Grundrechten, JA 2006, 357 ff.
  • Sachs, Verfassungsrecht II - Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Kapitel 11.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Eine grundrechtliche Konkurrenzlage liegt vor, wenn das Verhalten eines:einer Grundrechtsträgers:in zugleich tatbestandlich vom Schutzbereich mehrerer Grundrechtsnormen erfasst wird.
  • Zu beachten ist, dass der ein spezielles Grundrecht betreffende Eingriff nicht an der ebenfalls betroffenen allgemeineren Grundrechtsbestimmung gemessen wird (Stichwort: Art. 2 I GG als „Auffanggrundrecht“).
  • Sind die einschlägigen Grundrechte dagegen nebeneinander anwendbar (Idealkonkurrenz), setzt sich die „stärkste“ Grundrechtsschranke durch; Verstärkungswirkungen zwischen diesen Grundrechten treten dabei nur in begründeten Einzelfällen auf.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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Abschnitt 1 - Allgemeine Grundrechtslehren

Abschnitt 2 - Aufbau der Prüfung eines Freiheitsgrundrechts

Abschnitt 3 - Grundrechtsschutz und Dritte

Abschnitt 4 - Verfahren, Konkurrenzen, Prüfungsschemata

Abschnitt 5 - Grundrechte im Mehrebenensystem

Abschnitt 6 - Einzelgrundrechte des Grundgesetzes

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Zu Kumulationen von Grundrechten mit anderen Bestimmungen des Grundgesetzes, namentlich mit Staatszielbestimmungen: Augsberg/Augsberg, AöR 132 (2007), 539 (556 ff.); Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, 2015, S. 115 ff.
  2. Vgl. zu dem Fall, dass Gewährleistungen unterschiedlicher Garantieebenen (Bundes-/Landesgrundrechte, Unionsgrundrechte, etc.) gleichzeitig zum Tragen kommen (sogenannte vertikale Konkurrenz), die Kapitel zum Grundrechtsschutz im Mehrebenensystem.
  3. Vgl. nur Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Vorb. vor Art. 1 GG Rn. 155; Kingreen/Poscher, Grundrechte: Staatsrecht II, 36. Aufl. 2020, § 6 Rn. 388.
  4. Beispiel von Hufen, Staatsrecht II: Grundrechte, 7. Aufl. 2018, § 6 Rn. 45.
  5. Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, 2008, S. 24; ähnlich Pischel, JA 2006, 357 (358).
  6. Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 24. Zur horizontalen Eingriffsaddition s. nur Brade, DÖV 2019, 852 ff. Inhaltlich eng damit verwandt ist die Problematik der Rügefähigkeit der Verletzung von Grundrechten Dritter mittels der „Elfes-Konstruktion“ (dazu ausführlich: Kube, DVBl 2005, 721 ff.).
  7. Vgl. BVerfG, Urt. v. 12.4.2005, Az.: 2 BvR 581/01 = BVerfGE 112, 304 ff.
  8. Hofmann, AöR 133 (2008), 523 (528) unter Bezugnahme auf Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, 32.
  9. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 3/2, 1994, § 92 S. 1379.
  10. Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 8.6.2010, Az.: 1 BvR 2011/07 u.a. Rn. 84 = BVerfGE 126, 112 (135).
  11. Vgl. nur Hofmann, Jura 2008, 667 (668).
  12. Berg, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 3, 2009, § 71 Rn. 28 m.w.N. Vgl. aber auch Kahl, Die Schutzergänzungsfunktion von Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz, 2000, S. 12 ff., der der allgemeinen Handlungsfreiheit eine darüber hinausgehende Wirkung zuschreibt.
  13. Sachs, Verfassungsrecht II - Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Kap. 11 Rn. 4; Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 9. Aufl. 2020, § 25 Rn. 2.
  14. So die wohl h.M., vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 24.3.2001, Az.: 1 BvQ 13/01 Rn. 23 = BVerfG, NJW 2001, 2069 (2070).
  15. Vgl. für das Verhältnis zu Art. 5 III 1 GG: Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 87 und zu Art. 4 I, II GG: Höfling, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 8 Rn. 83.
  16. Dafür wohl Hufen, Staatsrecht II: Grundrechte, 7. Aufl. 2018, § 6 Rn. 46.
  17. Für die Konsumtion: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 3/2, 1994, § 92 S. 1398 f.
  18. Vgl. nur Berg, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band 3, 2009, § 71 Rn. 38.
  19. Damit ist gemeint, dass eine (Grundrechts-)Norm nur dann Geltung beansprucht, wenn nicht eine andere Norm eingreift, vgl. Rönnau/Wegner, JuS 2021, 17 (21) (für das Strafrecht).
  20. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Werkstand: 39. EL Juli 2001, Art. 2 Abs. 1 Rn. 21.
  21. Begriff von Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts bei Grundrechtskonflikten, 1979, S. 112.
  22. So BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, Az.: 1 BvR 3262/07 u.a. Rn. 91 = BVerfGE 121, 317 (344 f.).
  23. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 3/2, 1994, § 92 S. 1407.
  24. Vgl. auch Hofmann, Jura 2008, 667 (669). A.A. Kingreen/Poscher, Grundrechte: Staatsrecht II, 36. Aufl. 2020, § 6 Rn. 389.
  25. Kingreen/Poscher, Grundrechte: Staatsrecht II, 36. Aufl. 2020, § 6 Rn. 397; Hofmann, AöR 133 (2008), 523 (533) m.w.N. A.A. Bleckmann/Wiethoff, DÖV 1991, 722 (724).
  26. Sachs, Verfassungsrecht II - Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Kap. 11 Rn. 11.
  27. Pischel, JA 2006, 357 (358).
  28. Vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, Az.: 1 BvR 3262/07 u.a. Rn. 149 ff. = BVerfGE 121, 317 (369 ff.).
  29. Allgemein zum Einfluss der Freiheitsgrundrechte auf Art. 3 GG: Kischel, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: 15.2.2021, Art. 3 Rn. 48 ff.
  30. Sandner, Verstärkungswirkungen unter Grundrechten, 2019.
  31. BVerfG, Urt. v. 15.12.1999, Az.: 1 BvR 653/96 Leitsatz Nr. 3 = BVerfGE 101, 361.
  32. BVerfG, Urt. v. 15.1.2002, Az.: 1 BvR 1783/99 Leitsatz Nr. 1 = BVerfGE 104, 337. Kritisch Spielmann, JuS 2004, 371 ff.; Augsberg/Augsberg, AöR 132 (2007), 539 (544) m.w.N. Umfassend zu Verbindungen mit Grundrechten in der Rechtsprechung des BVerfG: Meinke, JA 2009, 6 ff.
  33. Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl. 2012, Art. 2 Rn. 30: Trotz der Verbindung zweier eigenständiger Grundrechtsnormen, „handelt [es] sich [beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht] um ‚ein‘ Grundrecht, nicht etwa [um] die ‚kumulative‘ Anwendung zweier Grundrechte“.
  34. Sachs, Verfassungsrecht II - Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Kap. 11 Rn. 14; ähnlich Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Vorb. vor Art. 1 Rn. 156. Weiterführend Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, 2015, S. 98 ff.
  35. Vgl. Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 173.
  36. Breckwoldt, Grundrechtskombinationen, 2015, S. 133. A.A. Dreier, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Vorb. vor Art. 1 Rn. 158. Weiterführend Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, 2008, S. 192 ff. m.w.N.
  37. Hofmann, AöR 133 (2008), 523 (545) schlägt deshalb eine „subadditive Aggregation“ der Schutzwirkung vor.
  38. Michael/Morlok, Grundrechte, 7. Aufl. 2020, § 4 Rn. 60.
  39. Abweichend Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band 3/2, 1994, § 92 S. 1407.
  40. BVerfG, Urt. v. 26.2.2020, Az.: 2 BvR 2347/15 u.a. Rn. 331 = BVerfGE 153, 182 (306 f.).