Leben und körperliche Unversehrtheit - Art. 2 II GG

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Autor: Julian Senders

Notwendiges Vorwissen: Menschenwürdegarantie (Art. 1 I GG); Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG); Schutzpflichten

Lernziel: Die Bedeutung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in seiner Reichweite und Bedeutung erfassen; die Relevanz der Schutzpflichtendimension und ihre Handhabung in der Klausur kennenlernen

Gemäß Art. 2 II 1 GG hat jede*r das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Obwohl schon John Locke eine Dreiteilung der Rechtsstellung des Einzelnen im Staate („life, liberty and state“[1]) als natürliches Recht postulierte, wurde in Deutschland ein besonderer Grundrechtsschutz in den ersten Verfassungsurkunden für nicht notwendig gehalten.[2] Erst nach 1945 fanden das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ihren Weg in deutsche Verfassungstexte[3] und schließlich auch in das Grundgesetz. In die Beratungen zum GG gelangte dieses Grundrecht zu einem relativ späten Zeitpunkt.[4] Hintergrund für die Entscheidung, diesen allgemeinen Gedanken menschenrechtlichen Denkens[5] zu kodifizieren, waren vor allem die Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer gegen Leben und körperliche Integrität gerichtete Programmatik, die in Holocaust, Euthanasie, Folter und medizinischen Experimenten an Gefangenen gipfelte.[6] Verwiesen wird auch auf die stalinistischen Säuberungen und die Forderungen nach Tötung lebensunwerten Lebens bereits in den 1920er Jahren [7]

Weiterführendes Wissen

Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Verbrechen als Hauptmotiv für die Schaffung von Art. 2 II 1 GG wurde schon früh die Nähe dieses Grundrechts insbesondere des Rechts auf Leben zur Menschenwürdegarantie aus Art. 1 I GG gesehen.[8] Die Deutung des Grundrechts aus Art. 2 II 1 GG hat sich seitdem aber über solche Sachverhalte staatlicher Eingriffe hinaus verselbstständigt. Zu der originär abwehrrechtlichen Bedeutung dieses Grundrechts ist im Laufe der Jahrzehnte die Schutzpflichtdimension hinzugetreten,[9] die heutzutage erhebliche Bedeutung erlangt hat und weiter erlangen wird.[10] Sie ist stets einschlägig, wenn Debatten um „Sicherheit vs. Freiheit“ geführt werden[11], wird aber vor allem im Zusammenhang mit Umweltbelastungen,[12] der Klimakrise sowie jüngst der Corona-Pandemie und ihrer Bewältigung virulent.

Klausurtaktik

Nach wie vor wird in einem überwiegenden Teil grundrechtlicher Klausurfallkonstellationen die Beeinträchtigung von Grundrechten in ihrer klassischen, abwehrrechtlichen Dimension durch staatliches Handeln abgeprüft. In den Fällen kann Art. 2 II 1 GG vor allem als grundrechtliches Fundament einer eingreifenden Maßnahme relevant werden. Dies geht darauf zurück, dass der Erlass von Rechtsnormen – solcher Rechtsnormen, die ein bestimmtes lebens- oder gesundheitsgefährdendes Verhalten verbieten – das primäre Mittel zur Erfüllung der Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG ist.[13] Ein sehr praxisrelevantes Beispiel hierfür sind Maßnahmen des auf die menschliche Gesundheit bezogenen Umweltschutzes (z.B. die Schaffung einer Genehmigungspflicht für bestimmte Anlagen, § 4 I BImSchG), die in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und ggf. die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) eingreifen. Wird also die Perspektive einer durch Gesundheitsschutzmaßnahmen beeinträchtigten Grundrechtsträger*in eingenommen, ist Art. 2 II 1 GG und seine Reichweite als „kollidierendes Verfassungsrecht“ im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu thematisieren.

A. Schutzbereich[Bearbeiten]

I. Das Recht auf Leben[Bearbeiten]

1. Sachlicher Schutzbereich[Bearbeiten]

Das Grundrecht auf Leben schützt die biologisch-physische Existenz, d.h. das körperliche Dasein eines jeden Menschen vom Zeitpunkt ihres Entstehens an bis zum Eintritt des Todes.[14] Dabei findet in scharfer Abgrenzung zu den Erfahrungen mit nationalsozialistischen Anschauungen keinerlei Differenzierung zwischen mehr oder weniger „wertvollem“ oder gar „unwertem“ Leben statt.[15] Nicht zum Recht auf Leben gehört nach einhelliger Rechtsauffassung das Recht auf Selbsttötung, dessen Ausübung ist aber jedenfalls vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 I iVm Art. 1 I GG) umfasst.

[16]

Weiterführendes Wissen

Diese Verweigerung, den actus contrarius zum Leben, nämlich das eigene Ableben, zum Schutzbereich hinzuzuzählen, erschließt sich nicht. Denn auch bei anderen Grundrechten – etwa der Meinungsfreiheit – ist der actus contrarius selbstverständlich vom Grundrechtsgehalt umfasst. Nur eine christliche bzw. religiöse Motivation der Verknüpfung der nicht individuell verzichtbaren Menschenwürde mit dem Lebensgrundrecht kann eine solche Schutzbereichslücke erklären.

a) Beginn des Lebens[Bearbeiten]

Unstreitig ist, dass das Leben nicht erst mit der Geburt einsetzt, sondern auch das werdende Leben (nasciturus) grundrechtlichen Schutz genießt.

Weiterführendes Wissen

Schon lange vor dem GG bestimmte § 10 I 1 des allg. preußischen Landrechts (ALR): “Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon vor der Zeit ihrer Empfängniß.

Umstritten ist der genaue Lebensbeginn. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist Leben – jedenfalls – mit dem 14. Tag nach der Empfängnis anzunehmen, also der Einnistung des befruchteten Eis in der Gebärmutter (sog. Nidation).[17] Hierin liegt eine erhebliche Diskrepanz zum Verständnis des Strafrechts, wonach der Lebensschutz mit dem Einsetzen der Eröffnungswehen einsetzt,[18] sowie zum Zivilrecht, welches den Lebensbeginn gar auf den Zeitpunkt der Vollendung der Geburt legt (vgl. § 1 BGB). Ob schon vor der Nidation Lebensschutz vorliegen kann, hat das BVerfG offen gelassen.[19] Die Verlagerung auf den 14. Tag trifft z. T. jedenfalls auch auf Kritik: es dürfe nicht Lebensschutz von vornherein durch eine restriktive, die zwischen Verschmelzung von Ei und Samenzelle bis zur Nidation andauernde Phase ausklammernde Definition der Schwangerschaft versagt werden. Das BVerfG selbst vermute, dass mit dieser Verschmelzung menschliches Leben entstehe.[20] In der Tat verhält sich das BVerfG an dieser Stelle zumindest uneindeutig.

Weiterführendes Wissen

Eine solche, weniger restriktive Definition der Schwangerschaft muss im Ergebnis kein Hindernis für ein liberales Abtreibungsrecht darstellen. Denn es erfolgt zwar eine Erweiterung des Schutzbereichs des (ungeborenen) Lebens, was aber in der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung ein ausreichendes Korrektiv zugunsten der Rechte der Schwangeren finden kann[21].

Ob eine künstliche Befruchtung außerhalb des menschlichen Körpers den Lebensschutz nach Art. 2 II 1 GG aktiviert, hängt von der Frage ab, ob man weitergehend schon die Befruchtung der Eizelle – also ein Stadium vor der Nidation – als ausreichend ansieht.[22] Dies ist umstritten. Aus dem Differenzierungsverbot zwischen „lebensunwertem“ und „lebenswerten“ Leben muss ein im Zweifel weites Verständnis des Lebens auch in puncto Beginn und Ende abgeleitet werden, d.h. der Beginn ist grundsätzlich weit vorzuverlagern und das Ende weit hinauszuschieben.[23]

b) Ende des Lebens[Bearbeiten]

Streitpotenzial besteht auch über den Endzeitpunkt des Lebens. Überwiegend wird für das Ende des Lebens auf den Hirntod bzw. Ganzhirntod abgestellt, d.h. das irreversible Erlöschen aller Hirnströme bzw. der endgültige und vollständige Ausfall des Gehirns und der geistigen Funktionen.[24] Wenn auch aus Gründen der Normenhierarchie keine Auslegung des Verfassungsrechts anhand des einfachen Rechts erfolgen kann und darf, kann doch auf die Hirntoddefinition des § 3 II Nr. 2 Transplantationsgesetz (TPG) zurückgegriffen werden, wonach gilt: Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist. Nach einer anderen Ansicht ist dagegen der Herztod, d.h. der Ausfall des Herz-Kreislauf-Systems, maßgeblich.[25] Hierfür wird argumentiert, dass mit dem Hirntod gerade nicht alle Funktionen menschlichen Lebens erlöschen und es sogar denkbar ist, dass erhebliche Lebensprozesse wie etwa eine Schwangerschaft der hirntoten Mutter noch ablaufen können.[26] Beide Ansichten erscheinen vertretbar.

Weiterführendes Wissen

Angeführt wird gegen das Hirntodkriterium, dass das Gehirn nicht die ihm bislang zugeschriebene alleinige Funktion als Integrator der verschiedenen Körperfunktionen aufweist, sondern diese Integration eine spontane Eigenschaft des ganzen Organismus darstellt.[27] Hirntote seien keine toten, sondern sterbende und damit noch lebende Menschen.[28] Der Verweis auf das Transplantationsgesetz sei schon deswegen verfehlt, weil dieses Gesetz zwei unterschiedliche Todesbegriffe verwendet.[29] Der Idee des Hirntodes wird zum Teil auch eine pragmatische Begründung unterstellt, die die Organentnahme erleichtert, was aber als unzulässige und mit dem Wert des Lebens unvereinbare Zweckmäßigkeitserwägung angesehen wird.[30]

2. Persönlicher Schutzbereich[Bearbeiten]

Das Recht auf Leben ist nach einhelliger Auffassung ein Jedermannsrecht, d.h. das Recht ist unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Trägerin ist jede lebende natürliche Person,[31] auf die weitere bzw. künftige Lebensfähigkeit kommt es nicht an.[32] Träger ist zudem vor der Geburt der nasciturus.[33] Die deutsche Staatsgewalt ist auch dann an Art. 2 II 1 GG gebunden, wenn dort staatliche Betätigung das Leben von Menschen gefährdet.[34] Juristische Personen sind nicht geschützt, weil ein Recht auf Leben nach den Grundsätzen des Art. 19 III GG nicht wesensgemäß auf diese anwendbar ist.[35]

II. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit[Bearbeiten]

Das Recht auf körperliche Unversehrtheit umfasst die körperliche Integrität des lebenden Menschen in ihrem biologisch-physiologischen Sinne.[36] Wie auch das Recht auf Leben ist das ungeborene Leben von diesem Schutz grundsätzlich erfasst.[37].

1. Sachlicher Schutzbereich: Körperliche Unversehrtheit = Gesundheit?[Bearbeiten]

Zweifelhaft ist, inwieweit der Begriff der „körperliche Unversehrtheit“ mit dem Schutz der Gesundheit zusammenfällt. Jedenfalls soll die Gesundheit im Sinne der weiten Definition der WHO („Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“[38]) nach einer im Schrifttum vertretenen Auffassung nicht durch Art. 2 II 1 GG erfasst sein.[39] Ohne sich explizit gegen die WHO-Definition auszusprechen, hat das BVerfG frühzeitig den Anwendungsbereich über die bloße körperliche Komponente hinaus erweitert und hierzu auf die Auslegung im Lichte der Menschenwürdegarantie sowie den Charakter des Art. 2 II GG als Antwort auf das nationalsozialistische Unrecht verwiesen. Die Zufügung nichtkörperlicher Einwirkungen, die der Zufügung von Schmerzen entspricht, fällt demnach in den Schutzbereich.[40]. Dies gilt auch für psychische Krankheitszustände.[41]

Weiterführendes Wissen

Allerdings differenziert Epping zwischen der Abwesenheit psychischer Krankheitszustände (geschützt) und dem Recht auf psychisches Wohlbefinden.[42] Hier „rächt“ sich gewissermaßen, dass das BVerfG keine klare Aussage zur WHO-Definition getroffen hat. Diese getroffene Differenzierung ist aber im Ergebnis nicht notwendig: Das „Recht auf psychisches Wohlbefinden“ wird von den Skeptikern ggf. deutlich zu weit verstanden: Epping spricht davon, dass „Unbehagen“ oder „Unlustgefühl“ und deswegen das psychische Wohlbefinden nicht geschützt sein sollten. Mit den beispielsweise genannten Gemütszuständen ist aber offenkundig eine Bagatellschwelle unterschritten, die Art. 2 II 1 GG überhaupt nicht erfassen soll. Das bedeutet aber nicht per se, dass psychisches Unwohlbefinden nicht auch eine Bagatellschwelle überschreiten kann und vom Schutzbereich umfasst sein muss.

2. Persönlicher Schutzbereich[Bearbeiten]

Der persönliche Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit läuft aufgrund seines engen Zusammenhangs zum Recht auf Leben[43] mit dem persönlichen Schutzbereich des Rechts auf Leben gleich. Insbesondere ist im Hinblick auf den Lebensanfang festzustellen, dass ebenso wie beim Recht auf Leben der nasciturus auch in seiner körperlichen Unversehrtheit geschützt wird.[44] Zudem wird in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass der „werdende Mensch“ bzw. das nicht geborene Leben gar eines erhöhten Schutzes im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit bedarf als ein „lebender“ bzw. geborener Mensch, weshalb vorgeburtliche Schädigungen als eine Schädigung des nach der Geburt rechtsfähigen Menschen angesehen werden.[45]

B. Eingriff (Abwehrrechtsdimension)[Bearbeiten]

I. Recht auf Leben[Bearbeiten]

In seiner abwehrrechtlichen Ausprägung richtet sich Art. 2 II 1 GG wie jedes Grundrecht gegen staatliches Handeln. Einen Eingriff stellen dabei grundsätzlich jegliche rechtlichen oder faktischen staatlichen Maßnahmen dar, welche den Tod eines Menschen bewirken.[46] Aber nicht erst die Herbeiführung des Todes ist ein Eingriff: Schon die entsprechende Gefährdung greift in das Grundrecht ein, soweit diese nach Art, Nähe und Ausmaß der Gefahr einer Verletzung nahekommt..[47]

Beispiel: Damit sind die Verhängung und Vollstreckung der ― auch gemäß Art. 102 GG verbotenen ― Todesstrafe [48] sowie der polizeiliche „finale Rettungsschuss“ eindeutige, unmittelbare Eingriffe in das Recht auf Leben.[49]

Im Übrigen ist – dem modernen Eingriffsbegriff folgend – zwischen solch unmittelbaren Eingriffen einerseits sowie mittelbaren Eingriffen andererseits zu unterscheiden. Um einen mittelbaren Eingriff zu bejahen, bedarf es eines Verusachungszusammenhanges zwischen der staatlichen Maßnahme und dem Tod eines Menschen.

Weiterführendes Wissen

Wie dieser Verursachungszusammenhang konkret beschaffen sein muss, ist nicht abschließend geklärt. Manche führen an, dieser setze Willen und Wissen über die Todesfolge voraus.[50] Demgegenüber ergibt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG nur, dass ein mittelbarer Eingriff schon dann gegeben ist, wenn die Beeinträchtigung des Grundrechts eine unbeabsichtigte Nebenfolge des staatlichen Handels und dem Staat zurechenbar ist.[51] Es dürfen keine wesentlichen Zwischenursachen eintreten, die den Zusammenhang entfallen lassen; einer Finalität im Sinne einer Bezweckung bedarf es in Abkehr vom klassischen Eingriffsbegriff gerade nicht. Dass das BVerfG in einer Entscheidung von einer „mittelbar zielgerichteten Beeinträchtigung“ eines Grundrechts gesprochen hat,[52] ist kein Argument dafür, dass das BVerfG für einen mittelbaren Eingriff stets Zielgerichtetheit erfordert. Es reicht eine gewisse Vorhersehbarkeit des Beeinträchtigungserfolges, was schon dann gegeben sein kann, wenn der Beeinträchtigungserfolg eine objektiv typische Folge des staatlichen Handelns darstellt.[53] Dem schließt sich zutreffend eine weitere Auffassung im Schrifttum an.[54]

II. Recht auf körperliche Unversehrtheit[Bearbeiten]

Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit können durch direktes, in den menschlichen Körper eingreifendes Handeln der öffentlichen Gewalt stattfinden.

Beispiel: Einsatz von Brechmitteln, strafprozessrechtlich motivierte Blutentnahme/Liquorentnahme und die – trotz fehlender Schmerzzufügung[55] – Veränderung der Haar- und Barttracht.[56]; „Impfzwang“[57]

Denkbar sind, dem modernen Eingriffsbegriff folgend, auch indirekte Eingriffe (z.T. auch als ungezielte Eingriffe bezeichnet).

Beispiel: Unterbindung des Zugangs zu leidensmindernden Therapiemethoden als indirekter Eingriff[58]

Weiterführendes Wissen

Irreführend ist die Einordnung solcher Fälle als „Eingriff durch Unterlassen“,[59], da dies die eingriffsrechtliche Dogmatik verlässt. Relevant ist allein, dass der indirekte Eingriff dem Staat objektiv zurechenbar ist, um eine klare Abgrenzung zu denjenigen Konstellationen zu ziehen, die in den Bereich der Schutzpflichtendimension fallen. Relevant ist die Unterscheidung, weil es in letzterem Fall seitens des Staates keiner Ermächtigungsgrundlage für sein Nichthandeln bedarf.[60]

C. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung (Abwehrrechtsdimension)[Bearbeiten]

I. Einschränkbarkeit des Grundrechts[Bearbeiten]

Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen ist zunächst festzustellen, dass das Grundrecht auf Leben – anders als die Menschenwürde – sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit Schranken aufweisen. Art. 2 II 3 GG enthält für Eingriffe in beide Grundrechte einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Allerdings wird trotz der Formulierung, die auch ein materielles Gesetz ausreichen lassen würde (“aufgrund eines Gesetzes“), mit Blick auf die Wesentlichkeitslehre bzw. den Parlamentsvorbehalt ein förmliches Gesetz gefordert.[61] Höchstgerichtlich ist die besondere Bedeutung des Lebens als Basis der Menschenwürde und Voraussetzung aller anderen Grundrechte anerkannt.[62]

II. Grenzen der Einschränkbarkeit[Bearbeiten]

1. Normierte Grenzen[Bearbeiten]

Verfassungsrechtliche Anforderungen an das in Art. 2 II 1 GG eingreifende Gesetz, die Schranken-Schranke, finden sich vor allem in Art. 104 I 2 sowie Art. 102 GG. Gemäß Art. 104 I 2 GG ist es verboten, festgehaltene Personen seelisch oder körperlich zu misshandeln, wobei der Begriff der Misshandlung weit zu verstehen ist.[63] Zudem verbietet Art. 102 GG die Todesstrafe, wodurch hier im Ergebnis eine Rechtfertigung jeweils ausscheidet.

2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit[Bearbeiten]

Das Art. 2 II 1 GG einschränkende Gesetz muss außerdem dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranken-Schranke genügen. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann generell zwischen gezielten und ungezielten Eingriffen unterschieden werden.[64]

a) Gezielte Eingriffe[Bearbeiten]

Wegen der hohen Bedeutung des Lebens ist eine gezielte Tötung von Menschen grundsätzlich nicht rechtfertigungsfähig.[65] Ausnahmen bilden die gesetzlichen Rechtfertigungsgründe (Notwehr/Nothilfe, rechtfertigender Notstand), die nur in Fällen mittelbarer Drittwirkung der Grundrechte zwischen Privaten relevant werden. Dies zeigt bereits: Aufgrund der hohen Bedeutung des Rechts auf Leben können Eingriffe oft nur mit dem Recht auf Leben einer anderen Person gerechtfertigt werden.

Beispiel: Das Luftsicherheitsgesetz aus dem Jahr 2005 erlaubte es, ein gekapertes Flugzeug zum Zwecke der Rettung anderer Menschenleben abzuschießen. Hierbei käme es zu einer sehr problematischen Abwägung von Menschenleben gegen Menschenleben. Das BVerfG hat eine solche gezielte Opferung von Leben im Wege des Abschusses eines gekaperten Flugzeugs zur Rettung anderer Menschenleben für u.a. mit Art. 2 II 1 GG unvereinbar erklärt.[66] Hieran wird auch die Menschenwürdekomponente des Grundrechts auf Leben noch einmal deutlich.

Nicht nur für das Leben, auch für das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Blick auf den Menschenwürdebezug der körperlichen Integrität ein gegenüber anderen Grundrechten strengerer Maßstab verlangt.[67] Zwangsbehandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Patienten dürfen nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprechen.[68] Auch militärisch motivierte Eingriffe sind grundsätzlich rechtfertigungsfähig, denn das Grundgesetz erlaubt prinzipiell Verteidigungskriege.[69] Denn ein Verteidigungskrieg lässt sich wohl ― wenn auch in einem anderen Maßstab ― nach der Konzeption des GG mit einer Notwehrsituation vergleichen.

b) Ungezielte Eingriffe[Bearbeiten]

Ein weniger strenger Maßstab könnte für ungezielte Eingriffen in Art. 2 II 1 GG gelten. Denn jegliche Risiken für Leben und körperliche Unversehrtheit zu verhindern, würde das menschliche Zusammenleben weitestgehend verunmöglichen. Mithin gibt es Konstellationen, in denen staatliches Handeln — etwa durch die Ermöglichung oder Nichtunterbindung bestimmter privater Handlungen — mittelbar dazu führt, dass — etwa durch Unfälle und Unfallfolgen oder durch Umwelt- und Lebensmittelverunreinigungen — Leben oder körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt werden.

Weiterführendes Wissen

Das Problem ist grundsätzlicher Natur und deswegen Gegenstand rechtsphilosophischer Abhandlungen geworden. Es geht bei der Frage darüber, wann ein Risiko noch hinzunehmen ist und wann eine Schädigung vorliegt, die die Einschränkung der Rechte des Schädigers rechtfertigt, um nichts anderes als die Konkretisierung und Konturierung des Schadensbegriffs bei John Stuart Mill (sogenanntes Mill'sches Schadensprinzip – harm principle). Mill, einer der gewichtigsten Vertreter liberaler Rechtsphilosophie, formulierte: „Der einzige Grund, der die Menschen, individuell oder kollektiv, berechtigt, in die Handlungsfreiheit eines der ihren einzugreifen, ist Selbstschutz. Und der einzige Zweck, aus dem Gewalt rechtmäßiger Weise über irgendein Mitglied einer zivilisierten Gemeinschaft ausgeübt werden kann, ist, Schaden von anderen abzuwenden.“[70]. Die einzige feste Schlussfolgerung hieraus ist, dass der Staat nicht allein aus Paternalismus Handlungen beschränken darf, die überhaupt keine Auswirkungen auf andere haben. Im Übrigen ist der Schadensbegriff aber zu vage, um hieraus Spielräume und Grenzen staatlicher Regelsetzung abzuleiten.[71]

Hinsichtlich der Frage nach dem staatlich zu gewährleistenden Maß an Sicherheit bleibt das BVerfG in dogmatischer Hinsicht vage und grenzt „bloße Grundrechtsgefährdungen im allgemeinen“, die noch im „Vorfeld“ verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen erfolgen, von Grundrechtsverletzungen ab und postuliert für letztere das Vorliegen besonderer Voraussetzungen.[72] Dies wird so zu verstehen sein, dass Risiken grundsätzlich hinzunehmen sind, solange sie nicht die (aus dem Polizeirecht bekannte) Gefahrenschwelle überschreiten.[73]

Weiterführendes Wissen

Hierzu werden nach Ansicht von Rixen die im Polizeirecht herausgebildeten Grundsätze übertragbar sein, ohne dass hieraus – aufgrund des abstrakten Charakters dieser Grundsätze – eine unzulässige Auslegung des Verfassungsrechts nach dem Maßstab des einfachen Rechts folgen würde: Ein hinzunehmendes Risiko wird zur abzuwendenden Gefahr, wenn der Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist. Dies wiederum hänge davon ab, wie hoch der zu erwartende Schaden sei: je höher der zu erwartende Schaden, desto geringer die Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit.[74] Die Übertragbarkeit dieser polizeirechtlichen Anforderungen ist zweifelhaft und wurde von der von Rixen zitierten Rechtsprechung[75] für den ohnehin anders gelagerten Fall der Freiheit der Person gerade abgelehnt: An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts seien demnach zwar mit steigender Schwere des möglicherweise eintretenden Schadens um so geringere Anforderungen zu stellen. Zu beachten sei aber, dass, wenn unmittelbar in die Freiheit der Person eingegriffen wird, die Eingriffsschwelle höher liege als bei Verwaltungsakten auf Grundlage der polizeirechtlichen Generalklauseln. Eine „hinreichende” Wahrscheinlichkeit könne u. U. nicht ausreichen.[76]

D. Schutzpflichtendimension[Bearbeiten]

Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit weist neben der abwehrrechtlichen Dimension eine Schutzpflichtendimension auf.

Klausurtaktik

Die Schutzpflichtendimension von Art. 2 II GG kann in der Klausur in zwei Konstellationen vorkommen, die einen unterschiedlichen Aufbau erfordern (ausführlich § 8 B.). In der ersten Konstellation kommt der Staat seiner Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG nach und greift dadurch in andere Freiheitsrechte ein. Möchte jemand diesen Eingriff in eigene Rechte abwehren, sind die Schutzpflichten inzident als kollidierendes Verfassungsrecht bei der Angemessenheit zu prüfen. In der zweiten Konstellation liegt es umgekehrt: Beschwerdeführende möchten gerade Lebens- oder Gesundheitsschutz einklagen. In solchen Fällen ist Art. 2 II 1 GG als eigenes Grundrecht zu prüfen. Siehe hierzu die Musterlösung des Falles 4 im OpenRewi Grundrechte Fallbuch.

I. Überblick[Bearbeiten]

1. Bedeutung der Schutzpflicht[Bearbeiten]

Schon frühzeitig hat das BVerfG entschieden, dass die Schutzpflicht des Staates es gebiete, „sich schützend und fördernd vor [das] Leben zu stellen“[77]. Zudem hat es festgestellt, dass das Leben nicht nur vor staatlichen, sondern auch vor rechtswidrigen Eingriffen durch Dritte zu schützen sei.[78] Zutreffend heißt es, dass diese Schutzpflichtdimension nicht nur eine der beiden, sondern in der heutigen Verfassungspraxis sogar die bedeutendere Dimension von Art. 2 II 1 GG darstellt.[79] Die Schutzpflichtendimension hat mit der Zeit jedenfalls erheblich an Bedeutung gewonnen, was auf einen teilweisen Rückzug der Staatsgewalt in ihrem klassisch verstandenen Sinne – nämlich als befehlend auftretende Ordnungsmacht – zurückgeführt wird.[80]

2. Herleitung[Bearbeiten]

Dass eine Schutzpflicht des Staates im Hinblick auf Leben und körperliche Unversehrtheit besteht, steht außer Frage. Strittig ist nicht das „Ob“, aber das „Wie“: Zur Herleitung von Schutzpflichten gibt es verschiedene Ansätze. Das Grundgesetz ordnet Schutzpflichten explizit an: Art. 1 I 2 GG verpflichtet alle staatliche Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. In der Entscheidung über die Entführung von Hanns-Martin Schleyer durch die RAF stellt das BVerfG auch explizit auf „Art. 2 II 1 in Verbindung mit Art. 1 I 2 GG“ für die Begründung der Schutzpflicht ab.[81] Damit wird eine Überschneidung der Schutzbereiche der Menschenwürdegarantie und des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit jedenfalls insoweit vorausgesetzt. Ein Teil der Literatur schließt sich dem an.[82] Das BVerfG hat aber in seiner aktuelleren Rechtsprechung wiederholt auf Art. 2 II 1 GG allein abgestellt[83] und sodann auch explizit zum Ausdruck gebracht, dass diesen Grundrechten auch ohne Art. 1 I 2 GG, sondern schon für sich genommen eine hohe Bedeutung in der Wertordnung des Grundgesetzes zukommt.[84].

Weiterführendes Wissen

Eine weitere Ansicht stellt dagegen vor allem auf das Gewaltmonopol des Staates als Spiegelbild der Friedenspflicht der Bürger:innen ab, weswegen diese auch zu schützen seien.[85] Die letztgenannte Begründung kann aber allenfalls teilweise überzeugen. Sie korrespondiert mit der klassischen Vorstellung des Staates als Garant der Freiheit und Sicherheit seiner Bürger:innen,[86] meint dabei aber vor allem die Sicherheit vor lebensgefährdender oder gesundheitsgefährdender Gewaltanwendung. Zurzeit verlagert sich die Bedeutung der Schutzpflichtdimension auf Fälle vorgeblich sozialüblichen Verhaltens mit schädlichen Folgen, die aber aus juristischer Sicht kaum unter den Gewaltbegriff fallen dürften (zum Beispiel das Rauchen in öffentlichen Räumen oder das Fahren klima- und umweltschädlicher Fahrzeuge).

II. Reichweite[Bearbeiten]

Bei dem „Wie“ staatlicher Schutzpflichten ist nicht nur die Herleitung strittig; auch ihr Umfang ist unklar. Ungeklärt ist, ab welcher Schwelle sie eingreifen, das heißt welche Gefährdung des Schutzguts nötig ist[87] und wie weit sie reichen.[88] Durch das BVerfG ist auch ein Schutz von Grundrechtsträgern „vor sich selbst“ im Rahmen der Schutzpflichten anerkannt, soweit ein Mensch nicht selbstbestimmte und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen könne.[89] Grundsätzlich bedarf es einer eingriffsadäquaten Beeinträchtigung der Schutzgüter sowie eines staatlichen Verhaltens, welches das Untermaßverbot verletzt. Dies kann in zwei Stufen geprüft werden.

III. Einzelfälle[Bearbeiten]

Die nachfolgenden Abschnitte betreffen besonders interessante und rechtspolitisch relevante Konstellationen, in denen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in seiner Schutzpflichtdimension zum Tragen kommt.

1. Schwangerschaftsabbruch[Bearbeiten]

Beim Schwangerschaftsabbruch, der in Deutschland grundsätzlich und mitsamt unterstützenden, begleitenden oder bewerbenden Handlungen strafbar ist (§§ 218, 218b f., 219a f. StGB), handelt es sich um eine absolute Ausnahmesituation, in der die widerstreitenden Rechtsgüter der schwangeren Person und des werdenden Lebens in einer Person physisch vereint sind.[90] Das BVerfG hält die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs – jedenfalls ab einem bestimmten Stadium der Schwangerschaft[91] — für verfassungsrechtlich geboten.[92] Die entgegenstehenden Grundrechte der schwangeren Person sieht es dadurch gewahrt, dass nach Durchlaufen einer Beratung innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen die straffreie Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs besteht.[93]

Weiterführendes Wissen

Über das Werbeverbot in § 219a StGB, welches Normalisierung und Kommerzialisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegenwirken soll[94], ist eine rechtspolitische Auseinandersetzung entflammt, nachdem eine Ärztin nach dieser Vorschrift verurteilt worden ist.[95] Gegen die Verurteilung wurde nach ihrer Bestätigung Verfassungsbeschwerde erhoben.[96] Entgegen den zahlreichen, sogar aus dem kirchlichen Bereich[97] kommenden Stimmen, die sich für eine Streichung aussprechen, wird vereinzelt eine Abschwächung des Lebensschutzes infolge der Streichung befürchtet.[98] Nach einer anderen Ansicht geht es § 219a StGB allerdings nicht um den Schutz des Lebens, sondern allenfalls um den Schutz eines gesellschaftlichen Klimas, in welchem Schwangerschaftsabbrüche nicht zur Normalität gehören.[99] Trotz des weiten Einschätzungsspielraums des Gesetzgebers darf dieser die starke Grundrechtsposition der schwangeren Person nicht übergehen, die hier der schwachen, allenfalls indirekten Lebensschutzgewährleistung des § 219a StGB gegenübersteht. Damit steht im Einklang, dass durch die neue Regierungskoalition zwischenzeitlich eine Streichung des § 219a StGB auf den Weg gebracht worden ist.[100]

2. Umwelt, Klimaschutz und Verkehr[Bearbeiten]

Wirtschaftliche Betätigung und motorisierte Mobilität gehen auf vielfältige Art und Weise – etwa durch Luftschadstoffe, wasser- oder bodenverunreinigende Abfälle und den Ausstoß von Treibhausgasen – mit einer Beeinträchtigung sowohl der lokalen und regionalen Umwelt als auch der Schädigung des Weltklimas einher. Diese Umwelt- und Klimabeeinträchtigungen ziehen wiederum kurz-, mittel- oder langfristig gesundheitsschädliche oder sogar lebensgefährliche Folgen für Menschen nach sich. Da dies auf unterschiedliche Weisen geschieht, ergeben sich auch unterschiedliche rechtliche Bewertungen und Ansatzpunkte. Auf die Bedeutung der grundrechtlichen Schutzpflichten wird im Kapitel zum Umwelt- und Klimaschutz näher eingegangen.

3. Pflichten in der Pandemie[Bearbeiten]

Ein weiteres Beispiel für die Betätigung der Schutzpflichtdimension des Art. 2 II 1 GG stellt die Pandemiebekämpfung dar.

Beispiel: Unter Berufung auf die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG forderten mehrere Beschwerdeführer: innen in einem Eilantrag die Schaffung gesetzlicher Vorgaben über die sogenannte Triage.[101] Bei den antragstellenden Personen bestand wegen verschiedener Behinderungen und Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Sie machten eine Schutzpflichtverletzung dadurch geltend, dass sie nach den nicht gesetzlich geregelten, aktuell geltenden medizinischen Richtlinien im Triagefall „aussortiert“ würden. Das BVerfG stellte eine Verletzung des Art. 3 III 2 GG (Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung) fest und verpflichtete den Gesetzgeber, umgehend geeignete Vorkehrungen zu treffen. Art. 2 II 1 GG spielt dabei eine wichtige Rolle: Der Schutzauftrag aus Art. 3 III 2 GG verdichte sich zu einer Handlungspflicht, wenn der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch eine drohende Benachteiligung, der die Betroffenen nicht ausweichen können, unmittelbar gefährdet werden.[102]

Das BVerfG hat die Relevanz der staatlichen Schutzpflicht in der Anfangsphase der Corona-Pandemie herausgestellt[103]: Der Staat sei zum Schutz der Bevölkerung und dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet.[104] Diese Schutzpflicht rechtfertige auch Versammlungsverbote.[105] Ebenso betonen auch die Landesverfassungsgerichte[106] und die Verwaltungsgerichte[107] den staatlichen Schutzauftrag für Art. 2 II 1 GG.

Weiterführendes Wissen

Grundrechtliche Konflikte zeigen sich vor allem bei der Frage der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen. Besonders herausfordernd ist dabei das pandemietypische Spezifikum der Ungewissheit. Diese besteht insbesondere hinsichtlich der individuellen Gefährlichkeit einer neuen Krankheit, ihrer Langzeitfolgen sowie künftiger Mutationen und bislang gegebenenfalls unbekannter Verbreitungsarten. Manche schlussfolgern, dass angesichts dieser Ungewissheit die staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit umso striktere Eingriffe in andere Freiheitsrechte rechtfertige.[108] Nach Ansicht der Rechtsprechung komme der Gesetzgebung dagegen aufgrund der Ungewissheit lediglich eine weite Einschätzungsprärogative zu.[109] Diese wirkt sich vor allem bei der Frage des legitimen Zwecks, der Geeignetheit und der Erforderlichkeit aus. Auf Angemessenheitsebene kann dies nicht uneingeschränkt gelten, da die Verfassungsmäßigkeit von Maßnahmen dann allein von epidemiologischen Erkenntnisgewinnen abhängig wäre. Vielmehr muss an dieser Stelle ein erweiterter Einschätzungsspielraum aufgrund von Ungewissheit durch zeitliche Befristungen ausgeglichen werden [110] Dies sieht auch die Rechtsprechung so und hält daher bei der Prüfung der Angemessenheit zeitliche, aber auch sachliche Einschränkungen der Freiheitseingriffe für notwendig.[111] Die zeitliche Komponente lässt sich verallgemeinern: Je länger Einschränkungen dauern, desto höher sind die Rechtfertigungsanforderungen an sie.[112]

IV. Klausurwissen/Prüfungsstruktur[Bearbeiten]

Allerdings sind auch Konstellationen denkbar, in denen die Beschwerdeführer*innen gerade Lebens- oder Gesundheitsschutz einklagen möchten. In solchen Fällen ist Art. 2 II 1 GG als eigenes Grundrecht zu prüfen. Die Prüfung von Schutzpflichten bzw. von Verletzungen von Schutzpflichten bricht aus dem bekannten dreistufigen Prüfungsaufbau „Schutzbereich-Eingriff-Verfassungsrechtliche Rechtfertigung“ aus. Zu empfehlen ist eine zweistufige Prüfung. Eine solche fragt erstens nach dem grundsätzlichen Bestehen eines Anspruchs auf staatlichen Schutz und zweitens nach der Erfüllung dieses Schutzanspruchs durch den Staat.[113] Im Rahmen der Prüfung eines grundsätzlichen Anspruchs auf staatlichen Schutz ist die Schutzgewährleistung und damit die Eröffnung des Schutzbereichs zu prüfen. Da es aber um einen Anspruch auf staatlichen Schutz geht, muss in einem zweiten Unterschritt geprüft werden, ob sich die objektive Schutzpflichtdimension, die jedes Grundrecht grds. aufweist, zu einem Schutzanspruch des Anspruchstellers verdichtet hat. Sodann erfolgt die Prüfung, ob der Schutzanspruch erfüllt wurde. Hierzu wird auf die Musterlösung im Fallbuch verwiesen.

Weiterführendes Wissen

Die Terminologie „Schutzbereich“ anstelle von “Bestehen eines Anspruchs auf staatlichen Schutz“ ist unpräzise, weil „Schutzbereich“ unpassenderweise einen vom Staat „freizuhaltenden“ Bereich suggeriert. Sie wird dennoch vertreten, ohne dass dies im Ergebnis Auswirkungen auf die Prüfung hätte.[114] Die von Epping vorgenommene Bezeichnung als „Schutzbereich“ bringt zwar den Vorteil mit sich, dass in der Begründetheitsprüfung in eine „normale“ Grundrechtsprüfung eingeleitet und erst mit der Ablehnung eines “staatlichen Verhaltens“ als Anknüpfungspunkt des Eingriffs in die Schutzpflichtenprüfung übergeleitet werden kann. Es wird mit der klassischen Grundrechtsdogmatik („Schutzbereich“, „Eingriff“) begonnen, ein Eingriff abgelehnt und dann eine „Schutzpflichtverletzung“ geprüft. Dadurch, dass dieser Prüfungsaufbau abwehrrechtlich beginnt, unterlässt der Bearbeitende aber an dieser Stelle die (kurze) Prüfung, ob sich die objektive Schutzpflicht zu einem Schutzanspruch verdichtet hat. Diese muss dann im Rahmen des zweiten Schrittes erfolgen. Dies kann von Korrektor*innen negativ bewertet werden. Die hier vertretene Variante ist daher vorzugswürdig. Sie erfordert es allerdings, entweder schon im Rahmen der Beschwerdebefugnis, spätestens aber – etwa wenn die Zulässigkeitsprüfung erlassen ist – im Rahmen der Begründetheit „Farbe zu bekennen“ und von Anfang an eine Schutzpflichtverletzung zu prüfen.

E. Konkurrenzen[Bearbeiten]

Die Grundrechte aus Art. 2 II 1 GG stehen selbstständig neben anderen Freiheitsrechten des Grundgesetzes, dabei steht insb. das Recht auf Leben selbstständig neben Art. 1 I GG.[115] Die Vermengung der Grundrechte auf Leben und der Menschenwürdegarantie durch die Rechtsprechung[116] sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um zwei selbstständige Grundrechte mit selbstständigen Schutzbereichen handelt, die miteinander historisch und ideell verwoben sind.

Klausurtaktik

In Klausur und Hausarbeit sollte die Eigenständigkeit dieser Grundrechte in Überschriften und Obersätzen deutlich gemacht werden.

F. Europäische und internationale Bezüge[Bearbeiten]

Art. 2 EMRK schützt das Recht auf Leben. Auffällig ist vor allem, dass Art. 2 I 2 EMRK noch die Vollstreckung eines Todesurteils als Ausnahme vom Verbot der absichtlichen Tötung vorsieht. Dies ist aus dem historischen Kontext der EMRK heraus zu erklären. Das Verbot der Todesstrafe in Art. 102 GG gilt dennoch uneingeschränkt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist nicht ausdrücklich in der EMRK geschützt. Jedoch ergibt sich eine äußere Grenze aus dem Folterverbot in Art. 3 EMRK, staatliche Eingriffe unterhalb der Schwere des Art. 3 EMRK werden aber unter den Schutz der körperlichen Integrität als Bestandteil des „Privatlebens“ i.S.d. Art. 8 EMRK subsumiert.[117]

Auf Unionsebene ergibt sich ein Recht auf Leben aus Art. 2 GRCh, welches in Art. 2 II GRCh ebenso die Todesstrafe kategorisch verbietet. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit folgt aus Art. 3 GRCh. Art. 3 II GRCh formuliert abweichend von der sehr allgemein gehaltenen Regelung in Art. 2 II 1 GG mehrere wichtige Maßgaben bzw. Einschränkungen für die Ausübung von Medizin und Biologie.

Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte[Bearbeiten]

  • Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG beginnt das Leben jedenfalls mit dem 14. Tag nach der Nidation.
  • Schon die Lebensgefährdung kann einen Eingriff in Art. 2 II 1 GG darstellen, soweit diese nach Art, Nähe und Ausmaß der Gefahr einer Verletzung nahekommt.
  • Die Annahme mittelbarer Eingriffe in Leben und körperliche Unversehrtheit bedarf eines Verursachungszusammenhanges.
  • Im Rahmen ungezielter Eingriffe in Leben und körperliche Unversehrtheit ist im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung abzugrenzen, ob ein hinzunehmendes Risiko bestand oder die Gefahrenschwelle überschritten wurde.
  • Die Schutzpflichtendimension des Art. 2 II 1 GG hat zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ihre Reichweite ist jedoch bis heute ungeklärt.
  • Fest steht aber, dass es zur Aktivierung der Schutzpflicht einer (drohenden) eingriffsadäquaten Beeinträchtigung der Schutzgüter bedarf, die einem staatlichen Eingriff vergleichbar ist.
  • Was die Erfüllung der Schutzpflicht anbelangt, gilt das sog. Untermaßverbot. Das BVerfG beschränkt sich i.d.R. auf eine Evidenzkontrolle und prüft nur ausnahmsweise die Vertretbarkeit und den Inhalt staatlicher Schutzmaßnahmen.

Weiterführende Studienliteratur[Bearbeiten]

  • Allgemein: Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 104 ff.; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Kommentierung zu Art. 2 II 1; Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 190 ff.
  • Pandemie und Gesundheitsschutz: Murswiek, VerfBlog 2021/3/16; Goldhammer/Neuhöfer, JuS 2021, 212; Anfängerklausur: Schäufler, JuS 2021, 332 ff.

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Inhaltsverzeichnis des Buches[Bearbeiten]

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Abschnitt 1 - Allgemeine Grundrechtslehren

Abschnitt 2 - Aufbau der Prüfung eines Freiheitsgrundrechts

Abschnitt 3 - Grundrechtsschutz und Dritte

Abschnitt 4 - Verfahren, Konkurrenzen, Prüfungsschemata

Abschnitt 5 - Grundrechte im Mehrebenensystem

Abschnitt 6 - Einzelgrundrechte des Grundgesetzes

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. J. Locke, Two Treatises of Government, §§ 59, 87, 135.
  2. Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, S. 284.
  3. Art. 3 HessVerf; Art. 5 II BremVerf; Art. 3 Verf Rh-Pf; Art. 1 Satz 2 SaarlVerf
  4. Hufen, Staatsrecht II, 8. Aufl. 2020, § 13 Rn. 1.
  5. Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II GG, Rn. 1.
  6. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 104.
  7. C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 2 Rn. 189.
  8. Hierzu Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 1 Rn. 9 ff.
  9. Grundlegend: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987.
  10. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II Rn. 7.
  11. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 2 Rn. 6.
  12. Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979, Az.: 1 BvR 385/77.
  13. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 191.
  14. BVerfG, Urt. v. 15.02.2006, Az.: 1 BvR 357/05, Rn. 85 = BVerfGE 115, 118 (139); Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 105a.
  15. Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 74; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 25; Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II Nr. 1 Rn. 18.
  16. Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 84.
  17. BVerfG, Urt. v. 25.2.1975, Az.: 1 BvF 1-6/74, Rn. 133 = BVerfGE 39, 1, 37; Urt. v. 28.5.1993, Az.: 2 BvF 2/90, 4-5/92, Rn. 151 = BVerfGE 88, 203, 251.
  18. Zuletzt BGH, Urt. v. 11.11.2020, Az.: 5 StR 256/20 mit Verweis auf BGHSt 32, 194.
  19. Urt. v. 28.05.1993, Az.: 2 BvF 2/90, 4-5/92, Rn. 151 = BVerfGE 88, 203, 251.
  20. Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 78 f.
  21. Die Rechtsprechung des BVerfG wird von einer anderen Auffassung in durchaus vertretbarer Weise kritisiert, da sie den Sinn und Zweck über die Wortlautauslegung stellt, siehe hierzu González Hauck, § 2 C, in diesem Lehrbuch.
  22. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 106.
  23. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II Nr. 1 Rn. 18.
  24. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 106; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 30; einschränkend Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II Nr. 1 Rn. 21.
  25. Vgl. etwa Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 142.
  26. Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 81 f.
  27. Lang, in: BeckOK-GG, 45. Ed. 15.11.2020, Art. 2 Rn. 61.
  28. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 142.
  29. Prütting/Roth, MedizinR, 4. Aufl. 2016, TPG, § 3 Rn. 7 ff.
  30. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 142.
  31. Kunig/Kämmerer, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art 2 Rn. 115.
  32. Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 40.
  33. Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 86.
  34. BVerfGE 6, 290, 295 = NJW 1957, 745; BVerfGE 57, 9, 23 = NJW 1981, 1154; Augsberg, JuS 2011, 128, 132 f.
  35. BVerfG NVwZ 2012, 818 (819); BVerwG, NJW 1978, 554, 555; Kunig/Kämmerer, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Rn. 90; Sachs, Verfassungsrecht II Grundrechte, 3. Aufl. 2017, Art. 2 Rn. 87.
  36. BVerfG, Beschl. v. 14.01.1981, Az.: 1 BvR 612/72, Rn. 73 ff. = BVerfGE 56, 54, 73 ff.; Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 107.
  37. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 147; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 39.
  38. Präambel zur Satzung der Weltgesundheitsorganisation, vgl. BGBl. II 1974, 43, 45.
  39. Kunig/Kämmerer, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Rn. 116; Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 108.
  40. BVerfG, Beschl. v. 14.01.1981, Az.: 1 BvR 612/72, Rn. 75 f. = BVerfGE 56, 54, 74f.
  41. BVerfG, Urt. v. 3.10.1979, Az.: 1 BvR 614/79 = BVerfGE 52, 214, 220 f.; für das Schrifttum vgl. statt aller Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 107.
  42. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 108.
  43. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 1 Rn. 58.
  44. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 1 Rn. 58; Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 40.
  45. BGH, Urt. v. 20.12.1952, Az.: II ZR 141/51.
  46. Lang, in: BeckOK-GG, 45. Ed. 15.11.2020, Art. 2 Rn. 65.
  47. BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978, Az.: 2 BvL 8/77, Rn. 115 = BVerfGE 49, 89, 141 f. – Kalkar I; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 43.
  48. BVerwGE 102, 249, 259
  49. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 92. EL Aug. 2020, Art. 2 II 1 Rn. 33. Beim finalen Rettungsschuss erklärt dies auch, weshalb etwa in Bayern, wo dieser gesetzlich geregelt ist (Art. 83 II 2 BayPAG), Art. 2 II 1 GG als eingeschränkt zitiert wird (Art. 91 BayPAG), in Berlin mangels einer entsprechenden Regelung dagegen nicht (§ 66 BlnASOG).
  50. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 1 Rn. 33.
  51. BVerfGE 60, 105; 66, 39; 279, 300 f.
  52. BVerfG, Urt. v. 05.11.2003, Az.: 1 BvR 1266/00, Rn. 35 = BVerfGE 110, 177 (191).
  53. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 395.
  54. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 44.
  55. BVerfG, Beschl. v. 14.2.1978, Az.: 2 BvR 406/77, Rn. 41 ff. = BVerfGE 47, 239 (249). Kunig/Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 126, bezeichnen solche Eingriffe ungenau als “nicht substanziell“. Dabei ist das Schneiden der Haare oder Schneiden der Nägel durchaus eine Veränderung an der körperlichen Substanz, sie ist nur – anders als der Einsatz von Brechmitteln oder der zur Blutentnahme notwendige Einstich – nicht mit Schmerzen verbunden.
  56. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 47.
  57. BVerwGE 9, 78, 79; Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 186.
  58. BVerfG, Beschl. v. 11.8.1999, Az.: 1 BvR 2181/98 u.a. = NJW 1999, 3399 (3401).
  59. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 2 II Rn. 48.
  60. Hierzu näher Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 1, Rn. 68.
  61. Lang, in: BeckOK-GG, 46. Ed., 15.02.2021, Art. 2 Rn. 68; ausführlich Kunig/Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 145 ff.
  62. BVerfG, Urt. v. 24.2.1975, Az.: 1 BvF 1-6/74, Rn. 14 = BVerfGE 39, 1 (42): “Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.
  63. Lang, in BeckOK-GG, 46. Ed., 15.02.2021, Art. 2 Rn. 69.
  64. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 171 ff.
  65. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 171.
  66. BVerfG, Beschl. v. 20.3.2013, Az.: 2 BvF 1/05 = BVerfGE 133, 241 – Luftsicherheitsgesetz.
  67. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 174; Lang, in: BeckOK-GG, Stand 15.02.2021, Art. 2 Rn. 72.
  68. BVerfG NJW 2011, 2113 (2116).
  69. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 172.
  70. J. S. Mill, Über die Freiheit, dt. Übers. von 2009, S. 16.
  71. Volkmann, Rechtsphilosophie, 1. Aufl. 2018, Rn. 171 f.
  72. BVerfG, Beschl. v. 19.6.1979, Az.: 2 BvR 1060/78, Rn. 71 = BVerfGE 51, 324, 346f.
  73. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 176 f.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 127 ff., 139 ff.
  74. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 179.
  75. BVerwG NJW 1974, 807.
  76. BVerwG NJW 1974, 807, 808, 810.
  77. BVerfG, Urt. v. 25.2.1975, Az.: 1 BvF 1-6/74 = BVerfGE 39, 1 (42); BVerfG, Urt. v. 16.10.1977, Az.: 1 BvQ 5/77 = BVerfGE 46, 160 (164).
  78. BVerfG, Urt. v. 25.02.1975, Az.: 1 BvF 1-6/74 = BVerfGE 39, 1; BVerfG, Urt. v. 16.10.1977, Az.: 1 BvQ 5/77 = BVerfGE 46, 160.
  79. Bumke/Voßkuhle, Casebook Verfassungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rn. 412.
  80. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, 43. EL Feb. 2004, Art. 2 II 1, Rn. 41.
  81. BVerfG, Urt. v. 16.10.1977, Az.: 1 BvQ 5/77 = BVerfGE 46, 160 (164).
  82. Georg Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit: Schutzpflicht und Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, 1987.
  83. BVerfG, Urt. v. 27.2.2008, Az.: 1 BvR 370, 595/07, Rn. 220 = BVerfGE 120, 274 (319); BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, Az.: 1 BvR 3262/07, 402, 906/08, Rn. 119 = BVerfGE 121, 317 (356).
  84. BVerfG, Urt. v. 8.6.2010, Az.: 1 BvR 2011/07, 2959/07, Rn. 95 = BVerfGE 126, 112 (140).
  85. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, 21 ff.
  86. Glaeßner, Sicherheit in Freiheit: Die Schutzfunktion des demokratischen Staates und die Freiheit der Bürger, Opladen 2003, S. 89. Die Funktion des Staates als Garant für Freiheit und Sicherheit wird auch vorausgesetzt bei Hoffmann-Riem, Der Staat als Garant von Freiheit und Sicherheit, S. 3.
  87. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 124.
  88. Richter, DVBl. 2021, 16, 18.
  89. BVerfG, Beschl. v. 26.07.2016, Az.: 1 BvL 8/15, Rn. 73 f. = BVerfGE 142, 313 (337); BVerfG, Urt. v. 24.07.2018, Az.: 2 BvR 309/15; 502/16, Rn. 74 = BVerfG, NJW 2018, 2619 (2622) - Fixierung.
  90. Rixen, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 2 Rn. 173.
  91. Früher noch anders: BVerfGE 39, 1.
  92. Urt. v. 28.5.1993, Az.: 2 BvF 2/90, 4-5/92 = BVerfGE 88, 203 (264 f.).
  93. Vgl. das ablehnende Sondervotum der Richter Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 203, 340 f.; Schürmann, VerfBlog, 2020/11/18.
  94. BT-Drucks. 7/1981, S. 17.
  95. AG Gießen, Urt. v. 24.11.2017, Az.: 507 Ds 501 Js 15031/15.
  96. Anhängig beim BVerfG unter dem Az.: 2 BvR 290/20.
  97. Evangelische Frauen in Hessen und Nassau, Pressemitteilung vom 30.01.2019.
  98. Fischer/Scheliha, VerfBlog, 2018/3/16.
  99. Vgl. Gesellschaft für Freiheitsrechte, Themenseite § 219a StGB, 22.02.2018.
  100. Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB), 25.1.2022.
  101. Vgl. vor der Entscheidung Brade/Müller, NVwZ 2020, 1792.
  102. BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021, Az.: 1 BvR 1541/20, Rn. 97, 109.
  103. Vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020, Az.: 1 BvQ 28/20, Rn. 14.
  104. BVerfG, Beschl. v. 13.5.2020, Az.: 1 BvR 1021/20, Rn. 8.
  105. BVerfG, Beschl. v. 30.8.2020, Az.: 1 BvQ 94/20, Rn. 16.
  106. BayVerfGH, Entscheidung vom 30.12.2020, Az.: Vf. 96-7-20, juris Rn. 21.
  107. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 4.11.2020, Az.: 11 S 94/20, Rn. 25; OVG Magdeburg, Beschl. v. 4.11.2020, Az.: 3 R 218/20, Rn. 28; VG München, Beschl. v. 27.10.2020, Az.: M 26b SE 20.5311, Rn. 37.
  108. Richter, DVBl 2021, 16.
  109. BVerfG, Beschl. v. 13.5.2020, Az.: 1 BvR 1021/20, Rn. 10 = NVwZ 2020, 876 (878); BVerfG, Beschl. v. 12.5.2020, Az.: 1 BvR 1027/20, Rn. 7 = NVwZ 2020, 1823 (1824).
  110. Goldhammer/Neuhöfer, JuS 2021, 212 (216 f.).
  111. BVerfG NVwZ 2020, 876 (878); OVG Weimar, BeckRS 2020, 8272 Rn. 36 ff.; VGH München NJW 2020, 1236 Rn. 63 f.
  112. Vgl. Kingreen, VerfBlog, 2020/3/20, der hier die Parallele zum Polizeirecht – Art. 4 III BayPAG – zieht.
  113. Hauptstadtfälle (FU Berlin), Fall: Rettung vor der Insolvenz, Teil B. I.
  114. Epping, Grundrechte, 9. Aufl. 2021, Rn. 141.
  115. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. A. 2013, Art. 2 II Rn. 118.
  116. Vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 25.2.1975, Az.: 1 BvF 1-6/74, Rn. 150.
  117. Meyer-Ladewig/Nettesheim, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 8 Rn. 11 f.