Vektorraum: Eigenschaften – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“
In diesem Kapitel werde ich dir Eigenschaften von Vektorräumen vorstellen, die direkt aus den Axiomen der Vektorräume hergeleitet werden können. Jeder Vektorraum muss also diese Eigenschaften erfüllen.
Überblick
[Bearbeiten]Wir verwenden in diesem Abschnitt wieder die Operationssymbole „“ und „“ zur Unterscheidung der Vektoraddition und der Skalarmultiplikation mit der Körperaddition „“ und der Körpermultiplikation „“.
Wir wollen nun aus den insgesamt acht Axiomen des Vektorraums einfache Eigenschaften und Rechenregeln ableiten. Da wir in den Axiomen nur die Existenz des Nullvektors und des additiven Inversen gefordert haben, stellen sich zunächst folgende Fragen: Ist der Nullvektor eindeutig oder gibt es mehrere Nullvektoren? Ist das inverse Element der Addition eindeutig oder kann es mehrere geben? Die Antwort auf beide Fragen lautet:
- In jedem Vektorraum gibt es genau einen Nullvektor . Es kann also nicht mehr als einen Nullvektor in einem Vektorraum geben.
- Das Inverse bezüglich der Addition ist eindeutig. Zu jedem Vektor gibt es also genau einen anderen Vektor mit .
Weitere Sätze, die wir im Folgenden beweisen werden, sind:
- Für jedes gilt: .
- Für alle gilt: .
- Aus folgt, dass oder ist.
- Für alle und alle gilt: .
Sei im Folgenden stets ein Vektorraum über einem Körper .
Eindeutigkeit des Nullvektors
[Bearbeiten]Satz (Der Nullvektor ist in einem Vektorraum eindeutig)
Im Vektorraum ist der Nullvektor eindeutig
Beweis (Der Nullvektor ist in einem Vektorraum eindeutig)
Nehmen wir an, wir haben zwei Vektoren und mit der Nulleigenschaft, d.h. und erfüllen für alle Vektoren die Gleichung beziehungsweise die Gleichung .
Setzen wir in der ersten Gleichung für den Vektor den konkreten Vektor ein und in der zweiten Gleichung für den Vektor den Vektor ein, so erhalten wir und .
Wegen des Kommutativgesetzes der Vektoraddition ist und dementsprechend ist
Damit ist .
Wir haben ingesamt gezeigt, dass in einem Vektorraum zwei Vektoren mit der Nulleigenschaft gleich sind. Damit ist der Nullvektor eindeutig.
Das Inverse ist eindeutig
[Bearbeiten]Satz (Das Inverse ist eindeutig)
Das Inverse bezüglich der Addition ist eindeutig. Zu jedem Vektor gibt es genau einen Vektor mit .
Beweis (Das Inverse ist eindeutig)
Seien . Wir nehmen an, dass und zwei additive Inverse zu sind. Es sei also und . Wir zeigen nun, dass sein muss und dass es damit nur ein additives Inverses geben kann.
Damit sind die beiden additiven Inversen und identisch.
Hinweis
Im obigen Beweis haben wir beziehungsweise für das additive Inverse von geschrieben. Wir haben aber gesehen, dass es genau ein additives Inverse gibt. Dieses wird normalerweise mit notiert und wir werden auch in den folgenden Kapitel diese Schreibweise für das additive Inverse benutzen.
Die Nullskalierung ergibt den Nullvektor
[Bearbeiten]Satz (Die Nullskalierung ergibt den Nullvektor)
Für jedes gilt: .
Beweis (Die Nullskalierung ergibt den Nullvektor)
Damit ist .
Verständnisfrage: Kann ein Vektor so mit einem Skalar skalar multipliziert werden, dass sich wieder der ursprüngliche Vektor ergibt?
Die Antwort ist ja, denn wähle für , dann gilt nach dem Assoziativgesetz der skalaren Multiplikation
Nun kann nur dann gebildet werden, wenn ist. Dies ist aber wegen der Fall. Für ist nämlich und damit schließt die Prämisse den Fall aus.
Dies zeigt, warum es sinnvoll ist, Vektorräume über einem Körper zu definieren. In Körpern gibt es nämlich zu jedem Element ungleich der Null ein multiplikatives Inverses. Es gibt also zu allen mit ein Inverses mit . Dass ein Körper ist, garantiert also, dass jede Skalierung (Streckung) durch die inverse Skalierung (mit den inversen Streckungsfaktor) zurückskaliert werden kann, so dass ist.
Jede Skalierung des Nullvektors ergibt den Nullvektor
[Bearbeiten]Satz (Jede Skalierung des Nullvektors ergibt den Nullvektor)
Für alle gilt: .
Beweis (Jede Skalierung des Nullvektors ergibt den Nullvektor)
Sei das neutrale Element der Vektoraddition und beliebig. Es ist:
Damit ist .
Nullteilerfreiheit der skalaren Multiplikation
[Bearbeiten]Satz
Sei für und die Gleichung erfüllt. Dann ist oder .
In bereits bewiesenen Sätzen haben wir gezeigt, dass im Fall oder die Gleichung erfüllt ist. Nun zeigen wir umgekehrt, dass aus folgt, dass oder ist.
Beweis
Sei . Wenn ist, gibt es ein mit . Dann ist:
Aus folgt also . Damit muss oder sein, denn es kann nicht gleichzeitig und sein.
Skalierung mit dem Negativem einer Zahl
[Bearbeiten]Satz (Skalierung eines Vektors mit einem negativen Skalar)
Für alle und alle gilt
Beweis (Skalierung eines Vektors mit einem negativen Skalar)
Nach dem skalaren Distributivgesetz der skalaren Multiplikation ist zum einen:
Dies zeigt, dass das additive Inverse zu ist. Damit ist . Zum anderen ist nach vektoriellem Distributivgesetz
Dies zeigt, dass das additive Inverse zu , also gleich ist. Damit ist insgesamt
Hinweis
Aus dem obigen Satz folgt direkt . Es ist nämlich (wobei wir benutzt haben).