Folgenräume – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“

Aus Wikibooks

Der Folgenraum ist ein Vektorraum, der aus unendlich langen Tupeln besteht. Die Verknüpfungen im Folgenraum sind komponentenweise Addition und skalare Multiplikation.

Motivation[Bearbeiten]

Wir haben bereits den Koordinatenraum für einen Körper als Beispiel für Vektorräume kennengelernt. Dort besteht jedes Element aus verschiedenen, also endlich vielen, Einträgen aus . Zum Beispiel ist ein Element von . Wir können auch unendlich lange Tupel betrachten. Beispielsweise ist so ein „unendliches Tupel“. Eine bessere Bezeichnung für unendliche Tupel ist „Folge“. Ist der Körper der reellen oder komplexen Zahlen, so sind dies genau die bereits aus der Analysis bekannten Folgen.

Wie definieren wir die Vektorraum-Operationen auf den Folgen? Auf dem haben wir die Operationen komponentenweise definiert. Wir wissen bereits, dass wir auch Folgen komponentenweise addieren und skalieren können. Deshalb können wir auch auf unendlichen Folgen über beliebigen Körpern eine Addition und eine Skalarmultiplikation definieren. Dies führt uns zu der Vermutung, dass die Menge aller Folgen mit Einträgen in einen Vektorraum bilden sollte. Wir nennen ihn den Folgenraum über .

Wir werden den Folgenraum zunächst präzise definieren und dann beweisen, dass es sich dabei tatsächlich um einen Vektorraum handelt. Im Abschnitt Unterräume des Folgenraums betrachten wir dann Beispiele von Unterräumen der Folgenräume über den reellen und komplexen Zahlen, die wichtig für die Analysis sind.

Notation[Bearbeiten]

Sei ein Körper.

Wir schreiben in diesem Artikel wegen der besseren Lesbarkeit immer anstatt für Folgen mit Einträgen in .

Definition des Folgenraums[Bearbeiten]

Definition (Der Folgenraum als Menge)

Wir definieren die Menge

Wir nennen sie die Menge aller Folgen über , oder auch den Folgenraum über .

Analog zum Koordinatenraum können wir auch auf eine Addition und eine Skalarmultiplikation definieren:

Definition (Vektorraumverknüpfungen auf )

Die Addition ist definiert durch

Ähnlich definieren wir die Skalarmultiplikation durch

Der Folgenraum ist ein Vektorraum[Bearbeiten]

Satz ( ist ein Vektorraum)

ist ein -Vektorraum.

Wie kommt man auf den Beweis? ( ist ein Vektorraum)

Wir gehen vor wie im Artikel Beweise für Vektorräume führen. Weil der Folgenraum ähnlich wie der Koordinatenraum definiert ist, nutzen wir die gleiche Strategie, wie für den Beweis, dass der Koordinatenraum ein Vektorraum ist.

Beweis ( ist ein Vektorraum)

Wir müssen nun also die acht Vektorraumaxiome nachprüfen.

Beweisschritt: Assoziativität der Addition

Seien . Dann gilt:

Damit ist die Assoziativität der Addition gezeigt.

Beweisschritt: Kommutativität der Addition

Seien . Dann gilt:

Damit ist die Kommutativität der Addition gezeigt.

Beweisschritt: Neutrales Element der Addition

Wir müssen nun noch zeigen, dass es ein neutrales Element gibt, das heißt für alle . Da wir alle Eigenschaften auf die Eigenschaften in zurückführen, wählen wir

als Ansatz für das neutrale Element.

Sei . Dann gilt:

Damit haben wir gezeigt, dass das neutrale Element der Addition ist.

Beweisschritt: Inverse bezüglich der Addition

Sei . Wir müssen zeigen, dass es ein gibt, sodass . Wie beim neutralen Element der Addition nutzen wir als Ansatz das entsprechende Gegenstück aus . Das heißt wir wählen für die Folge . Dann gilt:

Damit haben wir gezeigt, dass es zu einem beliebigen ein gibt mit .

Beweisschritt: Skalares Distributivitätsgesetz

Seien und . Dann gilt:

Damit ist das skalare Distributivgesetz gezeigt.

Beweisschritt: Vektorielles Distributivitätsgesetz

Seien und . Dann gilt:

Damit ist das vektorielle Distributivgesetz gezeigt.

Beweisschritt: Assoziativität bezüglich Multiplikation

Seien und . Dann gilt:

Damit ist das Assoziativgesetz für die Multiplikation gezeigt.

Beweisschritt: Unitäres Gesetz

Sei . Dann gilt:

Somit haben wir das unitäre Gesetz gezeigt.

Damit haben wir alle acht Vektorraumaxiome gezeigt und somit ist ein -Vektorraum.

Unterräume des Folgenraums[Bearbeiten]

Der Folgenraum besitzt einige häufig verwendete Unterräume. Die meisten dieser Unterräume lassen sich nur über den Körpern und definieren. Sie besitzen viele Anwendungen in der Funktionalanalysis und sind dort Teil einer wichtigen Klasse an Beispielen. Im Bereich der linearen Algebra über beliebigen Körpern dient der Raum der Folgen mit endlichem Träger an vielen Stellen als Beispiel. Er ist das einfachste Beispiel für einen unendlich-dimensionalen Vektorraum und kann damit gut als Beispiel herangezogen werden, wenn es darum geht, Aussagen für „zu große“ Vektorräume zu widerlegen.

Der Unterraum der Folgen mit endlichem Träger [Bearbeiten]

Definition (Menge der Folgen mit endlichem Träger)

Wir definieren

.

Satz (Die Folgen mit endlichem Träger bilden einen Unterraum)

ist ein Unterraum.

Beweis (Die Folgen mit endlichem Träger bilden einen Unterraum)

Wir prüfen die drei Unterraumkriterien.

Beweisschritt:

Das Nullelement von ist die Folge, die konstant ist. Für gilt somit für alle , dass , d.h. .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Addition

Seien . Nach Voraussetzung existieren mit der Eigenschaft, dass für alle und für alle . Setze . Dann gilt für alle , dass . Dies zeigt .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Skalarmultiplikation.

Sei und . Nach Voraussetzung existiert mit der Eigenschaft, dass für alle . Dann gilt für alle , dass . Folglich ist .

Damit haben wir gezeigt, dass ein Untervektorraum von ist.

Die Notation für den Raum der Folgen mit endlichem Träger kann man sich beispielsweise so herleiten: Dieser Vektorraum ist über und ein Unterraum des Raumes der Nullfolgen. Letztere bezeichnet man üblicherweise mit . Das steht dabei für Konvergenz (englisch „convergence“) und die dafür, dass wir von den konvergenten Folgen nur Nullfolgen in den Vektorraum packen. Wenn man über Konvergenz spricht, ist die Bedingung, dass die Folge irgendwann wird, natürlich bedeutend stärker, als die Bedingung gegen zu konvergieren. Daher bekommt der Raum der Folgen mit endlichem Träger noch eine weitere Null spendiert.

Unterräume aus der Analysis[Bearbeiten]

Im Folgenden sei .

Aufgabe (Vektorraum der beschränkten Folgen)

Die Teilmenge

ist ein Unterraum des Folgenraums. Der Raum heißt Vektorraum der beschränkten Folgen.

Lösung (Vektorraum der beschränkten Folgen)

Wir prüfen die drei Unterraumkriterien.

Beweisschritt:

Das Nullelement von ist die Folge, die konstant ist. Diese ist natürlich beschränkt (z.B. durch ) und liegt somit in .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Addition

Seien . Dann ist . Wegen der Dreiecksungleichung für alle folgt

Somit ist .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Skalarmultiplikation.

Sei und . Dann ist . Wegen für alle folgt

Somit ist .

Damit haben wir gezeigt, dass ein Untervektorraum von ist.

Aufgabe (Vektorraum der konvergenten Folgen)

Die Teilmenge

ist ein Unterraum von . Er heißt Vektorraum der konvergenten Folgen.

Lösung (Vektorraum der konvergenten Folgen)

Wir prüfen die drei Unterraumkriterien.

Beweisschritt:

Das Nullelement von ist die Folge, die konstant ist. Diese konvergiert natürlich gegen und liegt somit in .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Addition

Seien . Dann ist . Es gilt . Die beiden Limiten auf der rechten Seite existieren nach Vorraussetzung, also existiert der Limes auf der linken Seite. Insbesondere konvergiert also , also gilt .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Skalarmultiplikation.

Sei und . Dann ist . Es gilt . Der Limes auf der rechten Seite existiert nach Vorraussetzung, also existiert auch der Limes auf der linken Seite. Somit ist .

Damit haben wir gezeigt, dass ein Untervektorraum von ist.

Aufgabe (Vektorraum der Nullfolgen)

Die Teilmenge

ist ein Unterraum von . Dieser Unterraum heißt Vektorraum der Nullfolgen.

Lösung (Vektorraum der Nullfolgen)

Wir prüfen die drei Unterraumkriterien.

Beweisschritt:

Das Nullelement von ist die Folge, die konstant ist. Diese konvergiert natürlich gegen und liegt somit in .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Addition

Seien . Dann ist . Es gilt . Folglich konvergiert gegen . Somit gilt .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Skalarmultiplikation.

Sei und . Dann ist . Es gilt . Somit ist .

Damit haben wir gezeigt, dass der Raum der Nullfolgen ein Untervektorraum von ist.

Aufgabe (Vektorraum der absolut summierbaren Folgen)

Die Teilmenge

ist ein Unterraum von . Er wird als Vektorraum der absolut summierbaren Folgen bezeichnet.

Lösung (Vektorraum der absolut summierbaren Folgen)

Wir prüfen die drei Unterraumkriterien.

Beweisschritt:

Das Nullelement von ist die Folge, die konstant ist. Dann gilt . Also ist .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Addition

Seien . Dann ist . Wegen der Dreiecksungleichung für alle folgt . Mit der Summenregel für Reihen gilt . Somit ist .

Beweisschritt: ist abgeschlossen unter der Skalarmultiplikation.

Sei und . Dann ist . Wegen für alle folgt . Somit ist .

Damit haben wir gezeigt, dass ein Untervektorraum von ist.

Beziehungen zwischen den Unterräumen[Bearbeiten]

Wir haben nun für einige Unterräume des Folgenraums kennengelernt. Das wirft die Frage auf, welche Beziehungen zwischen diesen bestehen. Bei den meisten Bedingungen, die wir benutzt haben, um die Unterräume zu konstruieren, handelt es sich um Bedingungen aus der Analysis. Glücklicherweise gibt es in der Analysis bereits Resultate, die Implikationen zwischen den einzelnen Bedingungen beschreiben. Wenn wir diese Implikationen in die Welt von Mengen und Vektorräumen übersetzen, erhalten wir das folgende Resultat:

Aufgabe (Inklusionen zwischen den Unterräumen)

Es gilt .

Lösung (Inklusionen zwischen den Unterräumen)

Wir werden nun nacheinander die vier Inklusionen zeigen. Dabei beweisen wir auch, dass jeweils keine Gleichheit gilt.

Beweisschritt:

Beweisschritt:

Sei . Nach Definition gibt es ein , sodass für alle . Damit ist und wir erhalten . Dies zeigt .

Beweisschritt:

Betrachte die Folge . Es gilt , da . Aber , da für alle . Dies zeigt .

Beweisschritt:

Beweisschritt:

Sei . Dies bedeutet, dass . Dann gilt nach dem Trivialkriterium, dass . Das heißt, es gilt und somit ist . Dies zeigt .

Beweisschritt:

Betrachte die Folge . Es gilt , da . Aber , da nach dem Satz über die Divergenz der harmonischen Reihe divergiert. Dies zeigt .

Beweisschritt:

Beweisschritt:

Dies ist klar, da jede gegen Null konvergente Folge konvergiert.

Beweisschritt:

Betrachte die Folge . Es gilt , da . Aber , da . Dies zeigt .

Beweisschritt:

Beweisschritt:

Aus der Analysis wissen wir, dass jede konvergente Folge beschränkt ist. Also gilt die Inklusion.

Beweisschritt:

Betrachte die Folge . Es gilt , da für alle . Aber , da nicht existiert. Dies zeigt .

Beweisschritt:

Beweisschritt:

Das wissen wir bereits, da ein Untervektorraum von ist.

Beweisschritt:

Betrachte die Folge . Es gilt , da . Dies zeigt .