In diesem Kapitel werden wir mit Hilfe der Ableitung notwendige und hinreichende Kriterien für die Existenz von Extrema herleiten. In der Schule wird häufig der Satz verwendet, dass eine Funktion
notwendigerweise
erfüllen muss, damit
in
ein (lokales) Extremum hat. Wechselt die Ableitungsfunktion
in
zusätzlich noch das Vorzeichen, so folgt aus dieser Bedingung die Existenz eines Extremums. Der Vorzeichenwechsel der Ableitung ist damit ein hinreichendes Kriterium für das Extremum. Diese und weitere Folgerungen werden wir nun herleiten, und an Hand zahlreicher Beispiele veranschaulichen. Zunächst werden wir jedoch sauber definieren, welche Art von Extrema es gibt.
Eine Funktion
kann zunächst einmal zwei Typen eines Extremums haben: Ein Maximum oder ein Minimum. Dieses kann wiederum lokal oder global sein. Wie die Bezeichnungen schon vermuten lassen, ist ein lokales Minimum beispielsweise ein Wert
, der „lokal minimal“ ist. In einer Umgebung von
gilt also
. Sprich: Es gibt ein Intervall
um
, so dass
für alle Argumente
gilt, die in
liegen. Ein globales Maximum hingegen ist ein Wert
, der „global maximal“ ist. Das heißt, für alle Argumente
aus dem gesamten Definitionsbereich muss
gelten. Diese intuitive Vorstellung ist in folgender Skizze veranschaulicht:
Bei lokalen Extrema wird außerdem noch zwischen strikten und nicht strikten unterschieden. Ein striktes lokales Minimum beispielsweise ist eines, das lokal nur „strikt“ in einem Punkt angenommen wird. Ein nicht striktes Extremum kann auf einem ganzen Teilintervall angenommen werden.
Die intuitiv erklärten Begriffe definieren wir nun formal:
Ein lokales Maximum/Minimum wird in der Literatur auch gelegentlich als relatives Maximum/Minimum, und ein striktes Maximum/Minimum als isoliertes Maximum/Minimum bezeichnet. Mit der Definition ist außerdem klar, dass jedes globale Extremum auch ein lokales ist. Ebenso ist jedes strikte lokale Extremum auch eines im gewöhnlichen Sinne. Im Folgenden wollen wir mit Hilfe der Ableitung notwendige und hinreichende Bedingungen für (strikte) lokale Extrema bestimmen. Zur Charakterisierung globaler Extrema reichen unsere Kriterien leider nicht aus.
Verständnisfrage: Betrachte die Funktionen
Sind die folgenden Aussagen richtig oder falsch?
hat in
ein lokales Minimum.
hat in
ein striktes lokales Minimum.
hat in
ein globales Minimum.
hat in
ein globales Maximum.
hat in
ein lokales Maximum.
hat in
ein striktes lokales Maximum.
hat in
ein lokales Maximum.
hat in
ein globales Minimum.
hat in
ein lokales Minimum.
Graph der Funktion

mit Extrema
Graph der Funktion

mit Extrema
Lösungen:
- Richtig. Denn für
gilt
für alle
mit
.
- Richtig. Denn für
gilt
für alle
mit
.
- Richtig. Denn für alle
gilt
.
- Falsch. Denn beispielsweise für
gilt
.
- Richtig. Denn für alle
gilt
. Also hat
bei
ein globales, und daher auch ein lokales Maximum.
- Falsch. Denn für alle
und alle
gilt
.
- Richtig. Denn für
gilt
für alle
mit
.
- Richtig. Denn für alle
gilt
.
- Falsch. Denn für alle
gibt es ein
mit
.
Notwendige Bedingung für Extrema[Bearbeiten]
Damit eine Funktion an einer Stelle im Inneren Ihres Definitionsbereichs ein lokales Extremum haben kann, muss die Funktion dort eine waagrechte Tangente besitzen. Das heißt, die Ableitung an dieser Stelle muss gleich Null sein. Genau dies besagt der folgende Satz:
Beweis (Notwendige Bedingung für Extrema)
Wir betrachten den Fall, dass
bei
ein lokales Minimum hat. Der Beweis im Fall eines lokalen Maximums geht analog. Wir wollen zeigen, dass
Da
in
differenzierbar ist, gilt
Da
in
ein lokales Minimum hat, gibt es ein
, so dass für alle
gilt
Also ist auch
Aus den Grenzwertregeln folgt
Andererseits gibt es ein
, so dass für alle
gilt
Aus den Grenzwertregeln folgt dann
Also ist
und daher
.
Beispiel (Sinusfunktion)
Graph der Sinusfunktion mit Extrema
Natürlich kann die Bedingung
auch an unendlich vielen Stellen einer Funktion erfüllt sein. Ein Beispiel dafür ist die Sinusfunktion
. Es gilt
Weiter gilt
, sowie
und
Daher hat
in
mit
lokale Maxima, und in
mit
lokale Minima.
Beispiel (Exponentialfunktion)
Exponentialfunktion ohne Extrema
Schließlich kann auch der Fall
für alle
vorkommen. Betrachten wir hierzu die Exponential funktion
. Dann gilt für alle
:
Da Randextrema auch nicht möglich sind, folgt aus unserem Kriterium, dass die Exponentialfunktion keine (lokalen) Extrema besitzt.
Aufgabe (Lokale Extrema von Funktionen)
Untersuche ob folgende Funktionen lokale Extrema besitzen:



Lösung (Lokale Extrema von Funktionen)
Lösung Teilaufgabe 2:
Hier gilt für alle
Daher hat
keine Extrema.
Lösung Teilaufgabe 3:
Schließlich gilt
Weiter gilt
, sowie
und
Daher hat
in
,
lokale Maxima, und in
,
lokale Minima.
Anwendung: Zwischenwerteigenschaft für Ableitungen[Bearbeiten]
Wir haben in den vergangenen Abschnitten bereits festgestellt, dass die Ableitungsfunktion einer differenzierbaren Funktion nicht zwingend stetig sein muss. Ein Beispiel hierfür ist folgende Funktion, die wir im Kapitel „Ableitung höherer Ordnung“ kennen gelernt haben:
Allerdings kann man zeigen, dass die Ableitungsfunktion immer die Zwischenwerteigenschaft erfüllt. Dass dies kein Widerspruch ist, liegt daran, dass die Stetigkeit eine stärkere Eigenschaft als die Zwischenwerteigenschaft ist. Zum Beweis werden wir unser notwendiges Kriterium aus dem vorangegangenen Satz verwenden. Dieses Resultat ist in der Literatur auch als „Satz von Darboux“ bekannt:
Beweis (Satz von Darboux)
Wir definieren die Hilfsfunktion
Diese ist differenzierbar mit
Damit gilt
und
. Also ist
Somit gibt es ein
mit
Da der Nenner
positiv ist, folgt
. Analog gibt es ein
mit
. Nach dem Satz vom Minimum und Maximum nimmt
auf
ein Minimum an. Da wir gezeigt haben, dass es
mit
und
, muss das Minimum in
liegen. Sei
die Minimalstelle. Nach unserem notwendigen Kriterium für ein Extremum muss nun gelten
Daraus folgt
.
Hinreichende Bedingung: Vorzeichenwechsel der Ableitung[Bearbeiten]
Bei vielen Funktionen ist es sehr mühsam, nur mit der notwendigen Bedingung
festzustellen, ob
in
ein Extremum hat. Daher suchen wir nun hinreichende Bedingungen dafür. Eine Möglichkeit ist, die Umgebung der möglichen Extremstelle
zu untersuchen. Wenn die Funktion links von
steigt und rechts fällt, gibt es ein Maximum. Wenn die Funktion erst fällt und dann steigt gibt es ein Minimum.
Satz (Hinreichende Bedingung für Extrema über Vorzeichenwechsel der Ableitung)
Sei
und
eine differenzierbare Abbildung. Und gelte
für ein
. Dann gilt
hat ein strenges Maximum in
, wenn es
gibt, so dass für alle
gilt
und für alle
gilt
.
hat ein strenges Minimum in
, wenn es
gibt, so dass für alle
gilt
und für alle
gilt
.
Beweis (Hinreichende Bedingung für Extrema über Vorzeichenwechsel der Ableitung)
Für den Beweis nutzen wir den Mittelwertsatz:
Beweisschritt:
hat strenges Maximum in 
Veranschaulichung bei lokalem Maximum
Sei
beliebig. Nach dem Mittelwertsatz gibt es ein
, so dass
. Da nach unserer Voraussetzung
ist und
, gilt
bzw.
.
Außerdem gibt es für alle
ein
, so dass
. Wir wissen, dass
und
ist. Also folgt
oder
.
Ist
, so gilt für alle
mit
, dass
. Damit hat
in
ein strenges Maximum.
Beweisschritt:
hat strenges Minimum in 
Veranschaulichung bei lokalem Minimum
Der Beweis geht analog zum 1. Fall: Für alle
gibt es laut Mittelwertsatz ein
mit
. Es gilt aber
und
und damit folgt
bzw.
.
Es gilt auch für alle
, dass es ein
gibt, so dass
. Weil aber gilt
und
, folgt auch
oder
.
Ist
, so gilt für alle
mit
, dass
. Also hat
ein strenges Minimum in
.
Alternativer Beweis (Hinreichende Bedingung für Extrema über Vorzeichenwechsel der Ableitung)
Alternativ kann der Satz auch mit Hilfe des Monotoniekriteriums bewiesen werden. Wir zeigen dies nur für die erste Aussage. Die zweite kann analog bewiesen werden. Wegen
für alle
, ist
nach dem Monotoniekriterium streng monoton steigend auf
. Für alle
gilt daher
.
Genauso ist folgt aus
für alle
, dass
streng monoton fallend auf
ist. Für alle
gilt daher
. Mit
erhalten wir
für alle
. Somit ist
ein strenges lokales Maximum von
.
Hinweis
Gilt im vorangegangenen Satz nur
beziehungsweise
so gelten die Aussagen nach wie vor. Die Extrema müssen nur nicht mehr zwingend streng sein.
Warnung
Mit dem hinreichenden Kriterium können lediglich lokale Extrema gefunden werden. Ob diese auch globale sind, oder ob es an weiteren Stellen globale Extrema gibt, muss separat untersucht werden.
Beispiel (Überprüfen von Polynomfunktionen auf Extremstellen)
Graph der Funktion

Wir betrachten nun die Polynomfunktion
mit
. Um die Extremstellen zu finden, leiten wir
zuerst ab. Es gilt
Also ist die Ableitung auf dem Intervall
nur an der Stelle
gleich Null. In unserem Definitionsintervall
ist der Faktor
immer negativ. Im Intervall
ist
. Also ist hier
. Im Intervall
gilt
und damit folgt
.
Laut unserem Satz hat
ein striktes lokales Maximum bei
.
Verständnisfrage: Besitzt die Polynomfunktion
ein Extremum?
Aufgabe (Extremum einer Funktion)
Zeige, dass für
die Funktion
ein lokales Maximum und Minimum besitzt, welches ein globales Maximum bzw. Minimum ist.
Lösung (Extremum einer Funktion)
Beweisschritt:
hat lokales Maximum bei 
Beweisschritt:
hat globales Maximum bei 
Graphen der Funktionen

Da
keine Randpunkte hat, kommt nach Teil 1 nur
für ein globales Maximum von
in Frage. Wir müssen dafür
für alle
zeigen. Wegen
für alle
ist
nach dem Monotoniekriterium auf
streng monoton steigend. Daher gilt für alle
Analog folgt aus
für alle
, dass
auf
streng monoton fällt. Also ist für alle
Insgesamt ist damit
für alle
. Somit ist
ein globales Maximum von
. Genau wie im ersten Teil können wir außerdem begründen, dass
auch ein globales Minimum von
ist.
Beweisschritt:
hat ein globales Minimum bei 
Bedingungen sind nicht notwendig[Bearbeiten]
Die Bedingung im vorherigen Satz ist eine hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer Extremstelle. Es ist jedoch keine notwendige Bedingung. Es gilt also nicht, dass eine Extremstelle genau dann vorliegt, wenn eine der Bedingungen im vorherigen Satz erfüllt ist. Das zeigen wir mit dem folgenden Beispiel.
Beispiel
Wir betrachten die Funktion
Wir haben bereits gesehen, dass die Funktion
differenzierbar ist und
Für alle
gilt
. Folglich ist auch
differenzierbar mit der Ableitungsfunktion
Für alle
ist
und
. Somit ist
. Folglich ist
Es gilt
und somit hat die Funktion
an der Stelle
ein (globales) Minimum. Als nächstes zeigen wir, dass es kein
gibt, so dass für alle
die Ungleich
erfüllt ist. Dazu konstruieren wir eine Folge
in
, die gegen
konvergiert und die Eigenschaft hat, dass für alle
wir
haben. Wir definieren für alle
Sei
. Dann gilt
Hinreichende Bedingung: Vorzeichen der zweiten Ableitung[Bearbeiten]
Ist
zweimal differenzierbar, so können wir auch das folgende hinreichende Kriterium verwenden:
Beweis (Hinreichende Bedingung für Extrema über zweite Ableitung)
1.Aussage:
,
hat striktes Maximum in 
Es gilt
Daher gibt es ein
, so dass für alle
gilt:
Ist nun
, so folgt wegen
unmittelbar
. Ist hingegen
, so folgt wegen
, dass
ist. Nach dem ersten hinreichenden Kriterium ist daher
ein striktes lokales Maximum von
.
Warnung
Graph der Funktion

Auch dieses hinreichende Kriterium ist nicht notwendig. Da wir es aus dem ersten Kriterium gefolgert hatten, ist es sogar schwächer als dieses. Ein Beispiel dafür ist die Funktion
Wie wir uns weiter oben schon überlegt hatten, bestitzt
bei
ein striktes lokales Minimum. Das zweite hinreichende Kriterium ist jedoch nicht anwendbar. Es gilt nämlich
Abhilfe schafft hier eine Erweiterung des zweiten hinreichenden Kriteriums, welches wir später diskutieren werden.
Beispiel und Übungsaufgabe[Bearbeiten]
Aufgabe (Bestimmung von Extrema einer Funktion)
Gegeben sei die Funktion
Bestimme alle lokalen und globalen Extrema von
.
Lösung (Bestimmung von Extrema einer Funktion)
Beweisschritt: Bestimmung der lokalen Extrema von 
ist auf
differenzierbar mit
Für lokale Extrema in
muss nun notwendigerweise
gelten. Nun ist
Diese Gleichung ist in
für
und
erfüllt. Also sind
und
Kandidaten für lokale Extrema.
ist auf
auch zweimal differenzierbar, mit
Damit gilt
Nach unserem zweiten Kriterium hat
bei
ein striktes lokales Maximum. Außerdem ist
Also hat
bei
ein striktes lokales Minimum. Nun müssen wir noch den Randpunkt
untersuchen, denn dort greifen unsere Kriterien nicht! Da
in
ein lokales Maximum hat, und auf
keine weiteren Nullstellen von
liegen, ist
auf
streng monoton fallend. Also gilt
für alle
. Daher hat
in
ein striktes lokales Minimum.
Beweisschritt: Bestimmung der globalen Extrema von 
Erweitertes hinreichendes Kriteriums[Bearbeiten]
Das Problem bei Funktionen wie
ist, dass
ist und somit die zweite Ableitung verschwindet. Wir können dann nicht mit Hilfe der zweiten Ableitung entscheiden, ob und welche Art eines Extremas vorliegt. Leiten wir
nun zwei weitere Male ab, so erhalten wir
. Die Frage ist nun, ob wir daraus, analog zum zweiten Kriterium, folgern können, dass
in
ein striktes lokales Minimum hat?
Die Antwort ist „ja“ – jedoch müssen wir etwas beachten: Betrachten wir hierzu das Beispiel
. Dieses hat, im Gegensatz zu
in
kein Extremum, sondern einen Sattelpunkt. Und dies obwohl für die dritte Ableitung ebenfalls
gilt. Der Unterschied ist, dass hier die Ordnung der ersten Ableitung, die ungleich Null ist, gleich
und damit ungerade ist. Bei
war sie hingegen
, also gerade. Berücksichtigen wir dies, so können wir folgendes Kriterium herleiten:
Zusammenfassung des Beweises (Hinreichendes Kriterium 2b für lokale Extrema)
Für den Beweis benötigen wir für
die Taylor-Formel bis zur Ordnung
mit der Lagrange-Restglieddarstellung
Beweis (Hinreichendes Kriterium 2b für lokale Extrema)
Beweisschritt:
und
gerade
hat in
striktes lokales Maximum
Da
stetig in
ist gibt es ein
, so dass
für
. Nach dem Satz von Taylor gibt es nun zu jedem
ein
(bzw.
) mit
Wegen
folgt daraus
Ist
, so ist
, und damit gilt sogar
für alle
. Also hat
in
ein striktes lokales Maximum. Der Beweis, dass
in
ein striktes lokales Minimum hat, falls
ist geht ganz analog.