Satz von Rolle – Serlo „Mathe für Nicht-Freaks“
Motivation
[Bearbeiten]Wir wissen bereits vom Satz vom Minimum und Maximum, dass eine stetige Funktion auf einem abgeschlossenen Intervall ein Maximum und ein Minimum annimmt:
Dies gilt natürlich auch, wenn ist. In diesem Fall muss es (wenn die Funktion nicht konstant ist) ein Maximum oder ein Minimum im Inneren des Definitionsbereichs geben. In folgender Abbildung liegt sowohl das Maximum als auch das Minimum im Inneren von , also im offenen Intervall :
Nehmen wir nun zusätzlich an, dass auf differenzierbar ist. Sei die Maximal- bzw. Minimalstelle. Wenn im Inneren des Definitionsbereichs liegt, wenn also ist, dann ist nach dem notwendigen Hauptkriterium für Extrema einer differenzierbaren Funktion. Anschaulich bedeutet dies, dass die Tangente an in waagrecht liegt. Genau dies besagt der Satz von Rolle: Für jede stetige Funktion mit , die in differenzierbar ist, gibt es ein Argument mit .
-
Die Ableitung im Maximum von ist null.
-
Die Ableitung im Minimum von ist null.
Natürlich kann in auch mehrere (teils lokale) Maximal- und Minimalstellen annehmen. Außerdem kann es sein, dass in nur ein Maximum (und kein Minimum) oder ein Minimum (und kein Maximum) im Inneren des Definitionsbereichs annimmt:
-
Die Funktion besitzt im Inneren des Definitionsbereichs nur ein Maximum und kein Minimum. An dieser Stelle ist die Ableitung null.
-
Die Funktion besitzt im Inneren des Definitionsbereichs nur ein Minimum und kein Maximum. An dieser Stelle ist die Ableitung null.
Ein Sonderfall ist der, dass konstant auf ist. In diesem Fall gilt für alle :
Egal welchen Fall wir uns angeschaut haben, immer gab es mindestens eine Stelle im Inneren des Definitionsbereichs, wo die Ableitung der Funktion gleich null ist.
Satz von Rolle
[Bearbeiten]Der nach Michel Rolle (1652-1719) benannte Satz stellt einen Spezialfall des Mittelwertsatzes der Differentialrechnung dar und lautet wie folgt:
Satz (Satz von Rolle)
Sei eine stetige Funktion mit und . Außerdem sei auf dem offenen Intervall differenzierbar. Dann existiert ein mit .
Ist auf differenzierbar, so ist auf stetig. Daher genügt es zur Prüfung der Voraussetzungen, die Stetigkeit von in den Randpunkten und nachzuweisen.
Beispiel (Satz von Rolle)
Betrachten wir die Funktion mit . Es ist
- ist als Polynom stetig auf
- ist als Polynom differenzierbar auf
Der Satz von Rolle besagt nun: Es gibt mindestens ein mit .
Frage: Wie lautet ein Wert , wo die Ableitung von im obigen Beispiel gleich null ist?
Die Ableitung von ist . Nun können wir die Nullstellen von bestimmen:
An der Stelle ist die Ableitung von gleich null. Dieser Wert liegt im Definitionsbereich von und ist die einzige Nullstelle der Ableitung. Damit ist der gesuchte Wert.
Zu den Prämissen des Satzes
[Bearbeiten]Im Satz von Rolle gibt es mehrere notwendige Voraussetzungen. Wenn wir auch nur eine davon fallen lassen, gilt der Satz von Rolle nicht mehr.
Voraussetzung 1: ist auf stetig
[Bearbeiten]Aufgabe (Voraussetzung der Stetigkeit)
Finde eine Funktion , die auf differenzierbar ist und für die gilt, bei der aber der Satz von Rolle nicht gilt.
Die gesuchte Funktion erfüllt alle Voraussetzungen des Satzes von Rolle bis auf die Stetigkeit im kompletten Definitionsbereich. Dieses Beispiel zeigt damit, dass die Forderung der Stetigkeit notwendig für den Satz von Rolle ist.
Lösung (Voraussetzung der Stetigkeit)
mit
ist differenzierbar auf und es gilt . Weil aber für alle ist, gibt es kein mit .
Voraussetzung 2: :
[Bearbeiten]Aufgabe (Gleichheit der Funktionswerte)
Finde eine stetige Funktion , die auf differenzierbar ist, für die der Satz von Rolle nicht gilt.
Diese Aufgabe zeigt, dass die Voraussetzung für den Satz von Rolle notwendig ist.
Lösung (Gleichheit der Funktionswerte)
Eine solche Funktion ist zum Beispiel mit . Diese Funktion ist auf stetig und auch auf differenzierbar. Es gilt jedoch .
Für diese Funktion ist für alle . Damit gibt es kein mit .
Voraussetzung 3: ist auf differenzierbar:
[Bearbeiten]Aufgabe (Voraussetzung der Differenzierbarkeit)
Finde eine stetige Funktion mit , für die der Satz von Rolle nicht gilt.
Lösung (Voraussetzung der Differenzierbarkeit)
Die Funktion mit
ist stetig und es gilt . Diese Funktion ist nur in den Intervallen und differenzierbar. Die Ableitungsfunktion besitzt dabei die Zuordnungsvorschrift:
Damit gibt es kein mit .
Beweis
[Bearbeiten]Zusammenfassung des Beweises (Satz von Rolle)
Wir betrachten zunächst den Spezialfall, dass eine konstante Funktion ist. Hier ist die Ableitung überall gleich null. Wenn nicht konstant ist, benutzen wir den Satz vom Maximum und Minimum, um ein Maximum oder Minimum im Inneren des Definitionsbereichs zu finden. Dort gilt nach dem notwendigen Kriterium für die Existenz eines Extremums, dass die Ableitung in der Extremstelle verschwindet.
Beweis (Satz von Rolle)
Sei eine stetige Funktion mit , die auf differenzierbar ist. Sei außerdem .
Fall 1: ist konstant.
Sei konstant. Dann gilt für alle . Damit gibt es mindestens ein mit (es kann ein beliebiges aus gewählt werden). Der Satz von Rolle ist erfüllt.
Fall 2: ist nicht konstant.
Sei ist nicht konstant. Nach dem Satz vom Maximum und Minimum nimmt auf dem kompakten Intervall sowohl Maximum, als auch Minimum an. Das Maximum oder das Minimum von muss von verschieden sein, da sonst konstant wäre. Damit wird (mindestens) ein Extremum an einer Stelle angenommen.
Weil auf differenzierbar ist, ist auch an der Extremstelle differenzierbar. Hier ist nach dem notwendigen Kriterium für Extrema . Somit existiert mindestens ein , wo die Ableitung gleich null ist. Der Satz von Rolle ist auch in diesem Fall bewiesen.
Übungsaufgabe
[Bearbeiten]Aufgabe (Aufgabe)
Sei . Zeige mit dem Satz von Rolle, dass die Ableitungsfunktion der Funktion mit mindestens Nullstellen besitzt.
Lösung (Aufgabe)
Die Sinusfunktion ist auf ganz differenzierbar, also auch stetig. Außerdem gilt für alle . Nach dem Satz von Rolle existiert ein mit . Für jedes mit finden wir ein , wo die Ableitung gleich null ist. Da es verschiedene natürliche Zahlen für mit gibt, können wir auch verschiedene Nullstellen der Ableitungsfunktion finden. Die Ableitung von muss damit mindestens verschiedene Nullstellen besitzen.
Anwendung: Nullstellen von Funktionen
[Bearbeiten]Der Satz von Rolle kann auch in Existenzbeweisen von Nullstellen eingesetzt werden. Mit diesem lässt sich nämlich zeigen, dass eine Funktion auf einem Intervall höchstens eine Nullstelle besitzt. Andererseits lässt sich mit dem Zwischenwertsatz zeigen, dass eine Funktion in einem Intervall mindestens eine Nullstelle hat. Zusammen kann so die Existenz von genau einer Nullstelle gezeigt werden.
Beispiel (Nullstelle eines Polynoms)
Betrachten wir das Polynom auf dem Intervall . Für dieses gilt
- ist stetig auf . Außerdem ist und . Nach dem Zwischenwertsatz hat das Polynom auf mindestens eine Nullstelle.
- ist differenzierbar auf mit . Wir nehmen nun an, dass auf zwei Nullstellen und hat. Sei dabei . Es gilt also . Da auf stetig und auf differenzierbar ist, kann der Satz von Rolle angewandt werden. Es müsste daher ein mit geben. Nun hat aber wegen keine Nullstellen. Also kann in nicht mehr als eine Nullstelle besitzen.
Aus beiden Punkten ergibt sich insgesamt, dass in genau eine Nullstelle hat.
Weitere Übungsaufgabe
[Bearbeiten]Aufgabe (Nachweis einer Nullstelle)
Zeige, dass
genau eine Nullstelle besitzt.
Zusammenfassung des Beweises (Nachweis einer Nullstelle)
Zunächst zeigen wir mit Hilfe des Zwischenwertsatzes, dass mindestens eine Nullstelle hat. Anschließend zeigen wir mit Hilfe des Satzes von Rolle, dass höchstens eine Nullstelle hat. Aus beiden Schritten folgt die Behauptung.
Beweis (Nachweis einer Nullstelle)
Beweisschritt: hat mindestens eine Nullstelle.
ist stetig als Komposition stetiger Funktionen. Weiter ist und . Nach dem Zwischenwertsatz hat die Funktion daher mindestens eine Nullstelle.
Beweisschritt: hat höchstens eine Nullstelle.
ist differenzierbar auf als Komposition differenzierbarer Funktionen. Dabei ist . Wir nehmen nun an, dass auf verschiedene Nullstellen und besitzt. Nehmen wir an, dass ist. Es gilt somit .
ist auf stetig und auf differenzierbar. Nach dem Satz von Rolle müsste es ein mit geben. hat aber wegen
keine Nullstellen. Also kann höchstens eine Nullstelle besitzen.
Aus beiden Beweisschritten folgt, dass genau eine Nullstelle hat.
Ausblick: Satz von Rolle und Mittelwertsatz
[Bearbeiten]Wie oben schon erwähnt, ist der Satz von Rolle ein Spezialfall des Mittelwertsatzes. Dieser ist einer der wichtigsten Sätze aus Analysis 1, da aus ihm viele weitere nützliche Resultate folgen. Umgekehrt werden wir zeigen, dass der Mittelwertsatz aus dem Satz von Rolle folgt. Beide Sätze sind damit äquivalent.